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Badisches Volksleben im neunzehnten Jahrhundert
von Elard Hugo Meyer

Straßburg, Verlag von Karl J. Trübner. 1900
Reprint: 1984 Theiss Verlag

(es wurde die Schreibweise der Originalausgabe übernommen)

 

I. Geburt, Taufe und Kindheit

Kindsbad

... Das gewöhnlich alsbald nach der Geburt vorgenommene erste Kindsbad darf in vielen Orten nur von der Hebamme gegeben werden...Katholiken mischen ihm Weihwasser und auch wohl geweihtes Salz bei. In Bernau lässt man drei Tropfen einer brennenden Kerze ins Wasser fallen, um zu sehen, ob sie einen Stern bilden oder nicht, d.h. ob dem Kinde Glück oder früher Tod bescheert sei. IN STEGEN WIRFT MAN ZU DEN DREI TROPFEN EINE KLEINE MÜNZE INS BAD, damit das Kind fromm und sparsam, im benachbarten St. Peter zum Wachs und dem Badkreuzer der Gotti noch einen Rosenkranz, damit es fleißig, sparsam und brav werde.

Paten

Der größte Festtag ist für die Kleinen, wie für die größeren Kinder noch in vielen Dörfern der „Klaustag“ und in manchen wird er ihnen nach älterer Sitte vorzugsweise von den Paten festlich bereitet. Hat doch auch St. Nikolaus eine rechte kinderfreundliche Patenseele... Sanktiklaus d.h. Paten und Eltern bescheren den Kindern Obst, Nüsse, Brezeln und Schnecken, Hasen und „Baselmänner“ aus süßem Teig und Spielsachen....Er führt aber auch eine Rute mit sich, und sein Begleiter Rugbelz rasselt schrecklich mit seinen Ketten, WESHALB ER AUCH IM WITTENTHAL BEI FREIBURG „HÖLLENHUND“ HEIßT...

Kinderkrankheiten

....Andere Amulette „Mamlette“, Ammenetli“ haben dieselbe Kraft, wie die kleinen Kisslein mit Kräutern...IN STEGEN VOM HIMMELFAHRTSALTAR ODER EIN STÄUDLEIN VOM KRÄUTERBÜSCHLEIN, AUS DEM NAMENTLICH DER RAUTENSAMEN GENOMMEN WIRD.

II. Die Jugend

Jugendfeste

....Einst, man sagt vor ein paar hundert Jahren, WURDE DER HENSELERHOF IM HINTEREN ATTENTAL, DAS NOCH HEUTE REICH AN UNSCHÄDLICHEN RINGELNATTERN WIE AN GIFTIGEN KREUZOTTERN IST, von Schlagen derartig heimgesucht, daß der Bauer der allerseligsten Jungfrau Maria eine Kapelle gelobte, um von der Plage befreit zu werden. Wirklich bleiben seit der Erbauung der Kapelle die Schlangen fort. Oben über dem Hof steht noch heute mit weiter Aussicht die mit einem Marien- und einem Sebastiansbilde geschmückte Schlangenkapelle, scherzhaft auch „Flohkapelle“ genannt, weil vorüberziehende Handwerksburschen wohl auf den Bänken ihres offenen Vorraums übernachten. Zu Mariä Lichtmeß, am 2. Februar, betet der Bauer des Henselerhofes mit seinen Leuten nach dem Mittagessen darin drei Rosenkränze, und nach der Heimkehr muß ein Kind oder auch, wenn eins fehlt oder es noch zu klein ist, der Hofbauer selber dreimal eine Kette an der Berglehne ums Haus ziehen, um die Schlagen abzuhalten. Das geschah noch 1895 und wird auch wohl noch jetzt geschehen.

Hirtenleben

...Dem eigentlichen Ausfahren mit dem Vieh geht aber das „Fahrten“, ein Gang zur Kirche oder einer Kapelle voran....halten die Hirten mit einem Familienangehörigen, ihrem Vater oder Meister, oder auch mit den Mägden in der Kirche Andacht, beten bei brennendem Wachslicht drei Rosenkränze und opfern auch wohl Geld. DIE ATTENTHALER „FAHRTEN“ IN IHRE PFARRKIRCHE ZU KIRCHZARTEN

III. Liebe und Hochzeit

Feste der jungen Leute

...Nun bricht die Zeit „zwischen den Jahren“ an, die von Weihnachten bis H Dreikönig oder bis Neujahr reicht...Für einen großen Teil der dienenden Jugend ist die Jahreswende auch eine Lebenswende, denn der erste oder zweite Tag nach Weihnachten, der Stephanstag oder der Johannis-Evangelistentag ist in den meisten alemannischen Gegenden der Bündelis-, Wandeles- oder Bächtelistag, an dem der Dienstbote seinen Lohn erhält, sein Bündel schnürt und zu einer anderen Herrschaft zieht...DIE ENTLASSENEN KNECHTE UND MÄGDE GEHEN IM OBEREN DREISAMTHALE ZU IHREN ELTERN UND VERWANDTEN ODER HELFEN DEN TAGELÖHNEREN BEIM DRESCHEN IHRER KLEINEN „HABE“, diese treten dann am Neujahrsmorgen, jene am Mittag den neuen Dienst an. Doch werden anderswo in Baden auch Martini und Lichtmeß dazu benützt

....Die neue Zeit beginnt mit der letzten Nacht des Jahres, die die Jugend möglichst ganz auskostet, weshalb sie wohl auch Durchspinnacht UND „DURCHNACHT“ Z.B. IN STEGEN HEIßT...

...Bald nach Mariä Lichtmeß (2. Februar) und mit ihr in manchen badischen Orten, wo dies der Bündelistag ist, die Trennung von der alten Herrschaft und den Kameraden und Kameradinnen der Eintritt in neue Verhältnisse. Dieser Tag ist aber auch der tag der Wachsweihe, und z.B. IM DREISAMTHAL TRAGEN SIE DESWEGEN LANGE SCHNÜRE VOLL BUNTER, KOSTBAR VERZIERTER, SOWIE EINFACH WEIßE UND GELBE WACHSSTÖCKE IN DIE KIRCHE. Und solch einen schönen Wachsstock und einen Rosenkranz dazu bringt dort der Bub gern seinem Schatz als erstes Geschenk, wofür er wohl als Gegengabe Sigarren und ein Sigarreröhrl oder dergl. erhält..

Verlobung

...bekommt die Braut von ihm ein Paar neue Schuhe, der Bräutigam von ihr ein Hemd. Diese beiden Wechselgaben schenken sich nun auch noch die Brauleute um Freiburg, Z.B. IN STEGEN UND ZARTEN....In diesem Hemde geht der Hochzeiter, in diesen Schuhen die Braut zum Altar. Anderswo ist jener freigiebiger...

Hochzeitstracht

...Die bedeutungsvollste Hochzeitszierde ist der Kopfschmuck, besonders der weibliche. Aber nicht nur der Schutterwälder Hochzeiter hat einen Kranz um den Hut...Früher behielt in vielen Dörfern...der Bräutigam den mit einem Rosmarin geschmückten Hut den ganzen Hochzeitstag auf dem Kopfe. IN WITTENTHAL BLEIBT ER DAMIT WÄHREND DES GANZEN ESSENS BEDECKT...

Die Braut dagegen hat noch eine in vielen Stücken sinnvollere Tracht, namentlich einen sinnvolleren Kopfschmuck. Das Bewußtsein von der Bedeutung des Brautkranzes oder der Brautkrone ist in den meisten Dörfern noch lebendig. So streng straft man zwar die gefallene Braut ja wohl nicht wie z.B. in Sachsen, wo man ihr außer dem Kranz auch Orgelspiel, Altarkerzen, Geläute und Gesang verweigert, aber den Kranz oder das Schäpple, den Aufsatz, darf sie auch an vielen badischen Orten nicht aufsetzen, sondern muß sich mit der Kappe oder einem Frauenhut oder einer Kapuze begnügen...In Hornberg darf sie nur „schwarze“, nicht rote „Bollen“ an ihrem Hut tragen, der bei Ärmeren statt des Schäppels Mode ist. UM SO STOLZER PRANGT IN WITTENTHAL UND LITTENWEILER DIE BRAUT MIT EINEM KRANZE AUF DEM KOPF UND ZWEI KRÄNZEN ODER FARBIGEN STRÄUßEN AUF DER BRUST. Überall ist hier, vom Rosmarin und der modernen Myrthe abgesehen, künstlicher Schmuck gemeint, der aber wieder die uralte Kranzform zurückgeführt hat, die wenigstens in vielen badischen, namentlich den alemannischen Landschaften verdrängt war.

Zum Hochzeitshause

...In Zarten bei Freiburg findet nach der Rückkehr aus der Kirche, aber meistens erst nach dem Vortanz, das „Sacktücher ausspringen“ statt. Braut und Ehrenjungfrau halten vor dem Wirtshause ein Nastuch ausgespannt. Auf dieses springen um die Wette zuerst die „Kranzmädli“, dann die Burschen, dann die Männer und endlich die Frauen los. Wem es von jeder Altersklasse gelingt, zuerst das Sacktuch zu durchrennen, der erhält es....In Ehrenstetten werden gleich nach der Begrüßung durch den Wirt Tabaksdosen und Taschentücher, die die Braut spendet, ausgewürfelt. BEIDES, WETTLAUF UND AUSWÜRFELN, KOMMT IN STEGEN BEI FREIBURG VOR.

...EINE ANDERE ALTERTHÜMLICHE FORM (der Begrüßung) IST NOCH Z.B. IN STEGEN BEI FREIBURG ÜBLICH: DER WIRT EMPFÄNGT DEN ZUG VOR DEM HAUS MIT WEIN UND BROT, DAS MIT GEWEIHTEM SALZ BESTREUT IST. ABER AUCH DER Z´TANZSAAL UND DIE ANDEREN VON GÄSTEN BESETZTEN RÄUME SIND DAMIT BESTREUT.

Kranzabnahme

...Das erste Mädchen nimmt nun der Braut den Kranz vom Kopfe und dem Bräutigam das Bruststräußchen, überhaupt allen Hochzeitsschmuck. Die Mädchen entfernen sich, die Brautleute gehen sich umkleiden, erst danach dürfen sie zusammensitzen...IN STEGEN NIMMT IHN DER BRÄUTIGAM SLBER DER BRAUT AB UND SETZT IHR DIE FRAUENKAPPE AUF.

IV. Das häusliche Leben

Taglöhner

....Aber so nützlich diese Handwerker nun auch den Bauern sind, fast immer werden sie als fremde Elemente empfunden und gern geringgeschätzt und verspottet. DIE ÜBER DEM ATTEMTHAL BEI FREIBURG GELEGENE SCHLANGENKAPELLE HEIßT BEI DEN BAUERN AUCH FLOHKAPELLE, WEIL IN DEREN VORRAUM WOHL WANDERNDE HANDWERKSBURSCHEN EIN BILLIGES NACHTLAGER SUCHEN...

Haussegen

Marienbilder sind an der Außenwand mancher Häuser oft in schützenden Nischen angebracht, z.B. bei Freiburg IN ATTENTHAL .... UND WERDEN ZU FRONLEICHNAM MIT BLUMENKÄNZEN VERZIERT...

Schwangerschaft

...namentlich muß sie sich vor dem sich „Versehen“, „Vergucke“, dem „Abluege, Abgucke, Abschaue“ hüten. Denn sieht sie plötzlich z.B. ein Feuer, eine Maus, einen Hasen und greift sich im Schrecken darüber an eine Stelle des Körpers, so wird an dieser ihr Kind einen Mal oder Maas haben, ein Muttermal, und zwar je nachdem, ein Feuer- oder Brandmal oder eine dunkle „Muus“ oder einen Hasenmund. Darum sollte sie sich an den Hintern greifen, wo das Mal nicht sichtbar sein wird, oder noch besser die Hände und Arme möglichst weit vom Leibe ausstrecken... ODER SIE MUß DIE SACHE ODER PERSON, AN DER SIE SICH VERSEHEN KÖNNTE, FEST ANSEHEN, SO IN STEGEN ...

Glückwunschbesuch

...DER VATER DES KINDES MUSS DIE „SCHENKI“, DEN TAUFSCHMAUS, IN WITTENTHAL BEI FREIBURG ZAHLEN, DAGEGEN DIE PATEN „TRAGEN DEN KORB“ D.H. BRINGEN 8-14 TAGE EINEN KORB VOLL KAFFEE, ZUCKER, BROT, EIER U.S.W. DEN ELTERN.

V. Bei der Arbeit

Das Säen

....HÄUFIGER WACHTELRUF VOR DER ERNTE KÜNDET IN WITTENTHAL TEURES KORN AN....

VI. Zur Festzeit

Dreikönigstag

..AN DIESEM TAGE SCHLEIFT ABER AUCH DER BAUER DES HENSELERHOFES IM ATTENTHAL BEI FREIBURG ODER SEIN BUBE, NACHDEM DAS GANZE HAUSGESINDE DROBEN IN DER SCHLANGENKAPELLE DER ROSENKRÄNZE GEBETET HAT, DREIMAL EINE KETTE UMS HAUS UM DIE SCHLANGEN ABZUHALTEN.

Karfreitag

...AM KARSAMSTAG BESPRITZT IN STEGEN UND WAGENSTEIG DER BAUER ALLE RÄUME DES HAUSES MIT DER „OSTERTAUF“ UND, SEIN GANZES GUT UMSCHREITEND, ALLE „LOCHE“ (GRENZSTEINE), UM DADURCH FELDSCHADEN, SCHLANGEN UND UNGEZIEFER FERNZUHALTEN...

Regenbogen

...STEHT ER ÜBER DEM BACH, GIEBTS MORGEN GUTES WETTER IN STEGEN

VIII. Krankheit und Tod

Sommersprossen

AUCH DIE SOMMERSPROSSEN SIND SEHR UNLIEBE GÄSTE. SIE HEISSEN MEIST „LAUB- UND SUMMERFLECKE“, IN STEGEN . LEBERFLECKE BEKOMMT DAS KIND IN STEGEN, WENN ES, NOCH NICHT HALBJÄHRIG, VOM REGEN GETROFFEN WIRD...

Todesvorzeichen

...ZEIGT EINEN TODESFALL AN, EBENSO WENN SICH EIN BIENENSCHWARM AN EINEN DÜRREN AST SETZT, ODER EINE BIENE D.H. EIN VOLK ABSTIRBT, IN ... STEGEN ...

Aus der Vogelwelt treten als Vorboten des Todes besonders die hässlich krächzenden Rabe und Elstern hervor.

...VON GLEICH BÖSER VORBEDEUTUNG IST ES IN STEGEN , WENN KEINE RABEN ZU DEN ABFÄLLEN HERANFLIEGEN, WO IM HAUSE EIN SCHWEIN GESCHLACHTET IST...

Leichenschmuck

...Im oberen Dreisamthal legt man statt des Kissens dem Toten ein frisches Rasenstück unter den Kopf. Dieser „Kopfwasen“ wird dann in Wagensteig auch in den Sarg gethan, DAGEGEN IN STEGEN WIEDER AN SEINE STELLE VERPFLANZT, UND WENN ER DA NICHT WIEDER WÄCHST, SO STIRBT BALD EIN ANDERES FAMILIENMITGLIED..