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TARODUNUM 
Auf der Suche nach den Vorfahren
aus:  Heimat ım Bild 
Kirchzarten 
Ein Streifzug durch Geschichte und Gegenwart
mit Klaus-Jörg Ruhl 
SCHONBERGVERLAG  1985



»Im Namen Gottes! Ich, Drutpert, bin eingedenk der Lehre des Herren...«
Mit diesen Worten beginnt die älteste Urkunde über Kirchzarten. Sie besagt, daß am 25.2.765 ein gewisser Drutpert seinen Besitz an das Kloster St.Gallen verschenkte. 


TARODUNUM 
Auf der Suche nach den Vorfahren
An einem Septembertag des Jahres 1901 stieg am Bahnhof Himmelreich ein Professor mit seinen Studenten aus dem Zug, der von Freiburg kam. Ihr Ziel war nicht das Höllental, auch nicht eine andere geologisch interessante Stelle, was man aus der Ausrüstung der Studenten, die Schaufeln und Spitzhacken trugen, hätte schließen können, sondern der nur wenige hundert Schritte entfernte »Heidengraben«, eine Geländeerhebung, die sich östlich des Rainhofs in einer Länge von 700 Metern durch die Felder zum Gasthaus »Schlüssel« hinzieht. Dort, wo der »Heidengraben« einen leichten Knick nach Osten erfährt, begannen die Studenten unter Anleitung des Althistorikers Ernst Fabricius vorsichtig zu graben.

Schon bald wurden sie fündig: Scherben und eiserne Nägel kamen zum Vorschein, dann eine Toranlage mit Befestigungsmauern. In den Ecken des Durchgangs waren noch deutlich die Pfannen zu erkennen, in denen sich die Torflügel gedreht hatten. Die Mauer beiderseits der Toranlage war aus mächtigen Steinblöcken. Vor der Mauer entdeckten die Forscher einen bis zu 12 m breiten und 4 m tiefen Graben, der nur im Torbereich unterbrochen war.

Der Professor war zufrieden, er hatte gefunden, wonach er suchte. Schon nach wenigen Tagen wurden die Grabungen eingestellt. Scherben wurden in Kartons verstaut und die Grabungsstelle zugeschüttet, damit der Bauer seinen Acker bestellen konnte. Nicht ohne Stolz erklärte Ernst Fabricius am 30. September 1901 den Teilnehmern einer Philologenversammlung in Straßburg: »Das Tarodunum des Ptolemaios ist gefunden«.

Generationen von Gelehrten hatte der ägyptische Geograph Ptolemaios schlaflose Nächte bereitet. Zwar hatte der fleißige Ptolemaios in seiner um 150 n. Chr. erschienenen Länderkunde mehrere tausend Ortsnamen, darunter die Polis Tarodunon, die Stadt Tarodunum, aufgeführt, aber zur Lokalisierung der Orte waren die mitgelieferten Längen- und Breitenangaben wenig hilfreich.
  
Soviel ließ sich jedoch den Angaben des ägyptischen Geographen entnehmen: Tarodunum mußte irgendwo in der Nähe von Freiburg liegen. Es war dann der Naturforscher Lorenz Oken, der 1815 die Örtlichkeit Tarodunums weiter eingrenzen konnte. Er kam auf die geniale Idee, Tarodunum in sprachgeschichtlichen Zusammenhang mit Zarten zu bringen und mit Zarduna, wie Zarten im Mittelalter hieß. Tarodunum —- Zarduna — Zarten: das schien die Lösung. Den Beweis, wo Tarodunum nun tatsächlich lag, erbrachten aber erst die Grabungen des Freiburger Forscherteams.

Eine uneinnehmbare Festung
Die Kelten hatten in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten ihren Machtbereich über Mitteleuropa bis in die Poebene und den Balkan und nach Norden bis zu den Britischen Inseln ausgedehnt. Sie bildeten eine hochstehende Zivilisation. Ihre goldenen Fibeln und ihre reich verzierte Keramik waren in ganz Europa begeht. Gefürchtet waren ihre Krieger, die mit Todesverachtung kämpften. Ihre zahllosen Götter, von denen Teutates der bedeutendste war, verehrten sie in heiligen Hainen, umzäunten Kultstätten, wo sie den Göttern Opfer, auch Menschenopfer, darbrachten. Ihr Brauch, Opfergaben in Strohgeflechten zu verbrennen, hat sich bis auf den heutigen Tag in der Verbrennung von Strohpuppen zur Fasnachtszeit erhalten.

Die Kelten glaubten an die Seelenwanderung. Ihre Toten bestatteten sie in Holzsärgen, für wichtige Persönlichkeiten errichteten sie Grabkammern. Nach Vertreibung der Stammeskönige wurden die Kelten von Adeligen geführt, die ihre Macht auf freie Bauern und Sklaven stützten, über die sie eine Art Schutzherrschaft ausübten. Einen hervorragenden Platz nahmen die Druiden in der keltischen Gesellschaft ein. Sie waren keine Priester im heute üblichen Sinn, sondern Richter und Wahrsager und dann vor allem Bewahrer und Lehrer der keltischen Tradition.

Bauern und Adelige wohnten auf weitverstreut liegenden Gehöften, die sehr geräumig waren: aus Brettern und Weidengeflecht hergestellt, kuppelförmig und mit einem hohen Dach. Handwerker und Händler hatten ihre Unterkünfte in Marktorten, die an wichtigen Straßenverbindungen lagen. Bei Kriegsgefahr fanden Bauern mit ihrem Vieh, Handwerker, Krieger und Adelige Schutz hinter Wehranlagen. Eine solche Wehranlage, die zugleich auch als Siedlung diente, war Tarodunum, die von keltischen Festungsspezialisten im Bereich des Zusammenflusses von Wagensteigbach und Rotbach errichtet worden war.

Das Gelände war günstig. Die Wasserläufe hatten aus dem Talboden eine Hochfläche mit einer bis zu 15 m steilen Böschung modelliert. Die natürliche Böschung war von vornherein gut zu verteidigen. Ihre Erhöhung durch eine Mauer, die zur Innenseite hin durch Erdanhäufung verstärkt und gegen Einsturz gesichert wurde, machte die Wehranlage für damalige Verhältnisse uneinnehmbar. Der Zugang befand sich auf der Seite, die einem von Westen zu erwartenden Angriff abgewandt war. Hier, wo jeder natürliche Schutz fehlte, war die Befestigung besonders stark und sorgfältig ausgeführt.

Den besten Überblick über die Keltensiedlung gewinnt man vom Frauensteig aus, der hinter dem Bahnhof Himmelreich steil ansteigt. Von hier oben aus, in 770 m Höhe, kann man die gewaltigen Dimensionen des ummauerten Areals erst richtig erfassen. Die Wehranlage nimmt etwa das Dreieck ein, das gebildet wird von der Bundesstraße (Höllentalstraße), der am Fuß des Frauensteig entlangführenden Landstraße nach Buchenbach und der Straßenverbindung zwischen Buchenbach und Burg-am-Wald, die man sich über Burg-am-Wald hinaus bis zur Verbindungsstraße Kirchzarten - Stegen verlängert denken muß.

Eine 6 Kilometer lange Mauer umschloß ein Gebiet von 190 Hektar. Mauerteile sind noch heute an vielen Stellen auszumachen, im Bereich des Birkenhofs sind sie am besten erhalten, während der »Heidengraben«, die östliche Begrenzung, nur als leichte Bodenwelle in der Flur zu erkennen ist. Ein solch riesiges Areal war nicht ausschließlich mit Gebäuden, wie wir es von mittelalterlichen Städten kennen, bebaut. Vielmehr gab es neben der eigentlichen Siedlung noch weite Flächen, die agrarisch genutzt wurden, was in allen keltischen Wehranlagen der Fall war, die zum Teil noch großzügiger als Tarodunum angelegt waren.

Drutpert verschenkt seinen Besitz
Im letzten vorchristlichen Jahrhundert brach die Herrschaft der Kelten in Mitteleuropa unter den Angriffen germanischer Völkerschaften aus dem Norden zusammen. Langsam setzten sich die Kelten nach Süden ab, Tarodunum und das Dreisamtal verwaisten. Es war Julius Cäsar, der mit seinem Sieg über Ariovist bei Mühlhausen im Elsaß 58 v. Chr. die Germanen aufhielt und zurückdrängte. Die Kelten konnten wieder in ihre Siedlungsgebiete zurückkehren. Von jetzt ab standen sie aber unter römischer Verwaltung.

Recht unproblematisch war das Zusammenleben zwischen Römern und Kelten. Römer ließen sich auch im Dreisamtal nieder. Bei Grabungen an der Westspitze Tarodunums, beim Brandenburger Hof, wurden 1936 die Grundmauern römischer Häuser und eine römische Straße entdeckt. Möglicherweise waren es Landhäuser, vielleicht auch eine Poststation an der West-Ost-Verbindung zwischen den Kastellen Breisach am Rhein und Hüfingen jenseits des Schwarzwaldes.

Mit der Zeit konnten auch die Römer dem germanischen Druck nicht widerstehen. Im 4. nachchristlichen Jahrhundert brachen ihre Verteidigungslinien zusammen. Alemannen und Franken fluteten ins ehemals römisch verwaltete Gebiet. Die Alemannen eroberten sich einen Herrschaftsbereich, der vom Main bis an die Alpen und von den Vogesen bis an den Lech reichte, bis sie dann selbst von fränkischen Königen besiegt und ihr Gebiet in den fränkischen Zentralstaat eingegliedert wurde.

Die Alemannen teilten ihr Territorium in Gaue auf. Für unser Gebiet war das der Breisgau. Sie lebten und siedelten in kleinen Gruppen unter Führung eines Adeligen. Im Dreisamtal gründeten sie in einiger Entfernung von Tarodunum die Siedlungen Zarduna (Zarten) und Burg. Der Name Zarduna leitet sich, wie wir bereits wissen, von Tarodunum ab, und mit Burg bezeichneten die Alemannen Siedlungen in der Nähe römischer Mauerbauten.

Im 8. Jahrhundert zwangen die Franken auch das rechtsrheinische Gebiet unter ihre Kontrolle. Sie benahmen sich dabei wie jede andere siegreiche Macht: Sie entmachteten die alte Führungsschicht und verordneten eine neue staatliche Ordnung. Schließlich gingen die fränkischen Statthalter dazu über, Güter zu konfiszieren. Um der Enteignung zu entgehen, schenkte der alemannische Adel seinen Besitz dem Kloster St.Gallen. Im Dreisamtal tat das auch ein gewisser Drutpert:
»Ich, Drutpert, schenke und übergebe in dem Dorf, das Zarduna genannt wird, meinen Hörigennamens Waldkozo mit seiner Mutter und drei anderen Leibeigenen, mit seinem Hofgut und mit allem seinen Besitz, mit dem er ausgestattet ist; ich übergebe ferner in der Mark Zarten Felder, Wälder, Wiesen, Weiden, Wege, Wasserläufe zusammen mit dem oben beschriebenen Besitz dem Kloster des heiligen Gallus, das im Arbongau errichtet wurde, wo die sterblichen Überreste des Heiligen ruhen«. 
Das war im Jahre 765. 

Durch die Schenkungen wurde das Kloster St.Gallen zu einem der größten Landbesitzer im alemannischen Raum. Hinter der Spendenaktion verbirgt sich jedoch eine der größten Manipulationen des Mittelalters. Denn das Kloster gab seine Neuerwerbungen alsbald wieder als Lehen ab, und zwar an die alten Besitzer. Auch Drutpert konnte sein Gut behalten.