Die
Baldenweger Villa in Wittental – ein Haus mit
bewegter Geschichte
Elke Kamprad
Badische Zeitung Sa, 10. Apr 2021
Einst Tuberkulose-Heim, dann Erholungsort für Mütter und Kinder:
Hinter der Villa in Wittental verbirgt sich eine bewegte
Geschichte, in der auch die NSDAP eine wichtige Rolle spielte.
Fritz Schueler van Krieken kaufte 1910 das landwirtschaftliche Gut
Baldenweger Hof im Dreisamtal und ließ sich ein Jahr später auf
dem Anwesen eine herrschaftliche Villa bauen. Van Krieken stammte
aus einer vermögenden deutsch-niederländischen Familie und war
während des Ersten Weltkriegs Major in der Türkei, 1915 bis 1916
Beobachter in der Feldfliegerabteilung 23. Zu seinen
Kriegskameraden gehörte auch Carl Gayling von Altheim auf Schloss
Ebnet, Offizier im ersten Garde-Dragoner-Regiment.
Man kam sich näher. So nahe, dass sich Carl von Gaylings Gattin
Ada scheiden ließ und Fritz van Krieken heiratete. Der Umzug 1922
von Ebnet nach Wittental war wahrlich nicht weit. Van Krieken
sympathisierte mit der nationalsozialistischen Bewegung und
versteckte Hermann Göring in seiner Villa in Partenkirchen, als
dieser 1923 nach dem missglückten Hitlerputsch gegen die Weimarer
Republik aus München floh.
Drei Jahre später trat van Krieken in die NSDAP ein. Zudem sei er
"erster Finanzier von Adolf Hitler geworden und in jeder Hinsicht
sogar stilistisches Vorbild für den späteren Führer", erinnert
sich Nikolas von Gayling-Westphal in einem Blog-Interview an die
Geschichten, die im Schloss Ebnet früher erzählt wurden. Von
Gayling ist Adas Enkel und Nachfahre aus erster Ehe.
Von Spielsucht und Rauschgift ist die Rede
Nur 15 Jahre lang gehörte van Krieken das Wittentaler Anwesen.
Wegen hoher Schulden verkaufte er es wieder. Spielsucht und
Rauschgift seien im Spiel gewesen, sagt Klaus Kiesel vom
ehemaligen Heimatgeschichtlichen Arbeitskreis Stegen. Er ist einer
jener Hobbyhistoriker, die sich akribisch mit der Geschichte des
Dreisamtals beschäftigt und zahlreiche Archive durchforstet haben.
Vielleicht habe van Krieken auch schmerzstillendes Morphium wegen
einer Kriegsverletzung eingenommen. Der Gehstock, den van Krieken
auf einem Foto bei sich hat, könnte darauf hindeuten, meint
Kiesel.
Wie auch immer, van Kriekens Lebenswandel geriet aus den Fugen, ab
1934 findet man ihn im Glotterbad in Kur. Als seine Ehe 1936
geschieden wird, lebt seine Frau Ada in München und er selbst
stirbt kurz darauf in Freiburg. Im Staatsarchiv Freiburg liegt van
Kriekens Testament. Er vermacht General Göring "die drei ganz
großen Schwerter". Dem Führer, dem seine "letzten Gedanken
gehören", vererbt er seine Bücher. Seinen Angehörigen untersagt er
jegliche Beteiligung an der Beisetzung, fordert aber gleichzeitig,
dass die Familie seine Außenstände regulieren solle. Doch das
braucht sie nicht. Hitler weist die NSDAP an, die Schulden zu
übernehmen.
Sprung zurück: Zehn Jahre vor seinem Tod hatte van Krieken seine
Wittentaler Villa an die Heiliggeistspitalstiftung verkauft, die
sie wiederum der Stadt Freiburg für ein Männer-Tuberkuloseheim
verpachtete. Die Universität Freiburg begutachtete das Haus als
"außerordentlich gut geeignet, (...) durch den Gebirgshang gegen
raue Winde geschützt, die Luft ist rein. Die Höhenlage genügend
und überwiegend nebelfrei. Höchste Anmut der nächsten Umgebung,
absolute Ruhe, natürliche Wiesen und Waldterrassen bieten ideale
Gelegenheiten für Liegekuren im Freien". Die hinzugebaute
Liegehalle ist bis heute deutlich zu erkennen.
Ab 1934 diente die Villa dann der Nationalsozialistischen
Wohlfahrt als Muttererholungsheim und für erholungsbedürftige
Kinder aus dem Ruhrgebiet. Zeitgleich mit den 30 Kindern im Alter
zwischen zehn und vierzehn Jahren waren später die Kreisleitung
der NSDAP und Militärs der Aufklärungsflieger im Hause
untergebracht.
Ab 1939 hatte man nämlich auf den Weidewiesen vor der Villa einen
Flugplatz angelegt, weiß Hobbyhistoriker Oskar Steinhart.
Die Arbeitsdienstler waren in Kirchzarten in einer Baracke
untergebracht und kamen täglich mit Schaufeln und Handkarren nach
Wittental. Sie ebneten das Gelände ein, schütteten Bachläufe zu,
verlegten Stromleitungen unter die Erde und pflanzten zur
Befestigung der weichen Wiesen Binsengräser ein. Von Wittental aus
starteten die Flugzeuge zur Aufklärung nach Frankreich.
Wie Soldaten und Kinder zusammen in einem Haus lebten, wissen wir
von einer jungen Hauswirtschaftsanwärterin, die dort vier Jahre
lang mitarbeitete. Einst ließ sie Klaus Kiesel einen
handgeschriebenen - anonymen - Bericht mit ihren Erinnerungen
zukommen. "Was mich betrifft, hatte ich eine Unmenge Arbeit",
schrieb sie, "keine Küchenmaschine, keine Waschmaschine, keine
Weckgläser, keinen Elektroherd." Für den Gemüseanbau gab es einen
Hektar Ackerland. "Aber nicht nur wir freuten uns über den Ertrag
– auch die Wildschweine, die machten ganze Sache."
Die junge Hauswirtschafterin nahm kein Blatt vor den Mund
Während Freiburg bereits in Schutt und Asche lag und die Frauen
trotz Tiefflieger für Brot zu Fuß nach Kirchzarten gingen, kamen
die "Hausgäste alle von Freiburg her mit tollen Autos". Die
Militärs lagerten im Keller der Villa "zirka 200 Rot- und
Weißweinflaschen und große Kartons mit Sekt". Die junge
Hauswirtschafterin nahm wohl kein Blatt vor den Mund: "Auf alle
Fälle waren diese Schweine alle Tage reichlich voll bis oben."
Der Frau drohte man mit Verhaftung, so dass sie Wittental ganz
schnell für immer verließ. Die Kinder brachte man in den
Hochschwarzwald.
Nach dem Krieg ging das Anwesen an den Staat und später an das
Land Baden-Württemberg. Seither wird dort meteorologisch, land-
und forstwirtschaftlich geforscht. Seit 1987 durch die Universität
Freiburg.