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Josef Bader
Eine Schwarzwald-Wanderung 1858 
(Ausschnitt aus „‚Badenia oder das badische Land und Volk“, Band 5, 1862)
Teil 1

Wenn du das Bedürfnis fühlst, dich an Leib und Seele recht gründlich zu erholen, so ergreife Stock und Reisetäschlein und durchziehe zu Fuß die eine oder die andere Gegend unseres Schwarzwaldes. Da wird dir‘s wieder leichter werden ums Herz und klarer im Kopfe; da werden deine Muskeln sich neu beleben, deine Sehnen sich wieder stärken, deine Sinne sich wieder erfrischen und schärfen. 

Ich habe das immer getan, wenn mich ein langes Arbeits- und Sorgenjahr leiblich uns seelisch erschöpft und gelähmt hatte. Als ein halb kranker Mensch zog ich nach den Bergen und als gesunder kehrte ich wieder zurück mit neuem Lebensmute und frischer Arbeitslust. 

So war’s im Spätsommer 1858 der Fall, nach jenen heißen Tagen, welche auf dem Sandboden unserer Hardgegend alles Gras versengt und die Straßen der Residenz (Karlsruhe) mit erstickender Glut erfüllt hatten. Leibes- und geistesmatt schlich ich zur Eisenbahn, und freilich schien die Fahrt nach Freiburg ein schlechter Beginn der Erholung; aber von dorten ging’s in den Bereich der stärkenden Bergluft. 

Hier weichet schnell ein trüber Seelenschleier
dem früh erwachten gold’nen Sonnenstrahl.
Es sprang der Berg in stiller Morgenfeier,
es glänzt im Perlentau das grüne Tal.
Vom Quell getränkte Mattengründe schimmern,
die Tannenhaine hauchen Würzeduft —
O fliehe fort aus deinen dumpfen Zimmern
und atme hier die frische Bergesluft!  

In Freiburg wurden alle alten Lieblingsplätze wieder besucht, Sankt Loretto, Günterstal, Sankt Ottilien, das Jägerhaus und besonders der Schloßberg. Ich verbrachte da etliche Morgen und Abende, wo mir das Schönste geboten wurde, was eine reichbegabte süddeutsche Herbstlandschaft bei günstiger Beleuchtung dem empfänglichen Auge zu bieten vermag. 

Wie prächtig lag der farbenreiche Teppich der breisgauischen Ebene vor mir mit seinem Kranze naher und ferner Gebirge, und wie zauberisch das grüne Dreisamtal! Noch unentschlossen wegen meines nächsten Wanderzieles — blickte ich über dieses Eden hin; da tauchten alle liebgewordenen Erinnerungen in der Seele auf und zogen sie nach den Bergen im Hintergrund. Ich wählte den Weg durchs Dreisamtal nach der Hölle. 

Wohlberockt, gutgestiefelt und leichtbehutet (Schwarzwald-Wanderungen, selbst im höchsten Sommer, erfordern einen guten wollentuchenen Rock, wegen der kühlen Morgen und Abende und den scharfen Winden auf den Höhen, wo man gewöhnlich schwitzend ankommt; sodann starke Stiefel und Schuhe, weil der grobkörnige Granitsand das Leder besonders scharf angreift), den Schirm in der Rechten, das Reisetäschlein mit der nötigsten Wäsche an der Seite — ein freier, durch nichts belästigter Wandersmann, omnia mea mecum portans, zog ich aus bei schönster Morgenzeit. Mein Ziel für den ersten Tagesmarsch war „die Neustatt“, acht bescheidene Wegstunden von Freiburg. 

Das Dreisamtal 

Ich hatte einen wanderlustigen Gefährten, dessen heitere Lebensanschauung meiner trüb gefärbten immer reichlichen Stoff des Widerspruches gab. Schon oberhalb Ebnet begann der freundschaftliche Hader, indem er den Segen der herrlichen Landschaft den Fortschritten der Neuzeit zuschrieb, während ich aus der Geschichte darzulegen suchte, daß der sittliche und wirtschaftliche Wohlstand des Tales in den besten Zeiten früherer Jahrhunderte kein geringerer gewesen. 

Unter solchen Zwiegesprächen zogen wir munter auf der freigelegenen Straße mitten durch das breite herrliche Tal hin. Es umgibt den Wanderer da ein weiter Kranz von Waldbergen, an deren Saume freundliche Dörfer und Höfe ruhen. Und schaut er einmal zurück, so öffnet sich die Talgegend aufs lieblichste und läßt sein Augen hinausschweifen in die bläuliche Ferne des  Rheines und der Vogesen. 

Zahlreiche Bergwasser beleben das Tal, welche sich zwischen Zarten und Ebnet mit der Dreisam vereinigen. Die Benennung dieses kleinen Flusses leitet ein Wortspiel davon ab, daß drei Bäche zusammenfließen, um denselben zu bilden. Es sollen der Ibach, der Wagensteiger und der Höllenbach sein, welch‘ letzterer den anderen beiden vorgeschlagen habe, sie wollten ihre Besondernamen aufgeben und einen gemeinschaftlichen annehmen

 „Seig’s e-so“, hän si d’ruf g’sait, un usse vor Zarte hät me si täuft. Jez haiße si „Dri z’sämme“, Dreisam uf hochditsch.

(
Nach einem artigen Gedichte in breisgauischer Mundart, bei Schnetzler, badisches Sagenbuch I.).

Abgesehen von diesem Scherze, herrscht gewöhnlich noch im- mer die Meinung, daß der Name Dreisam erst bei Zarten begin- ne, während doch von altersher das Wasser des Wagensteiger Tales denselben führte bis hinauf zu seinem Ursprung am west- lichen Hange des Hirschberges, bei der alten Schanze des hohlen Graben. 

Dort hatte man unter den Zähringern schon die Quelle des Er- lenbaches bei Bernhaupten als „Treisamspring“ bezeichnet (Eine Urkunde vom Jahre 864, bei Neugart, cod. Alem. I, 345, nennt schon Güter in Muntinchova marca circa fluvium Treisima, und eine andere von 1112 im Rotulus sanpetrin. bei Leichtlin, die Zäring. S. 65, sagt in der Beschreibung des saktpetrinischen Stiftungsgutes: Inde usque Seinibach, erga  iugum Hirzberc et treisimespinc, et inde ad Wisenegga. Hierzu macht P.  Baumeister (annal. S. Petri I, 49) die Anmerkung: „Oigo fluvii treisamae, quam ipsemet vidi. Ist ein kleine Lachen unter der Hohlengraben-Schanz, ad Jugum montis Hirzberg, qui hodie Bernhaupten vocatur. Aus dieser Lachen kommt das Wasser schier ohnvermerkt, worzu aber weiter unten hin und wieder ein Bächlein fließet.“ ). Es vereinigen sich aber mit dem unansehnlichen Bächlein bald mehrere Bergwasser, namentlich der Spirznach, und nachdem es den Buchenbach verlassen, rechterseits der Ibach und Eschbach, wie links die Rotach, Osterach und Bruckach. 

So verstärkt eilt die Dreisam an Freiburg vorüber dem Kaiserstuhle zu und ergießt sich bei Riegel in die Elzach (Jetzt gewöhnlich die Elz; die ursprüngliche Schreibung ist aber noch im Namen der Stadt Elzach erhalten), um mit derselben bei Niederhausen vom Rheine aufgenommen zu wer- den. Dieser ganze Flußlauf aber beträgt ungefähr sechs deutsche Meilen. 

Das Wassergebiet der Dreisam ist hinterhalb Freiburg von einem weiten Gebirgsgürtel umschlossen, welcher zum Teil aus den höchsten Scheiteln des oberen Schwarzwaldes besteht. Das- selbe erhält daher eine Reihe der merkwürdigsten Erscheinun- gen schwarzwäldischer Bergnatur. 

Dieser Gebirgsgürtel hebt an mit dem Schloßberge bei Freiburg und zieht sich zunächst nordöstlich über den Roßkopf (2463° <Fuß>), den Flaunser, den Brombeerkopf (2907‘), die lange Ecke und die Höhe hinter St. Peter bis an den Hochwald (3420°); von da alsdann in einem langen Bogen südwärts über den Kapfenberg (34431°), die Höhe von St. Märgen, den Doldenbühl (3587°), die Farrenhalde, die Weißtannenhöhe (3974), und über das Moos an der Straße nach dem Titisee (2960°) bis zum Scheibenfelsen; sofort streng westlich über den Kopf von Hinterzarten (4036°) und mit der Albersbacher Höhe (4241°) auf den Feldberg (4982°); von hier endlich nordwestwärts über den Stübenwasen und Hirschkopf, die Farrenwiede (4224°) und Halde, über den Erzkasten (4288°) und Schauinsland nach dem Kipfelsen (2759°) und Bromberge, mit welchem der Gebirgszug dem Schloßberge gegenüber sich endet. 

Das ganze Wassergebiet hat also eine Länge von 5 und eine Breite von 4 Stunden. Es gehört einesteils zum ödesten und wildesten Schwarzwalde, andernteils aber zu den schönsten und gesegnetsten Gegenden des Landes. Etwas Eigentümliches besitzt dasselbe darin, daß sich die Nebentäler fächerartig in das Haupttal ausmünden, wodurch dieses die Gestalt eines großen Amphitheaters gewinnt, dessen Proscenium die Talebene von Zarten bildet. 

Von der Landstraße aus, welche mitten durchs Tal hinaufzieht, erblickt man am Saume des weiten Gebirgskranzes die Eingänge der verschiedenen Nebentäler, welche bald einen heiteren, bald einen düsteren Schoß verraten. 

Dort, halb verborgen in der waldgrünen Talwand, ruhen die kleinen Bergbusen von St. Ottilien, des Atten-, Welchen- und Wittentales mit den Zaubern ihrer idyllischen Einsamkeit. Hierauf öffnet sich das mattenreiche Tal des Eschbaches mit der Straße nach St. Peter, und getrennt davon durch den heiteren Lindenberg das wohlbewohnte, getreidereiche Ibental (vallis Iwa). 

Weiterhin zeigt der Wisenecker Hügel mit seinen Burgtrüm- mern und daneben der Eingang ins Tal der hinteren Dreisam, durch welches die Wagensteige in einer weiten Krümmung nach St. Märgen führt. Darüber hinweg schauen der Spirzenkopf und die Hochwarte mit ihren breiten, nackten Scheiteln. 

Alsdann, links an der Sonnecke, verrät sich die Schlucht des wildromantischen Höllentals, aus welcher die Rotach schäumend hervorstürzt; und tiefer zurück, am Fuße der waldigen Rappenecke, erblickt man das Tal von Oberried, dessen Hintergrund sich in den düsteren Zastler und das malerische St. Wilhelmstal verliert.„

Endlich, am Abhange der Mittelecke, des Prangenkopfs und Kipfelsen (Man schreibt sonst Kibfels. Ich leite dieses Wort aber von Kip (verwandt mit caput?), scharf, spitzig sein, woher auch Kuppe, Kupfe oder Gupfe und Gipfel kommen.) erscheinen die zahmen Tälchen von Groß- und Kleinkappel und der liebliche Berbusen von Littenweiler, gerade jenem von St. Ottilien gegenüber. 

Die Bewohner des Dreisamtales bildeten ehedem eine große Genossenschaft; sie haben eine eigene Geschichte und es prägte sich ein eigentümlicher Charakter in ihnen aus, dessen Spuren durch die nivellierende Neuzeit noch nicht verwischt sind. 

Es wechseln im Tale etliche große Dörfer mit mehreren Weilern und vielen einzelnen Höfen, welche noch ziemlich ein Bild von dem alten stattlichen Bauernstande geben. Die Gemarkungen derselben sind eben so reich an Wiesen- und Ackerland, daher die Talbauern auch eine besonders gedeihliche Viehzucht treiben. 

Durch echt germanische Bevölkerung wandert man hier. Hochgewachsene, blonde Gestalten begegnen einem sehr häufig und erinnern öfters lebhaft an das fränkische Gepräge, daß man versucht werden könnte, wirklich hier die Nachkömmlinge der alten Harelungen (Nach der Sage soll dieser Stamm längs dem Rheine herauf in den Breis- gau gekommen sein. Daher datieren im 16. Jahrhundert die Freiburger Professoren ihre Briefe statt Friburgi Brisigavorum auch Friburgi Harelungorum.) zu suchen. 

Die altherkömmliche Tracht des Talvolkes hat große Ähnlich- keit mit jener im Hanauerländchen, wenigstens die männliche. Schwarze Lederhosen, weiße Strümpfe, kurze rote Westen, kurze weiße Jacken, schwarze Filzhüte oder grüne mit Pelz verbrämte Sammetkappen, und weite mit Oerlinger ausgeschlagene Röcke herrschen unter dem Mannsvolke beider Gegenden vor, nur findet man im Dreisamtale die bunteren Farben, welche die  katholische Bevölkerung überall im Lande von den evangelischen schon äußerlich unterscheiden. 

Neben dieser altherkömmlichen Männertracht erscheint aber im Dreisamtal noch eine andere von neuerem Geschmacke, welche dieselbe allmählich verdrängen wird, weil sie wohlfeiler und bequemer ist. Sie besteht einfach in weiten Langhosen und einem langen Rocke von blauem Wollentuch mit aufstehendem Kragen und über Rücken und Schultern hängenden Mantel- stücke. 

Der Taglöhner in diesem nüchternen und der Talbauer in  jenem malerischen Aufzuge — sie stehen sich gegenüber wie  Leute aus zwei völlig verschiedenen Gegenden Deutschlands. Wie gesagt aber, nach zwei, drei Generationen wird aller Unter- schied verschwunden sein. 

Unterscheidend an der weiblichen Tracht im Dreisamtale sind die lange, gefältelte grüne Jüppe und der besonders breitkrempige, kreidenweiß getünchte Strohhut mit schwarzer Bandbelege um die niedere Gupfe und am Rückteile. Denn in der Nachbarschaft, auf dem Schwarzwalde und im Elzachtale, erscheint die Hutgupfe hoch und die Krempe schmal, beides zuweilen, wie namentlich im Simonswalde, bis zur abgeschmacktesten Übertreibung gesteigert. 

Charakteristisch dürfte es auch erscheinen, daß das Dreisamtaler „Weibervolk“ eben nur Hüte und daneben gar keine Hauben trägt. Die Wälderinnen sind mit beidem versehen; im breisgauischen Rheintale aber findet man bei Frauen und Mädchen wieder nur Hauben und keine Hüte. 

Während einer lebhaften Unterhaltung über diese Dinge ge- langten wir nach Zarten und ins Bereich des alten Tarodunum, wovon der Erdwall noch deutlich erkannt wird. Diese Örtlich- keit bildet ein großes, längliches, gegen seine nächste Umgebung im Norden und Süden etwas erhöht gelegenes Dreieck von beiläufig 6700 Schritten im Umfange, zwischen der Dreisam und Rotach. Dasselbe stößt also mit seiner westlichen Spitze an die Vereinigung beider Bäche, und gegen Osten hin durch einen Heidengraben von der weiteren Hochebene getrennt. 

Da am linken Raine der Hof „Brand“ liegt und gegenüber am rechten der Weiler „Burg“, so entstund im Volksmunde die Sage von einer untergegangenen Stadt Brandenburg. Von dem tarodunischen Trümmerfelde aber mögen nachmals die besten Steine nach Freiburg geführt worden sein, als man dort eine neue Stadt gegründet. 

Dies Tarodunum (Ptolemaei geograph. Ed. Nobbe I, 1232) war ein großes Oppidum oder Wehr- und Schirmwerk und umschloß wohl die bedeutendste keltisch-römische Niederlassung an der Heerstraße zwischen den Plätzen mons Brisiacus (Breisach) und arae Flaviae (Rottweil). Den Namen desselben erklärt man aus dem Keltischen als „Ochsenberg“, und allerdings stund der fremde Eroberer hier wie der Ochs am Berge. Denn überall ging’s durch düstere Schluchten steil aufwärts in waldige, ungeheuerliche Bergwildnisse, deren Ausdehnung niemandem bekannt war. 

In diesen Wildnissen konnte der Feind unbemerkt sich sammeln, um plötzlich, wie ein angeschwollener Bergstrom, hervorzubrechen gegen die Talstadt, welche einer solchen Überraschung wohl erliegen müßte. Es war daher geboten, die Eingänge der verschiedenen Nebentäler, welche in einem engen Bogen die Veste umgaben, mit befestigten Wachtposten zu versehen. 

So zählte Tarodunum um sich her wenigstens ein halbes Dutzend von Türmen und Kastellen, welche später als Ritterbur- gen abermals ihre Rolle gespielt haben, und noch heutzutage in ihren Trümmern vorhanden sind. 

Am Eingange des Witten- und Eschbachtales liegen die Überreste der Türme auf dem Falkenbühl und zu Weiler; zwischen den Ausgängen des Iben- und Dreisamtales erheben sich die Mauern des Burgstalles von Wiseneck, im Höllentale jene von Falkenstein, und am Eingange des Zastler- und Wilhelmertales ruhen die Trümmer der Vesten Oberried und Wildschneeburg. 

Man ersieht auch aus diesem Beispiele wieder, wie systematisch und praktisch die Römer in der strategischen und kommerziellen Einrichtung ihres rheinischen Vorlandes zu Werke gegangen. Wo jedoch Knechtschaft und Entsittlichung die Völker verderben, da bringen all‘ solche Schutzmittel keine Rettung mehr. Daher wurden die völlig romanisierten und riesig verwahrten Decumaten so leicht die Beute der deutschen Eroberer. 

Die römische Kulturperiode war abgelaufen, es sollte die germanische folgen. Aber alle Kultur ist eine Überlieferung, und jegliche neue gründet sich in ihren Anfängen auf die Rest einer älteren. 

So wurde das keltisch-römische Tarodunum mit seiner Bodenkultur, seinen Vorwachten, Straßen und Wegen für unser Dreisamtal die Grundlage seines späteren Anbaues und hinterließ ihm auch seinen Namen. Denn seit den frühesten Zeiten hieß die Gegend von Stegen bis gen Oberried und von Buchenbach bis Ebnet das Zartener oder das Kirchzartener Tal, und noch heutzutage heißt sie im Volksmunde so. 

Zarten aber hat sich aus Tarodunum gebildet, indem die deut- sche Zunge hinter dem T ein s hören ließ, was man alsdann mit einem Z bezeichnete. Auf dieselbe Weise sind aus Tabernae, Tolbiacum und Turicum die Namen Zabern, Zülpich und Zürich entstanden. 

Zarduna oder Zarda nämlich hieß in den merowingischen und karolingischen Zeiten die zerstreute Gemeinde (villa), welche sich nach der Völkerwanderung bei den Trümmern von Tarodunum angesiedelt. Hochstämmiges, blondes Alemannenvolk hatte diese schönen und gesegneten Talgefilde in Besitz genommen und die alten gallisch-römischen Bewohner in die Berge zurückgedrängt. Noch gegenwärtig unterscheiden sich die Wisenecker und Kirchzartener durch ihr alemannisches Gepräge von den dunkelfarbigen Leuten im Ibentale, in der Wagensteige, im Höllen- und Zastlertale. 

Die Zartener Gemarkung umfaßte das ganze weite Talgebiet und in der villa Zarduna lag auch die Pfarr- und Mutterkirche für alle Kapellen, Weiler und Höfe desselben. Begreiflicher Weise aber ließen sich zunächst bei dieser Kirche immer mehr Leute nieder, wodurch das Dorf Kirchzarten entstund, nach welchem der südliche Teil des Dreisamtales, den die Krum- und Bruckach bewässert, benannt wurde. 

So bildete sich Zarten schon im achten Jahrhundert zu einem bedeutenden Doppelorte heran, wo der Graf des Breisgaues zu- weilen sein Gaugericht abhielt. Der größte Teil des Grundes und Bodens aber mit der Kirche und den Pfarreirechten gehörte damals dem Stifte St. Gallen, durch Schenkungen und Tausch- handlungen der alten freien Grundbesitzer (
Nach Urkunden bei Neugart, cod, Alem. I, num, 44, 187, 330, schenkten 765 Trutprecht seinen Knecht Waldzog in villa Zarduna und seine Güter in ipsa marcha zardunense, 816 Gozbart partem ecclesiae in Zartuna com pertinentiism und 848 Tuto sein väterlich Erbteil prope villam Zartunam, an das Stift St. Gallen. Nach der Urkunde num. 114 geschah 791 eine Schen- kung von Gütern zu Ebringen an ebendasselbe publice (d.h. vor dem Gauge- richte) in loco Zartuna, und nach der num. 762 bestätigte K. Otto II. dem Kloster Einsiedeln sein großes Riegler Hofgut, wozu auch Güter in Zarda gehörten). 

Denn nachdem der heilige Gallus im Gefolge des irischen Glaubensboten Kolumban nach Alemannien gekommen und am Bodensee das Gotteshaus seines Namens gegründet, gelang es dieser frommen Anstalt durch den trefflichen Geist ihrer Regel, ihrer Schule und Hauswirtschaft, auf weithin ein vorherrschen- des Ansehen zu erlangen. Fromme Alemannan beschenkten das aufblühende Stift immer reicher, und als die Zeiten eintraten, wo der gemeine Freimann, wegen den Lasten des freien Standes und den Zumutungen der Gaugrafen, seine Güter den Klöstern und  Domstiften übergab, um sie als gotteshäusische Erblehen zurück zu empfangen, da gewann auch St. Gallen in den alemannischen Landen bis herab über den Schwarzwald auf solche Weise zahlreiche Besitzungen. 

Neben dem Kloster St. Gallen walteten aber noch drei weltli- che Herren im Dreisamtale — die Zähringer als Grafen des Breisgaues und Besitzer der südwestlichen Abhänge des Roßkopfes; sodann die Grafen von Hohenberg als Inhaber des Gebirgsstriches vom Kesselberge bis herab über den Kilpen und die Wagensteige, und die Freiherren von Kipburg als Eigentümer des unteren Talgeländes, wo sich dasselbe in die große Rheinebene verliert. 

Diese Kipburger hausten in ihrer Burg auf dem Kipfelsen, welcher das kleine Günterstal und den größeren Teil des Dreisamtales beherrscht. Da ersuchte erstmals der Nachbar und Schwager zu Zähringen einen von ihnen um die Gunst, auf dem trefflich gelegenen Vorhügel des Roßkopfes ein Jagdhaus erbauen zu dürfen. Der gutmütige Herr gewährte dies, sein Weib aber sagte erschrocken: „Ja, er wird sich festsetzen auf deinem Gut und dich verjagen davon.“ 

Und so geschah es auch (
So erzählt Albert von Straßburg in seiner Chronik, bei Wursteisen, script. rer. German. II, 99). Die Zähringer, nachdem sie Herzöge von Schwaben geworden und Rektoren von Burgund, stifteten (1093) am südlichen Abhange des Kandels das Gottes- haus St. Peter und erbauten auf jenem Vorhügel eine Veste und am Fuße desselben die Stadt Freiburg. 

Und zu derselben Zeit, da der letzte zähringische Herzog als ein mächtiger, land- und geldreicher Fürst zu Grabe ging (1218), verstarb der letzte Kipburger als ein armer Edelmann, nachdem er sein ganzes Familienerbe — das bescheidene Tälchen unter der Stammburg, einer Tochter zur Gründung des Klösterleins Gün- terstal abgetreten (
Anno domini 1221 Adelheidis, filia nobilis domini Guntheri, relicto castro Kibenfels dicto modo totaliter destructo, vum quibusdam virginibus in quandam domum se sontulit ibique primum fundamentum pro monasterio edificando posuit, as cuius edificationem eiusdem pater locum adiacentem cum omnibus iuribus legavit. Annal. Mon. Günterstal, Hdschr. J. L. Herrling, in seinem Verzeichnisse der Günterst. Urkunden, bemerkt dazu: „Es hat dieser Güntherus au dem Kübfelsen, wo die rudera noch heutigen Tagen zu sehen, gewohnet.“ Im Kappler Dingrotel lesen wir: „Die Burkbachsgassen uff an den Berg untz gen Kiburg“). 


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Wie nun die Zähringer im Bereiche des Dreisamtales das Benediktinerkloster St. Peter gestiftet, ebenso gründeten (1120) die Hohenberger, offenbar ihnen zum Trutze, in der nächsten Nachbarschaft die Augustinerabtei St. Märgen. Denn die einen waren welfisch, die anderen waiblingisch gesinnt, und keine Spur läßt sich entdecken, daß zwischen beiden Häusern irgend ein freundnachbarliches Verhältnis bestanden. 

Die beiden Gotteshäuser aber übten später einen wichtigen Einfluß auf die Geschicke des Zartener Tales, wo dieselben durch Schenkungen und Käufe viele Güter und Rechte erwarben. Sie hatten jedoch ein ganz verschiedenes — jenes ein glückliches, dieses ein höchst trauriges Schicksal. 

Denn für St. Peter war’s ein großer Vorteil, daß seine Schirm- vogtei bei der Familie des Stifters (den Markgrafen von Hachberg) verblieb, während St. Märgen die seinige in fremde Hände fallen und zu den gewissenlosesten Erpressungen und Gewalttaten mißbraucht sehen mußte. 

Es hatten aber die Zähringer und das Stift St. Gallen ihre Besitzungen im Dreisamtale größtenteils an die Herren von Falkenstein zu Lehen vergeben. Diese Dienstmänner des herzoglichen Hauses waren ein alter stattlicher Ritteradel und bewohnten im engen Höllentale die einsame Felsenburg ihres Namens. Von da herab herrschten dieselben über das benachbarte Tal- und Berggelände, bis sie einem neueren Rittergeschlechte allmählich zur Beute wurden. 

Nachdem die Zähringer den städtischen Marktort Freiburg gegründet, versahen sie denselben auch mit einer entsprechenden Garnison aus ihren zahlreichen Dienstmannen. Hierdurch wuchsen neben den Kauf- und Gewerbsleuten eine Anzahl von Soldatenfamilien heran, welche mit Verwilligung der Gemeinde nicht allein in der Stadt ihren Wohnsitz hatten, sondern daselbst auch alle bürgerlichen Rechte genossen (
Herzog Konrads freiburgische Verfassungs-Urkunde (bei Dümge, reg. Bad. S. 122) bestimmte: Nullus de hominibus vel ministerialibus domini Ducis vel miles aliquis in civitate habitabit vel ius civile habebit, nisi de communi consensu et voluntate omnium urbanorum. Man verlg. Hiezu Ochs, Gesch. von Bas. I, 476 und Roth von Schreckenstein, das Patriziat, S. 60 f.). 

Begreiflicher Weise aber mußte es kommen, daß diese „Herzogmannen“ vermöge ihrer Schildbürtigkeit neben den angesehensten freien Bürgergeschlechtern den vorherrschenden Einfluß behaupteten und die wichtigsten städtischen Ämter führten. Die Zähringer wollten sich, bei den großen Freiheiten der Städte, doch einen maßgebenden Einfluß auf deren Handhabung und Entwicklung sichern und verschafften daher den städtischen Garnisons-Rittern eine möglichst vorteilhafte Stellung. 

So entstand das freiburgische Patriziat, welches die städtische Leitung ausschließlich in Händen behielt, bis im Beginne des 14. Jahrhunderts die Zünfte, als Vertreter des demokratischen Flements in der Bürgerschaft, nach heftigem Kampfe, sich neben dem aristokratischen zur Geltung brachten. 

Wie sich aber die Zünfte neben den Patriziern geltend mach- ten, so hatten es viele schon längst neben dem alten Adel getan. Die Freiherren und Ritter vom echten Schrot und Korne, welche auf ihren einsamen Burgen, stolzen Adlern gleich, ein unabhän- giges Dasein führten, mußten’s erleben, daß diese städtischen „Dienstmänner“ sie durch sparsame Wirtschaftlichkeit und kluge Berechnung finanzell überflügelten und ihre wachsenden Geldverlegenheiten, ihre steigenden Mißgeschicke erfolgreich zum eigenen Vorteil benützten. 

Denn es waren Zwitternaturen, welche mit dem Soldaten den Geschäfts- und Geldmann verbanden. Es waren Emporkömmlinge, deren erwerbsüchtiges, zudringliches Wesen um so eher zum Ziele kam, je stolzer und ritterlicher der alte Adel das Treiben der adeligen Krämer und Geldmäkler in den gehaßten Städten verachtete. 

Ein solches Geschlecht nun waren die freiburgischen Ritter Schnewelin, welche zur Zeit, als Graf Egeno von Urach das breisgauische Land seines (1218) zu Grabe getragenen herzoglichen Schwagers in Besitz nahm, schon unter den vornehmsten Geschlechtern und in den ersten Ämtern der jugendlich empor- strebenden Stadt auftraten (
In einer Urkunde von 1219 erscheinen als Zeugen. Otto sculetus de Friburch, Cuonradus Snewili etc. Das Jahr darauf war dieser Schnewelin freiburgischer Schuldheiß, wie auch 1226, 1248 und 1255. Eine Urkunde der Gräf. Adelheid v. Fr. von 1239 ist gegeben in maiori ecclesia friburch (im Münster daselbst) presentibus Ruodolfo plebano, Henrico sculteto, Hermanno Sneweline, Cuonrado fratre suo, C. de Tuselingen etc. So erscheinen die Schnewelin immer in erster Reihe. Dambachers Urk. d. Gr. v. Freib. in der oberrhein. Zeitschr. IX, 231, 255; und Schreibers Geschichte d. St. Fr. I, 50.). 

Diese Schnewelin sind eine merkwürdige Erscheinung. Sie vermehrten sich „wie der Sand am Meere“, und wuchsen so schnell zu den Rothschilds des Breisgaues heran, daß man ver- sucht wird, hinter ihnen eine gemeinschaftliche Abstammung mit den Geldfürsten unserer Zeit zu vermuten. Ihr Familienname (
Schnewelin ist ein Übername, der entweder vom altd. Snabel, snavel (rostrum) herkommt und Schnäbelein bedeutet, wie nach einer Urkunde von 1418 dere Schnabelin dictus de Ichenheim; odere von sneo, snew (nix), in welchem Falle derselbe mit Schneemännlein zu geben wäre. Übrigens kommt er schon früh in verschiedenen Gegenden vor, so 1323 (cod. Salem. IV, 141) ein frater C. dictus Sneweli, magister in Bachhoupten, und 1350 ein Claus Snewelin ze Dankstetten im Klettgau (Archiv St. Blasien.)) wenigstens würde einer solchen Herkunft nicht widersprechen. 

Ihren Lehens- und Kriegsherren, den Grafen von Freiburg (
Verschied. Urkunden in der oberhein. Zeitschr. IX, 225. Schon 1292 hatte Dietericus Snewelin de Brigurgo für 1000 Mark Silbers (damals eine sehr bedeutende Summe) wettingische Güter im Breisgaue erkauft. Daselbst IV, 234. Den schnewelinschen Reichtum zeigen aber besonders die Urk. Von 1291, 1318 und 1323 bei Schreiber I, 117, 225 und 248, und der Teilungs- brief von 1465 im Landecker Copeibuch, Nr. 9), und anderen Großen halfen die Schnewelin mit ihrem Gelde aus — gewiß nicht ohne schönen Gewinn; denn in allen Teilen des gesegneten Breisgauer Landes erwarben sie Burgen und Säßhäuser mit zugehörigen Dörfern und Höfen. So namentlich die Vesten Wiseneck und Weiler im Zartener Tal, die wilde Schnewburg hinter Oberried, das Weierschloß Schnewfelden bei Emmendingen, die Doppelveste Landeck hinter Mundingen, die Burgen Kranznau am Kaiserstuhl und Birkenberg zu hinterst im Tale von Fttenheimmünster, die Wasserhäuser zu Ebnet, Krozingen und Mengen, ja selbst auf längere Zeit die zährin- gische Stammburg (Anno 1327 castrum Zäringen cum pago Conradus comes friburgensis vendidit cuidam nobili de familia Schnewelin dicto Baernlappe, praetori friburgensi. P. Baumeister, de castro Zäringen. Handschr. Noch 1536 hatte Christoph Schnewelin von Landeck Anteil an Zähringen). 

Und hatte es in der alten Grafenzeit von Freiburg schon meh- rere Schnewelinschen Äste gegeben, so zählte das Geschlecht im 15. und folgenden Jahrhundert nicht weniger als vierzehn verschiedene Zweige (
Gerbert, hist. S.n. I. 112. Schreiber, Gesch. v. Freib. I, 50). 

Aber nicht bloß als die reichsten Edelleute im Breisgau erschienen die Schnewelin, man lernte sie daneben auch als die bösesten Buben der ganzen Landschaft kennen. Wie frech es dieselben zu treiben wagten, haben sie am sprechendsten als Schutzvögte der Klöster St. Wilhelm und St. Märgen gezeigt. 

Das Wilhelmiter Klösterlein zu Oberried war 1235 gestiftet und mit ansehnlichem Grunde und Boden in dortiger Gegend gewidmet worden. Nachdem aber der kolmannische Ast der Schnewelin die Schirmvogtei darüber erworben und auf der be- nachbarten Höhe (wohl bei einem alten Römerturm) die Schnewburg erbaut, wollte die junge geistliche Pflanzung nicht mehr gedeihen; denn die Vögte saugten die Klosterleute aus und trieben von ihrer Veste herab schmählichen Straßenraub (
Mone, Quell. Zur bad. Geschichte I, 196. P. Eichhorn, Geschichte des Klosters Oberried. Handschr). 

Dieses Unwesen wurde so arg, daß es die Freiburger nicht mehr länger gedulden wollten. Im Jahre 1314 zogen sie bewaff- net aus, erstiegen das Raubnest, brannten es nieder und führten den Burgherrn gefangen hinweg (
Schreiber, Gesch. von Freib. I, 102. In einer Urk. Von 1292 erscheint Johann Snewelin der jung, Vogt zu Oberried. Derselbe und sein Bruder Walther verkaufen 1317 an das dortige Kloster ihre Güter im Geroldstal und Ferlinsbach „ohne die Burg, der man spricht die wilde Snewesburg“. Dieses Felsennest lag im St. Wilhelmer Tal, am westlichen Abhange des Hochfarren, über dem „Gefäll“, und unweit von dem „Frauenstein“). Seither liegt die Veste als „wilde Schneeburg“ in ihren Trümmern. 

Das war aber gleichsam nur ein kleines Vorspiel zu der langen Tragödie, welche die Schnewelin vom wiseneckischen Aste mit den Mönchen von St. Märgen aufzuführen wagten. Übermütiger, rachesüchtiger und gewalttätiger läßt sich kaum etwas denken, als hier das unritterliche Treiben dieser adeligen Emporkömmlinge war. 

Zum Unglück für das Gotteshaus St. Märgen hatte der Graf von Hohenberg 1293 „die Burg und Herrschaft Wisenecke in Zartental und die Vogteie über das Kloster ze sante Marienzelle mit Lüten und Gütern, Gerichten und Rechten und Gewohnheiten an Holz und Feld, an Äckern, Reben und Matten, an Was- sern und Fischenzen“, schuldenhalber an den freiburgischen Pa- trizier Turner verkaufen müssen. Von diesem aber ging dieselbe schon 1319 an die schnewelinsche Familie über, und nun began-  nen deren Feindseligkeiten gegen das Kloster — gleich von vornherein mit einer offenbaren Gewalttat und Rechtsverletzung. 

Urkundlich waren, wie bei den meisten Gotteshäusern, auch bei St. Märgen die s. g. Sal- oder Stiftungsgüter von aller welt- lichen Vogtei befreit und nur die lehen- oder erbweise vergebe- nen Besitzungen der Gewalt des Schirmvogtes unterworfen. Hieran kehrte sich Johann Schnewelin, der Herr von Wiseneck, jedoch wenig und erhob auch von den Salgütern die gewöhn- liche Vogtsteuer und andere Abgaben, was sofort zu einem giftigen Rechtsstreit führte. 

Nun legten sich die Sippen des Vogtes, namentlich der freibur- gische Schuldheiß Schnewelin und dessen Bruder, „der Gresser“, ins Mittel, und der Abt Dietmar, in gutem Glauben an deren billige und edelmännische Rechtlichkeit, ließ sich herbei, auf ihren Scheidspruch zu kompromittieren. Da dieser Spruch jedoch ganz parteiisch zu Gunsten Johanns ausfiel, so wurde er vom Kloster entschieden zurückgewiesen und vom Papste für ungültig erklärt. 

Das aber war Öl ins Feuer gegossen. Der Wisenecker hielt fest an dem erschlichenen Spruche, und als die Mönche sich nicht fügen wollten, griff er gewalttätig zu, vertrieb sie aus dem Kloster, eignete sich kirchenräuberisch ihre fahrende Habe an und schaltete mit den Klostergütern nach Laune und Willkür. 

Die „armen Leute“, welche im sanktmärgischen Gebiete sa- Ben, wurden mit unerschwinglichen Steuern und Abgaben belegt und zogen daher häufig hinweg, wodurch die Güter großenteils unbebaut blieben und verwilderten. Das Klostergebäude aber lag jahrelang so verödet, daß es in Zerfall geriet, daß „in der Kirche, im Chore, um den Hochaltar das Unkraut dicht emporwucherte, und Spinnen, Kröten und Nattern ihre Nester darin fanden. 

Dieser jammervolle Zustand seines Nachbarstiftes ging dem Abte von St. Peter so zu Herzen, daß er sich deswegen in einem beredten Schreiben nach Avignon an den heiligen Vater wende- te. Seine Sprache hatte die Wirkung, daß Johann XXII. dem Bi- schofe von Konstanz befahl, den Schnewelin und seine Gesellen mit dem Banne zu belegen. 

Gleichwohl erlag Abt Dietmar den Folgen der erlittenen Bedrängnis. Aber auch Herr Johann starb, und dessen Vettern zu Freiburg suchten seine Schuld durch eine reichliche Gottesgabe an das mißhandelte Kloster zu sühnen (
Der Ritter Schnewelin von Wiseneck, Bürgermeister zu Freiburg, ver- macht dem Kloster zum Seelenheile seiner Vordern den Kirchensaz zu Haslach. Urkunde von 1329). 

Inzwischen hatten sich die vertriebenen Mönche wieder nach St. Märgen zurückbegeben, und der neue Abt Johann bemühte sich eifrigst, den Gottesdienst und die Klosterwirtschaft wieder herzustellen. Und es schien, als wolle ihn der junge Vogt, Herrn Johanns gleichnamiger Sohn, darin pflichtgemäß unterstützen; denn er erlaubte dem Kloster, eine zehnjährige Anleihe zu erhe- ben, um sich damit wieder aufzuhelfen. 

Der Apfel war aber nicht weit vom Baume gefallen. Als das Kloster die ihm entrissenen Güter und Gilten ernstlich wieder zurückzufordern begann, erhob der Vogt neue Feindschaft gegen dasselbe, neuen gehässigen Streit und Hader. Denn hatte der Vater seine rechtswidrigen Ansprüche durch einen erschlichenen Schiedspruch rechtfertigen wollen, so suchte der Sohn seine An- maßungen durch die gewaltsame Erpressung eines Vertrages zu sanktionieren.

Eines Tages überfielen die Gesellen des jungen Schnewelin bewaffnet das Kloster, nahmen den Abt und etliche Konvents- herren gefangen und führten sie nach Wiseneck in Verwahr. Hier nun suchte ihnen der Vogt dasjenige abzudringen, was er wünschte. Die Gefangenen blieben aber standhaft, und weil’s ihm lästig fiel, dieselben noch längere Zeit zu füttern, so wurden sie nach etlichen Monaten, gegen Abschwörung einer Urfehde, wieder auf freien Fuß gestellt. 

Dieses Verfahren war ebenso töricht wie gewalttätig; denn die Mönche ließen sich ihres Eides entbinden und brachten ihren Verfolger mit seinen Helfern in den Kirchenbann, „bis er zum Kreuze kriechen werde“. Alle Sonntage verlasen die Pfarrer den Bannbrief von der Kanzel und verboten den Gemeinden allen Umgang mit den gebannten Frevlern. 

Jahre gingen darüber hin und ein neuer Kirchenbann drohte allen denen, welche sich weigern würden, dem Stifte St. Märgen die geraubten Güter zurückzugeben. Da wirkte der Bannstrahl endlich — Herr Johann kroch zum Kreuze. Er unterwarf sich dem Spruche eines Schiedsgerichtes und leistete dem Kloster eine befriedigende Entschädigung, worauf ihn der Bischof wieder aus dem Banne tat. 

Nicht lange jedoch währte es und neue Irrungen erhoben sich zwischen Kloster und Schirmvogt, gerade während des erbitter- ten Freiburger Krieges, welcher sieben Jahre lang das breisgauische Volk in Verwirrung und Jammer versetzte. Und bis zum Meuchelmorde kam es diesmal; denn eines Tages 1355 wurde Abt Konrad bei Ebnet erschlagen (
Alles nach den Urkunden des ehemal. Kl. St. Märgen von 1293, 1320, 1322, 1332, 1341, 1346, 1348, 1353, 1360, 1363, 1364, 1366, 1370 und 1372. Vergl. auch Petri Suev. sacra, 236, und Kolbs Lexicon von Baden II,  145). 

Damit endigte der 40jährige Hader. Es geschah 1372 eine voll- kommene Ausgleichung zwischen den St. Märgenern und der Schnewelinschen Familie. Hierauf ging 1383 die Klostervogtei aus deren Hand an die Herren von Blumeneck über; aber das Gotteshaus war in Zucht und Wirtschaft jämmerlich zerrüttet und fristete sein Dasein kein Jahrhundert mehr. 

Im Jahre 1463 verkaufte Abt Johann V. die sanktmärgischen Klostergüter an die Stadt Freiburg und zog sich mit dem Reste seines Konventes in das dortige Klösterlein Allerheiligen zurück. Erst 1725, nach langen Bemühungen, wurde die Abtei St. Märgen wieder hergestellt. 

Aber nicht allein die alte Stiftung der Hohenberger ging an den Schnewelin zugrunde, auch die Ritterfamilie von Falkenstein wurde durch diese adeligen „Ruechen“ allmählich aufge- zehrt. Ein Stück Gutes nach dem anderen drückten sie derselben ab, bis die verschuldeten Junker so weit herabkamen, daß Wegelagerei und Straßenraub ihr Handwerk wurden, wie sie solche ehedem selber getrieben. 

Als um die Mitte des 15. Jahrhunderts die letzten Sprößlinge des uralten falkensteinischen Edelgeschlechtes in ärmlicher Dunkelheit verschwanden, hieß Johann Schnewelin von Landeck zu Wiseneck der „Herr des Kirchzartener Tales“, und hinterließ seinen Nachkommen noch außerdem die landecki- schen Dörfer mit dem Glotter- und Föhrentale (
Mone, Quellensamml. I, 243. Ein schnewelinschere Zinsberein von 1446 bis 1463, und der Teilungsbrief von 1465 zählen auf 1) die Herrschaft Wiseneck, 2) das Kirchspiel Breitnau, 3) die Falkensteig mit dem Zoll- und Wildbann, 4) das Dorf Ebnet und verschied. Güter und Zinse zu Littenweiler, Kirchzarten, Geroldstal, Dietenbach ezc., 5) die Herrschaft Landeck, 6) das Glotter- und Föhrental, 7) die Dörfer und Höfe in der Mark, 8) Höfe, Güter und Zinsen zu Vörstetten, Denzlinbgen, Krozingen, Biengen, Gottenheim, Waltershofen, Horben, Weilersbach etc). 

Die Burg Landeck mit ihren Zubehörten war inzwischen durch Auftragung ein badisches, und die Veste Wiseneck mit ihrer Herrschaft ein österreichisches Lehen geworden. Dieser schnewelinsche Zweig erlosch aber 1603 und seine reiche Verlassenschaft gelangte durch eine Erbtochter an die Freiherren von Sickingen (
Anna, Tochter des Hanns Jacob von Landeck, vermählt mit Friderich v.  S. Gerbert, histor. S. n. Il, 229), welche nun neben der Stadt Freiburg die bedeutendsten Grundherren des Dreisamtales waren. 

Auch die übrigen schnewelinschen Zweige dorrten nach einan- der ab, und 1833 erlosch das ganze Geschlecht mit einem kinderlosen Zwergen. Es war der Freiherr Franz Xaver Schnei- ling Bernlapp (wie er sich selber schrieb) zu Bollschweil, welcher noch dieses altschnewelinsche Lehen besaß, dessen Be- standteile die Dörflein Bollschweil, Sölden, Bietzighofen, Au und Wittnau im Hexentale bildeten (
Lehenrevers von 30. April 1825). 

Über sechs Jahrhunderte lang waren also die Schnewelin aufs engste in die breisgauische Geschichte verflochten. Wir wollen glauben, daß ihr löblicheres Wirken, namentlich zu Freiburg in den ersten städtischen Ämtern, und ihre stillen Verdienste durch so viele Geschlechter herab, ein Gewicht in die andere Wag- schale legten, welches jene Verirrungen, Gewalttaten und Sünden, wovon ich hier ein kleines Bild entworfen, wohl großenteils wieder aufwiegen mochte.