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Hans-Jürgen Warlo
Mittelalterliche Gerichtsmedizin in Freiburg / Br. und am Oberrhein
Veröffentlichungen aus dem Alemannischen Institut
Seite 46-47




Kapitel 6. Auswärtige Besichtigungen

Auch in Nachbarorte Freiburgs wurden städtische Wundärzte abgeordnet. Die auswärtige Besichtigung stellte keine Besonderheit dar, wenn der Ort der Freiburger Blutgerichtsbarkeit unterstand und der Fall vor dem städtischen Blutgericht abgeurteilt wurde. Es fällt auf, daß alle entsprechenden Fälle erst nach 1532 zu finden sind. In diesem Jahr trat die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. in Kraft, die für das ganze Reich wundärztliche Besichtigungen von Getöteten vorschrieb. Es scheint, dass erst dieses Reichsgesetz die in Freiburg schon lange übliche Besichtigung auf andere Orte ausdehnte. Auch die auf Freiburger Gebiet liegenden und im Namen der Stadt Freiburg urteilenden Vogtsgerichte von Zarten und Kirchzarten kannten vor 1532 keine ärztlichen Sachverständigen, sie ließen die Wundbesichtigung noch von Laien vornehmen.

1543 sollten zwei der geschworenen Scherer  „den entlybten zu Capell" besichtigen. 1549 untersuchte eine Kommission, der die Scherer Claus Hess und Jacob Danmüller angehörten, eine erschlagene Frau im Attental. Im gleichen Jahr erstattete der Meier zu Zarten Anzeige, der Weber zu Burg habe seine Frau zu Tode geschlagen:
"ist erkannt, Claus Hess und noch ein Scherer sollen sambt dem Thalschaffner yetztalsbaldt hinauff reyten und sampt ettlichen des Gerichts daselbs die frawen besichtigen und alles so vorhannden eigentlich uffschreyben".

Der Ratsbeschluß liest sich wie eine Kopie des Artikels 149 der Carolina, der forderte, alle Wunden, Schläge und Würfe festzustellen und schriftlich festzuhalten. Beide Bestimmungen waren der Blutgerichtsordnung fremd. Eine wörtliche Befolgung der carolinischen Vorschrift erübrigte sich, weil in Freiburg das mündliche Protokoll althergebrachter Bestandteil des Gerichtsverfahrens war. Grundlage der auswärtigen Besichtigungen war dagegen die kaiserliche Gerichtsordnung und man hielt sich an deren genauen Wortlaut.

Die zweite Möglichkeit auswärtiger Gutachtertätigkeit war die freiwillige Unterstützung von Nachbarstädten. Neben Gutachten in der Aussätzigenschau und in zivilrechtlichen Sachen wurden auch Wundbesichtigungen erbeten. Besonders Waldkirch, dessen Recht dem Freiburger nachgebildet war, nahm Freiburg häufig in Anspruch, um Wundärzte anzufordern. Schultheiß, Bürgermeister und Rat zu Waldkirch schrieben am 23. Mai 1558 an ihre Freiburger Amtskollegen. Hans Blanck war vor 14 Tagen "ubel verwundt und geschlagen worden« und "nach schickung gottes mit todt abgangen". Die Witwe und Verwandten begehrten von den Waldkircher Behörden, durch die Meister und Scherer zu erkundigen, ob "ime zugefügter Straichen und Wunden ettwas nachthail oder schaden gedachts todtlichen Abgangs ursach und fürdernus geben hette". Den Antrag auf Sachverständigengutachten stellten in Waldkirch nicht das Gericht, sondern die Angehörigen. Die Carolina forderte nur dann Wundärzte »so man die gehaben und solchs geschehen kan". Da die Waldkircher »dern berümptenn Maister in denen fellen der notturfft nach zu gebrauch nit bey handen« hatten, wurde nicht bei jedem Totschlag in Freiburg um Unterstützung nachgesucht. Das ausdrückliche Verlangen der Familie mußte aber unterstützt werden und man bat den Freiburger Rat, zwei oder drei Scherer zu schicken.

Zwei Tage später wurde in der Freiburger Ratssitzung dieser Brief verlesen und der Statthalter Muelich (Stellvertreter des Bürgermeisters) erklärte, er habe "albereit ettlich Meister hinus verordnett und irem begern wilfaret". Diese Entscheidung billigte der Stadtrat nachträglich.