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Seite aus Abt Steyrers
„Diarium” (1.1.1769): Oben kleine Federzeichnung ‚Das
Auge Gottes’ mit der Inschrift Deus ommia cernit
(„Gott sieht alles“). Unten die Liste der
Neujahrsgäste aus dem Dorf St.Peter (GLA, 65/555, S.
103).
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Philipp Jakob Steyrer, von 1749 bis 1795 Abt des
Benediktinerklosters St.Peter auf dem Schwarzwald, hat während
seiner langen Regierungszeit gewissenhaft ein Tagebuch
geführt, von dem allerdings nur die Jahrgänge bis 1772
erhalten sind.1 Auf den überlieferten knapp 4.000
Seiten hält der Abt in flüssigem Latein alltägliche und
besondere Vorkommnisse aus dem Stift St.Peter fest, aber auch
bedeutende politische, militärische, kulturelle und andere
Ereignisse aus Freiburg, aus dem Breisgau, aus der Habsburger
Monarchie und aus dem übrigen Weltgeschehen. Sein Tagebuch ist
damit eine wichtige zeit- und geistesgeschichtliche Quelle für
die Abtei St.Peter und ihre historische Epoche.
Weniger beachtet wurde, dass der Abt neben diesen ‚großen’
Themen auch sehr viele Eintragungen dem Dorfgeschehen in
St.Peter gewidmet hat. Man erfährt hier zwar keine neuen
wichtigen Fakten, die nicht schon durch die Arbeiten des
Heimatforschers Klaus Weber (St.Peter) bekannt wären.2
Aber es ergeben sich schlaglichtartige Einblicke in Szenen und
Vorkommnisse aus dem Alltagsleben des Dorfes vor 250 Jahren,
wie sie aus amtlichen Akten und Protokollen nicht zu gewinnen
sind. Aus seiner persönlichen Sicht- und Erlebnisweise
berichtet Steyrer zum Beispiel von Dorforiginalen seiner Zeit,
aber auch von Familientragödien, von Brandkatastrophen,
Kriminalfällen oder Gespenstergeschichten.
Wenn man die auf das Dorf bezogenen Einträge aus dem
Abts-Diarium herauszieht und im Zusammenhang liest, begibt man
sich auf eine Zeitreise in das St.Peter des 18. Jahrhunderts,
geführt von Philipp Jakob Steyrer, der die Geschicke seines
Dorfes nicht nur entscheidend bestimmt, sondern auch
interessiert beobachtet hat.3 Eine kleine Auswahl
aus diesen Themen soll nun vorgestellt werden. Es ist dies
hier keine Arbeit über Abt Steyrer, sondern der Abt soll durch
sein Tagebuch - allerdings in deutscher Übersetzung — selber
sprechen und erzählen (Abb. 1).
Wegebau
und andere Lasten der Untertanen
Die Untertanen weltlicher wie geistlicher Herrschaften waren
in der damaligen Epoche nicht nur zu Zins- und Ertragsabgaben
an ihre Obrigkeit verpflichtet, sondern auch zu Arbeits- und Dienstleistungen verschiedener Art. In
St.Peter kamen zu den Lasten für das Kloster noch die für die
habsburgische Regierung, da St.Peter zu Vorderösterreich
gehörte.
Eine ungewöhnliche Pflichtübung als österreichische Untertanen
hatten die Einwohner von St.Peter zu erfüllen, als die
österreichische Erzherzogin Marie Antoinette auf ihrer
Brautfahrt von Wien nach Paris am 4. Mai 1770 mit großem Pomp
in Freiburg empfangen wurde, wo man u.a. eine monumentale, vom
berühmten Johann Christian Wentzinger entworfene Ehrenpforte
errichtet und zahlreiche festliche Veranstaltungen vorbereitet
hatte. Und auch St.Peter hatte seinen Beitrag zu dem Ereignis
zu leisten. Vom örtlichen Adel, der Geistlichkeit und den
politischen Repräsentanten wurde erwartet, dass sie Marie
Antoinette ihre Aufwartung machten, und so nahm auch Abt
Steyrer an den Festlichkeiten in Freiburg teil. Das prunkvolle
Treiben beobachtete er kritisch; er rügt im Tagebuch die hohen
Kosten des verschwenderischen Aufwandes, aber auch das
skandalöse Verhalten mancher Ordensleute, die bei den
Ballettaufführungen im Theater (so Steyrer) „o welche Schande,
gierig die tanzenden Mädchen angestarrt haben”. Am Ende dieses
Festtages notiert er in Freiburg: „Am Abend kommt auch unser
Schreiber Schienle [in Freiburg] an, der zusammen mit unseren
Untertanen aus dem Selgut [sic!], Rohr, Espach [Eschbach] und
Ibenthal von ihrem zehnten Lebensjahr an am Weg auf die
Ankunft der Prinzessin in der Höll warten musste [...]
(4.5.1770). — So wie die Bürgerschaft Freiburgs sich in
festlicher Kleidung beiderseits der Straßen der Stadt
aufstellen musste, wurde der ländlichen Bevölkerung befohlen,
am Reiseweg der Marie Antoinette im Höllental eine
Jubelkulisse zu bilden, an der die (übrigens erst
vierzehnjährige) Prinzessin mit ihrem Gefolge von 235
Personen, 57 Wagen, 250 Zug- und Reitpferden vorüberzog 4
— ein Erlebnis, das die Leute von St.Peter mit Sicherheit für
lange Zeit beschäftigte und mit Gesprächsstoff versorgte.
Nebenbei sei erwähnt, dass die St.Petermer Untertanen außer zu
den bekannten Frondiensten für das Kloster u.a. auch als
Treiber bei der Jagd eingesetzt wurden (9.11.1754). Viel
bedrückender war indessen die Zwangsverpflichtung zum Wegebau,
der ein besonders häufig und regelmäßig wiederkehrendes Thema
im Abtstagebuch ist. Der Straßenbau schafft die Grundlagen für
die Kultivierung einer Landschaft, für Handel und Verkehr,
doch für die Bauern bedeutete er eine schwere Last. Einen
lebensnahen Eindruck von dieser bedrückenden Situation
vermittelt eine zeitgenössische Dichtung des Prämonstratenser
Chorherrn Sebastian Sailer (1714-1777) aus dem Kloster
Obermarchtal in Oberschwaben, der u.a. als Autor des
Theaterstücks „Die schwäbische Schöpfung“ bis heute bekannt
und populär ist. Zum Empfang der Dauphine Marie Antoinette,
die auf ihrer oben erwähnten Brautfahrt 1770 auch das Kloster
Obermarchtal besuchte, dichtete und komponierte Sailer ein
Singspiel mit dem Titel „Beste Gesinnungen schwäbischer
Herzen“. Darin lässt er einen Bauern namens Theißle (=
Matthias, Mattheis), der an der Reisestrecke der Prinzessin am
Straßenausbau mitarbeiten musste, im schwäbischen Dialekt ein
Protest- und Klagelied übers Wegemachen singen:5
S'Weagmacha ischt a baisa Sach, / koi Arbat ischt so
schlimm: / ma hoat koi Haus, ma hoat koi Dach, / und
s’Fuatter ischt so glimm. / Wenns d’Herra hau weand, muaß as
sai, / si geand koi Dingle noah; / dar Baur muaß
d’'ra, schla s 'Weatter d’rai, / dar G 'walt ischt dänischt
doah.
O! d'Gräba aufdua, wenn as kalt, / wenn Duft und Eis
im Baat. / Schtoi und Sand füahra, dees ischt halt /
a baise schlimme Aat. / Dar Herr lacht braf, guggt raus zum
Schloß, / as ischt am itt viel drum, / wenn d’Ocksa
schau, wenn d’Gäul und d’Roß / seand halba hi und
krumm.
Doa schtoaht a Kommadierar doh, / ar hoat sein schöane
Lau. / Ar schreyt da ganza Dag: gaud noah! / wia ear
will, muaß es gau. / Dar Schtroahlfaullenzer hoat a
G´schroy: / ihar Lumbbahund gaud d’ra! / Dar Weag
soll glatt sei wia an Oy, /as schtoaht dees aus koi Ma.
Hört man diese aufrührerischen Töne, so kann man sich gut
vorstellen, dass es auch in St.Peter über den Wegebau öfters
zum Streit zwischen dem Kloster und den Bauern kommen musste,
die sich immer wieder bockig zeigten:6 „Zur Zeit
setzen unsere Ibentäler Untergebenen den Weg zum Schweighof
wieder instand, wenn auch widerwillig, denn sie nahmen nicht
immer das Brot und den Wein an, die man ihnen zwar nicht geben
muss, aber aus freiem Willen zuweilen gibt“ (3.6.1751). So wie
hier die Ibentäler am Weg zum Schweighof arbeiten mussten,
wurden auch die Einwohner aus dem Rohr, aus dem Seelgut und
aus Eschbach jeweils für die Reparatur und den Bau ganz
bestimmter Wege herangezogen. Ein paar Beispiele aus den
1760er-Jahren veranschaulichen, wie damals unter schweren
Bedingungen das heutige Wegenetz des Ortes in seiner
Grundstruktur angelegt wurde: Nachdem Bregenzer Maurer eine
größere Brücke nach Eschbach fertiggestellt haben, wird die
„Instandsetzung und Verbreiterung des Weges durch das
Eschbachtal [...] zur großen Bequemlichkeit des Klosters und
aller Reisenden fortgesetzt“ (26.4.1763). — „Heute haben die
Seelguter Untertanen ordentlich und mit viel Mühe den neuen
breiteren Weg zum Hohwald, die Rohrer vom Schürhof zum
Kloster, die Ibentäler beim unteren Fischweiher des Klosters,
wo eine hölzerne Brücke gebaut wird, zum Schweighof
weitergeführt. Wie in den Vorjahren habe ich ihnen Brot und
Werkzeug gegeben, ohne freilich dazu verpflichtet zu sein. Die
Eschbacher machen dasselbe, sie setzen den neuen Weg instand
und führen ihn aus dem Tal zum Gasthaus weiter” (20.5.1765). —
„Auch der Weg vom Fischweiher bei der Klostermühle zum
Schafhof wird instand gesetzt“ (4.6.1765).
Bei der Suche nach technischen Verbesserungen im Straßenbau
mussten ständig neue Erfahrungen und Anregungen gesammelt
werden. Dem Abt fiel auf, dass der Bauer vom Berghof besonders
gute Wege angelegt hatte: „Heute Nachmittag bin ich um ein Uhr
mit dem Herrn Amtmann, den Patres, dem Architekten und zwei
Gutsverwaltern zum Hof des Bauern, welcher der Bergbauer
genannt wird, hinaufgestiegen und habe den Weg durch seine
Wiesen besichtigt, der so verbreitert und auf beiden Seiten
mit Gräben versehen wurde, wie es auch für unseren Wald,
Hohwald genannt, äußerst geeignet wäre; denn der alte Weg, der
nach rechts führt und Hohlstraß heißt, ist so zerstört und
beschwerlich, dass es nicht mehr möglich ist, ihn ohne größten
Schaden und Gefahr zu passieren; und es lohnt nicht, ihn zu
reparieren. Ich habe daher angeordnet, dass die Seelguter
Untertanen einen wie oben beschriebenen Weg fertigstellen, auf
dem das Holz zum Gebrauch des Klosters künftig bequemer
herabgefahren werden kann“ (30.5.1772).
Abt Steyrer musste schließlich die besondere Härte der
Straßenbauarbeiten anerkennen. Um die Unzufriedenheit der
Leute zu beruhigen und auch um bessere Arbeitsresultate zu
erzielen, ergriff’ er einige Maßnahmen, die uns heute eine
gute Vorstellung von der praktischen Ausführung der
Straßenarbeiten vermitteln: „Der Weg von der unteren Mühle ob
der Steig zum Kloster hin wird von unseren Seelguter
Untertanen hervorragend instand gesetzt und verbreitert, denen
täglich einige vom Rohr freiwillig helfen. Dasselbe machen die
Eschbacher in ihrem Bezirk. Merke: Die Untertanen sind nur
dazu verpflichtet, die Wege instand zu setzen und für solche
Reparaturen kostenlose Arbeiten zu leisten, welche mit den
Händen oder mit den Wagen ausgeführt werden. Die Bauern, nicht
aber die Handwerker, pflegten dies bisher nur während einer
kurzen Zeit im Frühjahr und im Herbst und das auch nicht
einmal gründlich zu tun, so dass die Wege in kurzer Zeit durch
das reißende Wasser wieder zerstört wurden; deshalb habe ich
für die Instandsetzungsarbeiten so vieler Wege, weil die
Anstrengung außergewöhnlich groß ist und gewaltige Steine
beseitigt werden müssen, Folgendes zugestanden. 1. Für die
Seelguter und Eschbacher Arbeiten je einen Vorarbeiter [lat. director
operis], folglich zwei Vorarbeiter, denen vom Kloster
Lohn bezahlt wird. 2. Sprengpulver [lat. Pulverem nitratum]
zum Zertrümmern der Steine. 3. Jedem Arbeiter täglich ein
Viertel Schwarzbrot, welches aus einem halben Scheffel Mehl
hergestellt wird. 4. Eisernes und hölzernes Werkzeug, das zur
Wegereparatur nötig ist, nämlich Schubkarren, Spaten, Hacken
usw. So versprachen die Untertanen, diese Arbeit fortzuführen,
bis der Weg fertig ist” (29.5.1761). Die Maßnahmen scheinen
gewirkt zu haben, denn Jahre später hält Abt Steyrer fest:
„Heute habe ich alle Vögte der Bauern unseres Gebietes
gemeinsam mit den Abgeordneten der Gemeinden zusammengerufen
und ihnen ernsthaft eingeschärft: 1. Dass sie die mit großer
Anstrengung und hohen Kosten instand gesetzten Wege teils
wieder instand setzen und teils weiterführen müssten. 2. [...]
Das Erstere versprachen alle bereitwillig“ (9.2.1771).
Spannungen
zwischen Bauern und Kloster
Der Wegebau war jedoch bei weitem nicht der einzige Anlass für
Spannungen zwischen Bauern und Kloster. Für Reibungsflächen
sorgte sicherlich die starke Abhängigkeit der Untertanen von
der Obrigkeit in wirtschaftlichen wie in persönlichen
Belangen. Für beides hier jeweils nur ein Beispiel: „Heute
habe ich dem Schuster Martin Winterhalter ab dem Sauwasen die
Erlaubnis erteilt, zwischen den Häusern des Schulmeisters
Fackler und des Metzgers Jakob Dold bei unserem Gut Scheuerhof
ein Haus zu bauen, und habe ihm zum Anlegen einer Wiese ein
bestimmtes Stück Land für einen jährlichen Pachtzins
zugewiesen. Dabei ist die Bedingung, dass das Grundstück, auf
dem er bauen und den Garten und die Wiese anlegen wird, immer
Eigentum des Klosters bleiben wird, und dass es — wann immer
es mir oder meinen Nachfolgern beliebt — jederzeit
zurückgefordert werden kann“ (31.12.1750). Später ergänzt der
Abt, er habe dem Schuster Winterhalter die Erlaubnis zum
Hausbau erteilt, „weil das Grundstück, auf dem das Haus erbaut
ist und das ich ihm für das Anlegen einer Wiese für einen
jährlichen Zins überlassen habe, zuvor unbrauchbar war,
sumpfig und mit Binsen bedeckt“ (15.4.1751). — Wer heiraten
wollte, brauchte nicht nur das Ja-Wort des Partners oder der
Partnerin, sondern auch das der Obrigkeit. So konnte der neue
Bauer N. Dold auf dem Platten seine Braut von Steinbach
zunächst nicht heiraten, weil Abt Steyrer und der neue Probst
von Waldkirch (den er einen severus criticus, einen sturen
Querkopf nennt) sich stritten, wer von ihnen für diese
Zustimmung zuständig sei; erst als der St.Petermer Abt sich
durchgesetzt hatte, konnte die Hochzeit stattfinden, und zwar
(wie Steyrer triumphierend berichtet) „in unserer Kirche und
in unserem Wirtshaus“ und nicht in Simonswald (8.1.1770).
Die folgende Anekdote, die Steyrer über einen seiner
Vorgänger, den hundert Jahre vor ihm wirkenden Abt Paulus
Pastor (1670-1699) erzählt, klingt zwar lustig,
veranschaulicht aber das gespannte Verhältnis zwischen den
Bauern und dem Kloster: „Dieser [Abt Paulus] kam eines Tages
um die Zeit des Mittagessens zum Huloch-Hof, und als er ins
Fenster schaute, sah er auf dem Tisch des Bauern eine Wachtel
auf eingemachtem Kraut liegen. Sogleich ging er hinein, nahm
die Wachtel weg und sagte: "Diese gehört mir, o Bauer, und das
eingemachte Kraut dir. Morgen wirst du vor Gericht erscheinen
und die Strafe wegen Verletzung des Waldrechts erleiden“
(22.11.1752).
Manche Bauern versuchten, die Grundstücksgrenzen heimlich zu
verändern, so dass das Kloster dagegen vorgehen musste: „Heute
beginnt P. Großkeller [diesen Titel trug der Leiter der
Wirtschaftsverwaltung im Kloster] zusammen mit dem Schreiber
Schienle damit, die Äcker und Wiesen, welche die Einwohner in
der Nähe des Klosters mit widerruflichem Jahreszins besitzen,
zu beschreiben, zu vermessen und mit gesetzten Steinen zu
begrenzen, damit sie künftig nicht wie bisher die Grenzen
ausdehnen und die steuerpflichtigen Güter erweitern können“
(17.10.1765).
Dauerkonflikte waren die Versuche der Bauern, das Kloster bei
den Abgaben auszutricksen, sowie Auseinandersetzungen um den
Besitz und die Nutzung des Waldes im Rohr: „Der Vogt der
Bauern im Rohr kommt zu mir und bittet im Namen der Gemeinde
darum, ich möge den Auftrag rückgängig machen, fünf Bäume in
ihrem Gemeindewald fällen und zu Brettern für den Gebrauch des
Klosters zersägen zu lassen, da schon im Frühjahr auf meinen
Befehl mehrere gefällt worden seien. Ich habe geantwortet,
dass ich nach dem besten Rechte verfahre, wie aus dem Rotulus,
aus dem Dingrodel 7 hervorgeht, welcher dem
Kloster die Vollmacht erteilt, Holz in den Wäldern vom Rohr,
Eschbach und Ibental zu fällen, welches für die Gebäude, die
Herde oder die Öfen gebraucht wird“ (31.12.1750). — „Heute
habe ich diejenigen Untertanen zusammengerufen, welche den
Zehnten der Erdäpfel nicht vollständig abgeliefert haben; ich
habe ihnen den Betrug vorgeworfen und einen, der dreißig
Scheffel versteckt hatte, habe ich bestraft. Alle aber habe
ich dazu verurteilt, die zurückgehaltenen Zehnten zu
vervollständigen. [...] Den Leuten vom Rohr habe ich ihre
Hartnäckigkeit vorgeworfen, mit der sie immer eigenmächtig
über den Wald verfügen wollen und das überzählige Holz zu
fordern und zu fällen pflegen! [...] Den Haldenbauern habe ich
zu einer achttägigen Haft bei Wasser und Brot [...]
verurteilt, weil er durch wiederholtes Fluchen den Namen des
Herrn entweiht hat und wegen der lügnerischen Behauptung, der
Rohrwald gehöre den Bauern und — gegen das klare Recht — nicht
dem Kloster“ (29.11.1765).
Dieser Tagebucheintrag über den Schwindel beim Abliefern des
Zehnten der Erdäpfel erlaubt einen kleinen
kulturgeschichtlichen Exkurs über den Kartoffelanbau in der
Region: Abt Steyrer schreibt nämlich in seinem lateinischen
Text, die Untertanen hätten decimas cyclaminum nicht
vollständig abgeliefert; daneben steht auf deutsch die
Randnotiz: Erdäpfel oder Grundbirnen. ‚Cyclamen’ ist
jedoch der lateinische Name für das Alpenveilchen, das wegen
seiner knollenfürmigen Wurzel schon in mittelalterlichen
Pflanzen- und Kräuterbüchern „Erdapfel’ genannt wurde.8
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde dieser Name
‚Erdapfel’ auf die neu angebaute Kartoffel übertragen. Ganz
offensichtlich war die Kartoffel im Gebiet von St.Peter noch
eine solche Neuheit, dass der Abt ihre botanische Bezeichnung
‚Solanum tuberosum’ nicht kannte und irrtümlich den Begriff
‚cyclamen’ von dem ‚Erdapfel’ Alpenveilchen auf den ‚Erdapfel’
Kartoffel übertrug.9
Wie aufgeheizt die Stimmung zwischen den Bauern und dem Stift
war, zeigt eine Reihe von Tagebucheintragungen vom Januar bis
März 1761. Der Abt hält sich einige Tage in Freiburg auf, wo
er Rechtsbeistand gegen seine aufsässigen Bauern holt: „Um
drei Uhr nachmittags habe ich mit P. Großkeller und dem Herrn
Amtmann den Herrn Steuerkommissar von Scheiner aufgesucht, wo
ich Beweismittel gegen unsere Untertanen vorgetragen habe,
welche das Kloster in vielen Punkten auf lügnerische Weise
anklagen und seine Rechte angreifen.“ — Am nächsten Tag: „Um
neun Uhr bin ich mit den Gestrigen zum Herrn Kommissar
gegangen und habe die Verteidigung des Klosters gegen unsere
Bauern vervollständigt, mit welcher der Herr Kommissar
einverstanden zu sein scheint, der unsere Untertanen als
eindeutig leichtfertige und unverschämte Streithammel
bezeichnet. Außerdem habe ich abermals die schuldige
Genugtuung gefordert“ (29. und 30.1.1761). — Wieder später:
„Am Morgen habe ich Herrn Kommissar von Scheiner besucht,
welcher mir versichert, er habe den Abgeordneten unserer
Bauern befohlen, dass sie wegen der ungerechtfertigten
Anklagen und Vorwürfe gegen das Kloster mich um Verzeihung
bitten und Besserung versprechen müssten, was sie freilich
wegen ihrer angeborenen Starrköpfigkeit bis jetzt nicht getan
haben“ (6.3.1761). Erst ein volles Jahr später haben sich die
St.Petermer dazu durchgerungen, die ihnen befohlene Verzeihung
einzuholen: „Vor meiner Abfahrt vom Kloster [nach Freiburg]
haben die Untertanen, nachdem sie ihren Irrtum eingesehen
hatten, endlich wegen der Lügen, die sie im vergangenen Jahr
beim Steuerkommissar gegen das Kloster ausgestreut haben, um
Verzeihung gebeten, die ich ihnen auch gewährt habe; wobei ich
die Drohung anfügte, künftig jeden hart zu bestrafen, der
dieses ganze alte Kohlgericht an Lügen wieder aufwärmt“
(1.3.1762). Manche dieser St.Petermer „Starrköpfe“ hat Abt
Steyrer im Tagebuch ‚verewigt’, ein paar von ihnen sollen hier
vorgestellt werden.
St.Petermer
Köpfe: Einzelpersonen und -schicksale
Aus offiziellen Dokumenten erfährt man wenig über das
Alltagsleben der kleinen Leute. In Abt Steyrers Tagebuch
hingegen begegnen uns St.Petermer Menschen von damals — teils
in leidvollen Schicksalen, teils in witzigen Kurzportraits,
selbst ein wenig Dorftratsch aus dem 18. Jahrhundert ist
gelegentlich dabei.
Als einen Kauz ganz besonderer Art schildert Steyrer den
Bauern Georg Schneider, nach dem der Schneiderjörgenhof in
St.Peter benannt ist: „Heute ist Georg Schneider, Bauer beym
Schmittenbach, an der Gelbsucht gestorben. Er war ein Mensch
von äußerst kauziger Wesensart, geizig, hinterlistig usw. Mit
verschiedenen unehrlichen Tricks versuchte er immer wieder,
die Äcker und Wiesen seines Hofes, den er sein schmales Gütle
zu nennen pflegte, zu erweitern. Aus diesem Grunde ergaben
sich mit seinen Nachbarn unentwegt Gerichtsstreitigkeiten; er
hörte aber nicht damit auf, obwohl er des öfteren wegen dieser
Sache schwer verprügelt wurde. Ob er dies aus Bosheit tat oder
weil es ihm am gesunden Menschenverstand fehlte, ist ungewiss.
Auch bewarb er sich über mehrere Jahre um das Vogtsamt, und
als ihm gesagt wurde, dass keiner hierzu befördert werden
könnte, der einen Bart trage, nahm er diesen sofort ab.
Nachdem unsere neue Basilika unter Abt Ulrich erbaut worden
war, wurde ihm ein Sohn geboren. Als P. Prior ihn fragte,
welchen Namen er ihm in der Taufe geben wolle, antwortete er:
Moses. Nach dem Grund hierfür befragt, antwortete er: Damit
dieser Name mir immer die vielen Steintafeln in Erinnerung
rufen möge, die ich zusammen mit anderen Untertanen zum Bau
des neuen Tempels heranzufahren gezwungen wurde. Seiner Frau,
die häufig die Kommunion empfing, warf er bisweilen vor, dass
sie wegen einiger Weintropfen die Heilige Messe besuche; er
behauptete, dass sie nur aus diesem Grunde so oft
kommuniziere. Dies und noch vieles andere Kuriose und
Einfältige sagte und tat er. R.I.P.“ (10.12.1756). — In
Wirklichkeit hieß keiner der Söhne Georg Schneiders ‚Moses’;
der 1731 geborene, von Steyrer erwähnte Sohn wurde auf den
herkömmlichen Namen ‚Jakob’ getauft.10 Der
aufmüpfige Bauer wollte ganz offensichtlich nur den Prior
ärgern, und mit seiner Anspielung auf die steinernen
Gesetzestafeln des Moses greift er geschickt und schlagfertig
die Geistlichkeit auf ihrem eigenen Feld — nämlich der
Bibelkenntnis und des Bibelzitats — an.
Recht reizvoll ist es zu erfahren, wie dörfliche Spitznamen
entstanden sind, zum Beispiel der Hofname ‚Gerngroßhof”:
„Hochzeit [...] des Bauern Simon Hättich am Hugsberzg [...].
Sein Gutshof wird von den Leuten der Gerngroßen Hof genannt;
diesen Spitznamen hat Abt Paul [1670-1699] seinem Großvater
beigelegt, weil er bei seiner äußerst kleinen Gestalt sehr
stark erhöhte Stiefel trug‘ (23.10.1758).
Der Mesner der Lindenbergkirche wurde damals traditionell als
der ‚Lindenbruder’ bezeichnet. Abt Steyrer schreibt über ihn:
„Der Lindenbruder. Der Mesner der Kirche der seligen Jungfrau
Maria auf dem Lindenberg wohnt in einer Flechthütte, er ist
unverheiratet. Er trägt aber kein Eremitengewand. Sein
Vorgänger war zugleich Gastwirt und verheiratet, wurde aber
trotzdem der Lindenbruder genannt und seine Frau die
Lindenbruderin“ (11.2.1771).
Wie heute in St.Peter das ‚Plattenweible’ (1854-1936) — mit
Männerhut und Tabakspfeife auf Postkarten porträtiert — als
Dorforiginal bekannt ist,11 machte 250 Jahre früher
ein anderes, allerdings recht rabiates ‚Weible’ von sich
reden: „Zur Zeit wird bei uns eine gewisse Witwe, das
Schlag-Weible genannt, im Kerker festgehalten, eine überaus
vorwitzige und unruhige Frau, Als ihr Häuschen vor kurzem
wegen schwerer Schulden verkauft wurde und ihr selbst Wohnung
und angemessener Unterhalt überlassen wurde, zündete sie aus
lauter Zorn das Häuschen an, der Brand konnte jedoch
rechtzeitig gelöscht werden. Heute morgen erwartet sie nun den
Urteilsspruch und den Lohn für ihre Tat“ (30.11.1765).
Ein Familiendrama mit einem auch in unserer heutigen
Gesellschaft aktuellen Thema wurde von Steyrer mit besonderer
Anteilnahme und Empörung verfolgt — es ging um den sexuellen
Missbrauch von Kindern und Jugendlichen: „Heute morgen wurde
Joseph Reiner, der mit seinen drei Stieftöchtern inzestuösen
Umgang gehabt haben soll, in den Kerker eingeliefert. Eine ist
zwanzig, die zweite sechzehn, die dritte vierzehn Jahre alt,
welch letztere (oh welch widernatürliche Freveltat!) schwanger
sein soll“ (28.2.1765). — „Heute morgen fällte der Herr
Amtmann über Joseph Reiner [...] wegen wiederholten Inzests
das Urteil, durch welches angeordnet wird, dass er mit einer
am Halse hängenden Tafel, auf der sein Verbrechen beschrieben
ist, und mit einer brennenden schwarzen Kerze in der Hand an
drei Sonntagen vor der Kirche stehen muss; außerdem muss er
drei Monate lang mit Fußfesseln gefesselt öffentliche Arbeiten
verrichten. Seine vierzehnjährige Stieftochter, die bei der
Verkündung dieses Urteils anwesend sein musste, nachdem sie
das Vergehen zu erdulden hatte, erklärte, schwanger zu sein,
was der Herr Amtmann bislang nicht glauben wollte, weshalb die
Ausführung des Urteils verschoben wurde“ (26.4.1761). Nachdem
ein hinzugezogener Arzt festgestellt hatte, dass das
vierzehnjährige Mädchen doch nicht schwanger war, wurde das
Urteil rechtskräftig (28.4.1761).
Tatort
St.Peter: Verbrechen und Rechtsprechung
Auch in anderen Fällen zeigt sich, dass man bei Strafen für
Gesetzesverstöße alles andere als zimperlich war: „Heute wurde
von zwei jugendlichen Untertanen, die wegen Getreidediebstahls
schon einige Monate im Gefängnis saßen, der eine vom
Stockmeister zum Halsblock geführt und dort mit dem Knüppel
geprügelt und für zehn Jahre aus unserem Gebiet verwiesen, der
andere ins Zuchthaus nach Breisach gebracht. Dort ist schon
seit zwei Monaten ein anderer Jugendlicher eingesperrt [...],
der Sohn des Bauernvogts im Seelgut“ (1.12.1769).
Manche Vorkommnisse hätten Stoff für eine Fernsehserie
"Tatort: St.Peter” geben können. So kursierten einmal im Dorf
Gerüchte über einen angeblichen Mord. Der Abt erzählt von
einem Bauern im unteren Ibental: „Der Bauer [...] wird der
Gallis Michele [Gallihof in Ibental] genannt oder vielmehr
Michael Mayer, der im darauffolgenden Jahr — wie es das
Gerücht behauptet — von seiner Frau durch Gift aus den
Lebenden entfernt wurde“ (23.5.1771). Das Gerücht erweist sich
tatsächlich als wahr. Auf seinem Rückweg von Freiburg begegnet
dem Abt im nächsten Jahr „eine etwa dreißigjährige Frau aus
dem unteren Ibental, die gefangen nach Freiburg geführt wird,
weil auf sie der schwere Verdacht gefallen war, ihren Mann vor
kurzem mit Gift, das sie in den Kuchen gebacken hatte, aus den
Lebenden herausbefördert zu haben. Dieser wurde hier der
Gallis Michele genannt, er wurde von unserem P. Berthold mit
allen Sterbesakramenten versehen. Es heißt, dass sein Leichnam
nach neun Tagen ausgegraben und von den Chirurgen untersucht
worden ist“ (3.4.1772).
Weniger dramatisch, mit eher etwas komischem Ausgang, verlief
eine andere Kriminalgeschichte: „Heute wurde ein Ibentäler
Untertan, der Weber Wursthorn, wegen des Verdachts auf
wiederholten Diebstahl dem Gefängnisse übergeben. Er wohnte im
Berghäusle des Kusshofs“ (10.8.1772). Ein paar Tage später ist
im Tagebuch zu lesen: „In der vorigen Nacht hat der Weber
Mathias Wursthorn, welcher neulich wegen häufigen Diebstahls
ins Gefängnis eingeliefert worden war, die Mauer des
Gefängnisses durchgebrochen und sich an einem Seil, das er
sich aus einem Leintuch angefertigt hat, auf den öffentlichen
Weg herabgelassen und sein Heil in der Flucht gesucht“
(20.8.1772).
Brandkatastrophen
In der Höfechronik Klaus Webers 12 ist
nachzulesen, dass in St.Peter im Laufe der Jahre immer wieder
Höfe durch Blitzschlag oder durch Brandstiftung vernichtet
wurden. Unmittelbare zeitgenössische Schilderungen solcher
Brandkatastrophen gibt Abt Steyrer, zum Teil als Augenzeuge.
Seine große Betroffenheit spricht nicht nur aus seiner
Anteilnahme am Schicksal der Unglücklichen, sondern verrät
sich auch darin, dass er jedem dieser Berichte am Seitenrand
eine kleine Federzeichnung des in Flammen stehenden Hofes
beifügt. Auch auswärtige Brandkatastrophen in Gütenbach,
Furtwangen und in Littenweiler sind im Abtstagebuch
festgehalten - ein Zeichen dafür, wie tief die Furcht vor
Gewittern und Feuer saß (21.5. und 26.6.1756 sowie 27.4.1770).
Breiten Raum nimmt die Geschichte eines Brandstifters ein, der
im Scheuerhof und im Spittelhof Unheil anrichtete (Februar bis
Juli 1754). Abt Steyrer berichtet: „Weil der Meier [d.h.
Gutsverwalter] ihn nicht im Schürhof beherbergen wollte und
ihn darauf hingewiesen hatte, dass der nahegelegene Schweighof
als Herberge für die Armen bestimmt sei, dringt in der
vergangenen Nacht ein bettelarmer französischer Vagabund —
nachdem er schreckliche Verwünschungen ausgestoßen hat —
heimlich in die Scheune des Schürhofs und wirft Feuer in das
Heu und das Stroh. Nachdem er herausgekommen war, entzündete
er auch noch unter dem Strohdach Feuer, um umso sicherer in
kurzer Zeit das gesamte Hofgut in Asche legen zu können. Aber
eine Wöchnerin erblickte durch die Fenster der Küche die
Flammen und schreckte mit ihrem Geschrei die Hausbewohner auf,
welche schnell herbeiliefen und glücklicherweise den Brand
löschten; der Brandstifter indessen war ihren Händen entkommen
und entfloh, GOTT sei Lob, der unser Kloster vor solch großem
Schaden bewahrt hat“ (28.2.1754). Am nächsten Tag fährt der
Abt fort: „Der gestern erwähnte Brandstifter wurde aus dem
Berghäusle des Wolfsteige-Hofs gefangen abgeführt und ins
Gefängnis gebracht. Der Herr Amtmann bereitet den Prozess vor,
von dem er selbst jedoch Abstand nehmen muss, weil er nicht
französisch kann“ (1.3.1754). Wieder ein paar Tage später:
„Nach dem Mittagessen bricht Herr Lizentiat Hinterfad, welcher
die französische Sprache hervorragend beherrscht, nach
St.Peter auf, um unseren gefangenen Franzosen zu verhören,
welcher nur mäßige Deutschkenntnisse hat. Dieser gestand, ein
Deserteur der französischen Armee zu sein; das Feuer im
Schürhof habe er [...] aus Rache gelegt, weil man ihm befohlen
habe, unseren Bezirk zu verlassen, und ihm Prügel angedroht
habe. Er habe jedoch nicht beabsichtigt, den Hof
niederzubrennen, sondern wollte lediglich dem Meier einen
großen Schrecken einjagen und auch die anderen ermahnen, den
Armen mehr Mitleid zu zeigen usw.“ (10.3.1754). Ein paar
Wochen später heißt es: „Gestern morgen wurde von den
Wachleuten, den Hatschieren, der französische Brandstifter aus
unserem Bezirk abgeführt, nachdem er einige Monate hier
gefangen gehalten worden war und sich per Eid verpflichtet
hatte, unser Territorium künftig nicht mehr betreten zu
wollen. Er hätte freilich ein strengeres Urteil verdient,
welches jedoch Herr Rechtsprofessor von Reinhard abmilderte,
zum einen wegen der Überfüllung des Gefängnisses, zum andern
weil der Gefangene fest bei seiner Beteuerung blieb, er habe
nicht schaden, sondern nur den Meier erschrecken wollen. [...]
Mehrere Leute haben ihn im Gefängnis häufig sagen hören, dass
er nach erlangter Freiheit wieder Feuer legen wolle“
(1.6.1754).
Die Fortsetzung dieser Brandstiftergeschichte spielt einige
Wochen später im Spittelhof: „Morgens vor drei Uhr begann
unser Gut Spitelhof [sic!] zu brennen und brannte noch vor
vier Uhr vollständig nieder. Wie es scheint, war das Feuer an
mehreren Stellen im Strohdach gelegt worden, was leicht
möglich war, da das obere Tor, durch welches nach dem im
Schwarzwald üblichen Brauch das Heu und Getreide eingefahren
zu werden pflegt, die ganze Nacht über offenstand, um die dort
unter dem Dach gelagerten Pflanzen, Ginster genannt, zu
trocknen. Diese pflegen von manchen Leuten gesammelt und nach
Basel gefahren zu werden; sie sind nämlich notwendig, um
Seidenstoffe mit bunter Farbe zu färben. Zusammen mit diesem
Gutshof ist auch das gesamte Vieh des Klosters vom Feuer
vernichtet, zusammen mit drei weiteren
Kühen, von denen eine dem Herrn Amtmann gehörte, die zweite
dem Meier und die dritte dem Wagner, der dort wohnt. Ohne
jeden Zweifel wären auch alle Menschen in diesem derart
rasenden Brand zugrunde gegangen, wenn nicht einige arme Leute
auf dem Gelände des Hofes übernachtet hätten, unter denen ein
Mädchen war, welches — durch das herabstürzende Feuer und den
Rauch aufgeschreckt — geschwind aufstand und mit seinem großen
Geschrei den Meier und die übrigen Hausbewohner aufweckte.
Diese, da sie schon nicht mehr zu den Türen hinausgehen
konnten, sprangen halbangekleidet durch die Fenster und
retteten — bei Verlust ihrer ganzen Habe — nur das nackte
Leben. Was die Ursache dieses Brandes gewesen ist, der das
Kloster innerhalb einer Stunde viele tausend Gulden kostete,
weiß nur GOTT, dessen Name gelobt sei! Indessen ist der
Verdacht nicht unbegründet, dass jener französische
Brandstifter, von welchem oben [...] die Rede war, der Urheber
dieses Feuers war. Einige Leute nämlich, welche zum Löschen
des Brandes durch das dem Gut nächstgelegene Wäldchen
herbeiliefen, sahen aus diesem einen fremden Mann flüchten,
der seinen Stock aus Wacholderholz dort an einen Baum gelehnt
zurückließ. Oder soll man einem Menschen, der sich nicht
einmal im Gefängnis scheute, so oft mit Brandstiftung zu
drohen, etwa nicht zutrauen, dass er das Feuer gelegt hat?“
(29.7.1754, Abb. 2).
Nebenbei erfährt man in diesem Text auch etwas über eine
Einnahmequelle der Bauern von St.Peter, die sich durch den
Verkauf von Färberginster nach Basel einen Zusatzverdienst
verschaffen konnten, ‚Genista tinctoria” = Färberginster,
Gilbkraut wurde früher zum Gelbfärben und arzneilich benutzt.13
Beim Spittelhof sieht man dann, wie in St.Peter beim
Wiederaufbau eines abgebrannten Hauses die freiwillige
Nachbarschaftshilfe durch Holzspenden praktiziert wurde, die
sogenannte "Brandsteuer”14: „Gestern haben die
Bauern von St.Märgen und andere kostenlos Holz für das Gebäude
des Spittelhofs angefahren, unter anderem waren auch ein Wagen
und Pferde des Herrn Abtes [von St.Märgen] dabei. Allen wurden
im Gutshof Knödel, Fleischstücke, Gemüse mit Brot und Wein im
Überfluss vorgesetzt, wie zuvor schon einigemale anderen,
sowohl Untertanen wie Auswärtigen. Unsere Untertanen sind
nicht verpflichtet, sich für Arbeiten beim Errichten von
Gutshöfen, die zum Kloster gehören, zur Verfügung zu stellen;
daher müssen sie gebeten werden, was ich auch getan habe. Aber
diese waren damit noch nicht zufriedengestellt und erbaten von
mir überdies eine schriftliche verbindliche Erklärung, dass
sie zu diesen Arbeiten nicht verpflichtet sind; ich habe ihnen
diese auch versprochen“ (28.5.1755). Besonders aufschlussreich
für das Verhältnis zwischen Untertanen und Kloster ist hier
das tiefe Misstrauen der Bauern, denen die mündliche
Zusicherung des Abtes nicht genügte; sie wollten es schwarz auf weiß haben, dass
aus ihrer freiwilligen Hilfeleistung später keine
Zwangsverpflichtung abgeleitet werden dürfe.
Schließlich kann man auch noch miterleben, wie damals ein
Richtfest gefeiert wurde: „Der neue Gutshof Spittelhof wird
allmählich bis zum Giebel aufgeführt.“ — „Dem Gutshof
Spittelhof wurde das Dach aufgesetzt, unter Mithilfe mehrerer
Untertanen, die wie üblich dazu eingeladen wurden, und auch
Auswärtiger. Mit zwanzig Wagen wurde das Notwendige
herangefahren, Latten, Schindeln usw. Zu Mittag wurde jedem,
der wollte, ein Viertel Maß Wein und eine Portion Brot
gewährt; am Abend wurde zum Essen allen Knödel, Fleischstücke,
Kopfsalat, Rettiche vorgesetzt, mit Brot und Wein so viel man
wollte. Die Frauen der Bauern brachten Kuchen. Es waren über
hundert Gäste anwesend, das Essen dauerte bis in die späte
Nacht, und es wurden etwa drei Saum Wein'” konsumiert. Diese
Mahlzeit fand im Gesindehaus statt“ (11. und 25.6.1755).
Als im Jahre 1760 der Muckenhof vom Blitz getroffen wurde und
abbrannte, galt dieses Ereignis als besonders aufregend, weil
es im Zusammenhang mit Gespenstergeschichten gesehen wurde,
von denen später noch ausführlich die Rede sein wird. „Gegen 5
Uhr ein entsetzliches Unwetter, Donnerschläge, Blitze, Regen
mit Hagel vermischt, und was ich nur aufstöhnend berichten
kann, ein Blitz schlug im Muckenhof ein, setzte ihn in Brand
und legte ihn in kurzer Zeit in Asche. Und dies, nachdem eben
dieser Gutshof im gesamten abgelaufenen Jahr
und bis heute auf jammervolle Art und Weise von Gespenstern
angegriffen und gequält worden war [...]. Aber alle Menschen,
GOTT sei Lob, und der größte Teil des Viehes entkamen
unverletzt aus diesem Haus; vom Hausrat und vom Mobiliar
konnte indessen nichts den gefräßigen Flammen entrissen
werden. Zur gleichen Zeit schlug ein anderer Blitz im größeren
Fischweiher ganz nahe der Ostseite des Klosters ein, wie
Augenzeugen sagen. Von Blitz und Ungewitter verschone uns,
Herr. Es heißt, dass in der Nachbarschaft noch zwei weitere
Höfe vom Blitz getroffen und vom himmlischen Feuer vernichtet
wurden und Bäume zerspalten und in Stücke gerissen wurden.
[...] Die Menschen und das Vieh des abgebrannten Hofes habe
ich in unseren Gütern Schweighof und Spitelhof [sic!]
untergebracht; ich habe Sorge dafür getragen, dass ihnen
Betten und das notwendige Essen hergerichtet und so lange zur
Verfügung gestellt werden, bis sie imstande sind, für all das
selbst wieder zu sorgen“ (27.3.1760, Abb. 3).
Beim Brand des Schönbachhofes 1769, über den auch der
St.Märgener Abt Fritz in seinem Tagebuch berichtet,'* konnte
Abt Steyrer den Feuerschein vom Kloster aus selbst
beobachten:„Gestern um Mitternacht ist aus mir unbekannter
Ursache das Hofgut Schempen oder Schönbach abgebrannt im
oberen Ibental in unserem Bezirk. Dichter Nebel, überall
erleuchtet und rotgefärbt, bot einen schrecklichen Anblick.
Alles Vieh außer einer Kuh, alle Geräte, das Heu, das
Getreide, mit einem Wort alles im Gutshof wurde von diesem
Feuer verschlungen. Nur die Menschen — die meisten bloß mit
einem Obergewand bekleidet, viele nackt — entgingen Hals über
Kopf fliehend dem Untergang, bis auf eine alte Frau, die alte
Bäurin oder das Leibgeding Weib, in deren separater Küche oder
Feuerstelle der Brand — wie man glaubt — entstanden ist. Diese
bemerkte als erste das Feuer und führte ihre Kuh aus dem
Stall; als sie jedoch danach, wie man vermuten darf, wieder in
ihre Küche zurückeing, um ihre Sachen den Flammen zu
entreißen, fiel sie eben diesen Flammen zur Beute. Die dem
Brand entkommenen Menschen flüchteten ins Hofgut Schwebeleck
[= Reinerhof]. Ich habe diesen Unglücklichen Brot und Mehl
geschickt und ihnen fünfzig Gulden versprochen“ (10.10.1769).
Auch von einem Brand in Steinbach war der Feuerschein in
St.Peter zu beobachten: „Heute abend zwischen 6 und 8 Uhr
wurde die Mühle des Bauern in Steinbach vom Feuer vernichtet:
Der Flammenschein war hier deutlich zu sehen“ (16.2.1770).
Gelegentlich weist der Abt auch darauf hin, dass die Ursachen
der Brandkatastrophen zum Teil in der Bauweise der Häuser und
in den Lebensgewohnheiten der Schwarzwälder Bauern zu suchen
sind: „Heute nachmittag brannte ein Haus in Wildgutach ab. Als
dessen Besitzer Risle seine Habe dem Brand entreißen wollte,
wurde er durch das Feuer schwer verletzt, noch schwerer
indessen seine Frau, die nicht lange überlebte. Das
unheilvolle Feuer brach im Ofen der Küche aus, der zugleich
als Backofen benützt wird, in dem man heute Brot gebacken und
zugleich Getreide auf den Ofen gelegt hat; so wurde durch das
Backfeuer das ganze kleine Gut in Asche gelegt, das vor 17
Jahren schon einmal auf gleiche Weise abgebrannt war“
(7.5.1767). - „Gegen II Uhr vormittags, nach dem Ende des
Gottesdienstes, wurde durch ein Feuer, das aus mir unbekannter
Ursache ausgebrochen ist, der Hof samt der Mühle in Stein im
oberen Ibental zerstört. Niemand von den Menschen ging
zugrunde, und auch der größte Teil des Viehs wurde gerettet,
das Übrige ist fast alles vernichtet. Dergleichen
Unglücksfälle sind nur allzu häufig im Schwarzwald, besonders
in unserem Gebiet, wo man fast ausschließlich Holzhäuser
antrifft und die Küchen gewöhnlich nicht ausreichend gegen das
Feuer gesichert sind. Wenn die Bauern doch endlich einmal
durch Schaden klug würden“ (19.3.1771, Abb. 4).
Landwirtschaft
und Wetter
Als "Gutsherr” widmet sich der Abt intensiv den Themen
Landwirtschaft und Wetter. Fast täglich beginnt er seine
Eintragungen mit einem kurzen Wetterbericht. Er notiert den
fallenden oder steigenden Barometerstand, die Temperatur
(allerdings nur in beschreibenden Worten, nicht in gemessenen
Graden), Bewölkung, Sonne, Niederschläge, die Wachstums- und
Erntebedingungen usw., sodass man über mehr als zwei
Jahrzehnte hinweg die Witterungs- und Klimaverhältnisse in
St.Peter im 18. Jahrhundert verfolgen kann.
Genau wie heutzutage sind auch damals in St.Peter extreme
Wetterschwankungen zu beobachten: In einem zu nassen Sommer
verfault das Heu auf den Wiesen (28.7.1763), ein andermal
entsteht Ende des Jahres durch eine wochenlange
Trockenheitsperiode Wassermangel, so dass die Mühlen nicht
mehr betrieben werden können (17.12.1766). In einem Jahr wird
Ende Januar „überall im Schwarzwald gepflügt, und so wird
beinahe die ganze Frühjahrsarbeit vorweggenommen, der Dünger
wird auf die Äcker gefahren“ (30.1.1765). Dafür heißt es ein
andermal im Juni: „Heute schneite es auf dem Candel und den
anderen Bergen so stark, dass die Hirten gezwungen waren, das
Vieh in die tieferen Täler auf die Weide hinabzuführen.
Dasselbe geschah in Waldau und im Hohlengraben“ (4.6.1771).
Auch der Sturm ‚Lothar’ hat schon im 18. Jahrhundert seine
Vorläufer, welche die Ziegel von der Dächern reißen, alle
Gebäude heftig rütteln, die Fenster zerbrechen (18.2.1756 und
12.3.1763) oder im Wald schweren Schaden anrichten: „Nach
Mitternacht hat die Wut des Windes abgenommen, welcher
freilich weit und breit die Spuren seines Tobens hinterließ.
In den Wäldern unseres Klosters wurden mehr als 600 große
Bäume mit der Wurzel herausgerissen oder abgebrochen“
(13.3.1763).
An Sonn- und Feiertagen durfte günstiges Erntewetter nur mit
Erlaubnis des Abtes genutzt werden: „Fest der Hl. Maria
Magdalena. Morgens heiterer Himmel, sehr kühle Luft. Das
Barometer fällt innerhalb kurzer Zeit. Daraufhin erlaubte ich,
dass das noch auf' den Wiesen liegende Heu von den Heuern
eingefahren werden durfte“ (22.7.1763).
Immer wieder fügt Abt Steyrer seinen lateinisch geschriebenen
Wetterbeobachtungen Wetterregeln in deutscher Sprache hinzu,
wie er sie von seinen Bauern gehört hat und wie sie zum Teil
auch nach 250 Jahren heute noch gebräuchlich sind. Als einmal
im Dezember der Schnee ausbleibt, schreibt er: „Vielleicht
wird sich die Bauernregel bewahrheiten: "Grüne
Weihnachten, Weiße Ostern“ (25.12.1753). — Ein andermal
heißt es im März: „Nur auf den fernsten Bergen zeigt sich
Schnee. Überall ist die Erde trocken. Wenn doch diese
Bauernregel in Erfüllung ginge: "Märzen Staub bringt Graß
und Laub!“ (14.3.1772). — Von einem Gewitter im April
gibt er eine eindringliche Schilderung: „Gegen Ende der
Mahlzeit [...] krachten Donnerschläge. Als darauf ein wütendes
Unwetter ausbrach, nahmen die Donnerschläge zu, häufig zuckten
Blitze und endlich folgte stärkster Regenguss. Der Regen war
mit kleinen Hagelkörnern gemischt. [...] Dieses Unwetter
dauerte über eine Stunde, was um diese Zeit ungewöhnlich ist.
Wenn das Sprichwort der Bauern: Früher Donner, später Hunger
wahr ist, dann wird dieses Jahr ein überaus fruchtbares. Möge
GOTT es gewähren!“ (30.4.1772).
Erdbeben
Auffallend häufig ist von Erdbeben in der Region die Rede.
Innerhalb weniger Jahre (zwischen 1755 und 1772) registriert
Abt Steyrer fünf Erdbeben, welche die Menschen in St.Peter —
ob im Kloster oder im Dorf — mit größter Angst erfüllten.
„Letzte Nacht hat gegen 3 Uhr ein Erdbeben unser Kloster
leicht erschüttert, und zwar so, dass in meinem Schlafgemach
die Fenster und die Bilder an den Wänden bewegt wurden.
Dasselbe Beben ist auch in Freiburg und andernorts im Breisgau
eingetreten. GOTT möge uns verschonen!“ (9.12.1755). — „Etwa
um neun Uhr vormittags hat ein Erdbeben unsere ganze Kirche
samt dem Kloster für kurze Zeit heftig erschüttert, zum großen
Schrecken aller, aber GOTT sei Lob! ohne jeden Schaden“
(11.8.1771). — „Um elf Uhr vormittags hat ein heftiges Beben
die Erde erschüttert. Andere sagen, sie hätten dieses Beben,
jedoch ein leichteres, schon um zehn Uhr gehört. Sie behaupten
auch, sie hätten gestern abend gegen acht Uhr etwas wie ein
Feuer durch die Luft fliegen sehen. GOTT sei uns gnädig!“
(31.1.1772).
Die Furcht vor Erdbeben steigerte sich damals bei den Menschen
in St.Peter offensichtlich zu Weltuntergangsängsten; denn das
durch die Luft fliegende Feuer, das manche gesehen haben
wollten, konnte als Vorzeichen großen Unheils, ja des nahen
Weltendes gedeutet werden. Dies ist vor dem
zeitgeschichtlichen Hintergrund zu sehen und zu verstehen:
1755 ereignete sich in Portugal ein furchtbares Erdbeben, bei
dem die Stadt Lissabon zu zwei Dritteln zerstört wurde und
über 30.000 Einwohner ihr Leben verloren. Auf diese
Katastrophe, die in der ganzen damaligen Welt Entsetzen
hervorrief, geht Abt Steyrer dreimal ausführlich ein (1.11.
und 5.12.1755 sowie 9.1.1756). Er zitiert dabei ein
lateinisches Gedicht, das „irgendjemand über den Untergang
dieser Stadt geschrieben hat: Non Lis-bona, sed Lis-mala /
Lis cum elementis vana, / Meta litis pessima. / Fuit, heu!
non est Lisbona / Portugalliae corona, / Regiarum optima.
In einem Wortspiel wird hier ‚Lisbona’, der lateinische Name
Lissabons, mit neuem Sinn in seine Bestandteile ‚Lis-bona’
zerlegt: lat. ‚lis, litis’ f. = der Streit; ‚bonus, -a, -um’ =
gut; ‚malus, -a,
-um’ = schlecht. Also: Kein guter Streit, sondern ein
schlechter Streit / ein vergeblicher Streit mit den Elementen;
/ Schlimmste Wendung des Streits. / Es war, wehe! und ist
nicht mehr Lissabon / Portugals Krone, / die beste der
königlichen Residenzen. — Nach seinen damaligen Informationen
glaubte der Abt sogar, dass über 100.000 Menschen in Lissabon
unter den Ruinen begraben wurden. Kein Wunder also, dass auch
in St.Peter der Schock tief saß und jedes Erdbeben in der
Region schlimmste Ängste auslöste.
Die Geschichte von der feurigen Erscheinung, die manche Leute
vor dem Erdbeben angeblich durch die Luft fliegen sahen,
leitet zu einem letzten Thema über: dem Gespensterglauben im
Dorf, der im 18. Jahrhundert nicht nur das einfache Volk,
sondern auch die Geistlichkeit beherrschte. In Abt Steyrers
Tagebuch finden sich hierfür mehrere Beispiele.
Gespensterstunde:
Spukgeschichten und Sagen
Beim Brand des Muckenhofs 1760 (s.o.) wurde Abt Steyrers
Bemerkung zitiert, dass „eben dieser Gutshof im gesamten
abgelaufenen Jahr und bis heute auf jammervolle Art und Weise
von Gespenstern angegriffen und gequält worden war“. Auf diese
Vorfälle des Jahres 1759 geht er im Tagebuch ausführlich ein
und gibt mit seinen Berichten eine deutliche Vorstellung von
dem Gespensterglauben der Zeit (Abb. 5): „Um vier Uhr
nachmittags werden P. Petrus und P. Großkeller Gregorius wie
schon einigemale zuvor in den Gutshof Muckenbach gerufen,
welcher bei Tag und Nacht von Geistern, Gespenstern oder
Unholden beunruhigt wird. Häufig entsteht darin Lärm, es
werden Steine in den Zimmern umhergeworfen, und niemand ist zu
sehen. Brennende Holzscheite werden von unsichtbarer Hand aus
dem Ofen gerissen und gegen die Danebenstehenden geworfen
usw.“ (25.5.1759). — „Die Gespenster machen wieder den Gutshof
Muckenbach unsicher“ (Mai 1759). — „Die Gespenster lärmen in
noch größerer Zahl im Gutshof Muckenbach und erschrecken die
Bewohner, besonders die kleinen Kinder, trotz aller erteilten
priesterlichen Segnungen und heiligen Handlungen. Heute
erteilte P, Großkeller dem Gutshof, nachdem das Ehrwürdige
Sakrament bereits dorthin getragen wurde, seinen Segen“
(1.7.1759). — „In der vorausgehenden Nacht haben die
Gespenster den Einwohnern des Gutshofes Muckenbach in
Anwesenheit des P. Gregorius Großkeller sowie P. Petrus auf
außer-
ordentliche Weise übel mitgespielt“ (20.8.1759). Schließlich
gaben die Patres ihre erfolglosen Bemühungen auf und holten
sich einen Experten von auswärts: „Am Abend kommt P.
Pereerinus an, ein Freiburger Kapuziner, der im Volksmund der
Hexenmeister genannt wird, welcher in der Provinz
dafür zuständig ist, Dämonen zu bannen und Zauberwerke zu
vertreiben.“ Am nächsten Tag übt er „am Nachmittag im Hofgut
Muckenbach sein Amt aus“ (13. und 14.9.1759).
|
Abb. 5 „Kampf des hl. Petrus gegen
den heidnischen Zauberer Simon Magus“ von Franz
Joseph Spiegler. Das Deckengemälde (1727/28) in
der Kirche von St.Peter veranschaulicht den
Dämonen- und Gespensterglauben der Zeit (Foto:
Raimund Schreiber). |
Die Spukerscheinungen im Muckenhof wurden als so wichtig
betrachtet, dass P. Gregor Baumeister, der
Geschichtsschreiber des Klosters, sie in seinen Annalen der
Abtei festhält; auch der St.Märgener Abt Petrus Glunk
berichtet in seinem Tagebuch darüber.17 Nach P.
Gregor Baumeister hören die Gespenstererscheinungen im
Muckenhof erst auf, als das Gut durch Blitzschlag abbrennt.
Ein Zeugnis für den Teufelsglauben der Zeit gibt es im
Zusammenhang mit einem Selbstmord, der sich im Rohr
ereignete: „Heute morgen hat im Rohr im Nazis Hof der
Salpeterer Johannes Hermann sich selbst mit einer Schlinge
die Kehle gebrochen, als er dort eine Zeitlang Salpeter
ausgrub und zubereitete. Die Ursache seiner Verzweiflung war
Habgier. Als er nämlich erfuhr, dass andere ausreichende
Einnahmen hätten, verzweifelte er so sehr darüber, weil er
in diesem Jahr zu wenig Gewinn aus dem Salpeter bezog.“ Der
Abt deutet den Vorfall theologisch-moralisch: „Wie der
Apostel in Wahrheit sagt: Die reich werden wollen, fallen in
verschiedene Versuchungen und in die Schlinge des Teufels.
1. Tim, 6 v. 9. Daher trifft das voll zu, was mehrere
erzählen, dass man — denkt euch nur — am zweiten Tag dieses
Monats in der Nähe des Hofes, in dem sich das Erhängen
ereignete, das Schreien eines Frohlockenden oder
Triumphierenden gehört habe, ohne dass jemand zu sehen war“
(4. u. 5.8.1763),
All diese Geschichten zeigen, wie sehr sich die Menschen von
dunklen Mächten umgeben und bedroht sahen. Selbst das
Erscheinen eines Drachen wird von Abt Steyrer berichtet und
zunächst auch für nicht unmöglich gehalten: „Ein Bauer aus
Geyersnest, Jakob Busch, erzählt, er habe in dem Wald, der
von Geyersnest zum Bollschweiler Gut Schweighoff
hinabreicht, neulich morgens bei dem Felsen einen Drachen
gesehen und sei in großer Furcht schnellstens entflohen,
auch sei er drei Tage lang krank gewesen und habe kaum eine
Speise zu sich genommen. [Randnotiz:] Da später nichts mehr
von diesem Drachen gesehen oder gehört wurde, scheint diese
ganze Geschichte ein Märchen gewesen zu sein“ (11.6.1765).
Ein volkskundlicher Leckerbissen ist es, im lateinischen
Tagebuch die Entstehung einer kleinen St.Petermer Ortssage
zu entdecken, die der Abt auf deutsch aufgeschrieben hat,
wie sie ihm von den Leuten erzählt wurde: Als heut des
Steigbauren Hirten Mägdlein das Vieh hütete und sein
Schöplein oder Ärmel anlegen wollte riß ihm jemand hinter
ihm stehend dißselbige weg und ficht ihm mit der Hand über
das Gesicht. Als das Mägdlein umsahe, erblickte es einen
Menschen mit kohlrabenschwartzem Angesicht, und
bezeichnete sich mit dem H, Kreutz, auf welches das
Gespänst verschwund, das Kleidlein aber auf der Gegenseite
des Berges auf des Mucken Bauren Feld in einer Hecke
gefunden worden. Das Mädchen ist etwa zehn Jahre alt
(22.5.1770). — Auch diese Geschichte wurde in die Annalen
der Abtei aufgenommen.
Neben diesem Gespenster- und Teufelsglauben, welcher
Geistlichen wie einfachen Leuten gemeinsam war, gab es im
Volk auch unerlaubte abergläubische Vorstellungen und
Praktiken, die von der Kirche und den weltlichen Gerichten
verfolgt wurden. Ein Vorfall, der dies belegt, ereignete
sich im Jahre 1746, also vor Steyrers Amtszeit. Deshalb sei
hier ergänzend auf das Tagebuch des St.Märgener Abtes Petrus
Glunk verwiesen, der sehr ausführlich darüber berichtet.
Demnach haben einige Leute aus St.Märgen und aus St.Peter
versucht, durch unerlaubte abergläubische Gebetter,
Schäz und Geldt zu bekommen. Bei einer
Hausdurchsuchung wurden im Hochrütti abergläubische
Büchlin und Zedule gefunden und verbrannt.18
Außer den hier ausgewählten Themen finden sich in Philipp
Jakob Steyrers Diarium noch zahlreiche weitere
heimatkundlich lohnende Mitteilungen über das Dorf St.Peter
in seiner Zeit. Der Abt informiert über die Anfänge des
Obstanbaus in St.Peter im 18. Jahrhundert; über die
Verbesserung der Viehzucht, wozu im Jahr 1768 drei Kühe und
ein Stier aus dem Schweizer Kanton Solothurn importiert
wurden; über die Unruhe, welche die Scharen von Bettlern —
manchmal weit über tausend — am jährlichen Almosentag des
Klosters im Dorf verbreiteten; über Epidemien; über die
sogenannte ‚Konskription’, das damalige Musterungsverfahren,
nach welchem die wehrfähigen Burschen zum Militärdienst
ausgehoben wurden; über Feste und Feiertage; über Uhrmacher
aus St.Peter und über Uhrenhändler, die schon um 1760 ihre
Ware nach England, Holland, Moskau, Dänemark und in andere
Gegenden ausführten.
* Überarbeitete Fassung eines
Vortrags, der am 28.2.2011 im Bildungswerk St.Peter gehalten
wurde.
1 PHILIPP JAKOB STEYER: Diartum Philippi Jacobi,
abbatis monasterii S. Petri a die 8. Dec. 1749 usque ad
finem anni 1772, 8 Bde., Generallandesarchiv Karlsruhe,
65/549-556.
2 KLAUS WEBER: St.Peter im Wandel der Zeit.
Beitrag zur 900-Jahr-Feier 1993, Freiburg 1992; Ders.:
Höfechronik von St.Peter, 2 Bde., Freiburg 1997 und 1998.
3 Der Abt als Dorfchronist. St.Petermer Menschen
und Ereignisse in Abt Steyrers Tagebuch 1749-1772,
Parallelausgabe lateinisch/deutsch, ausgewählt, übersetzt
und hg. von ERICH KAISER, unveröffentlichtes Manuskript,
St.Peter 2009.
4 VOLKER HIMMELEIN: Die
Brautfahrt der Marie-Antoinette, in: Vorderösterreich — nur
die Schwanzfeder des Kaiseradlers? (Vernissage. Die
Zeitschrift zur Ausstellung 1/1999), S. 40.
5 Sebastian Sailers Schriften im schwäbischen
Dialekte. Gesammelt und mit einer Vorrede versehen von SIXT
BACHMANN [1819]. neu hg. von HANS ALBRECHT ÖEHLER,
Weißenhorn 2000, S. 226f.
6 Hier und im Folgenden
wurden, um eine Verwechslung mit Quellenzitaten, die kursiv
gesetzt sind, zu vermeiden, die durch den Autor
vorgenommenen deutschen Übersetzungen des in lateinischer
Sprache geschriebenen Tagebuchs in Anführungszeichen
wiedergegeben.
7 BENJAMIN GEHRING: Der
„Große Dingrodel“ von St.Peter auf’ dem Schwarzwald von
1458, in: Schau-ins-Land 125 (2006), 8. 25-36.
8 LEONHART Fuchs: Das Kräuterbuch von 1543,
Nachdruck Köln 2001, Cap. CLXXI: „Erdtapffel“.
9 HEINRICH MARZELL: Wörterbuch der deutschen
Pflanzennamen, Bd. 4, hg. von Heinz Paur, Stuttgart’
Wiesbaden 1979; fotomechanischer Nachdruck Köln 2000, Sp.
369-386; JACOB und WILHELM Grimm: Deutsches Wörterbuch,
München 1984, Bd. 3, Sp. 745 und Bd. II, Sp. 244f.
10 WEBER, Höfechronik
(wie Anm. 2), Bd. 1, 8. 181.
11 Fritz Hockensos:
Wäldergeschichten, Freiburg 1980, S. 33-37.
12 WEBER, Höfechronik
(wie Anm. 2).
13 Meyers
Konversations-Lexikon, 7. Bd,, Leipzig und Wien °1894, S.
316.
14 Weber, Höfechronik (wie Anm. 2), Bd. I, S.
356.
15 Ebd., Bd. 1,8. 354: 1
Saum Wein = 115-145 Liter.
16 Ebd., Bd. 2, S. 638.
17 GREGORIUS BAUMEISTER:
Synopsis Annalium Monasterii S. Petri in nigra Silva O.S.B.
1770, S. 568 und 579; Die Tagebücher des Abtes Petrus Glunk
von St.Märgen aus dem Schwarzwald (reg. 1736-1766), bearb.
von ELISABETH IRTENKAUF unter Mitwirkung von WOLFGANG
IRTENKAUF, in: FDA 115 (1995), S. 35-278, hier 5. 199.
18 Die Tagebücher des
Abtes Petrus Glunk von St. Märgen (wie Anm. 17), S. 142f.