Neues zu Tarodunum
Gemeinde Kirchzarten, Kreis Breisgau-Hochschwarzwald
Rolf Dehn, H. Wagner, G. Weber
aus: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1987, Seiten 85-88 - Theiss Verlag
Östlich von Freiburg schneidet das Dreisamtal tief in den Schwarzwald
ein. Die Quellflüsse der Dreisam, Wagensteigbach und Rotbach‚ haben im
O des Talbeckens aus einer diluvialen Terrasse ein Areal in Form eines
langgezogenen Dreiecks mit bis zu 15 m hohen Böschungen
herausmodelliert. Dieses Dreieck wird von einer Befestigungsanlage
eingenommen, die mit über 6 km Länge und knapp 200 ha Flächeninhalt zu
den größten im Regierungsbezirk Freiburg gehört. Schon seit über 150
Jahren wird diese Anlage mit dem von Ptolemaios für eine spätkeltische
Stadtanlage überlieferten Namen Tarodunum verbunden,
der sich in dem Ortsnamen Zarten (erste Erwähnung 765 n. Chr. als
Zarduna) bis heute erhalten hat. Die Lage der Befestigung und
Ergebnisse einer 1901 von E. Fabricius vorgenommenen Ausgrabung in der
Mitte des nach Osten die Befestigung abschließenden »Heidengrabens«
bestätigten diese Annahme. Denn neben wenigen in die Spätlatenezeit zu
datierenden Keramikresten fanden sich mehrere ca. 0,20 m lange
vierkantige Nägel, die in dieser Art nur von spätkeltischen
Befestigungsanlagen des von Caesar überlieferten »murus gallicus«
bekannt sind. Es verwunderte nur, daß trotz intensiver Suche auch
mittels der Luftbildarchäologie bisher innerhalb der Befestigung sich
die Reste der anzunehmenden Großsiedlung nicht finden lassen wollten.
Massive Eingriffe in die Substanz dieser eindrucksvollen Anlage, die
sich auch trotz Eintragung in das Denkmalbuch von der amtlichen
Denkmalpflege nicht verhindern ließen, haben dieses Bild nicht
verändern können. Als letzte Maßnahme ist hier die Führung der neuen B
31 Ost im Dreisamtal zu nennen, die in voller Länge die
Befestigungsanlage schneidet. Da die Trassenführung auch das S-Ende des
Heidengrabens berührte, wurde hier eine Grabung notwendig, die von Ende
März bis Ende April 1987 auf Kosten des Bauträgers durchgeführt wurde.
Dem Straßenbauamt Freiburg sei an dieser Stelle für die gute
Zusammenarbeit gedankt.
In der Mitte des 6 m breiten und 25 m langen Grabungsschnittes wurde
auf 4,5 m Breite die Frontmauer der Befestigung freigelegt, die, in
Trockenmauertechnik aus großen Gneisblöcken gesetzt, noch in drei Lagen
erhalten war (Abb. 60). Nach Süden brach die Mauer abrupt ab, ohne daß
sich hier ein Durchgang oder ein Tor nachweisen ließ. Diese Mauer, die
keine deutliche Rückfront zeigte, war unmittelbar auf die alte
Oberfläche gesetzt, die sich unter der Wallanlage als ein dunkles, von
Eisenausfällungen begleitetes Band nachweisen ließ. Hinter der
Frontmauer lagen der alten Oberfläche 0,60 m hellen Lehms auf. An der
Oberkante dieses Lehms fanden sich schräg im Boden steckend vier
Eisennägel, die ein exaktes Rechteck von 2,5 m Breite und 1,6 m Tiefe
bildeten. Weiter nach innen schlossen sich schräg zur Frontmauer
ansteigende Schüttungsschichten an. Ein sicherer Graben ließ sich vor
der Mauerkonstruktion nicht nachweisen.
Der Befund läßt sich als eine Variante des »murus gallicus<<
ansprechen, bei der ein schmales Holzrahmenwerk, dessen Eckpunkte
genagelt waren, die Mauerfront stützte. Auffallend ist, daß dieses
Rahmenwerk erst in einer bestimmten Höhe beginnt. Unklar bleibt auch,
ob - wie beim klassischen »murus gallicus« üblich
- die Balkenköpfe in der Mauerfront sichtbar waren. Es hat hier eher vom Befund her den Anschein, als ob die Balken an oder in der Mauerrückseite endeten. .
Abb. 60 Kirchzarten. Ansicht der Frontmauer von außen
Abb. 61 Kirchzarten. Topographie von Siedlung und Befestigung der Spätlatänezeit
Da auch diese umfangreiche Baumaßnahme keinerlei Siedlungsreste
innerhalb der Anlage ergab, war es naheliegend, siedlungsgünstige
Flächen außerhalb der Befestigungsanlage zu begehen, in der Hoffnung,
so zugehörige Siedlungsreste zu finden. Knapp 1 km westlich der
Befestigung fand sich ein spätlatenezeitliches Siedlungsareal, das sich
mit einer aufgrund von Oberflächenfunden ablesbaren Größe von
mindestens 6, möglicherweise auch 10 ha den spätlatenezeitlichen
Großsiedlungen von Breisach - Hochstetten und Basel Gasfabrik zur Seite
stellen läßt (Abb. 61). Wenn auch die Erhaltungsbedingungen für
Oberflächenfunde
bei den sehr aggressiven Bodenverhältnissen sehr schlecht sind, so
liegt bis heute doch schon ein Fundmaterial vor, das auch im Ansatz
eine zeitliche Festsetzung innerhalb der Spätlatenezeit möglich zu
machen scheint: Von sieben Münzen sind fünf Potinmünzen vom Typ
Sequaner A, zwei kleine Silbermünzen sind dem Typ der Kreuzmünzen
zuzuordnen.
Über 30 Glasarmringfragmente stellen eine zweite Fundgattung dar, die
sich bei den Bodenverhältnissen gut erhalten hat. Die Ringfragmente
gehören in der Mehrzahl den Typen Haevernick 2 und 3 an. Ausgesprochen
schlecht sind die Erhaltungsbedingungen für Keramik. Neben mehreren
Graphittonfragmenten lassen sich hier noch am ehesten die kleinteilig
zerscherbten Fragmente zahlreicher
87 Amphoren beurteilen. Soweit Rand und Fußbruchstücke eine Zuweisung
erlauben, gehören sie dem Typ Dressel 1 A an. Schon diese kurze
Aufzählung läßt deutlich werden, daß die neu entdeckte Großsiedlung dem
älteren Abschnitt der Spätlatenezeit (D 1) zuzuweisen ist und
gleichzeitig mit den Siedlungen von Breisach-Hochstetten, Basel
Gasfabrik und Ehrenstetten Kegelriß bestanden hat.
Diese neue Siedlung wirft auch die Frage ihres Verhältnisses zur
Befestigungsanlage auf. Die unmittelbare Nachbarschaft von offener
Siedlung und Befestigungsanlage läßt die Vorstellung eines Refugiums
für letztere nicht wahrscheinlich erscheinen. Bei der geringen
Entfernung hätte es sich hier doch eher angeboten, die Siedlung gleich
in der Befestigung anzulegen. Hier bietet sich eher als Modell an, daß
zu einem bestimmten Zeitpunkt des Bestehens der offenen Siedlung sich
ein erhöhtes Schutzbedürfnis entwickelte und daher von dieser Siedlung
aus in unmittelbarer Nachbarschaft an einer von Natur aus besser
geschützten Stelle eine Befestigungsanlage erbaut worden ist. Der oben
angeführte Grabungsbefund legt hier sogar nahe, daß die Anlage nicht
fertiggestellt worden ist und daher eine Verlegung der Siedlung noch
nicht erfolgen konnte. Die für die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts v.
Chr. belegten Gerrnaneneinfälle und der von Caesar überlieferte
Helvetierauszug von 58 v. Chr. können hier einen brauchbaren
Hintergrund für dieses Modell darstellen. Weitere intensive Begehungen
des Zartener Beckens, die inzwischen mehrere kleine spätlatenezeitliche
Siedlungsreste erbracht haben, können hier in Zukunft die
Materialgrundlage für die Lösung dieser Frage liefern.
Rolf Dehn, H. Wagner, G. Weber
Literaturhinweise
F. Fischer, Beiträge zur Kenntnis von Tarodunum. Bad. Fundber. 22, 1962, 37 ff.
G. Fingerlin, Das keltische Oppidum von Tarodunum. Forschungsstand und
Perspektiven, in: K. Schmid (Hrsg.)‚ Kelten und Alamannen im
Dreisamtal. Beiträge zur Geschichte des Zartener Beckens, 1983, 25 ff.