zum Inhaltsverzeichnis

Der Pfändlerhof zu Zarten
Von Wilhelm Arnold Tschira, Freiburg i. Br.
Aus: Mein Heimatland, 19. Jahrgang, Heft 5/6, 1932, Seiten 131-138



Bild 1 Seppenhof und Pfändlerhof zu Zarten von Westen

Drei Dinge bestimmen die Gestalt eines Bauernhofes, das Bauprogramm, der Baustoff und der Bauplatz. Bewußt künstlerische Gestaltung vermag der vorurteilsfreie Betrachter nur in der Durchbildung der Einzelheiten zu entdecken. Das Bauprogramm ist abhängig von der Lebensweise des Bauern und diese wieder abhängig von dem Land auf dem er lebt. So zwingt die Oberflächenbeschaffenheit des Schwarzwaldes den Bauern zur Viehwirtschaft, er braucht also außer der Wohnung für Familie und Dienstleute große Ställe und Speicher für das Viehfutter. Das rauhe Klima, Schnee und Kälte, zwingen dazu alle diese Räume in einem Haus unterzubringen, da so die Wärmehaltung größer ist und bei Schnee das Haus nicht verlassen zu werden braucht. Oft fehlt im Gebirge auch der Platz zu einer Gehöftanlage. Der Baustoff ist im Schwarzwald selbstverständlich das Holz. Aus diesen beiden ersten Bedingungen, Einhaus und Holz, entsteht zuerst eine Urform. Die Urform des Schwarzwaldhauses ist eine zeltartige einräumige Hütte. Aus dieser Urform entstand mit Anwachsen der Bedürfnisse und handwerklichen Fähigkeiten eine immer weiter entwickelte und überlieferte Grundform, die in verschiedenen Landschaften wieder verschieden gestaltet wird. Durch die dritte Bedingung, die örtlichen Verhältnisse des Bauplatzes, entsteht die Einzelform.
Beim Schwarzwaldhaus kann man drei Grundformen feststellen; sie unterscheiden sich durch die Dachkonstruktion voneinander. Unterscheidungen nach Lage der Einfahrt und ähnlichem halte ich nicht für berechtigt, da solche Unterschiede gewöhnlich nur durch die Gegebenheiten des Bauplatzes bedingt sind. Die Raumanordnung ist in großen Zügen bei allen drei Grundformen gleich, an der vorderen Schmalseite des Hauses liegt der Wohnteil,  dahinter der Stall, über dem Stall liegt das Heu, über dem Wohnteil die Frucht. Die älteste Grundform zeigt das reine Pfettendach mit stehendem Stuhl. Fünf Längsbalken (Pfetten) tragen die Dachsparren, je eine Pfette liegt am Dachfuß (Fußpfette), je eine Pfette unter der Sparrenmitte (Mittelpfette), und eine Firstpfette am Dachfirst. In Abständen von 4-5 Meter werden die Pfetten von Pfosten (»Hohsul«), die aus den Hausschwellen aufstehen, getragen (stehender Binder). Es stehen also immer fünf solche Pfosten quer zur Hausrichtung hintereinander. Dieser Querteilung muß sich der Grundriß anpassen. Im Stallteil ist diese Einteilung sehr praktisch, im Wohnteil erweist sie sich als viel zu starr. Daher wird in der zweiten Grundform über dem Wohnteil ein freitragender Dachbinder ohne senkrechte Pfosten (liegender Stuhl) geschlagen. Der liegende Stuhl gestattet nun eine freie Aufteilung der darunterliegenden Fläche. Bei der letzten und jüngsten Grundform wird der liegende Stuhl auch über dem Stallteil angewendet.



Bild 2· Pfändlerhof, Erdgeschoß Grundriß. Deutlich unterscheidet sich der Stallteil mit seiner Querteilung vom unregelmässig aufgeteilten Wohnteil. 1. Wohnstube, 2. Küche (die Hurte sind eingestrichelt), 3. Libdigstube, 4. Hausgang, 5. Tenne (zweistöckig), 6. Stall, 7. Futtergang, 8. Stall
Bild 3. Pfändlerhof, Oberqeschoß Grundriß. 1. Schlafstube, 2. Kammern (Zugang von den vorgelegten Galerien) 3. Libdigstuben, 4. Hühnenstall, früher Rauchfang, 5. Hausgang, 6. Tenne (zweistöckig), 7. Heubühne, 8. Versteckraum
Bild 4. Pfändlerhof, Schnitt durch die Tenne. Das Dach wird von einem stehenden Stuhl mit durchlaufenden „Hohsulen“ (4) getragen. 1. Fußpfette, 2. Mittelpfette, 3. Firstpfette              

Bild 5. Pfändlerhof, Schnitt durch den Wohnteil mit liegendem Stuhl. Links Libdig, in der Mitte Küche mit den gewölbten Hurten, rechts die Stube, die Küche war früher nach oben offen
 


Bild 6. Pfändlerhof, Längsschnitt. Links Wohnteil, in der Mitte die zweistöckige Tenne, darüber Einfahrt, rechts Stallteil. 1. Liegender Stuhl, 2. halbliegender Stuhl, 3-5 stehende Stühle

Der Pfändlerhof zu Zarten gehört zu jener mittleren Grundform. Er liegt am Südwestrand des Dorfes Zarten (Abb. 1). Gegen Norden und Nordosten ist der Hof durch die übrigen Häuser geschützt nur dem Südweststurm ist er frei ausgesetzt. Das hat zur Folge, daß er in Ostwestrichtung gebaut ist. Die Ställe liegen gegen Westen, der bevorzugte Wohnraum, die Stube, liegt in der Nordwestecke des Hauses. Die Lage der Landstraße im Norden der Hofstelle sprach bei dieser Anordnung natürlich auch noch mit. Diesen Verhältnissen entsprechend ist das Dach im Westen (Abb. 9) und Süden am meisten nach unten gezogen und im Osten (Abb. 8) am weitesten zurückgeschnitten. Der Hof liegt auf nahezu ebenem Gelände, so daß die sonst im Schwarzwald übliche Einfahrt ins Dach ursprünglich nicht vorgesehen war und die Tenne zu ebener Erde lag. Tenne und Futtergang hatten auf beiden Seiten Einfahrten. Später wurde eine gemauerte Auffahrt gebaut, so daß heute sofort ins Dach eingefahren werden kann.
Der Grundriß (Abb. 2 und 3) zeigt deutlich die Trennung des Hauses in Wohnteil und Stallteil. Dieser ist in vier Querstreifen geteilt, ganz im Westen liegt ein Stall, über diesem eine Heubühne und eine Knechtskammer an der Nordwand. Vor der Knechtskammer befindet sich eine kurze Galerie, die über eine Leiter zu erreichen war und den einzigen Zugang zur Knechtskammer bildete. An den Stall stößt der etwas breitete Futtergang, der früher durch zwei Stockwerke reichte und auf beiden Seiten eine Toreinfahrt hatte. Heute ist eine Decke eingezogen, die Tore sind durch feste Wände ersetzt, der Raum über dem Futtergang wurde zur Heubühne hinzugezogen. Auf den Futtergang folgt wieder ein Stall mit darüberliegender Heubühne und Knechtskammer. Diese hatte eine jener doppelten Wände, die sie in Kriegszeiten oft in die Bauernhäuser eingebaut wurden, um als Versteckräume zu dienen. Neben diesem Stall liegt die Tenne, über dieser die Einfahrt (Abb. 4).

 

Bild 7. Pfändlerhof, Ansicht von Norden. Die vom Dach verdeckten Teile sind gestrichelt.

Der Wohnteil ist durch den Hausgang vom Stallteil getrennt. Auf der Ostwand des Hofes liegen die Wohnräume; Stube und Küche sind quadratisch, das Libdig ist schmal und so tief, daß es noch in den Hausgang vorspringt. Während die Küche früher noch oben offen war, hatten die Stube (Abb. 10) und das Libdig von jeher zwei Stockwerke. Die Konstruktion ist bei beiden gleich. In den vier Ecken stehen durch beide Stockwerke durchlaufende abgeschrägte Pfosten. Diese Pfosten tragen die Unterzüge auf denen die Balkenlage liegt. Zwischen diese Pfosten sind die Wände eingebaut. Gegen die Küche zu sind diese aus Stein gemauert, gegen den Hausgang bestehen sie aus Bohlen, die auf Nut und Feder gestoßen sind. An den Außenwänden stehen über der Schwelle zunächst 50 Zentimeter hohe starke Bohlen. Über ihnen ziehen sich über die ganze Stubenbreite jeweils ein Rahmen, der gegen die Hausflucht vorspringt und in den die Fenster eingesetzt sind (sogenannte Fenstererker). Die Stubendecke besteht aus Bohlen die ebenfalls auf Nut und Feder gestoßen sind und in der Mitte von einem »Stubenträger« oder »Solbaum« genannten Unterzug getragen werden. Dieser Balken wird aus statischen Gründen gegen die Auflager zu allmählich stärker. Er ist durch den oberen Balken des einen Fenstererkers hindurchgesteckt und von außen verkeilt (diese Holzverbindung wurde auch bei allen Schwellen angewendet). Die mittlere Deckenbohle spitzt sich nach innen keilförmig zu, und läuft durch einen Spalt im oberen Balken des zweiten Fenstererkers hindurch ins Freie. Wenn die Decke infolge des Holzschwundes leck geworden ist, so wird diese Keilbohle von außen nachgeschlagen. Die Decke erhält so ihre Spannung, die ja auch die Tragfähigkeit erhöht, wieder zurück. Die Stube zeigt im wesentlichen noch den alten Zustand, nur die Fenster und der Kachelofen sind erneuert. Am Libdig sind nur noch die Decke und die Pfosten alt. Die Wände sind jetzt mit Backsteinen ausgemauert. Gleichzeitig mit dieser Veränderung wurde auch die Ostwand nach außen vorgeschoben. Es ist dies natürlich eine Raumerweiterung, aber auch eine nachträgliche Angleichung an den jüngeren Typ des Dreisamtalhauses, bei dem das Libdig regelmäßig vor die Hauswand vorspringt. Über dem Libdig sind zwei kleine Kammern angeordnet, über der Stube die Schlafstube des Bauern. Vor den oberen Libdigkammern und der Schlafstube liegt jeweils eine Galerie.
Zwischen Libdig und Stube liegt die Küche (Abb. 5), von der aus beide beheizt und bewirtschaftet werden. Sie hat daher zwei Feuerstellen und über jeder Feuerstelle einen sogenannten Hurt, ein Tonnengewölbe aus Weidengeflecht mit Lehmbewurf. Der eine Hurt wurde in neuerer Zeit aus Backsteinen gemauert und an ihn ein gemauertes Kamin angeschlossen. Heute ist zwischen den Hurten eine Decke eingezogen, die ehemalige Rauchkammer dient jetzt als HühnerstalL Früher zog der Rauch zunächst in die Rauchkammer und von hier aus entweder sofort nach außen oder durch das Rauchloch am Dachfirst ins Freie. Die Hurte hatten dabei den Zweck Funken und hochschlagende Flammen vom Dachwerk abzuhalten.



Bild 8. Pfändlerhof, Ansicht von Osten. Links ist die später eingebaute Libdigwand deutlich zu erkennen. Die Verbreiterung unter der Traufe ist ebenfalls neu
Bild 9. Pfändlerhof, Ansicht von Westen! (Wettetseite)
Bild 10. Pfändlerhof, Isometrie der Stube. Schnitt durch die Fenstererker. Die Decke ist über dem Solbaum geschnitten. Obern Jahreszahl 1610 über der haustüre. Rechts Pfosten an der Galerie

Der Giebel ist über die Ostwand vorgetragt (Abb. 6)  Unter dem weiten Dachüberhang ist heute der Dachboden vorgezogen und der so entstandene Raum zum Heulagern benutzt. Im Dach liegt etwa über Stubenmitte der liegende Stuhl mit der ansehnlichen Spannweite von über 11m. Der nächste Binder steht über der einen Wand des Hausganges. Er enthält eine mittlere Hohsul, ist aber im übrigen als liegender Stuhl ausgebildet. Was an dem ganzen Dachwerk auffällt ist die geringe Verstrebung in der Längsrichtung. Infolge dieses Fehlers bekamen die Firstsäulen durch den Winddruck allmählich einen Überhang von nahezu 2 m. Nachträglich wurde durch Einbau von Streben zwischen den Bindern dieser Übelstand wieder beseitigt. Die Dachdeckung bestand früher aus Stroh, heute ist das Dach mit dem üblichen Gemisch aus Schindeln, Falzziegeln und Eternitplatten eingedeckt.
Im einzelnen ist großer Wert auf die Behandlung des Holzes gelegt. Das ganze Baugefüge ist außerordentlich genau und sachgemäß gezimmert. Besonders schön sind die sägeförmigen Blätter der Kopfbänder. Die Türen sind ganz aus Holz gefertigt. Die Angeln laufen in besonders eingesetzten Angellöchern aus Eichenholz, die Türbretter sind mit Holznägeln auf den ebenfalls hölzernen Türbändern befestigt. Die Schnappschlösser sind auch ohne jede Verwendung von Eisen hergestellt. Außer Stube und Libdigstube, die Glasfenster besaßen, waren alle Wohnräume nur mit hölzernen Schiebeläden an den Fensterlucken versehen.
Das Holz war früher - wohl durchweg - leicht bemalt. Rote Farbspuren fand ich noch am Fenstererker. In den Holzfeldern an den Schlafkammern der Nordseite sind noch sich überkreuzende rote und schwarze Zickzackbänder deutlich zu sehen.
In einiger Entfernung vom Hof steht ein kleiner steinerner Bau, der als Speicher für Korn und andere leicht brennbare Gegenstände dient, so daß diese im Falle eines Brandes geschützt sind. Er trägt neben der Tür die Inschrift: Hans Pfendler und Magtalena Meltzin 1756.
Der Vater dieses Johannes Pfendler, Sebastian Pfendler war der erste in Zarten ansässige Pfendler. Er erwarb den Hof am 7. August 1713 um 2115 fl. rheinisch mit allem Feld, Wald und Zubehör von den Erben des Martin Dengler (Nach Akten des Städt. Archivs Freiburg. Die Aufmessung führte ich zusammen mit cand. Arch. Prosper Schwörer, Freiburg, durch. Für frdl. Förderung unserer Arbeit schulde ich Herrn Hauptlehrer Lenz, Zarten, herzlichsten Dank.) Seither ist der Hof ununterbrochen im Besitz der Familie Pfendler, die dem Dorf Zarten schon manchen Vogt und Bürgermeister gestellt hat.
Der Hof ist nach einer Jahreszahl über dem Hauseingang 1610 errichtet worden.