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Die
Memoiren des letzten Abts von St. Peter |
I.
Wahl des P. Ignatius zum Abt des Klosters St.Peter.
1.
Seit dem 24. Oktober 1789 war ich als Pfleger in Bissingen unter Teck. Ich hatte
die dortige Oekonomie, die ich in großer Verwirrung fand, durch Gottes Hilfe
hergestellt und sechs Jahre lang gewissenhaft verwaltet. Ich lebte nun ziemlich
vergnügt, und das Ziel meiner Wünsche war: einst mein Leben auf meinem
einsamen ruhigen Posten zu beschließen. Es geschah mir auch hier, was mir schon
mehrmal widerfahren. Ich wünschte thöricht und die Vorsehung ließ nicht meine
Wünsche in Erfüllung gehen, sondern verfolgte ihren Plan. Ich kann der
Vorsehung nie genug danken, daß sie selber meine Wünsche vereitelte, aber mir
doch Lust und Kraft gegeben hat, mich nach ihrer weisen Fügung zu richten um
auf jedem Posten, auf welchem sie mich stellte, so zu stehen, daß mir mein
Gewissen keine Vorwürfe über meine Verwaltung macht. Freilich lehrten die
besonderen Lagen, in die ich versetzt wurde, auch manche meiner Schwachheiten
kennen, die ich zuvor nicht gesehen. Ich fehlte oft; der gütige Gott wird mir
die Fehler vergeben, wie er mich sie erkennen ließ. Mir bleibt immer noch die
Hoffnung, daß der, welcher mich bildete im Mutterleibe und mich leitete in der
Jugend und führte in männlichen Jahren, auch ferner mir Licht und Kraft und Stärke
sein werde. - Es war nun beschlossen meine Laufbahn in Bissingen zu ändern und
mich in eine neue wichtige Lage zu versetzen.
2.
Den 11. November 1795 erhielt ich die Nachricht von dem am 7, d. M, erfolgten
Tode des gnädigsten Abtes, Philipp Jakob, eines Mannes, der sich um unser Stift
unzählbare Verdienste erworben. Er war eigentlich der Wiederhersteller unsres
Stiftes, welchem er seit dem 8. December 1749, also beinahe sechs und vierzig
Jahre vorgestanden. Er baute die Conventsgebäude, gründete die Bibliothek und
vermehrte sie immer, brachte die Wissenschaft in Aufnahme, kaufte die Herrschaft
Zähringen, zierte die Kirche, verbesserte und erhielt die Disciplin, duldete
ungeheure Lasten, aller Art Ungemach. Er selbst lebte so simpel als der
geringste Religios. Im Segen sei sein Andenken! - Die Schwachheiten des Alters
verschwinden bei den weit überwiegenden guten Eigenschaften. Ich ward zu der
auf den 23. November festgesetzten Wahl berufen. Ich mißkannte die Möglichkeit
nicht, daß man allenfalls auf mich verfallen könnte, allein es war mir doch so
wenig wahrscheinlich und ich war so gleichgiltig dabei, daß ich meine Sachen in
Bissingen gar nicht rangirte. Die wichtigsten Schriften und Bücher packte ich
zusammen in eine Kiste, wie ich gewohnt war bei Reisen zu thun, nahm 200 Louisd´or
dem neuen Abte zum Präsent mit, und trat am 16, d. M, die Reise nach St.Peter
an, die freilich bei damaliger Theuerung kostspielig war. Den 18. Abends kam ich
von Villingen zu Urach bei meinem alten Freunde Herrn Pfarrer Fischer an. Ein
Emigrant aus dem Elsaß, der bei Herrn Fischer wohnte, übergab mir folgendes
Chronodistichon: Ignati, pergas laetus,
cunetis venerande; Teque petit vere mitra futura tua. Ich spaßte über den
wohlmeinenden Propheten und setzte meine Reise nach St.Peter fort, wo ich den
19. Nachmittags ankam.Traurig war der Zustand des Klosters: das Convent zum
Spitale gemacht und mit Soldaten belegt; die Patres in der Abtei wohnend, drei,
vier in einem Zimmer, (da man die bessern für Gäste bereit hielt) viele sogar
auf dem Boden schlafend. Auch ich hatte mein Bett in der Kanzlei auf dem Boden.
Am 20. entdeckten sich einige Complotte. Mit jedem Tag wurde klarer, daß man
von außen auf einen gewissen Zweck hinarbeitete: Ich blieb sehr indifferent bei
der Sache, und unser Mehrere hielten sich an dem Grundsatz, daß es die Kunst
der Vorsehung sei, ihr Ziel zu erreichen, wenn sich Menschen am meisten
widersetzen. Man hatte auch mich am meisten zu verläumden gesucht. Ich hatte,
das bezeugt mir mein Gewissen, keinen Wunsch und keine Absicht. Nachdem alle
Capitularen beisammen waren, an der Zahl Ein und zwanzig, ward Abends den 21. im
obern Saale Capitel gehalten, die Form pro
futura electione festgesetzt, die kanonische Election per
absolute maiora bestimmt; im Falle diese bei dem ersten Scrutinio nicht
erreicht werden sollte, sollten die Namen der Gewählten angezeigt und noch
einmal scrutinirt werden. Ferner ward festgesetzt, daß der künftige Prälat
einem Capitelausschuß künftig die Rechnung vorlegen sollte.
Den 22. langten die Herren Commissarien an. Als kaiserlicher Commissarius kam
der geistliche Regierungsrath Will mit Hrn. Sekretär Hinderfad; als Präsident
Hr. Generalvicarius Graf von Bissing und Hr. geistlicher Rath Sturm; als testes
Hr. Anselm, Abt von Villingen mit dem P. Prior Gottfried; Hr. Columban, Abt von
St.Trudpert mit dem P. Prior Benedikt.
3.
Den 23. wurde die Wahl vorgenommen mit den gewöhnlichen ritibus. Herr Vicarius
generalis hielt eine sehr vortreffliche Rede. Bei dem ersten Scrutinio war
die Wahl noch nicht canonisch. P. Ignaz hatte neun Stimmen, P. Thaddäus acht,
P. Karl zwei, die übrigen zwei waren zerstreut. Bei dem zweiten Scrutinium fiel
die Wahl auf mich, Ignaz Speckle. So viel ich mich fassen konnte, hielt ich eine
sehr kurze lateinische Rede, worin ich erklärte, daß die Abtswürde für mich
gar nichts Reizendes, hingegen viel Abschreckendes habe; andrerseits von mir nie
gesucht, nie gewünscht worden sei. Ich sehe meine Erwählung als den Willen
Gottes an und sei überzeugt, daß diese Wahl wenig Neid erregen wird. Ich sei
also entschlossen sie anzunehmen, mich zu bestreben, die von mir gefaßte gute
Meinung zu, erfüllen, mich für meine Brüder zu opfern. Und wenn ich je von
meinen guten Entschlüssen weichen würde, so hoffte ich, daß Jemand aus meinen
Brüdern Muth genug haben würde, mich daran zu erinnern. Ich verlor in der
Folge, nachdem alles nach gewöhnlichem Gebrauch geschehen war, die Fassung und
konnte mich des Weinens kaum enthalten. Die anwesenden Herren Commissarien
zeigten sich mit der Wahl sehr zufrieden; meistens kannten sie mich schon zuvor.
Auch die Capitularen schienen zufrieden. Einige Tage konnte ich mich nicht ganz
fassen; der Schlaf floh von meinen Augen und meine ganze Seele ward von Bergen
des Kummers gedrückt. Als ich Abends einen Augenblick allein war, so war mein
erster Gedanke: „nun ist deine Ruhe auf immer verloren.“
4.
Und in der That war mein Kummer nicht ohne Grund. Wo ich nur immer hinblickte
fand ich Gegenstände des Kummers und der Sorgen. Der väterliche Abt Philipp
Jakob war seit mehreren Jahren etwas alt und unthätig. Jedermann, auch sogar
die geistlichen Mitstände, mißbrauchten dieses Alter und wälzten alles
Ungemach auf unser Kloster. Der Prälat und die Regierung war wider uns
eingenommen. Man hatte das Kloster zum Spital gemacht. Die Religiosen waren sehr
wenige, und diese meistens alt oder krank; kaum konnte man noch die Pfarreien
besetzen. Auch die Finanzen waren wenigstens in einem sehr gefährlichen Stande;
viele Quellen der Einnahmen verstopft, noch mehr zu Ausgaben geöffnet. Die
Hoffnung zum Anwachs neuer Religiosen, wie zur Verbesserung der Finanzen, war
entfernt; endlich Krieg mit den Franzosen und einige Processe mit den
Unterthanen; die Religiosen selbst etwas verwöhnt und für Alles das wenig
bessere Aussicht. Bei dieser Lage der Dinge ist es kein Wunder, wenn quälende
Sorgen mich drückten. Hoffnung auf Gott ist das Einzige. Die Ueberzeugung, daß
die Sache ohne mein Zuthun geschah und folglich Anordnung Gottes sei, führte
mich zur tröstlichen Hofnung, daß er auch Hilfe schicken werde, wie ich schon
oft in meinem Leben erfuhr.
5.
Ueberdenke ich mein - wenig merkwürdiges - Leben, so kann ich die Spuren göttlicher
Leitung unmöglich verkennen. Von einer Stufe zur andern führte mich Gott. Nie
kannte ich früher das Kloster St.Peter; ich war im Gegentheil zu andern Ständen
geneigter. Ich ward durch Zufälle nach St.Peter geführt; meines Erachtens zu
früh, zur Professur der Theologie im 25. Jahre bestimmt; einige Jahre lang für
einen Rebellen und Mißvergnügten gehalten; vielleicht verläumdet, da ich mir
durchaus nur redlicher Absicht bewußt war, schwach und kränklich aus Unmuth;
dann vom Kloster entfernt und streng gehalten; doch dadurch belehrt, mit mir
selbst bekannter und zum Nachdenken gewöhnt zu werden; endlich, da sich die
Verläumdungen im Jahr 1786 am stärksten zeigten und man mich gefährlicher
Grundsätze beschuldigte, nach Sölden als Pfarrer versetzt, wo ich mit Trost im
Weinberge des Herrn arbeitete; dann von meinen sehr geliebten Pfarrkindern nach
Bissingen in Württemberg entfernt, eine zerrüttete Haushaltung und Verwaltung
wieder herzustellen, obgleich ich in meinem Leben nie gewirthschaftet hatte.
Gott gab auch hier seinen Segen, weil ich gehorsamete. Ich ward von meinem
seligen Prälat vollkommen gerechtfertiget, und er gab mir viele Beweise seiner
Zufriedenheit.