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Die Herren über Himmelreich und Hölle
Was sich in Schloß Weiler bei Stegen versteckt

Wie eine Oase zieht der Park von Schloß Weiler den Blick auf sich; ein dichter Bewuchs hochgeschlossener Bäume ragt gewichtig-dunkel aus dem flachen Taldunst auf, schwebt wie ein wundersam-spriesender Dachgarten über dem immer weiter ausufernden Häusermeer. Aus der Nähe fällt eher das weiß-gelbe Farbenspiel des modernen Kirchenrunds ins Auge, dringt Betongrau durch die grüne Kulisse. Die aufgeputzten Zierwappen am Portal, wie Orden auf die Brust des Eisentores geheftet, verbreiten Feierlichkeit und Festtagsstimmung. Wie zurückgedrängt verweilt da im Hintergrund ein schlichter, rechteckiger, dreigeschossiger Herrschaftsbau, der seine äußere Gestalt sichtbar dem 18.Jahrhundert zuschreibt und kaum die Konturen eines Schlosses zeigt. Das Gut Weiler bleibt in jeder Einzelheit bescheidener, kleinmütiger als Schloß Ebnet.

In baulichen Einzelheiten soll das heutige Gebäude ins 15. und 16.Jahrhundert zurückgehen. Nur Vermutungen suchen Zusammenhänge der Hausgeschichte mit der Keltenstadt Tarodunum oder denken an Verbindungen zur römischen Talepoche. Ein mittelalterlicher Ortsadel ist urkundlich erwähnt, die Herren von Weiler stehen dem Geschlecht der Falkenstein er nahe; Lehensherren waren die Zähringer, später die Grafen von Freiburg, bis sich die territoriale Oberhoheit Österreichs durchsetzen konnte.

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Schloß Weiler in Stegen um das Jahr 1900. Aus Eduard Schuster »Die Burgen und Schlösser Badens« {1908)

Die »Meier von Weiler« sind frühe, namentlich genannte Gutsbesitzer, die Familie starb jedoch Ende des 15.Jahrhunderts aus. 1486 wird das Lehen an die Freiherrn von Reischach vergeben. Sie bauen den Meierhof zum ansprechenden Wohnschloß und Herrensitz um. In Rechtsbüchern wie dem Dingrodel »von Weyler, Yba und Stegen« von 1510 schreiben die Reischachs ihre Herrschaft fest, alte Grenzaufzeichnungen aus den Tagen des Junkers Jopp von Reisebach machen deutlich, wie vielverschlungen die separaten Herrschaftsrechte und »Staatsgebilde« ineinander griffen. Vielenorts fallen im Tal alte Grenzsteine mit eindrucksvollen Wappenzeichnungen auf;

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Alter Grenzstein mit dem Wappen der Familie von Reischach

am Hohlen Graben steht noch heute ein »Vierländerstein«, im ganzen Tal finden sich ähnlich markante »Landteiler« mit den Wappen der Moser, Reisebach, Snewlin-Landeck oder Kageneck; vor dem neuen Rathaus in Stegen hat ein solcher altgedienter Herrschaftsmarker mit dem Wappenbild der Reischachs, dem Kopf eines wilden Ebers, seinen Museumsplatz gefunden. Noch andere Nachrichten wecken das Interesse für die Epoche der Reischachs, dem vielversprechenden Geschichtsabschnitt des nördlichen Dreisamtals.1517 stiftet Hans von Reisebach eine »ewige, immerwährende Meß- und Priesterpfründe« für die Kapelle »zu Weiler in meinem Schloß im Kirchzartertal«, Als ältestes kirchliches Gebäude einer weiten Umgebung wird die Kapelle bezeichnet, in einzelnen Bauteilen wie dem Chorraum scheint sie wesentlich älter als die im Bau eingeschlagene Jahreszahl 1504. Gebeine wurden schon um die Kapelle herum geborgen, das Bestehen eines Begräbnisplatzes spricht für eine frühe und relativ selbständige kirchliche Kultstätte. Wiederholte Renovierungen vertuschen allerdings das altersentsprechende Patina.

Der kleine Kirchenraum ist dennoch eine Kostbarkeit. In der Kapelle versteckt sich ein unerwarteter Kunstschatz, eine Sammlung mehrerer altdeutscher Flügelaltäre und eines höchst bemerkenswerten Bilds des Kirchenpatrons Sebastian. Die Sebastianstafel aus dem 16.Jahrhundert ist einer der wenigen direkten Geschichtszeugen des Dreisamtals; in dem etwas unbeholfenen Hintergrund sind die Hauptattraktionen des Tals der damaligen Zeit portraitiert: Burg Wiesneck, Schloß Weiler und Kirchzarten. Inschriften ersetzen die spiegelgenaue Abbildung, dennoch läßt die einfache Gestalt Rückschlüsse auf den Baubestand der Zeit kurz vor der Bauernkriegszerstörung zu. Der »Hochaltar« stellt einen Kruzifixus in den Mittelschrein, eine Schnitzerei. die zu den vorzüglichsten Arbeiten zählt. Das Arrangement mit den gemalten Flügeln und den gotischen Ranken-und Ährenornamenten gilt als meisterliches Muster eines mittelalterlichen Prachtaltars. Eine Madonna strahlt aus dem Mittelfeld des rechten "Seitenaltars", Holzstatuen der Heiligen Sebastian und Wolfgang stehen im Blickfang des linken »Seitenaltars«, Gestalten von hervorragender Charakteristik. Die Altarwerke werden der Augsburger Kunstzeit um 1500 zugeschrieben, sie kamen eher zufällig als Liebhaberstücke der späteren Schloßherren, der Grafen von Kageneck, ins Dreisamtal; die Sebastianskapelle nimmt mit diesem außergewöhnlichen Wertbestand den Charakter einer beachtenswerten Kunstsammlung, den Rang eines kleinen »Kunstrnuseums« an.

Die Adelsfamilie von Kageneck wurde um 1700 Träger des Weilerschen Lehens, das zwischendurch - nach dem Aussterben der Familie von Reisebach - Besitz des erzherzoglichen Sekretärs und Freiburger Universitätslehrers beider Rechte Justinian Moser geworden war. Die Freiherrn von Kageneck, ab 1771 Grafen von Kageneck, blieben auch nach der badischen Übernahme der Landesherrschaft als Grundherrn von Stegen und als Schloßeigner im Lande, das Gut ist noch heute Familienbesitz. Daß die Mutter des österreichischen Staatskanzlers Fürst Clemens von Metternich eine Baronin von Kageneck war, erregt die Aufmerksamkeit der Geschichtsstunde für dieses Geschlecht.

Alfred Graf von Kageneck hat sich selbst sehr mit der vorderösterreichischen Adelsgeschichte befaßt und manche Züge einer landschaftlichen Eigenheit herausgestellt. Zu diesen bezeichnenden Besonderheiten zählt der rasche Wechsel der Adelsfamilien im Breisgau; von den alten einheimischen Geschlechtern erlebten keine sechs das 18.Jahrhundert. Andererseits kannte die Zeitgeschichte geradezu »Schübe des Zuzugs« neuer Adelsgenerationen, etwa aus dem Elsaß; die Zuwanderer verschmolzen immer wieder neue Impulse mit alten Traditionen.

Die Geschichte der herrschenden Familien im Dreisamtal ist mit dem ständigen Wechsel der Geschlechter, mit der Vielzahl und Kleinräumigkeit der Herrschaftsgebiete und mit mancherlei Überschneidungen der Herrschaftsrechte, aber auch mit den gegenläufigen Erscheinungen, den fortwährenden, verwandtschaftlichen Verbindungen der verschiedenen Adelszweige so mannigfach, daß selbst Rechtsdissertationen von einem Besitzwirrwarr, einer Verwirrung und Undurchschaubarkeit des Lehens- und Rechtswesens sprechen. Der »Zankacker« bei Stegen unterhalb des Galgenbühls war Streitobjekt zwischen den Herrschaften Weiler und Freiburg, er ist ein sprechendes Zeugnis örtlicher Verhaderungen und Verhedderungen der Herrschaftsinteressen.

Weiler_Altar
Weiler_Sebastian
Als vorzugliche Schnitzarbeit vielbeachteter, altdeutscher Flugelaltar von 1500 - einer der Kunstschätze der Sebastianskapelle von Schloß Weiler in Stegen
Die Sebasuanstafel der Schloßkapelle von Stegen aus dem 16.Jh. - im Hintergrund des Altarbilds finden sich - z. T unbeholfene - Darstellungen von Burg Wiesneck, Kirchzarten und Schloß Weiler

Allen Dreisamtäler Adelslinien und Herrengeschlechtern nachzuspüren, läßt der eingegrenzte Rahmen der überschaubaren Talkunde nicht zu. Allzu ausladend wäre die Betrachtung der Schicksalsfolge dieser »kleinen Souveräne ihrer unsouveränen Ländchen«. Als 1806 das Land Breisgau der neuen Landesherrschaft Baden huldigte, waren im Dreisamtal ein gutes Dutzend solcher »Talherrn« betroffen; nach geschichtskundiger Zusammenstellung waren dies die Familien
der Grafen von Kageneck mit der Herrschaft Stegen,
der Freiherrn von Sickingen mit den Herrschaften Ebnet, Breitnau und Hinterzarten,
der Freiherrn von Schackmin mit der Herrschaft Weilersbach,
der Freiherrn von Pfirdt mit den Herrschaften Falkensteig und Steig,
der Freiherrn von Neveu mit der Herrschaft Dietenbach,
der Freiherrn von Manikor mit einer Teilherrschaft von Oberbuchenbach,
der Freiherrn von Wittenbach mit einer Teilherrschaft von Unter- und Oberbuchenbach,
der Herrn von Altstetten mit einer Teilherrschaft von Unterbuchenbach;

Zum prälatischen bzw. städtischen Stand zählen im Dreisamtal
die stadtfreiburgische Talvogtei mit den Gebieten St. Märgen - Zarten und Kirchzarten,
das Kloster St. Blasien mit dem Gebiet des Priorats Oberried und
das Kloster St. Peter mit seinem Besitz in Eschbach und Ibental.

Das Kloster St. Märgen dagegen besaß seit dem 15. Jahrhundert kein eigenes, mit Hoheitsrechten verbundenes Territorium mehr.

Die Momentaufnahme vernachlässigt die üblichen, raschen Herrschaftsfolgen. Weilersbach gibt ein Beispiel kurzfristiger Veränderungen. 1792 geriet es nach dem Tode des Freiherrn und Generals Heinrich von Schackmin in gleich doppeltem Erbgang an den Neffen Nicolaus Anton deJoli de Morey de Nancy.AndereTalteile kannten gelegentlich ähnlich rasche Geschlechterwechsel.

Von 350jährigem Bestand war dagegen die Freiburger Talherrschaft, die sich von Attental über Zarten, Burg, Kirchzarten, Dietenbach, Geroldstal und Birkenreute, Himmelreich und Wagensteig nach St. Märgen und auf den Turner erstreckte. Der gerichtsgedungene Entschädigungskauf der Wilden Schneeburg machte 1315 den Anfang des neuen Besitztums im Tal; 1462/63 erwarb die Stadt die ganze grundherrschaftliche Ausstattung des Klosters St. Märgen, dazu die Vogteirechte über dieses Gut. Der Zusammenkauf weiterer Rechtspositionen war Zeugnis einer neuen, erfolgreichen Umlandpolitik der Stadt; man wird später urteilen, die Stadt habe das Gebiet St. Märgens zu einer Spottsumme und unter allerlei Machenschaften erworben, auch hinterher jede Freigabe und jeden Rückkauf hintertrieben. »Der Rat von Freiburg müsse schon sehr darauf versessen gewesen sein, diesen interessanten Besitz zu erhaschen«, ist heutige Historikerüberzeugung. In geschickter Beharrlichkeit gelang es der Stadt Freiburg 1492/96, auch die Gerichts- und Hoheitsrechte über Kirchzarten und die Talmitte zu erlangen; eine ausgemachte Verquickung der überkommenen Herrschaftspositionen ermöglichte ihr diesen »Gelegenheitskauf«. Nach der früheren ansehnlichen Ära der Falkensteiner als Herren über Kirchzarten war der Hauptort des Tals im 14.Jahrhundert in neue Hände übergegangen, aber »durch Erbteilungen, Heiraten, Käufe, Verkäufe, Belehnungen innerhalb der Familien von Snewlin und Blumeneck war allem Anschein nach ein heilloses Durcheinander der Besitzungen und Berechtigungen« entstanden. Ums Jahr 1400 lebte der Ort unter der Herrschaft des Edelknechts Hans von Tigesheim (Schreibweise auch: Hans von Digesheim}, der eine Snewlin-Tochter geheiratet hatte; er ließ das Kirchzartner Rechtsbuch, den Dingrodel von 1395, aufzeichnen, das umfassende Einblicke in das vielfältige Alltagsleben des Tales gewährt. Hans von Tigesheim wurde alsbald von den Blumeneckern beerbt, die Besitzrechte der verschiedenen Linien dieses Geschlechts bleiben verwoben und verworren; Kirchzarten bietet das Bild einer gespaltenen, geteilten, von mehreren Rechtsträgern gemeinschaftlich ausgeübten Ortsherrschaft. Aus verschiedenen Händen erwarb demgemäß Freiburg nacheinander Rechtsanteile, bis es 1496 zur neuen, alleinigen »Obrigkeit allhie« wurde, zum neuen Territorialherren über Kirchzarten. Dieser Zuerwerb bot der Stadt eine wichtige Entfaltungsmöglichkeit, die Herrschaft Kirchzarten wurde alsbald Mittelpunkt des städtischen Territoriums im Dreisamtal.

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Schloß Weiler in Stegen Rekonstruktionsversuch nach dem Sebastiansgemälde aus dem 16.Jahrhundert Eduard Schuster, »Die Burgen und Schlösser Badens« (1908)

Weitere Ankäufe rundeten schließlich das inzwischen respektable städtische Gebiet ab, 1493-1556 fielen das Attental, das Ritter- und Hofgut Birkenreute, das »Löwenlehen« - das Gut Himmelreich - und die Erlenhöfe der Stadt zu und vergrößerten das Verwaltungsgebiet der Talvogtei Kirchzarten.

Für den Zeitgang nach der Ausdehnung Freiburgs ins Tal sind eigenständige, geschichtliche Nachrichten des Dreisamtals spärlich, das Tal steht in Zeitkoppelung mit der Stadt. Wichtigste Einrichtung der Freiburger Herrschaft war die Talvogtei, bedeutendste Person der Freiburger Talvogt; ursprünglich Talschaffner, Wirtschaftsverwalter, wird der Talvogt immer mehr zum Verwaltungsbeamten; schließlich war der jeweilige Amtsinhaber gebildeter Jurist, meist gut bewandert »in des Tales Brauch«, oft genug aber auch ansehnlicher Vorkämpfer der Bürokratie, berichtsseelig, scharfdenkend und freiburg-eingenommen. Im Einzug der Steuern und Gefälle, in der Überwachung der Feld-, Flur- und Waldordnungen, des Wildbanns, in der Durchsetzung der Gewerbeordnung, in der Regelung des Holzeinschlags usw. hatte das Amt des Talvogts Gewicht, zur guten Amtsführung sollte er mit den Talbewohnern »kein Vieh und keine Rebstecken« gemein haben. Daß ein Talvogt »mehr die schlechten Wirtshäusle« liebe, wird nur bei Gelegenheit behauptet.

Den Talvögten vorgesetzt war ein »Ausschuß des Stadtrats« von Freiburg; »Talpfleger« hießen zwei mit der Oberaufsicht beauftragte Ratsherren, »Amtsleute über das Tal«, Sie und das Stadtregiment mußten sich gelegentlich fehlendes Umlandverständnis und mangelnden Takt vorwerfen lassen; selbst Ignaz Speckle bestätigt gewisse Benachteiligungen, »weil auf dem Lande die Ordnung nicht war«. Bekannt ist die Ausrede eines Ratsherrn und Talpflegers von 1560: »er khomme nit hinuß«. Ein positiver Zug der städtischen Talherrschaft ist die Zurückhaltung gegenüber dem alten Recht und Brauch. Freiburg hat sich offensichtlich entsagt, das Dreisamtal »völlig umzukrernpeln«, so daß eigene Rechtstraditionen selbst mit örtlich abgesetztem Akzent erhalten blieben.

Als Baden 1806 die vorderösterreichischen Lande anektierte, wurde das städtische Dreisamtal aus seinen Bindungen zu Freiburg gerissen. Für die klösterlichen Besitztümer ergab sich die gleiche sofortige Handlungseinschränkung. Dem Abt von St. Peter wurde am Tage der Besitznahme klar erklärt, daß er sich künftighin jeglichen Eingriffs in die Verwaltungsgeschäfte, jeglichen Einflusses in die bisher ihm gehörenden Herrschaftsgebiete zu enthalten habe.

Großmütiger wurden zumindest nach außen die niederadligen Herrschaften behandelt. In bescheidenem Umfange verblieb dem landsässigen Adel eine grundherrliche Position, die sich nach der sog. Grundherrlichkeitsverfassung von 1807 und mehreren abschwächenden Rechtsergänzungen auf persönliche Vergünstigungen und geringfügige Mitwirkungen in Polizei- und Gemeindedingen beschränkte.

Mit kleinen Lockungen wurde die umwälzende Wende schmackhaft dargeboten. Die Grundherrn erhielten nach »gnädigstem Geruhen des Großherzogs« eine eigene Adelsuniform, die vom Oberst-Kammerherramt bis hin zur weißen Weste und den vergoldeten Knöpfen genauestens angemessen wurde. Vielleicht überstrahlte der zeremonielle Glanz die Einsicht, daß mit der Eingliederung des Tals in das Land Baden eine wesentliche Besonderheit der Landschaft verloren gegangen war. Wenige Jahrzehnte später wurden auch die letzten Feudalrechte des Adels aufgehoben.

Allzu großen Respekt zollte man im Badischen den Fürstendienern und Amtsleuten ohnehin nicht. »Warum die Amtsleute grüßen? Gott verdamm sie!«, erfährt Josef Viktor von Scheffel als Volksmeinung bei seiner Reise durchs Badnerland.

Aus:
Zauberisches Dreisamtal - Lieblingstal im Schwarzwald
Hans Konrad Schneider und Fritz Röhrl
Karl Schillinger Verlag Freiburg 1983
Seite 135 bis 140