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III. Die Laien

A. Familien und Einzelpersonen
B. Das "Schutzengelkinderheim" aus Hagen
C. Der Luftangriff auf Freiburg

 

A. Familien und Einzelpersonen

Von 1942 an lebten auf dem Stegener Klostergelände mehrere Familien und auch Einzelpersonen, die der bedrohliche Krieg oder die Zerstörung ihrer Häuser dorthin verschlagen hatten. So fand von 1942-45 die Familie Coenenberg aus Düsseldorf dort Unterkunft. Am 11. September 1942 wurde Düsseldorf-Unterbilk durch einen Großangriff stark zerstört. Dabei traf eine Luftmine auch die Vorderfront des elterlichen Hauses der Familie. Während der Vater, Adolf Coenenberg, der Bäcker war, die weitgehend unversehrt gebliebene Backstube wieder in Betrieb nahm, um den ganzen Krieg hindurch die Bevölkerung von Unterbilk mit Brot und Backwaren zu versorgen, wurden die übrigen Familienmitglieder in Stegen aufgenommen, nämlich Mutter Grete Coenenberg mit den acht Kindern Resi, Bernhard, Hans, Maria, Liesel, Adolf, Ursula und Margret. Auch die mit ihnen verwandte Familie Rettig verlor ein halbes Jahr später ihr Haus. So wurden in Stegen noch aufgenommen: Treschen Rettig mit ihren zwei Töchtern Ursula und Christel. Ihr Mann Eberhard Rettig war Soldat und fiel im Krieg.

 

B. Das "Schutzengelkinderheim" aus Hagen

Die immer bedrohlicher werdende Kriegssituation führte dazu, daß vor allem die Kinder aus den Großstädten aufs Land evakuiert wurden. Von dieser "Kinderlandverschickung" (KLV), die im großen Umfang durchgeführt wurde und Kinder in viele Teile Deutschlands zerstreute, wurde auch das Missionshaus Stegen betroffen. Mit dem 18. Juli 1943 wurde durch den Diözesan-Caritasdirektor Dr. Dietrich das ganze "Hagener Katholische Waisenhaus" oder "Schutzengelkinderheim" aus Eilpe (Hohle Straße 19a), einem südlichen Vorort von Hagen in Westfalen, nach Stegen verlegt. Es handelte sich um rund 75 Waisenkinder (10). Außer den Waisenkindern wurden auch weitere 19 Kinder aus Privatfamilien von ihren Eltern aus Hagen nach Stegen in Sicherheit gebracht und dem Kinderheim angeschlossen. Ihre Namen wurden von Wilfried Buß, einem der ehemaligen Waisenkinder, nach sorgfältigen Nachforschungen wieder entdeckt (vgl. Personenliste im Anhang). 

Eine Festschrift, die aus Anlaß des 75jährigen Bestehens des Hauses 1986 im Jahre 1987 veröffentlicht wurde, berichtet kurz dessen Geschichte. Danach wurde 1888 ein "Sammelverein für ein zu erbauendes Katholisches Waisenhaus in Hagen i. W." sowohl für elternlose Kinder als auch für Sozialwaisen gegründet. Leiblich und seelisch bedürftigen Kindern und Jugendlichen der Stadt Hagen sollte im Geiste Christi geholfen werden. 1911 konnte das Haus seiner karitativen Bestimmung übergeben werden und dient bis heute der Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen (11).

Schulisch und erzieherisch betreut wurden die Kinder von eben jenen oben genannten acht Vinzentinerinnen sowie weiteren  Erziehern und Erzieherinnen: Lehrer Friedrich Abel, Lehrerin Maria Brück, Maria Haarmann, Paula Heckenkämper, Agnes Herweg und Rita Ofschonka. Lehrer Abel, der in dem "Tantenhaus" des Schloßgeländes wohnte, war ein sogenannter linientreuer Nazi und wurde deshalb für das Waisenhaus als Lehrer in den Schwarzwald geschickt (12)

Immer wieder wird von "Stegener Ehemaligen" berichtet, wie wohl geborgen sie sich als Kinder im Kloster in Stegen fühlten. So schildert Bernhard Coenenberg, ein Sohn der oben genannten Düsseldorfer Familie, in seinen farbigen Erinnerungen "Stegener Jahre" den ersten Tag in Stegen:

"Der nächste Tag brachte für uns Kinder, die wir den Ernst der Lage überhaupt nicht erkannten und die dramatischen Umstände, die zu einer völligen Lebensänderung führten, einfach toll und interessant fanden, eine große Überraschung. Als Niederrheiner hatten wir noch nie in unserem Leben Berge gesehen und uns den 'Schwarzwald' als einen dunklen, ebenerdigen Wald vorgestellt, in dessen Mitte ein Klostergebäude steht, wie etwa das Dominikanerkloster  auf der Herzogstraße in Düsseldorf. An diesem strahlenden Spätherbstmorgen fanden wir uns wieder in einem ländlichen Gutshof mit drei unterschiedlichen Gebäuden und einer Kapelle, eingefaßt von einer Mauer mit Toren und Türmchen, einem herrlichen Park mit Weiher in einem weiten Tal, umgeben von Bergen, Wäldern und Feldern. Wir waren sprachlos..." (13).

Die Begeisterung der Kinder kannte keine Grenzen. Sie begannen, Stück für Stück diese neue Umgebung zu erkunden, den Gutshof Weiler, das Dorf Stegen und die im Sonnenschein bunt leuchtende herbstliche Bergwelt. Sie lernten die Klosterinsassen kennen, nahmen teil an den feierlichen Gottesdiensten in der altehrwürdigen Schloßkapelle, halfen den Ordensbrüdern und den Schwestern bei der Arbeit, wo Landwirtschaft, Garten und Küche ihrer bedurften, waren Meßdiener, spielten Theater und gingen in die Dorfschule oder aufs Gymnasium nach Freiburg. Sie erlebten im  Schwarzwald ein wunderbares Stückchen Erde und machten Reisen und Wanderungen bis hin zum Titisee, wie es die Bilder einer Chronik aus der damaligen Zeit zeigen, während ringsum der Schrecken des Krieges tobte.

 

C. Der Luftangriff auf Freiburg

Am 27. November 1944 wurde Freiburg bombardiert und die Innenstadt zum großen Teil zerstört. Bernhard Coenenberg berichtet darüber in seinen Erinnerungen:

"Es war am 27. November 1944 abends; wir hatten gerade einen Abendgottesdienst mit einem Friedensgebet in der Kapelle gefeiert und das Lied gesungen: 'O ewiger Gott, wir bitten dich, gib Frieden unsern Tagen; denn, Herr, es ist kein anderer Gott, der für uns streitet in der Not, als du, o Gott, alleine.' Da leuchtete es taghell durch die gotischen Fenster, es brummte und donnerte, und als wir ins Freie liefen, sahen wir, daß über Freiburg Leuchtraketen abgeschossen wurden und nun in einem Inferno Sprengbomben und Brandbomben niedergingen. Es dauerte nicht lange, und die ganze schöne alte Stadt stand in Flammen, der Himmel färbte sich purpurrot, und die schwarzen Wolken zogen durch das Dreisamtal. Noch in der Nacht ergoß sich ein Flüchtlingsstrom Obdachloser durch unser Dorf, um irgendwo eine Notunterkunft zu finden. Wir trugen Matratzen und Strohsäcke zusammen, und es gab keinen Quadratzentimeter Fußboden mehr, auf dem nicht irgendeiner schlief. Nach einigen Tagen entspannte sich die Lage; denn die meisten waren weiter in den Südschwarzwald gezogen, aber unser Kloster blieb voll: Pater Rektor nahm jeden in Not geratenen Mitmenschen auf" (14)

Zu den übrigen Klosterbewohnern wurde folglich kurzfristig eine große Anzahl von bedrängten Menschen aufgenommen. Zu ihnen gehörte auch Grete Borgmann, die Frau des Hauptschriftleiters der Caritas, Dr. Karl Borgmann, mit ihren vier Kindern, Rainer, Eva, Albert und Margret sowie Menschen jüdischer Abstammung, über die weiter unten berichtet wird. Nachdem der größte Teil der Ausgebombten in der folgenden Zeit das Kloster wieder verließ, blieb ein höchst zwielichtige Menschengruppe zurück, wie die jüdische Zeitzeugin, Lotte Paepcke, berichtet:

"Zurückblieb noch ein Kreis von Personen, die aus irgendwelchen Gründen nicht weiter geschickt werden konnten, und neben einem evakuierten Waisenhaus, das mit seinen vielen Betten das Kloster fast schon ganz füllte, wurde nun noch eine Schar von Flüchtlingen auf Dauer untergebracht. Die Klausur wurde aufgehoben, Männer, Frauen, Ehepaare wurden zwischen den Kammern der Brüder und Patres installiert. Die Aufgenommenen wurden in keiner Weise nach der Gesinnung ausgewählt, sondern nur nach der augenblicklichen Not, in der sie sich befanden. Es waren Katholiken, Protestanten, Juden, Nazigegner und Nazifreunde darunter. Es waren französische Kollaborateure und italienische Antifaschisten. Die einen fürchteten die Gegenwart, die andern die Zukunft. Und alle fürchteten sich voreinander. So mußten alle Einzelheiten über meine Person streng geheim bleiben vor dem Lehrer des Waisenhauses, der ein aktiver Nationalsozialist war und enge Beziehungen hatte zu den Amtsträgern im Dorf. So fürchtete sich der Antifaschist vor dem Kollaborateur, der wiederum aber schon in Angst lebte vor einer künftigen Übernahme der Macht durch die Gegner des Nationalsozialismus" (15).

Damit befanden sich in den letzten Kriegsjahren 1942-45 ständig etwa 150 Personen im Kloster Stegen. Die Anzahl wechselte schon deshalb, weil die nicht mehr schulpflichtigen Kinder des Kinderheimes Stegen verließen, einen Beruf erlernten oder anderswo unterkamen. Wie viele Personen nach dem Bombenangriff für längere Zeit zu den rund 150 Genannten hinzukamen, wie lange sie blieben oder wer sie waren, läßt sich nicht mehr genau ermitteln. Die oben zitierte Jüdin nennt mehrere Personen, so ein Ehepaar, einen namenlosen Intellektuellen, zwei alte Schwestern und die junge Frau eines Universitätsprofessors, erwähnt aber, wie das obige Zitat zeigt, allgemein noch weitere Personen. Damit kämen mit Grete Borgmann und ihren vier Kindern noch wenigstens weitere sechs Personen, also insgesamt elf sicher hinzu; vielleicht waren es auch noch mehr (16).