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Josef Bader
Eine
Schwarzwald-Wanderung 1858
(Ausschnitt aus
„‚Badenia oder das badische Land und Volk“, Band 5,
1862)
Teil 1
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Wenn du das Bedürfnis fühlst,
dich an Leib und Seele recht gründlich zu erholen, so ergreife
Stock und Reisetäschlein und durchziehe zu Fuß die eine oder
die andere Gegend unseres Schwarzwaldes. Da wird dir‘s wieder
leichter werden ums Herz und klarer im Kopfe; da werden deine
Muskeln sich neu beleben, deine Sehnen sich wieder stärken,
deine Sinne sich wieder erfrischen und schärfen.
Ich habe das immer getan, wenn
mich ein langes Arbeits- und Sorgenjahr leiblich uns seelisch
erschöpft und gelähmt hatte. Als ein halb kranker Mensch zog
ich nach den Bergen und als gesunder kehrte ich wieder zurück
mit neuem Lebensmute und frischer Arbeitslust.
So war’s im Spätsommer 1858
der Fall, nach jenen heißen Tagen, welche auf dem Sandboden
unserer Hardgegend alles Gras versengt und die Straßen der
Residenz (Karlsruhe) mit erstickender Glut erfüllt hatten.
Leibes- und geistesmatt schlich ich zur Eisenbahn, und
freilich schien die Fahrt nach Freiburg ein schlechter Beginn
der Erholung; aber von dorten ging’s in den Bereich der
stärkenden Bergluft.
Hier weichet
schnell ein trüber Seelenschleier
dem früh erwachten gold’nen Sonnenstrahl.
Es sprang der Berg in stiller Morgenfeier,
es glänzt im Perlentau das grüne Tal.
Vom Quell getränkte Mattengründe schimmern,
die Tannenhaine hauchen Würzeduft —
O fliehe fort aus deinen dumpfen Zimmern
und atme hier die frische Bergesluft!
In Freiburg wurden alle alten
Lieblingsplätze wieder besucht, Sankt Loretto, Günterstal,
Sankt Ottilien, das Jägerhaus und besonders der Schloßberg.
Ich verbrachte da etliche Morgen und Abende, wo mir das
Schönste geboten wurde, was eine reichbegabte süddeutsche
Herbstlandschaft bei günstiger Beleuchtung dem empfänglichen
Auge zu bieten vermag.
Wie prächtig lag der
farbenreiche Teppich der breisgauischen Ebene vor mir mit
seinem Kranze naher und ferner Gebirge, und wie zauberisch das
grüne Dreisamtal! Noch unentschlossen wegen meines nächsten
Wanderzieles — blickte ich über dieses Eden hin; da tauchten
alle liebgewordenen Erinnerungen in der Seele auf und zogen
sie nach den Bergen im Hintergrund. Ich wählte den Weg durchs
Dreisamtal nach der Hölle.
Wohlberockt, gutgestiefelt und
leichtbehutet (Schwarzwald-Wanderungen,
selbst im höchsten Sommer, erfordern einen guten
wollentuchenen Rock, wegen der kühlen Morgen und Abende
und den scharfen Winden auf den Höhen, wo man gewöhnlich
schwitzend ankommt; sodann starke Stiefel und Schuhe, weil
der grobkörnige Granitsand das Leder besonders scharf
angreift), den Schirm in der Rechten, das
Reisetäschlein mit der nötigsten Wäsche an der Seite — ein
freier, durch nichts belästigter Wandersmann, omnia mea mecum
portans, zog ich aus bei schönster Morgenzeit. Mein Ziel für
den ersten Tagesmarsch war „die Neustatt“, acht bescheidene
Wegstunden von Freiburg.
Das Dreisamtal
Ich hatte einen wanderlustigen
Gefährten, dessen heitere Lebensanschauung meiner trüb
gefärbten immer reichlichen Stoff des Widerspruches gab. Schon
oberhalb Ebnet begann der freundschaftliche Hader, indem er
den Segen der herrlichen Landschaft den Fortschritten der
Neuzeit zuschrieb, während ich aus der Geschichte darzulegen
suchte, daß der sittliche und wirtschaftliche Wohlstand des
Tales in den besten Zeiten früherer Jahrhunderte kein
geringerer gewesen.
Unter solchen Zwiegesprächen
zogen wir munter auf der freigelegenen Straße mitten durch das
breite herrliche Tal hin. Es umgibt den Wanderer da ein weiter
Kranz von Waldbergen, an deren Saume freundliche Dörfer und
Höfe ruhen. Und schaut er einmal zurück, so öffnet sich die
Talgegend aufs lieblichste und läßt sein Augen hinausschweifen
in die bläuliche Ferne des Rheines und der
Vogesen.
Zahlreiche Bergwasser beleben
das Tal, welche sich zwischen Zarten und Ebnet mit der Dreisam
vereinigen. Die Benennung dieses kleinen Flusses leitet ein
Wortspiel davon ab, daß drei Bäche zusammenfließen, um
denselben zu bilden. Es sollen der Ibach, der Wagensteiger und
der Höllenbach sein, welch‘ letzterer den anderen beiden
vorgeschlagen habe, sie wollten ihre Besondernamen aufgeben
und einen gemeinschaftlichen annehmen
„Seig’s e-so“, hän si
d’ruf g’sait, un usse vor Zarte hät me si täuft. Jez haiße si
„Dri z’sämme“, Dreisam uf hochditsch.
(Nach einem artigen Gedichte
in breisgauischer Mundart, bei Schnetzler, badisches
Sagenbuch I.).
Abgesehen von diesem Scherze,
herrscht gewöhnlich noch im- mer die Meinung, daß der Name
Dreisam erst bei Zarten begin- ne, während doch von altersher
das Wasser des Wagensteiger Tales denselben führte bis hinauf
zu seinem Ursprung am west- lichen Hange des Hirschberges, bei
der alten Schanze des hohlen Graben.
Dort hatte man unter den
Zähringern schon die Quelle des Er- lenbaches bei Bernhaupten
als „Treisamspring“ bezeichnet (Eine
Urkunde vom Jahre 864, bei Neugart, cod. Alem. I, 345,
nennt schon Güter in Muntinchova marca circa fluvium
Treisima, und eine andere von 1112 im Rotulus sanpetrin.
bei Leichtlin, die Zäring. S. 65, sagt in der Beschreibung
des saktpetrinischen Stiftungsgutes: Inde usque Seinibach,
erga iugum Hirzberc et treisimespinc, et inde ad
Wisenegga. Hierzu macht P. Baumeister (annal. S.
Petri I, 49) die Anmerkung: „Oigo fluvii treisamae, quam
ipsemet vidi. Ist ein kleine Lachen unter der
Hohlengraben-Schanz, ad Jugum montis Hirzberg, qui hodie
Bernhaupten vocatur. Aus dieser Lachen kommt das Wasser
schier ohnvermerkt, worzu aber weiter unten hin und wieder
ein Bächlein fließet.“ ). Es vereinigen
sich aber mit dem unansehnlichen Bächlein bald mehrere
Bergwasser, namentlich der Spirznach, und nachdem es den
Buchenbach verlassen, rechterseits der Ibach und Eschbach, wie
links die Rotach, Osterach und Bruckach.
So verstärkt eilt die Dreisam
an Freiburg vorüber dem Kaiserstuhle zu und ergießt sich bei
Riegel in die Elzach (Jetzt gewöhnlich
die Elz; die ursprüngliche Schreibung ist aber noch im
Namen der Stadt Elzach erhalten), um mit
derselben bei Niederhausen vom Rheine aufgenommen zu wer- den.
Dieser ganze Flußlauf aber beträgt ungefähr sechs deutsche
Meilen.
Das Wassergebiet der Dreisam
ist hinterhalb Freiburg von einem weiten Gebirgsgürtel
umschlossen, welcher zum Teil aus den höchsten Scheiteln des
oberen Schwarzwaldes besteht. Das- selbe erhält daher eine
Reihe der merkwürdigsten Erscheinun- gen schwarzwäldischer
Bergnatur.
Dieser Gebirgsgürtel hebt an
mit dem Schloßberge bei Freiburg und zieht sich zunächst
nordöstlich über den Roßkopf (2463° <Fuß>), den
Flaunser, den Brombeerkopf (2907‘), die lange Ecke und die
Höhe hinter St. Peter bis an den Hochwald (3420°); von da
alsdann in einem langen Bogen südwärts über den Kapfenberg
(34431°), die Höhe von St. Märgen, den Doldenbühl (3587°), die
Farrenhalde, die Weißtannenhöhe (3974), und über das Moos an
der Straße nach dem Titisee (2960°) bis zum Scheibenfelsen;
sofort streng westlich über den Kopf von Hinterzarten (4036°)
und mit der Albersbacher Höhe (4241°) auf den Feldberg
(4982°); von hier endlich nordwestwärts über den Stübenwasen
und Hirschkopf, die Farrenwiede (4224°) und Halde, über den
Erzkasten (4288°) und Schauinsland nach dem Kipfelsen (2759°)
und Bromberge, mit welchem der Gebirgszug dem Schloßberge
gegenüber sich endet.
Das ganze Wassergebiet hat
also eine Länge von 5 und eine Breite von 4 Stunden. Es gehört
einesteils zum ödesten und wildesten Schwarzwalde, andernteils
aber zu den schönsten und gesegnetsten Gegenden des Landes.
Etwas Eigentümliches besitzt dasselbe darin, daß sich die
Nebentäler fächerartig in das Haupttal ausmünden, wodurch
dieses die Gestalt eines großen Amphitheaters gewinnt, dessen
Proscenium die Talebene von Zarten bildet.
Von der Landstraße aus, welche
mitten durchs Tal hinaufzieht, erblickt man am Saume des
weiten Gebirgskranzes die Eingänge der verschiedenen
Nebentäler, welche bald einen heiteren, bald einen düsteren
Schoß verraten.
Dort, halb verborgen in der
waldgrünen Talwand, ruhen die kleinen Bergbusen von St.
Ottilien, des Atten-, Welchen- und Wittentales mit den Zaubern
ihrer idyllischen Einsamkeit. Hierauf öffnet sich das
mattenreiche Tal des Eschbaches mit der Straße nach St. Peter,
und getrennt davon durch den heiteren Lindenberg das
wohlbewohnte, getreidereiche Ibental (vallis Iwa).
Weiterhin zeigt der Wisenecker
Hügel mit seinen Burgtrüm- mern und daneben der Eingang ins
Tal der hinteren Dreisam, durch welches die Wagensteige in
einer weiten Krümmung nach St. Märgen führt. Darüber hinweg
schauen der Spirzenkopf und die Hochwarte mit ihren breiten,
nackten Scheiteln.
Alsdann, links an der
Sonnecke, verrät sich die Schlucht des wildromantischen
Höllentals, aus welcher die Rotach schäumend hervorstürzt; und
tiefer zurück, am Fuße der waldigen Rappenecke, erblickt man
das Tal von Oberried, dessen Hintergrund sich in den düsteren
Zastler und das malerische St. Wilhelmstal verliert.„
Endlich, am Abhange der
Mittelecke, des Prangenkopfs und Kipfelsen (Man
schreibt sonst Kibfels. Ich leite dieses Wort aber von Kip
(verwandt mit caput?), scharf, spitzig sein, woher auch
Kuppe, Kupfe oder Gupfe und Gipfel kommen.)
erscheinen die zahmen Tälchen von Groß- und Kleinkappel und
der liebliche Berbusen von Littenweiler, gerade jenem von St.
Ottilien gegenüber.
Die Bewohner des Dreisamtales
bildeten ehedem eine große Genossenschaft; sie haben eine
eigene Geschichte und es prägte sich ein eigentümlicher
Charakter in ihnen aus, dessen Spuren durch die nivellierende
Neuzeit noch nicht verwischt sind.
Es wechseln im Tale etliche
große Dörfer mit mehreren Weilern und vielen einzelnen Höfen,
welche noch ziemlich ein Bild von dem alten stattlichen
Bauernstande geben. Die Gemarkungen derselben sind eben so
reich an Wiesen- und Ackerland, daher die Talbauern auch eine
besonders gedeihliche Viehzucht treiben.
Durch echt germanische
Bevölkerung wandert man hier. Hochgewachsene, blonde Gestalten
begegnen einem sehr häufig und erinnern öfters lebhaft an das
fränkische Gepräge, daß man versucht werden könnte, wirklich
hier die Nachkömmlinge der alten Harelungen (Nach
der Sage soll dieser Stamm längs dem Rheine herauf in den
Breis- gau gekommen sein. Daher datieren im 16.
Jahrhundert die Freiburger Professoren ihre Briefe statt
Friburgi Brisigavorum auch Friburgi Harelungorum.)
zu suchen.
Die altherkömmliche Tracht des
Talvolkes hat große Ähnlich- keit mit jener im
Hanauerländchen, wenigstens die männliche. Schwarze
Lederhosen, weiße Strümpfe, kurze rote Westen, kurze weiße
Jacken, schwarze Filzhüte oder grüne mit Pelz verbrämte
Sammetkappen, und weite mit Oerlinger ausgeschlagene Röcke
herrschen unter dem Mannsvolke beider Gegenden vor, nur findet
man im Dreisamtale die bunteren Farben, welche die
katholische Bevölkerung überall im Lande von den evangelischen
schon äußerlich unterscheiden.
Neben dieser altherkömmlichen
Männertracht erscheint aber im Dreisamtal noch eine andere von
neuerem Geschmacke, welche dieselbe allmählich verdrängen
wird, weil sie wohlfeiler und bequemer ist. Sie besteht
einfach in weiten Langhosen und einem langen Rocke von blauem
Wollentuch mit aufstehendem Kragen und über Rücken und
Schultern hängenden Mantel- stücke.
Der Taglöhner in diesem
nüchternen und der Talbauer in jenem malerischen Aufzuge
— sie stehen sich gegenüber wie Leute aus zwei völlig
verschiedenen Gegenden Deutschlands. Wie gesagt aber, nach
zwei, drei Generationen wird aller Unter- schied verschwunden
sein.
Unterscheidend an der
weiblichen Tracht im Dreisamtale sind die lange, gefältelte
grüne Jüppe und der besonders breitkrempige, kreidenweiß
getünchte Strohhut mit schwarzer Bandbelege um die niedere
Gupfe und am Rückteile. Denn in der Nachbarschaft, auf dem
Schwarzwalde und im Elzachtale, erscheint die Hutgupfe hoch
und die Krempe schmal, beides zuweilen, wie namentlich im
Simonswalde, bis zur abgeschmacktesten Übertreibung
gesteigert.
Charakteristisch dürfte es
auch erscheinen, daß das Dreisamtaler „Weibervolk“ eben nur
Hüte und daneben gar keine Hauben trägt. Die Wälderinnen sind
mit beidem versehen; im breisgauischen Rheintale aber findet
man bei Frauen und Mädchen wieder nur Hauben und keine
Hüte.
Während einer lebhaften
Unterhaltung über diese Dinge ge- langten wir nach Zarten und
ins Bereich des alten Tarodunum, wovon der Erdwall noch
deutlich erkannt wird. Diese Örtlich- keit bildet ein großes,
längliches, gegen seine nächste Umgebung im Norden und Süden
etwas erhöht gelegenes Dreieck von beiläufig 6700 Schritten im
Umfange, zwischen der Dreisam und Rotach. Dasselbe stößt also
mit seiner westlichen Spitze an die Vereinigung beider Bäche,
und gegen Osten hin durch einen Heidengraben von der weiteren
Hochebene getrennt.
Da am linken Raine der Hof
„Brand“ liegt und gegenüber am rechten der Weiler „Burg“, so
entstund im Volksmunde die Sage von einer untergegangenen
Stadt Brandenburg. Von dem tarodunischen Trümmerfelde aber
mögen nachmals die besten Steine nach Freiburg geführt worden
sein, als man dort eine neue Stadt gegründet.
Dies Tarodunum (Ptolemaei
geograph. Ed. Nobbe I, 1232) war ein großes
Oppidum oder Wehr- und Schirmwerk und umschloß wohl die
bedeutendste keltisch-römische Niederlassung an der Heerstraße
zwischen den Plätzen mons Brisiacus (Breisach) und arae Flaviae
(Rottweil). Den Namen desselben erklärt man aus dem Keltischen
als „Ochsenberg“, und allerdings stund der fremde Eroberer hier
wie der Ochs am Berge. Denn überall ging’s durch düstere
Schluchten steil aufwärts in waldige, ungeheuerliche
Bergwildnisse, deren Ausdehnung niemandem bekannt war.
In diesen Wildnissen konnte der Feind unbemerkt sich sammeln, um
plötzlich, wie ein angeschwollener Bergstrom, hervorzubrechen
gegen die Talstadt, welche einer solchen Überraschung wohl
erliegen müßte. Es war daher geboten, die Eingänge der
verschiedenen Nebentäler, welche in einem engen Bogen die Veste
umgaben, mit befestigten Wachtposten zu versehen.
So zählte Tarodunum um sich her wenigstens ein halbes Dutzend
von Türmen und Kastellen, welche später als Ritterbur- gen
abermals ihre Rolle gespielt haben, und noch heutzutage in ihren
Trümmern vorhanden sind.
Am Eingange des Witten- und Eschbachtales liegen die Überreste
der Türme auf dem Falkenbühl und zu Weiler; zwischen den
Ausgängen des Iben- und Dreisamtales erheben sich die Mauern des
Burgstalles von Wiseneck, im Höllentale jene von Falkenstein,
und am Eingange des Zastler- und Wilhelmertales ruhen die
Trümmer der Vesten Oberried und Wildschneeburg.
Man ersieht auch aus diesem Beispiele wieder, wie systematisch
und praktisch die Römer in der strategischen und kommerziellen
Einrichtung ihres rheinischen Vorlandes zu Werke gegangen. Wo
jedoch Knechtschaft und Entsittlichung die Völker verderben, da
bringen all‘ solche Schutzmittel keine Rettung mehr. Daher
wurden die völlig romanisierten und riesig verwahrten Decumaten
so leicht die Beute der deutschen Eroberer.
Die römische Kulturperiode war abgelaufen, es sollte die
germanische folgen. Aber alle Kultur ist eine Überlieferung, und
jegliche neue gründet sich in ihren Anfängen auf die Rest einer
älteren.
So wurde das keltisch-römische Tarodunum mit seiner Bodenkultur,
seinen Vorwachten, Straßen und Wegen für unser Dreisamtal die
Grundlage seines späteren Anbaues und hinterließ ihm auch seinen
Namen. Denn seit den frühesten Zeiten hieß die Gegend von Stegen
bis gen Oberried und von Buchenbach bis Ebnet das Zartener oder
das Kirchzartener Tal, und noch heutzutage heißt sie im
Volksmunde so.
Zarten aber hat sich aus Tarodunum gebildet, indem die deut-
sche Zunge hinter dem T ein s hören ließ, was man alsdann mit
einem Z bezeichnete. Auf dieselbe Weise sind aus Tabernae,
Tolbiacum und Turicum die Namen Zabern, Zülpich und Zürich
entstanden.
Zarduna oder Zarda nämlich hieß in den merowingischen und
karolingischen Zeiten die zerstreute Gemeinde (villa), welche
sich nach der Völkerwanderung bei den Trümmern von Tarodunum
angesiedelt. Hochstämmiges, blondes Alemannenvolk hatte diese
schönen und gesegneten Talgefilde in Besitz genommen und die
alten gallisch-römischen Bewohner in die Berge zurückgedrängt.
Noch gegenwärtig unterscheiden sich die Wisenecker und
Kirchzartener durch ihr alemannisches Gepräge von den
dunkelfarbigen Leuten im Ibentale, in der Wagensteige, im
Höllen- und Zastlertale.
Die Zartener Gemarkung umfaßte das ganze weite Talgebiet und in
der villa Zarduna lag auch die Pfarr- und Mutterkirche für alle
Kapellen, Weiler und Höfe desselben. Begreiflicher Weise aber
ließen sich zunächst bei dieser Kirche immer mehr Leute nieder,
wodurch das Dorf Kirchzarten entstund, nach welchem der südliche
Teil des Dreisamtales, den die Krum- und Bruckach bewässert,
benannt wurde.
So bildete sich Zarten schon im achten Jahrhundert zu einem
bedeutenden Doppelorte heran, wo der Graf des Breisgaues zu-
weilen sein Gaugericht abhielt. Der größte Teil des Grundes und
Bodens aber mit der Kirche und den Pfarreirechten gehörte damals
dem Stifte St. Gallen, durch Schenkungen und Tausch- handlungen
der alten freien Grundbesitzer (Nach Urkunden bei
Neugart, cod, Alem. I, num, 44, 187, 330, schenkten 765
Trutprecht seinen Knecht Waldzog in villa Zarduna und seine
Güter in ipsa marcha zardunense, 816 Gozbart partem
ecclesiae in Zartuna com pertinentiism und 848 Tuto sein
väterlich Erbteil prope villam Zartunam, an das Stift St.
Gallen. Nach der Urkunde num. 114 geschah 791 eine Schen-
kung von Gütern zu Ebringen an ebendasselbe publice (d.h.
vor dem Gauge- richte) in loco Zartuna, und nach der num.
762 bestätigte K. Otto II. dem Kloster Einsiedeln sein
großes Riegler Hofgut, wozu auch Güter in Zarda gehörten).
Denn nachdem der heilige Gallus im Gefolge des irischen
Glaubensboten Kolumban nach Alemannien gekommen und am Bodensee
das Gotteshaus seines Namens gegründet, gelang es dieser frommen
Anstalt durch den trefflichen Geist ihrer Regel, ihrer Schule
und Hauswirtschaft, auf weithin ein vorherrschen- des Ansehen zu
erlangen. Fromme Alemannan beschenkten das aufblühende Stift
immer reicher, und als die Zeiten eintraten, wo der gemeine
Freimann, wegen den Lasten des freien Standes und den Zumutungen
der Gaugrafen, seine Güter den Klöstern und Domstiften
übergab, um sie als gotteshäusische Erblehen zurück zu
empfangen, da gewann auch St. Gallen in den alemannischen Landen
bis herab über den Schwarzwald auf solche Weise zahlreiche
Besitzungen.
Neben dem Kloster St. Gallen walteten aber noch drei weltli- che
Herren im Dreisamtale — die Zähringer als Grafen des Breisgaues
und Besitzer der südwestlichen Abhänge des Roßkopfes; sodann die
Grafen von Hohenberg als Inhaber des Gebirgsstriches vom
Kesselberge bis herab über den Kilpen und die Wagensteige, und
die Freiherren von Kipburg als Eigentümer des unteren
Talgeländes, wo sich dasselbe in die große Rheinebene
verliert.
Diese Kipburger hausten in ihrer Burg auf dem Kipfelsen, welcher
das kleine Günterstal und den größeren Teil des Dreisamtales
beherrscht. Da ersuchte erstmals der Nachbar und Schwager zu
Zähringen einen von ihnen um die Gunst, auf dem trefflich
gelegenen Vorhügel des Roßkopfes ein Jagdhaus erbauen zu dürfen.
Der gutmütige Herr gewährte dies, sein Weib aber sagte
erschrocken: „Ja, er wird sich festsetzen auf deinem Gut und
dich verjagen davon.“
Und so geschah es auch (So erzählt Albert
von Straßburg in seiner Chronik, bei Wursteisen, script.
rer. German. II, 99). Die Zähringer, nachdem
sie Herzöge von Schwaben geworden und Rektoren von Burgund,
stifteten (1093) am südlichen Abhange des Kandels das Gottes-
haus St. Peter und erbauten auf jenem Vorhügel eine Veste und am
Fuße desselben die Stadt Freiburg.
Und zu derselben Zeit, da der letzte zähringische Herzog als ein
mächtiger, land- und geldreicher Fürst zu Grabe ging (1218),
verstarb der letzte Kipburger als ein armer Edelmann, nachdem er
sein ganzes Familienerbe — das bescheidene Tälchen unter der
Stammburg, einer Tochter zur Gründung des Klösterleins Gün-
terstal abgetreten (Anno domini 1221
Adelheidis, filia nobilis domini Guntheri, relicto castro
Kibenfels dicto modo totaliter destructo, vum quibusdam
virginibus in quandam domum se sontulit ibique primum
fundamentum pro monasterio edificando posuit, as cuius
edificationem eiusdem pater locum adiacentem cum omnibus
iuribus legavit. Annal. Mon. Günterstal, Hdschr. J. L.
Herrling, in seinem Verzeichnisse der Günterst. Urkunden,
bemerkt dazu: „Es hat dieser Güntherus au dem Kübfelsen, wo
die rudera noch heutigen Tagen zu sehen, gewohnet.“ Im
Kappler Dingrotel lesen wir: „Die Burkbachsgassen uff an den
Berg untz gen Kiburg“).
SEITE 8
Wie nun die Zähringer im Bereiche des Dreisamtales das
Benediktinerkloster St. Peter gestiftet, ebenso gründeten (1120)
die Hohenberger, offenbar ihnen zum Trutze, in der nächsten
Nachbarschaft die Augustinerabtei St. Märgen. Denn die einen
waren welfisch, die anderen waiblingisch gesinnt, und keine Spur
läßt sich entdecken, daß zwischen beiden Häusern irgend ein
freundnachbarliches Verhältnis bestanden.
Die beiden Gotteshäuser aber übten später einen wichtigen
Einfluß auf die Geschicke des Zartener Tales, wo dieselben durch
Schenkungen und Käufe viele Güter und Rechte erwarben. Sie
hatten jedoch ein ganz verschiedenes — jenes ein glückliches,
dieses ein höchst trauriges Schicksal.
Denn für St. Peter war’s ein großer Vorteil, daß seine Schirm-
vogtei bei der Familie des Stifters (den Markgrafen von
Hachberg) verblieb, während St. Märgen die seinige in fremde
Hände fallen und zu den gewissenlosesten Erpressungen und
Gewalttaten mißbraucht sehen mußte.
Es hatten aber die Zähringer und das Stift St. Gallen ihre
Besitzungen im Dreisamtale größtenteils an die Herren von
Falkenstein zu Lehen vergeben. Diese Dienstmänner des
herzoglichen Hauses waren ein alter stattlicher Ritteradel und
bewohnten im engen Höllentale die einsame Felsenburg ihres
Namens. Von da herab herrschten dieselben über das benachbarte
Tal- und Berggelände, bis sie einem neueren Rittergeschlechte
allmählich zur Beute wurden.
Nachdem die Zähringer den städtischen Marktort Freiburg
gegründet, versahen sie denselben auch mit einer entsprechenden
Garnison aus ihren zahlreichen Dienstmannen. Hierdurch wuchsen
neben den Kauf- und Gewerbsleuten eine Anzahl von
Soldatenfamilien heran, welche mit Verwilligung der Gemeinde
nicht allein in der Stadt ihren Wohnsitz hatten, sondern
daselbst auch alle bürgerlichen Rechte genossen (Herzog
Konrads freiburgische Verfassungs-Urkunde (bei Dümge, reg.
Bad. S. 122) bestimmte: Nullus de hominibus vel
ministerialibus domini Ducis vel miles aliquis in civitate
habitabit vel ius civile habebit, nisi de communi consensu
et voluntate omnium urbanorum. Man verlg. Hiezu Ochs, Gesch.
von Bas. I, 476 und Roth von Schreckenstein, das Patriziat,
S. 60 f.).
Begreiflicher Weise aber mußte es kommen, daß diese
„Herzogmannen“ vermöge ihrer Schildbürtigkeit neben den
angesehensten freien Bürgergeschlechtern den vorherrschenden
Einfluß behaupteten und die wichtigsten städtischen Ämter
führten. Die Zähringer wollten sich, bei den großen Freiheiten
der Städte, doch einen maßgebenden Einfluß auf deren Handhabung
und Entwicklung sichern und verschafften daher den städtischen
Garnisons-Rittern eine möglichst vorteilhafte Stellung.
So entstand das freiburgische Patriziat, welches die städtische
Leitung ausschließlich in Händen behielt, bis im Beginne des 14.
Jahrhunderts die Zünfte, als Vertreter des demokratischen
Flements in der Bürgerschaft, nach heftigem Kampfe, sich neben
dem aristokratischen zur Geltung brachten.
Wie sich aber die Zünfte neben den Patriziern geltend mach- ten,
so hatten es viele schon längst neben dem alten Adel getan. Die
Freiherren und Ritter vom echten Schrot und Korne, welche auf
ihren einsamen Burgen, stolzen Adlern gleich, ein unabhän- giges
Dasein führten, mußten’s erleben, daß diese städtischen
„Dienstmänner“ sie durch sparsame Wirtschaftlichkeit und kluge
Berechnung finanzell überflügelten und ihre wachsenden
Geldverlegenheiten, ihre steigenden Mißgeschicke erfolgreich zum
eigenen Vorteil benützten.
Denn es waren Zwitternaturen, welche mit dem Soldaten den
Geschäfts- und Geldmann verbanden. Es waren Emporkömmlinge,
deren erwerbsüchtiges, zudringliches Wesen um so eher zum Ziele
kam, je stolzer und ritterlicher der alte Adel das Treiben der
adeligen Krämer und Geldmäkler in den gehaßten Städten
verachtete.
Ein solches Geschlecht nun waren die freiburgischen Ritter
Schnewelin, welche zur Zeit, als Graf Egeno von Urach das
breisgauische Land seines (1218) zu Grabe getragenen
herzoglichen Schwagers in Besitz nahm, schon unter den
vornehmsten Geschlechtern und in den ersten Ämtern der
jugendlich empor- strebenden Stadt auftraten (In
einer Urkunde von 1219 erscheinen als Zeugen. Otto sculetus
de Friburch, Cuonradus Snewili etc. Das Jahr darauf war
dieser Schnewelin freiburgischer Schuldheiß, wie auch 1226,
1248 und 1255. Eine Urkunde der Gräf. Adelheid v. Fr. von
1239 ist gegeben in maiori ecclesia friburch (im Münster
daselbst) presentibus Ruodolfo plebano, Henrico sculteto,
Hermanno Sneweline, Cuonrado fratre suo, C. de Tuselingen
etc. So erscheinen die Schnewelin immer in erster Reihe.
Dambachers Urk. d. Gr. v. Freib. in der oberrhein. Zeitschr.
IX, 231, 255; und Schreibers Geschichte d. St. Fr. I, 50.).
Diese Schnewelin sind eine merkwürdige Erscheinung. Sie
vermehrten sich „wie der Sand am Meere“, und wuchsen so schnell
zu den Rothschilds des Breisgaues heran, daß man ver- sucht
wird, hinter ihnen eine gemeinschaftliche Abstammung mit den
Geldfürsten unserer Zeit zu vermuten. Ihr Familienname (Schnewelin
ist ein Übername, der entweder vom altd. Snabel, snavel
(rostrum) herkommt und Schnäbelein bedeutet, wie nach einer
Urkunde von 1418 dere Schnabelin dictus de Ichenheim; odere
von sneo, snew (nix), in welchem Falle derselbe mit
Schneemännlein zu geben wäre. Übrigens kommt er schon früh
in verschiedenen Gegenden vor, so 1323 (cod. Salem. IV, 141)
ein frater C. dictus Sneweli, magister in Bachhoupten, und
1350 ein Claus Snewelin ze Dankstetten im Klettgau (Archiv
St. Blasien.)) wenigstens würde einer solchen
Herkunft nicht widersprechen.
Ihren Lehens- und Kriegsherren, den Grafen von Freiburg (Verschied.
Urkunden in der oberhein. Zeitschr. IX, 225. Schon 1292
hatte Dietericus Snewelin de Brigurgo für 1000 Mark Silbers
(damals eine sehr bedeutende Summe) wettingische Güter im
Breisgaue erkauft. Daselbst IV, 234. Den schnewelinschen
Reichtum zeigen aber besonders die Urk. Von 1291, 1318 und
1323 bei Schreiber I, 117, 225 und 248, und der Teilungs-
brief von 1465 im Landecker Copeibuch, Nr. 9),
und anderen Großen halfen die Schnewelin mit ihrem Gelde aus —
gewiß nicht ohne schönen Gewinn; denn in allen Teilen des
gesegneten Breisgauer Landes erwarben sie Burgen und Säßhäuser
mit zugehörigen Dörfern und Höfen. So namentlich die Vesten
Wiseneck und Weiler im Zartener Tal, die wilde Schnewburg hinter
Oberried, das Weierschloß Schnewfelden bei Emmendingen, die
Doppelveste Landeck hinter Mundingen, die Burgen Kranznau am
Kaiserstuhl und Birkenberg zu hinterst im Tale von
Fttenheimmünster, die Wasserhäuser zu Ebnet, Krozingen und
Mengen, ja selbst auf längere Zeit die zährin- gische Stammburg
(Anno 1327 castrum Zäringen cum
pago Conradus comes friburgensis vendidit cuidam nobili de
familia Schnewelin dicto Baernlappe, praetori friburgensi.
P. Baumeister, de castro Zäringen. Handschr. Noch 1536 hatte
Christoph Schnewelin von Landeck Anteil an Zähringen).
Und hatte es in der alten Grafenzeit von Freiburg schon meh-
rere Schnewelinschen Äste gegeben, so zählte das Geschlecht im
15. und folgenden Jahrhundert nicht weniger als vierzehn
verschiedene Zweige (Gerbert, hist. S.n.
I. 112. Schreiber, Gesch. v. Freib. I, 50).
Aber nicht bloß als die reichsten Edelleute im Breisgau
erschienen die Schnewelin, man lernte sie daneben auch als die
bösesten Buben der ganzen Landschaft kennen. Wie frech es
dieselben zu treiben wagten, haben sie am sprechendsten als
Schutzvögte der Klöster St. Wilhelm und St. Märgen
gezeigt.
Das Wilhelmiter Klösterlein zu Oberried war 1235 gestiftet und
mit ansehnlichem Grunde und Boden in dortiger Gegend gewidmet
worden. Nachdem aber der kolmannische Ast der Schnewelin die
Schirmvogtei darüber erworben und auf der be- nachbarten Höhe
(wohl bei einem alten Römerturm) die Schnewburg erbaut, wollte
die junge geistliche Pflanzung nicht mehr gedeihen; denn die
Vögte saugten die Klosterleute aus und trieben von ihrer Veste
herab schmählichen Straßenraub (Mone, Quell. Zur
bad. Geschichte I, 196. P. Eichhorn, Geschichte des Klosters
Oberried. Handschr).
Dieses Unwesen wurde so arg, daß es die Freiburger nicht mehr
länger gedulden wollten. Im Jahre 1314 zogen sie bewaff- net
aus, erstiegen das Raubnest, brannten es nieder und führten den
Burgherrn gefangen hinweg (Schreiber, Gesch.
von Freib. I, 102. In einer Urk. Von 1292 erscheint Johann
Snewelin der jung, Vogt zu Oberried. Derselbe und sein
Bruder Walther verkaufen 1317 an das dortige Kloster ihre
Güter im Geroldstal und Ferlinsbach „ohne die Burg, der man
spricht die wilde Snewesburg“. Dieses Felsennest lag im St.
Wilhelmer Tal, am westlichen Abhange des Hochfarren, über
dem „Gefäll“, und unweit von dem „Frauenstein“).
Seither liegt die Veste als „wilde Schneeburg“ in ihren
Trümmern.
Das war aber gleichsam nur ein kleines Vorspiel zu der langen
Tragödie, welche die Schnewelin vom wiseneckischen Aste mit den
Mönchen von St. Märgen aufzuführen wagten. Übermütiger,
rachesüchtiger und gewalttätiger läßt sich kaum etwas denken,
als hier das unritterliche Treiben dieser adeligen
Emporkömmlinge war.
Zum Unglück für das Gotteshaus St. Märgen hatte der Graf von
Hohenberg 1293 „die Burg und Herrschaft Wisenecke in Zartental
und die Vogteie über das Kloster ze sante Marienzelle mit Lüten
und Gütern, Gerichten und Rechten und Gewohnheiten an Holz und
Feld, an Äckern, Reben und Matten, an Was- sern und Fischenzen“,
schuldenhalber an den freiburgischen Pa- trizier Turner
verkaufen müssen. Von diesem aber ging dieselbe schon 1319 an
die schnewelinsche Familie über, und nun began- nen deren
Feindseligkeiten gegen das Kloster — gleich von vornherein mit
einer offenbaren Gewalttat und Rechtsverletzung.
Urkundlich waren, wie bei den meisten Gotteshäusern, auch bei
St. Märgen die s. g. Sal- oder Stiftungsgüter von aller welt-
lichen Vogtei befreit und nur die lehen- oder erbweise vergebe-
nen Besitzungen der Gewalt des Schirmvogtes unterworfen. Hieran
kehrte sich Johann Schnewelin, der Herr von Wiseneck, jedoch
wenig und erhob auch von den Salgütern die gewöhn- liche
Vogtsteuer und andere Abgaben, was sofort zu einem giftigen
Rechtsstreit führte.
Nun legten sich die Sippen des Vogtes, namentlich der freibur-
gische Schuldheiß Schnewelin und dessen Bruder, „der Gresser“,
ins Mittel, und der Abt Dietmar, in gutem Glauben an deren
billige und edelmännische Rechtlichkeit, ließ sich herbei, auf
ihren Scheidspruch zu kompromittieren. Da dieser Spruch jedoch
ganz parteiisch zu Gunsten Johanns ausfiel, so wurde er vom
Kloster entschieden zurückgewiesen und vom Papste für ungültig
erklärt.
Das aber war Öl ins Feuer gegossen. Der Wisenecker hielt fest an
dem erschlichenen Spruche, und als die Mönche sich nicht fügen
wollten, griff er gewalttätig zu, vertrieb sie aus dem Kloster,
eignete sich kirchenräuberisch ihre fahrende Habe an und
schaltete mit den Klostergütern nach Laune und Willkür.
Die „armen Leute“, welche im sanktmärgischen Gebiete sa- Ben,
wurden mit unerschwinglichen Steuern und Abgaben belegt und
zogen daher häufig hinweg, wodurch die Güter großenteils
unbebaut blieben und verwilderten. Das Klostergebäude aber lag
jahrelang so verödet, daß es in Zerfall geriet, daß „in der
Kirche, im Chore, um den Hochaltar das Unkraut dicht
emporwucherte, und Spinnen, Kröten und Nattern ihre Nester darin
fanden.
Dieser jammervolle Zustand seines Nachbarstiftes ging dem Abte
von St. Peter so zu Herzen, daß er sich deswegen in einem
beredten Schreiben nach Avignon an den heiligen Vater wende- te.
Seine Sprache hatte die Wirkung, daß Johann XXII. dem Bi- schofe
von Konstanz befahl, den Schnewelin und seine Gesellen mit dem
Banne zu belegen.
Gleichwohl erlag Abt Dietmar den Folgen der erlittenen
Bedrängnis. Aber auch Herr Johann starb, und dessen Vettern zu
Freiburg suchten seine Schuld durch eine reichliche Gottesgabe
an das mißhandelte Kloster zu sühnen (Der
Ritter Schnewelin von Wiseneck, Bürgermeister zu Freiburg,
ver- macht dem Kloster zum Seelenheile seiner Vordern den
Kirchensaz zu Haslach. Urkunde von 1329).
Inzwischen hatten sich die vertriebenen Mönche wieder nach St.
Märgen zurückbegeben, und der neue Abt Johann bemühte sich
eifrigst, den Gottesdienst und die Klosterwirtschaft wieder
herzustellen. Und es schien, als wolle ihn der junge Vogt, Herrn
Johanns gleichnamiger Sohn, darin pflichtgemäß unterstützen;
denn er erlaubte dem Kloster, eine zehnjährige Anleihe zu erhe-
ben, um sich damit wieder aufzuhelfen.
Der Apfel war aber nicht weit vom Baume gefallen. Als das
Kloster die ihm entrissenen Güter und Gilten ernstlich wieder
zurückzufordern begann, erhob der Vogt neue Feindschaft gegen
dasselbe, neuen gehässigen Streit und Hader. Denn hatte der
Vater seine rechtswidrigen Ansprüche durch einen erschlichenen
Schiedspruch rechtfertigen wollen, so suchte der Sohn seine An-
maßungen durch die gewaltsame Erpressung eines Vertrages zu
sanktionieren.
Eines Tages überfielen die Gesellen des jungen Schnewelin
bewaffnet das Kloster, nahmen den Abt und etliche Konvents-
herren gefangen und führten sie nach Wiseneck in Verwahr. Hier
nun suchte ihnen der Vogt dasjenige abzudringen, was er
wünschte. Die Gefangenen blieben aber standhaft, und weil’s ihm
lästig fiel, dieselben noch längere Zeit zu füttern, so wurden
sie nach etlichen Monaten, gegen Abschwörung einer Urfehde,
wieder auf freien Fuß gestellt.
Dieses Verfahren war ebenso töricht wie gewalttätig; denn die
Mönche ließen sich ihres Eides entbinden und brachten ihren
Verfolger mit seinen Helfern in den Kirchenbann, „bis er zum
Kreuze kriechen werde“. Alle Sonntage verlasen die Pfarrer den
Bannbrief von der Kanzel und verboten den Gemeinden allen Umgang
mit den gebannten Frevlern.
Jahre gingen darüber hin und ein neuer Kirchenbann drohte allen
denen, welche sich weigern würden, dem Stifte St. Märgen die
geraubten Güter zurückzugeben. Da wirkte der Bannstrahl endlich
— Herr Johann kroch zum Kreuze. Er unterwarf sich dem Spruche
eines Schiedsgerichtes und leistete dem Kloster eine
befriedigende Entschädigung, worauf ihn der Bischof wieder aus
dem Banne tat.
Nicht lange jedoch währte es und neue Irrungen erhoben sich
zwischen Kloster und Schirmvogt, gerade während des erbitter-
ten Freiburger Krieges, welcher sieben Jahre lang das
breisgauische Volk in Verwirrung und Jammer versetzte. Und bis
zum Meuchelmorde kam es diesmal; denn eines Tages 1355 wurde Abt
Konrad bei Ebnet erschlagen (Alles nach den
Urkunden des ehemal. Kl. St. Märgen von 1293, 1320, 1322,
1332, 1341, 1346, 1348, 1353, 1360, 1363, 1364, 1366, 1370
und 1372. Vergl. auch Petri Suev. sacra, 236, und Kolbs
Lexicon von Baden II, 145).
Damit endigte der 40jährige Hader. Es geschah 1372 eine voll-
kommene Ausgleichung zwischen den St. Märgenern und der
Schnewelinschen Familie. Hierauf ging 1383 die Klostervogtei aus
deren Hand an die Herren von Blumeneck über; aber das Gotteshaus
war in Zucht und Wirtschaft jämmerlich zerrüttet und fristete
sein Dasein kein Jahrhundert mehr.
Im Jahre 1463 verkaufte Abt Johann V. die sanktmärgischen
Klostergüter an die Stadt Freiburg und zog sich mit dem Reste
seines Konventes in das dortige Klösterlein Allerheiligen
zurück. Erst 1725, nach langen Bemühungen, wurde die Abtei St.
Märgen wieder hergestellt.
Aber nicht allein die alte Stiftung der Hohenberger ging an den
Schnewelin zugrunde, auch die Ritterfamilie von Falkenstein
wurde durch diese adeligen „Ruechen“ allmählich aufge- zehrt.
Ein Stück Gutes nach dem anderen drückten sie derselben ab, bis
die verschuldeten Junker so weit herabkamen, daß Wegelagerei und
Straßenraub ihr Handwerk wurden, wie sie solche ehedem selber
getrieben.
Als um die Mitte des 15. Jahrhunderts die letzten Sprößlinge des
uralten falkensteinischen Edelgeschlechtes in ärmlicher
Dunkelheit verschwanden, hieß Johann Schnewelin von Landeck zu
Wiseneck der „Herr des Kirchzartener Tales“, und hinterließ
seinen Nachkommen noch außerdem die landecki- schen Dörfer mit
dem Glotter- und Föhrentale (Mone, Quellensamml.
I, 243. Ein schnewelinschere Zinsberein von 1446 bis 1463,
und der Teilungsbrief von 1465 zählen auf 1) die Herrschaft
Wiseneck, 2) das Kirchspiel Breitnau, 3) die Falkensteig mit
dem Zoll- und Wildbann, 4) das Dorf Ebnet und verschied.
Güter und Zinse zu Littenweiler, Kirchzarten, Geroldstal,
Dietenbach ezc., 5) die Herrschaft Landeck, 6) das Glotter-
und Föhrental, 7) die Dörfer und Höfe in der Mark, 8) Höfe,
Güter und Zinsen zu Vörstetten, Denzlinbgen, Krozingen,
Biengen, Gottenheim, Waltershofen, Horben, Weilersbach etc).
Die Burg Landeck mit ihren Zubehörten war inzwischen durch
Auftragung ein badisches, und die Veste Wiseneck mit ihrer
Herrschaft ein österreichisches Lehen geworden. Dieser
schnewelinsche Zweig erlosch aber 1603 und seine reiche
Verlassenschaft gelangte durch eine Erbtochter an die Freiherren
von Sickingen (Anna, Tochter des Hanns Jacob von
Landeck, vermählt mit Friderich v. S. Gerbert, histor.
S. n. Il, 229), welche nun neben der Stadt
Freiburg die bedeutendsten Grundherren des Dreisamtales
waren.
Auch die übrigen schnewelinschen Zweige dorrten nach einan- der
ab, und 1833 erlosch das ganze Geschlecht mit einem kinderlosen
Zwergen. Es war der Freiherr Franz Xaver Schnei- ling Bernlapp
(wie er sich selber schrieb) zu Bollschweil, welcher noch dieses
altschnewelinsche Lehen besaß, dessen Be- standteile die
Dörflein Bollschweil, Sölden, Bietzighofen, Au und Wittnau im
Hexentale bildeten (Lehenrevers von 30.
April 1825).
Über sechs Jahrhunderte lang waren also die Schnewelin aufs
engste in die breisgauische Geschichte verflochten. Wir wollen
glauben, daß ihr löblicheres Wirken, namentlich zu Freiburg in
den ersten städtischen Ämtern, und ihre stillen Verdienste durch
so viele Geschlechter herab, ein Gewicht in die andere Wag-
schale legten, welches jene Verirrungen, Gewalttaten und Sünden,
wovon ich hier ein kleines Bild entworfen, wohl großenteils
wieder aufwiegen mochte.