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Blick in die Geschichte von Wiesneck
von Rudolf Geiger
aus: Friedrich Husemann Klinik Wiesneck - Festschrift zum 50 jährigen Jubiläum

Wiesneck liegt auf einem geschichtsträchtigen Boden. Vor ihm, in die Ebene des Dreisamtales hinein, breitet sich das uralte Tarodunum, eine Keltensiedlung, die ein längst vergangenes Leben, zweitausend Jahre zurück, verbirgt. Rückwärts, zu Häupten der Klinik, erhebt sich der Burgberg, der durch das Mittelalter hindurch mit seiner Burg Wiesneck einen beherrschenden Eckpfeiler der Macht für das Dreisamtal bot. Und die Gebäude der Klinik selbst liegen im Areal "Maierhof", einem 35 ha großen Gelände, mit zugehörigen Wiesen, Weiden, Feldern, Weiher und Wald. — einem Hofgut, das nun seinerseits in den jüngsten 90 Jahren dichtgedrängte "Geschichte" erlebte, die letztlich zur Existenz der heutigen Friedrich Husemann-Klinik führte. — Auf das Geschehen um Tarodunum und die Burg Wiesneck sei nur in Streiflichtern, auf das, was uns unmittelbar berührt, näher eingegangen.

Tarodunum bleibt den Forschern ein Rätsel. Man hat Befestigungsanlagen, Wallaufschüttungen und Mauerarbeiten aus der Spätlatene-Zeit (kurz vor der Zeitenwende) um das 190 Hektar umfassende, völlig ebene Gelände herum gefunden, und zwar vor allem zwischen Gasthaus Rainhof und dem talwärts liegenden Brandenburgerhof, seitlich der vielbefahrenen Straße B 31 entlang. Es liegt auf dem Hochrain zwischen den zwei Bächen Rotbach und Wagensteigbach, bis zu deren Zusammenfluß. An seiner verwundbarsten rückwärtigen Schmalseite, bei dem dort verlaufenden "Heidengraben"‚ ganz in der Nähe am Gasthaus "SchlüsseI", gruben die Forscher Fabricius und Leonhard 1901 die Reste eines gut angelegten Zugangstores aus, mit einer anschließenden Befestigungsmauerlq” aus mächtigen, rohen Steinblöcken. Doch innerhalb des umfriedeten Oppidums selbst ließen sich bis jetzt keinerlei Spuren eines ständig ansässigen Lebens entdecken (außer Mengen von Holzkohlen, einigen Scherben und einer beträchtlichen Anzahl 20 cm langer, vierkantiger, kopfloser, schwerer eiserner Nägel; dies aber bei der Torausgrabung, also nur am bewachten Eingang). Der keltische Ursprung der Anlage steht außer Zweifel, und es gilt auch als einwandfrei erwiesen, daß "unser" Tarodunum identisch ist mit der Polis Tarodunum, die Ptolomäus, der ägyptische Astronom, Mathematiker und Geograph zu Alexandrien um 150 n. Chr. in seiner "Erdbeschreibung" "nahe der Donauquelle, unweit des Rheins, Schwarzwalds (Abnoba mons), nördlich der HeIvetierwüste” zu liegen angibt. Diese Polis muß in und vor allem vor der Zeitenwende eine entschiedene Bedeutung gehabt haben, sonst hätte Ptolomäus sie nicht in sein Werk eingereiht.
Dunum bezeichnet den befestigten Platz, das "Umschlossene". Taro wird von den Forschern als Personenname gedeutet, es kann auch ein Flußoder Gewässername dahinterstecken. Einen Zusammenhang mit Tauro-Stier, also Stierburg, lehnt Prof. Boesch entschieden ab. — Was also war es nun? Ein vollbesiedeltes Oppidum mit dem Herrschersitz eines Keltenstammes und den um ihn gruppierten Handwerken, — oder nur Fliehburg für die Zeit kriegerischer Bedrohung? Es hätte seiner Größe nach, einem Umfang von 6 Kilometern, vielen Tausenden (bis 80 000, sagt Wohlleb) Aufnahme und Schutz gewähren können. Aber wo sollten die Zugeflohenen herkommen ; wo hätten sie sonst ihren Wohnsitz gehabt, wenn nicht, wenigstens für den Großteil der zu Beschützenden, in der "Polis"‚ der "Stadt" Tarodunum selbst?
Die keltischen Häuser waren durchweg aus Holz errichtet und mit Schilf gedeckt; daß sich von ihnen nichts erhalten hat, begreift man. Weniger begreiflich dagegen bleibt, daß sich bei der hohen Eisenkultur der Kelten mit ihren hervorragenden handwerklichen Geräten, im Innengelände keine wohnlichen Überbleibsel, keine Gefäße oder Werkzeuge oder auch nur Feuerstellen zeigen wollen.

Die wenigen baulichen Zeugnisse frühen menschlichen Daseins, in der Gemarkung Burg beim Brandenburger Hof, stammen aus römischer Zeit: es sind die Fundamente eines bescheidenen römischen Landhauses; immerhin hatte es auch eine Fußbodenheizung. Etwas entfernt davon fanden sich kärgliche Reste einer "Römerstraße".

Die große Hoffnung der Archäologen, daß beim Bau der Birkenhofsiedlung 1972-73 die Bagger etwas Klärendes zutage fördern würden, blieb unerfüllt; nichts kam heraus. Nun hoffen sie erneut: bald soll die Ost—West—Verbindung der B 31 vierspurig das Gelände durchqueren ; wieder werden Bagger den Boden aufreißen. Ob Tarodunum dann endlich etwas von seinem Geheimnis preisgibt?

Die Burg Wiesneck taucht urkundlich erstmals 1096 auf. Herr der Burg ist da ein Graf Albrecht l. von Hohenberg; er nennt sich "Adalbertus comes de Wiseneggi". Die Hohenberger stammen ursprünglich aus fränkischem Hochadel, haben aber letztlich von Schwaben—Haigerloch herüber den Sprung ins Dreisamtal getan. Sie gelten als ein Nebenzweig der Zollern. — Fast um dieselbe Zeit, nur wenig früher, taucht am Rand der Rheinebene und im Breisgau das Geschlecht der Zähringer auf, erst als Grafen belehnt, dann zu Herzögen erhoben; ein Stamm selbständiger, tüchtiger Städtegründer, aber auch streitbarer Männer, welfisch gesinnt, also den Staufern trotzend — und insofern schon in ständiger Gegenstellung zu den Hohenbergern, die kaisertreu dienten. Die Zähringer gründeten 1093 das Kloster St. Peter, die Hohenberger in contra hierzu 1118 das Kloster St. Märgen. Als nun um die Zeit der Stadtgründung von Freiburg (1121) die Zähringer eine Fehde ausstanden mit dem Abt von St. Gallen um St. Gallener Besitz im Dreisamtal (wozu auch Kirchzarten gehörte), wurden in diese Fehde auch die Hohenberger verwickelt, und die Zähringer machten scharfen Prozeß: sie zerstörten die Burg Wiesneck; um 1125 wird sie als zerstört bezeugt. Eine zweite Zerstörung der Feste erfolgte im Bauernkrieg, am 14. Mai 1525, eine dritte und endgültige Einäscherung bescherte ihr der Dreißigjährige Krieg: "Burg Wiesneck wurde am 27. Juni 1644 ein Opfer landsknechtlicher Zerstörungswut” (Weber).

Die Hohenberger bauten sie nach der ersten Katastrophe wieder auf und bewohnten sie noch in folgenden Geschlechtern bis 1 293. Der letzte hochadelige Herr auf Wiesneck war Graf Albrecht ll., — und von ihm sind gar zwei Minnelieder in der Manesseschen Liederhandschrift erhalten. Aber nicht als Minnesänger hat er seinen Ruhm erworben, sondern als einer der wichtigsten Paladine des Königs Rudolf von Habsburg. Mit ihm verschwägert, zeichnete sich Graf Albrecht als fast ständiger Begleiter des Königs in dessen Unternehmungen so aus, daß Rudolf ihn nicht nur zum Landfriedensrichter in Schwaben und Elsaß bestellte, sondern auch am Ende seines Lebens den Kurfürsten zu seinem Nachfolger vorschlug. "Sie wählten ihn nicht, wohl weil er ihnen zu stark, mächtig und tapfer war”, zitiert Max Weber, dessen Darstellung im ZwöIfhundert-Jahrbuch von Kirchzarten ich hier folge. Weber muß aber schließlich nach Schilderung weiterer ritterlicher Tugenden des Grafen zu seiner Verabschiedung von Wiesneck sagen:
"Die vielen Feldzüge Albrechts und seine ständigen Reisen in königlichem Dienst verschlangen große Summen, nicht weniger die Hofhaltung des heiteren, geselligen Ritters, am meisten wohl die standesgemäße Ausstattung von sechs Töchtern, die alle in die ersten Familien einheirateten. So war Graf Albrecht genötigt, die Herrschaft Wiesneck und die mit ihr verbundene Vogtei über St. Märgen im Jahre 1293 zu veräußern. 1020 Mark Silber bezahlte der Freiburger Patrizier Burkard Turner." (S. 190)

Ein Albrecht am Anfang, ein Albrecht am Ende der Hohenberger auf Wiesneck, Besonders durch den letzten, diesen "berühmten und überragenden Mann”, als welcher er in alten Quellen weiterlebte‚ wehte für kurze Jahre Weltluft in die Wiesnecker Burggemächer: eine Mischung von hoher Politik, Minnedienst und Turnierritterlichkeit. Damit war es von da an für immer vorbei. Profaner Wind "Was kostets, was bringts" blies nun herein.
Mit Burkard Turner kam ein erfolgreicher Stadtherr ins Burgenrecht. Turner war ein Unternehmer. Er besaß Anteile an den hochergiebigen Silberminen im Suggental (bei Freiburg), war reich, kaufte Wiesneck seiner Wälder wegen; er brauchte für den Bergbau viel Holz.

Schon nach 25 Jahren finden wir aber wieder neue Herren, und abermals ein Freiburger Patriziergeschlecht: die Snewelins. Ob diese Familie in die Turners eingeheiratet oder die Burg käuflich erworben hat, ist nicht geklärt. Jedenfalls erwiesen sich die Snewelins in der Folgezeit als sehr erwerbstüchtige Besitzer, die mit allen Mitteln, bis hin zur Gewalt und dabei den päpstlichen Kirchenbann nicht scheuend, ihre Rechte ausnützten‚ und dies vor allem dem Kloster St. Märgen gegenüber. In einem viele Jahrzehnte währenden Gezänk und Streit kam das Kloster an den Rand des Ruins: 1462 verkauften die Mönche den ganzen Klosterbesitz an die Stadt Freiburg und zogen aus.

Daß zwischenzeitlich (von 1372 bis 1450) nochmals ein anderes Niederadelsgeschlecht‚ derer von Blumeneck‚ die Geschicke der Burg übernahm, verbesserte nicht den rauhen Umgangsstil mit den Untertanen.

Die Snewelins von Landeck zu Wiesneck, also eine Vetternlinie der vorigen Snewelins, saßen ab 1450 wieder hier im Regiment und erfuhren im Bauernkrieg den aufflammenden Bauernzorn mit Brandschatzung, aber sie erholten sich auch davon. Erst hielten sie ein strenges Strafgericht, und dann wurde die Wiedergutmachung eingetrieben und zwar "von jeder Herdstatt", gleich, ob schuldig oder nicht! Und nach dem Krieg blieb alles beim alten, — ein trauriges Lied.

1603 schließlich gelangte die Herrschaft durch Heirat mit einer Tochter des letzten Wiesneck-Snewlin an die friedliebenden Freiherrn von Sickingen; die hatten ihren Sitz in Freiburg. Aber sie bauten verkleinert das vom Bauernaufruhr Stehende der Burg nochmals aus, bis dann der Dreißigjährige Krieg allem menschlichen Leben auf der Berghöhe ein Ende setzte. Seither liegt die Burg in Trümmern. Die Bauern holten aus dem Gemäuer alles Brauchbare heim. Heute erkennt man nur, welchen beträchtlichen Umfang die Burg einmal gehabt hat; zu finden ist nichts mehr.

Machen wir einen großen Sprung über zweieinhalb Jahrhunderte hinweg und sehen uns den Meierhof Wiesneck in der neueren Zeit an. Er liegt am Fuß der Ruine und gehörte in der vorgeschilderten Epoche zu den Versorgungshöfen der Burgherrschaft. Ob der Maierhofbauer erst mit der Aufhebung der Leibeigenschaft (1783 durch Josef II. von Österreich, den Oberherrn des ganzen vorderösterreichischen Gebietes am Oberrhein) selbständig zu wirtschaften begann, oder die Sickinger vorher schon die Freiheit gegeben hatten, bleibt offen.

Der Bauer Johannes Butz, den wir um 1890 auf dem Hof finden, war ein Unglücksmann. Ihm raubten Viehseuchen zweimal seinen ganzen Viehbestand; nicht auch den anderen Bauern, ihm allein. Wie er dann den verhexenden SchrättIe—Geist nach verbürgt Schwarzwälder Art (aufgehängtem Ochsenkopf im Tenn und magischem Spruch im eingemauerten Lederbeutel) bannen ließ, hat der Chronist einmal ausführlich im Wiesnecker Weihnachtsbrief 1964 beschrieben. Butz suchte als ein Sonderling sein Glück vor allem in einem sagenhaften verborgenen Schatz auf der Burg oben (die ihm gebietsmäßig gehörte!) und soll, sagt man, schier mehr als Schatzgräber in der Ruine, denn als Bauer auf dem Feld geschuftet haben. Es brachte ihm aber nichts, und seine Wirtschaft ging so bergab, daß er den Hof verlor. Die Gemeinde Buchenbach übernahm ihn 1897, und so wurde Wiesneck für sieben Jahre Gemeindehof. Der Stall bot damals Platz für 40 Stück Hornvieh, sowie ein paar Pferde; der Schweinebestand war gesondert behaust. Der Hof umfaßte über 50 Hektar. Einen Teil der hügelhoch ziehenden Wiesen und Weiden ließ die Gemeinde sogleich mit Wald anpflanzen.

1904 finden wir einen neuen Besitzer, Dr. A. W.C. Berns. Aber die Gemeinde verkaufte ihm nur etwa Zweidrittel des Gutes. Sie behielt die neugepflanzten Waldflächen hinter Gumme und ab dem Burgsattel zum Häuslemeierhof zurück. Das verkleinerte Hofgut hatte immer noch ca. 35 Hektar. — Dr. Berns war nicht weniger sonderlich als der Bauer Butz, nur in anderer Richtung. Er war Arzt in Berlin gewesen, offenbar begütert, denn er baute sich zunächst in Günterstal bei Freiburg ein feudales Landhaus und legte aus Passion für exotische Gewächse dort schon ein Arboretum an. Erstaunlich bleibt jedoch, daß er dies Wohnparadies in Günterstal nach 13 Jahren wieder verließ (oder verlassen mußte?), um ins unbeleckt-bäuerische Wiesneck einzusteigen?
In der Bad. Zeitung vom 27./28. 2. 65 stand unter dem Titel "Sommersitze in Günterstal” so etwas wie eine Auflösung des Rätsels; dabei mit charakteristischen Bezeichnungen für Dr. Berns:  . . an der alten Dorfstraße nach Horben erstand als zweites Landgut der Sommersitz des Dr. Berns im Jahre 1891. Sein Landhaus, . . . das heute entlang dem Leimenweg sich hinzieht, versteckt hinter einem einzigartigen und herrlichen Baumbestand mit vielen Exoten, war. . . ein herrlicher Holzhausbau, dessen Erbauer, ein Eigenbrödler, kurios in seiner Art, durch Fehlspekulationen zuletzt sich gezwungen sah, das auch innenarchitektonisch großzügig ausgebaute Landgut zu veräußern. Die Stadt Freiburg . . . wußte sich diesen Besitz zu sichern . . .".

Im Dreisamtal fiel Dr. Berns den ländlichen Umwohnern dadurch auf, daß er ein Anhänger der damals aufkommenden Freikörperkultur war und sie auf seinen Matten auch ungescheut, ganz oder fast ganz, praktizierte. Neues brachte er aber auch in anderer Hinsicht. Er errichtete 1906, ein wenig oberhalb des Maierhofes, sein eigenes Herrenhaus! In diesem hat er wenig, desto länger sein Nachfolger Schöndube gewohnt und wohnten während fast drei Jahrzehnten auch Dr. Husemann und seine Frau. Es ist das Haus, das wir heute (noch, bis zum nächsten Neubau am Weidberg) das Wirtschaftsgebäude nennen. Oder heißt es jetzt offiziell "Cedernhaus"? — Dr. Berns hinterließ aber noch mehr des "Umwälzenden” in Wiesneck, nämlich eine Voith— Turbine, zur selbständigen Stromerzeugung auf dem Maierhof, und er hinterließ — wie könnte es bei seinem Naturell auch anders sein! — im letzten Moment, bevor er das Gut wieder abstieß, ein Riesensortiment exotischer Jungpflanzen für eine Parkanlage nach seinem Geschmack. Hatte sich Dr. Berns auch hier durch den Neubau und die Anschaffungen finanziell übernommen? Tatsache ist, er wurde seiner Planungen nicht froh. Das Herrenhaus kam zwar zur Vollendung, die Turbine lief aber noch nicht, da suchte er nach knapp drei Jahren Aufenthalt schon einen zahlkräftigen Käufer für Wiesneck und fand ihn in Heinrich Schöndube aus Freiburg. Dr. Berns zog nach Utrecht.

Ingenieur Schöndube übernahm am 15. Mai 1907 das Gut. Er sah sich sofort den zwei miteingehandelten Problemen gegenüber: die Turbine zum Laufen zu bringen, sowie die kostbaren Pflänzlinge vom Gardasee fachgerecht zu versorgen. Die AEG hatte die Turbine geliefert, und das war sozusagen seine eigene Firma, denn Schöndube war (mit etwa halbjährlicher Abwesenheit auf dem andern Kontinent) Generalvertreter der AEG in Mexiko. Es gab aber Mißhelligkeiten mit den hier installierenden Monteuren und Ingenieuren noch und noch, so daß es ein ganzes Jahr dauerte, bis die Turbine Mai 1908 endlich ihren Dienst aufnahm — und viele Jahre erfüllte, auch noch in Husemannscher Zeit, vor und einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, unter Hans Beideks nie erlahmender Regie. Manchmal gab es schön weißes, manchmal nur mäßiges Licht und leises Flattern, wenn zuviel Elektrogeräte am Netz zehrten. Aber wer weiß, wie hell und beständig das Licht unserer Zukunft brennen wird? Heute versorgen uns die Stadtwerke; der Verbrauch ist gegenüber dem damaligen gigantisch. Und das Turbinenhaus? Es ward durch Frans Tymstra 1969-70 umgewandelt in ein entzückendes Wohnhaus.

Der neue Wiesneckherr war wiederum eine originelle, in jeder Hinsicht eigenständige Persönlichkeit, geladen mit Initiativen, scharf gegenüber Untergebenen. Er besaß überdies noch mit einem Teilhaber zusammen ein Geschäft in Freiburg, und als Verfechter naturgemäßer Lebensweise und strenger Vegetarier stand er dem Freiburger "Verein für Mäßigkeit und Volkswohl" (Antialkoholverein) vor. Sein Ziel war, aus dem Maierhof ein Obstbau-Mustergut zu machen, und das ging er radikal an. Zu den schon vorhandenen 300 Ertragsbäumen ließ er in anderthalb Jahren 1200 weitere hinzupflanzen; 3000 wollte er haben. Der ganze Weidberg von der Kapelle bis zum Weiher hinab war übersät davon; auch an der Gumme stand alles voll. Tat auch das Klima mit? Leider ist der Wiesnecker Hügel kein Kaiserstuhl. — Immerhin gab es nun Obst in Wiesneck genug, so viel, daß einer der Verwalter Schöndubes, Baumann, etwa 1924-25 zur Obstverwertung Säfte preßte und in einem Erhitzungsverfahren haltbar machte; er erfand das "Baumannsche Verfahren". Diese Haltbarmachung von Obstsäften — heute selbstverständlich und in verbesserten Kaltverfahren betrieben -— war damals eine neue Errungenschaft. Geburtsort: Wiesneck. Ein Pluspunkt der Schöndubeschen Ära.

Und wie war es mit den exotischen Sprößlingen? Sie paßten überhaupt nicht in das Nutzprogramm seiner Obstplantage. Schöndube wollte sie loswerden, wenn nicht alle, so doch einen großen Teil, und bot sie im September 1907 einer Freiburger Gärtnerei an. Gärtner Bensel war bereit sie abzunehmen, doch unter Wert. Darauf schrieb der Maierhofherr verdrossen zurück, daß er "bei diesen Preisen vorziehe, alle anzupflanzen und zur Dekoration der Parkanlagen zu benutzen". Bei dem Handel ging es (lt. Bensels Liste) um 270 Cedern in 6 Sorten, 350 Rhododendron, 180 verschiedene Koniferen, 22 Tsuga Pattoniana; das Angebot summa 900 Mark. Und so verdankt Wiesneck seinen herrlichen Park einer grotesken Konstellation: Der die exotischen Bäume und Sträucher liebte und bestellte, ließ sie schier fluchtartig im Stich, und der andere, der sie als wenig erwünschten Ballast vorfand und wieder Ioszuschlagen suchte, bekam nicht genug Geld für sie. Da war ihr Schicksal entschieden: sie mußten bleiben und "dekorieren". Überall hingetupft, auch am Waldrand entlang, gedeihen und dekorieren sie noch heute.

Ein paar weitere Stichworte aus Schöndubes Unternehmungslust: Hof und Garten stattete er mit neuzeitlichen Geräten aus, führte 183 Ifm Wasserleitung in den Garten, errichtete einen (nicht mehr existierenden) Pavillon im oberen Park; legte vor dem Herrenhaus ein Wasserbecken mit Entenhaus an. Heute befindet sich da das Rondell bei den Atlantischen Cedern. Dann pflanzte er Wald in Fülle: die Bestellungen 1908 lauteten auf 25 000 Weißtannen, 10000 Fichten, 1000 Pappeln und 3000 Schwarzkiefern; das ist heute unser ausgewachsener, wertvoller Wald. Auch am Herrenhaus fing er an umzumodeln: gab ihm eine Veranda und einen rückwärtigen Eingang. Doch seine wichtigste Zugabe zu Wiesneck bestand darin, daß er seinen beiden Töchtern 1909 je ein eigenes Wohnhaus im Gelände erstellen ließ: auf herausgegrenzten Grundstücken mit je einer Lagebuchnummer das "Landhaus", auch "ViIla" genannt, und das "Forsthaus"; beide sind für uns heute unentbehrlich als Wohntrakte für Mitarbeiter.

Schöndube nahm ein tragisches Ende. Er befand sich zuletzt in Mexiko, wo er auch eine große Ranch besaß, und kam dort (es war wohl Anfang der zwanziger Jahre?) in einem Rancharbeiteraufstand durch seine eigenen Arbeiter ums Leben. Sie hatten ihm ein Ultimatum gestellt, doch hartnäckig habe er ihre Forderungen zurückgewiesen, während die anderen Rancher der Umgebung durch Zugeständnisse an die Rebellischen mit einem blauen Auge davon gekommen seien. (
Nach Schilderung des verstorbenen Buchenbacher Maurermeisters Fritz Löffler in einem Gespräch am 24.11.64.)

Das Forsthaus trägt noch eine eigene Vergangenheit in sich, von der kaum ein Wiesnecker etwas weiß. Dort wohnte die ältere Tochter Grete Schöndube. Sie war Gymnastin und betrieb in den Räumen ihres Hauses (vielleicht wurde aber auch noch das Herrenhaus in Anspruch genommen) in den Jahren 1922-24 eine "Schwarzwaldschule für Gymnastik, Einzelund Chorbewegung". Kopf und geistiger Initiator der Schule (und eben auch von 10.11. 22 bis 26. 5. 24 hier wohnend) war Christian Lahusen, der in Musikerkreisen einen Namen hat als Komponist von Liedern, Chorwerken und Iiturgischer Musik. Auch der Wiesnecker Mitarbeiterchor sang in den fünfziger Jahren begeistert die Eichendorff-Lieder ("Heimkehr am Abend") von Lahusen, nicht ahnend, daß er mit uns etwas zu tun hatte. Bevor er hierherkam, hatte er schon Erfolge als Bühnenkomponist (zu "Die Freier" von Eichendorff), als KapelIwie als Ballettmeister und Leiter einer Münchener Tanzschule. Das Ziel in Buchenbach war, eine pädagogische Stätte zu gründen, in der die rhythmisch-tänzerische Erziehung mit einer musikalischen und praktischen Ausbildung (Haushalt und Gärtnerei) gekoppelt werden sollte, ergänzt durch die Pflege wissenschaftlicher und künstlerischer Gebiete. Ein hochkarätiges Programm, wie es ein noch vorhandener Prospekt Lahusens ausweist. Trotz eines vielversprechenden Starts "erlitt die Schule nach fünfviertel Jahren infolge der Inflation wirtschaftlichen Schiffbruch", sagt er selbst später in einem Brief. Er zog von hier nach Berlin. (
" Die Angaben verdanke ich der Inaugural-Dissertation von lsolde Maria Weineck: Christian Lahusen, Leben und Werk, Verlag Dr. MüllerBuscher‚ 8411 Laber, 1979. ) Grete Schöndube verkaufte 1926 ihr Haus an Forstmeister Franck und zog nach München. Damit war das Gymnastikhaus das Forsthaus geworden. Familie Franck hinwiederum verkaufte erst 1964 das Forsthaus an die Klinik. Solange lag es mit seinem Garten als ein fremder Einschluß im Wiesnecker Gesamtgebiet, während die Villa schon 1930 von der jüngeren Schwester Carnap-Schöndube an Dr. Husemann überging.

Von den wiesneckmüden Erben Schöndube erwarb Friedrich Husemann am 9. November 1928 "zu günstigen Bedingungen” das Gut. Denn das von ihm seit 1925 geführte Sanatorium Riedberg in Günterstal war nur in einem gewöhnlichen Landhaus untergebracht und für intensive Pflege unzureichend. Es mußte die Übersiedlung in ein speziell konzipiertes Krankengebäude angegangen, damit aber auch der Sprung in eine ungewisse, schuldnerische Zukunft hinein gewagt werden. So bleibt es ein denkwürdiges Phänomen von Vertrauen in die eigene Zielsetzung, daß es Dr. Husemann gelang, in einer Zeit wirtschaftlichen Zerfließens ohne jedes eigene Kapital soviel Freundeshilfe zu erlangen, von Angehörigen Kranker, die Genesung gefunden hatten, von Einsichtigen, die sein Werk mit eigenem Opfer zu unterstützen sich entschlossen, daß dann Pfingsten 1929 der Grundstein zum Haupthaus (jetzt Johanneshaus) gelegt und der Bau in 10 Monaten vollendet werden konnte. Die Einweihung am Palmsonntag 1930 bildet ja den Anlaß zu dieser SO-Jahr-Feier. Den Hintergrund sollte man aber nicht vergessen. "Ich habe eine große Schuldenlast auf mich genommen”, sagt er Michaeli 1929 und bittet dringend um weitere "kleinere und erst recht größere Darlehen zu günstigen Bedingungen". Es gab Zusagen und wieder Absagen, und es gab wirklich mehr als eine schlaflose Nacht, bis eine Fügung endlich Dr. Husemann mit dem entscheidenden finanzkräftigen Förderer zusammenführte‚ der die Hauptlast des Neubaues durch ein Großdarlehen absicherte.

Nicht als ob nun Riedberg sofort aufgegeben worden wäre: Dr. Husemann wohnte zwar ab Frühjahr 1930 in Wiesneck, pendelte aber zwei-dreimal wöchentlich nachmittags nach dem Riedberg, wo sein erster ärztlicher Assistent, Dr. J. M. Westra, Holländer und später sein Schwager, dazu ein ausgezeichneter Pianist, die Patienten betreute.

Das Sanatorium hatte zu Anfang bei alles in allem etwa 25 Mitarbeitern 40-45 Gäste. Die Landwirtschaft des Maierhofes wie auch den Garten bewirtschaftete selbständig Hans Beidek mit seiner Frau und einigen fachlichen Helfern. — Es war alles überschaubar. Wir lebten fast familiär miteinander und recht bescheiden. Es herrschte Pionierstimmung, ohne daß man so etwas aussprach, das heißt, es ging sparsam zu bei langen Arbeitstagen und karger Freizeit. Der alte "Kommerzienrat", ein gebraucht gekaufter, behäbiger Opelwagen (er hatte noch Kurbel—Frontantrieb und machte manchmal Mucken) besorgte die Marktfahrten und brachte uns immer auch mal nach Dornach. Es war das Auto für alles und alle; nur Dr. Husemann fuhr einen eigenen Wagen. Sonst war Wiesneck autofrei. Wir fuhren ab Himmelreich per Bahn.

Es soll nicht verschwiegen werden, daß 1933-34 die beklemmendste Zeit für das Sanatorium kam. Die allgemeine Wirtschaft lahmte, Geld war knapp. Bedenkt man, daß es damals bei uns nur Selbstzahler gab, keinerlei Einweisungen über Kassen (das fing erst nach dem Krieg an), so versteht man, daß der Zugang an Patienten und damit der Geldeingang stockte bei gleichbleibender Schuldenlast, so daß schließlich nur ein Moratorium, d. h. ein großzügiger Förderungsverzicht aller Darlehensgeber um ein Drittel der Schuld die Existenz rettete.

Eine Bereicherung der Wiesnecker Flur brachte das Jahr 1938: da erhielten die jetzt noch aufgerichteten Säulen vor dem Johanneshaus ihr bleibendes Asyl.

Dagegen traf 1944 ein verheerendes Ereignis Wiesneck: es wurde von einem auf den anderen Tag wie ausgelöscht, als Freiburg am Abend des 27. November total zerbombt und dabei auch die Universitätskliniken zerstört wurden. Prompt trat ein Notplan in Kraft: die Medizinische UniKlinik Freiburg beschlagnahmte Dr. Husemanns Sanatorium. Die hiesigen Patienten mußten Hals über Kopf abgeschoben, entlassen werden; sie mußten fort, wie auch immer, alle. Das Johanneshaus ganz und vom Wirtschaftsgebäude Küche, Speisesaal und Büro wurden von der "Medizinischen" besetzt. Dr. Husemann blieb nur noch die Villa für einige wenige von Wiesneck nicht zu trennende Menschen. In der Villa wohnte in dieser Zeit Dr. Friedrich Doldinger mit seiner Frau; Dr. Doldinger, der auf eine nur ihm eigene Weise das Wiesnecker Leben durch vier Jahrzehnte hindurch bereichert und seelsorgerlich getragen hat! — Das Zwischenregiment der Freiburger Klinik währte bis Juli 1945. Als sie wieder auszog, atmete Wiesneck auf, und es mußte gewaltig restauriert werden, ehe das Eigendasein neu begann. Aber da waren die Zeitläufte schon mitten in die Hungerepoche der französischen Besatzung geraten und erleichterten keineswegs die Versorgung eines bald wieder vollbelegten Hauses. Doch hat es auch diese Krisenzeit überstanden.

Was die alten Wiesnecker jedoch kaum zu überstehen glaubten, war die letztlich unwiderrufliche Tatsache, daß Dr. Husemann — nach einem halbjährlichen schweren Krankenlager — sie am 8. Juni 1959 verließ. Am zweiten Advent 1958 hatte er zum letzten Mal, wie hunderte Sonntage zuvor, zu seinen Gästen gesprochen. Was war nun Wiesneck ohne seinen Gründer? Er hatte aber seinem Werk genug Kraft eingegeben, und es standen gute Sterne darüber. Ein "verjüngter" Kreis nahm seine Arbeit auf und führte sie fort. Welche Wandlungen innerer Art seither sich vollzogen haben, hat Dr. Priever in seinem Beitrag näher beschrieben.

Literatur:
Franz Fischer: Beiträge zur Kenntnis von Tarodunum. "Kirchzarten. Badische Fundberichte, 22_ Jahrg. 1962
R. Halter: Tarodunum zur Römerzeit. Badische Fundberichte, 13. Jahrg. 1937
J. Bader: Die Burg Wiesneck. In: Schau ins Land. Blätter für Geschichte, Sage, Kunst und Naturschönheiten des Breisgaues. Freiburg, 3. Jahrg., Juli/August 1877.
Kirchzarten Geographie — Geschichte — Gegenwart. Festbuch zur Zwölfhundertjahrfeier. Geschichtsteil bearbeitet von Max Weber. 1966 Selbstverlag der Gemeinde Klrchzarten.
Herrn. Nehlsen: Die Freiburger Patrizier-Familie Snewelin. Rechts- und sozialgeschichtliche Studien  zur Entwicklung des mittelalterlichen Bürgertums. Freiburg 1967.

Chronik der Wiesnecker Bauten
Bei der Gründung des Sanatorium Wiesneck fand Friedrich Husemann vor: den Maierhof Wiesneck mit Ökonomiegebäude, Wohnhaus und Kornhaus (letzteres 1950 umgestaltet zur "Kapelle") das Turbinenhaus (kleines E—Werk zur Stromversorgung) das Wirtschaftsgebäude (Jahrgang 1906) die Villa (Jahrgang 1909) das Forsthaus (Jahrgang 1909, erst ab 1964 im Eigenbesitz)
Es wurden gebaut:
1929/30 das Haupthaus, Johannes—Haus benannt
1934 die Garage für Pkw und kleine Werkstatt
1934 die Aufstockung des Maierhof—Wohnhauses
1957 das "Atelier" mit Veranstaltungssaal
1958 die Werkstatt für Schnitzen und Flechten
1959 das erste Gewächshaus
1961 die Häuser "Balma" und "v. Samson”
1961/62 das Michael-Haus
1969 der Musik-Pavillon
1969 das Haus "Tymstra" (auf dem Grund des Turblnenhauses) 1972 das neue Ökonomiegebäude der Landwirtschaft
(1971 brannte das alte Ökonomiegebäude ab)
1972 die Töpferei (für Plastizieren, Töpfern, Malen)
1975 das Gelbe Mitarbeiter-Wohnhaus
1975 das Blaue Ärzte—Wohnhaus
1976 die Aufstockung und Überdachung der Westterrasse des Johannes—Hauses 1977/78 das RaphaeI-Haus mit Festsaal und Bühne, Räume für Heileurythmie,
Musiktherapie, Sprachgestaltung, Webtherapie
1978 die Überdachung eines Kfz-Abstellplatzes
1979 das zweite Gewächshaus
1979/80 das Garten-Arbeitstherapie-Haus
Es sollen folgen: 1980/81 der Neubau eines Wirtschaftsgebäudes (Küche, Speisesäle) 1981/82 die Sanierung und Umgestaltung des Johannes-Hauses H. M.—J. 118