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Der Abt als Dorfchronist
Alltagsleben in St.Peter in Abt Steyrers Tagebuch 1749-1772*
von
ERICH KAISER
"Schauinsland" 2012


Seite aus Abt Steyrers „Diarium” (1.1.1769): Oben kleine Federzeichnung ‚Das Auge Gottes’ mit der Inschrift Deus ommia cernit („Gott sieht alles“). Unten die Liste der Neujahrsgäste aus dem Dorf St.Peter (GLA, 65/555, S. 103).


Philipp Jakob Steyrer, von 1749 bis 1795 Abt des Benediktinerklosters St.Peter auf dem Schwarzwald, hat während seiner langen Regierungszeit gewissenhaft ein Tagebuch geführt, von dem allerdings nur die Jahrgänge bis 1772 erhalten sind.1 Auf den überlieferten knapp 4.000 Seiten hält der Abt in flüssigem Latein alltägliche und besondere Vorkommnisse aus dem Stift St.Peter fest, aber auch bedeutende politische, militärische, kulturelle und andere Ereignisse aus Freiburg, aus dem Breisgau, aus der Habsburger Monarchie und aus dem übrigen Weltgeschehen. Sein Tagebuch ist damit eine wichtige zeit- und geistesgeschichtliche Quelle für die Abtei St.Peter und ihre historische Epoche.

Weniger beachtet wurde, dass der Abt neben diesen ‚großen’ Themen auch sehr viele Eintragungen dem Dorfgeschehen in St.Peter gewidmet hat. Man erfährt hier zwar keine neuen wichtigen Fakten, die nicht schon durch die Arbeiten des Heimatforschers Klaus Weber (St.Peter) bekannt wären.2 Aber es ergeben sich schlaglichtartige Einblicke in Szenen und Vorkommnisse aus dem Alltagsleben des Dorfes vor 250 Jahren, wie sie aus amtlichen Akten und Protokollen nicht zu gewinnen sind. Aus seiner persönlichen Sicht- und Erlebnisweise berichtet Steyrer zum Beispiel von Dorforiginalen seiner Zeit, aber auch von Familientragödien, von Brandkatastrophen, Kriminalfällen oder Gespenstergeschichten.

Wenn man die auf das Dorf bezogenen Einträge aus dem Abts-Diarium herauszieht und im Zusammenhang liest, begibt man sich auf eine Zeitreise in das St.Peter des 18. Jahrhunderts, geführt von Philipp Jakob Steyrer, der die Geschicke seines Dorfes nicht nur entscheidend bestimmt, sondern auch interessiert beobachtet hat.3 Eine kleine Auswahl aus diesen Themen soll nun vorgestellt werden. Es ist dies hier keine Arbeit über Abt Steyrer, sondern der Abt soll durch sein Tagebuch - allerdings in deutscher Übersetzung — selber sprechen und erzählen (Abb. 1).

Wegebau und andere Lasten der Untertanen

Die Untertanen weltlicher wie geistlicher Herrschaften waren in der damaligen Epoche nicht nur zu Zins- und Ertragsabgaben an ihre Obrigkeit verpflichtet, sondern auch zu Arbeits- und
Dienstleistungen verschiedener Art. In St.Peter kamen zu den Lasten für das Kloster noch die für die habsburgische Regierung, da St.Peter zu Vorderösterreich gehörte.

Eine ungewöhnliche Pflichtübung als österreichische Untertanen hatten die Einwohner von St.Peter zu erfüllen, als die österreichische Erzherzogin Marie Antoinette auf ihrer Brautfahrt von Wien nach Paris am 4. Mai 1770 mit großem Pomp in Freiburg empfangen wurde, wo man u.a. eine monumentale, vom berühmten Johann Christian Wentzinger entworfene Ehrenpforte errichtet und zahlreiche festliche Veranstaltungen vorbereitet hatte. Und auch St.Peter hatte seinen Beitrag zu dem Ereignis zu leisten. Vom örtlichen Adel, der Geistlichkeit und den politischen Repräsentanten wurde erwartet, dass sie Marie Antoinette ihre Aufwartung machten, und so nahm auch Abt Steyrer an den Festlichkeiten in Freiburg teil. Das prunkvolle Treiben beobachtete er kritisch; er rügt im Tagebuch die hohen Kosten des verschwenderischen Aufwandes, aber auch das skandalöse Verhalten mancher Ordensleute, die bei den Ballettaufführungen im Theater (so Steyrer) „o welche Schande, gierig die tanzenden Mädchen angestarrt haben”. Am Ende dieses Festtages notiert er in Freiburg: „Am Abend kommt auch unser Schreiber Schienle [in Freiburg] an, der zusammen mit unseren Untertanen aus dem Selgut [sic!], Rohr, Espach [Eschbach] und Ibenthal von ihrem zehnten Lebensjahr an am Weg auf die Ankunft der Prinzessin in der Höll warten musste [...] (4.5.1770). — So wie die Bürgerschaft Freiburgs sich in festlicher Kleidung beiderseits der Straßen der Stadt aufstellen musste, wurde der ländlichen Bevölkerung befohlen, am Reiseweg der Marie Antoinette im Höllental eine Jubelkulisse zu bilden, an der die (übrigens erst vierzehnjährige) Prinzessin mit ihrem Gefolge von 235 Personen, 57 Wagen, 250 Zug- und Reitpferden vorüberzog 4 — ein Erlebnis, das die Leute von St.Peter mit Sicherheit für lange Zeit beschäftigte und mit Gesprächsstoff versorgte.

Nebenbei sei erwähnt, dass die St.Petermer Untertanen außer zu den bekannten Frondiensten für das Kloster u.a. auch als Treiber bei der Jagd eingesetzt wurden (9.11.1754). Viel bedrückender war indessen die Zwangsverpflichtung zum Wegebau, der ein besonders häufig und regelmäßig wiederkehrendes Thema im Abtstagebuch ist. Der Straßenbau schafft die Grundlagen für die Kultivierung einer Landschaft, für Handel und Verkehr, doch für die Bauern bedeutete er eine schwere Last. Einen lebensnahen Eindruck von dieser bedrückenden Situation vermittelt eine zeitgenössische Dichtung des Prämonstratenser Chorherrn Sebastian Sailer (1714-1777) aus dem Kloster Obermarchtal in Oberschwaben, der u.a. als Autor des Theaterstücks „Die schwäbische Schöpfung“ bis heute bekannt und populär ist. Zum Empfang der Dauphine Marie Antoinette, die auf ihrer oben erwähnten Brautfahrt 1770 auch das Kloster Obermarchtal besuchte, dichtete und komponierte Sailer ein Singspiel mit dem Titel „Beste Gesinnungen schwäbischer Herzen“. Darin lässt er einen Bauern namens Theißle (= Matthias, Mattheis), der an der Reisestrecke der Prinzessin am Straßenausbau mitarbeiten musste, im schwäbischen Dialekt ein Protest- und Klagelied übers Wegemachen singen:5

S'Weagmacha ischt a baisa Sach, / koi Arbat ischt so schlimm: / ma hoat koi Haus, ma hoat koi Dach, / und s’Fuatter ischt so glimm. / Wenns d’Herra hau weand, muaß as sai, / si geand koi Dingle noah; / dar Baur muaß d’'ra, schla s 'Weatter d’rai, / dar G 'walt ischt dänischt doah.

O! d'Gräba aufdua, wenn as kalt, / wenn Duft und Eis im Baat. / Schtoi und Sand füahra, dees ischt halt / a baise schlimme Aat. / Dar Herr lacht braf, guggt raus zum Schloß, / as ischt am itt viel drum, / wenn d’Ocksa schau, wenn d’Gäul und d’Roß / seand halba hi und krumm.

Doa schtoaht a Kommadierar doh, / ar hoat sein schöane Lau. / Ar schreyt da ganza Dag: gaud noah! / wia ear will, muaß es gau. / Dar Schtroahlfaullenzer hoat a G´schroy: / ihar Lumbbahund gaud d’ra! / Dar Weag soll glatt sei wia an Oy, /as schtoaht dees aus koi Ma.

Hört man diese aufrührerischen Töne, so kann man sich gut vorstellen, dass es auch in St.Peter über den Wegebau öfters zum Streit zwischen dem Kloster und den Bauern kommen musste, die sich immer wieder bockig zeigten:6 „Zur Zeit setzen unsere Ibentäler Untergebenen den Weg zum Schweighof wieder instand, wenn auch widerwillig, denn sie nahmen nicht immer das Brot und den Wein an, die man ihnen zwar nicht geben muss, aber aus freiem Willen zuweilen gibt“ (3.6.1751). So wie hier die Ibentäler am Weg zum Schweighof arbeiten mussten, wurden auch die Einwohner aus dem Rohr, aus dem Seelgut und aus Eschbach jeweils für die Reparatur und den Bau ganz bestimmter Wege herangezogen. Ein paar Beispiele aus den 1760er-Jahren veranschaulichen, wie damals unter schweren Bedingungen das heutige Wegenetz des Ortes in seiner Grundstruktur angelegt wurde: Nachdem Bregenzer Maurer eine größere Brücke nach Eschbach fertiggestellt haben, wird die „Instandsetzung und Verbreiterung des Weges durch das Eschbachtal [...] zur großen Bequemlichkeit des Klosters und aller Reisenden fortgesetzt“ (26.4.1763). — „Heute haben die Seelguter Untertanen ordentlich und mit viel Mühe den neuen breiteren Weg zum Hohwald, die Rohrer vom Schürhof zum Kloster, die Ibentäler beim unteren Fischweiher des Klosters, wo eine hölzerne Brücke gebaut wird, zum Schweighof weitergeführt. Wie in den Vorjahren habe ich ihnen Brot und Werkzeug gegeben, ohne freilich dazu verpflichtet zu sein. Die Eschbacher machen dasselbe, sie setzen den neuen Weg instand und führen ihn aus dem Tal zum Gasthaus weiter” (20.5.1765). — „Auch der Weg vom Fischweiher bei der Klostermühle zum Schafhof wird instand gesetzt“ (4.6.1765).

Bei der Suche nach technischen Verbesserungen im Straßenbau mussten ständig neue Erfahrungen und Anregungen gesammelt werden. Dem Abt fiel auf, dass der Bauer vom Berghof besonders gute Wege angelegt hatte: „Heute Nachmittag bin ich um ein Uhr mit dem Herrn Amtmann, den Patres, dem Architekten und zwei Gutsverwaltern zum Hof des Bauern, welcher der Bergbauer genannt wird, hinaufgestiegen und habe den Weg durch seine Wiesen besichtigt, der so verbreitert und auf beiden Seiten mit Gräben versehen wurde, wie es auch für unseren Wald, Hohwald genannt, äußerst geeignet wäre; denn der alte Weg, der nach rechts führt und Hohlstraß heißt, ist so zerstört und beschwerlich, dass es nicht mehr möglich ist, ihn ohne größten Schaden und Gefahr zu passieren; und es lohnt nicht, ihn zu reparieren. Ich habe daher angeordnet, dass die Seelguter Untertanen einen wie oben beschriebenen Weg fertigstellen, auf dem das Holz zum Gebrauch des Klosters künftig bequemer herabgefahren werden kann“ (30.5.1772).

Abt Steyrer musste schließlich die besondere Härte der Straßenbauarbeiten anerkennen. Um die Unzufriedenheit der Leute zu beruhigen und auch um bessere Arbeitsresultate zu erzielen, ergriff’ er einige Maßnahmen, die uns heute eine gute Vorstellung von der praktischen Ausführung der Straßenarbeiten vermitteln: „Der Weg von der unteren Mühle ob der Steig zum Kloster hin wird von unseren Seelguter Untertanen hervorragend instand gesetzt und verbreitert, denen täglich einige vom Rohr freiwillig helfen. Dasselbe machen die Eschbacher in ihrem Bezirk. Merke: Die Untertanen sind nur dazu verpflichtet, die Wege instand zu setzen und für solche Reparaturen kostenlose Arbeiten zu leisten, welche mit den Händen oder mit den Wagen ausgeführt werden. Die Bauern, nicht aber die Handwerker, pflegten dies bisher nur während einer kurzen Zeit im Frühjahr und im Herbst und das auch nicht einmal gründlich zu tun, so dass die Wege in kurzer Zeit durch das reißende Wasser wieder zerstört wurden; deshalb habe ich für die Instandsetzungsarbeiten so vieler Wege, weil die Anstrengung außergewöhnlich groß ist und gewaltige Steine beseitigt werden müssen, Folgendes zugestanden. 1. Für die Seelguter und Eschbacher Arbeiten je einen Vorarbeiter [lat. director operis], folglich zwei Vorarbeiter, denen vom Kloster Lohn bezahlt wird. 2. Sprengpulver [lat. Pulverem nitratum] zum Zertrümmern der Steine. 3. Jedem Arbeiter täglich ein Viertel Schwarzbrot, welches aus einem halben Scheffel Mehl hergestellt wird. 4. Eisernes und hölzernes Werkzeug, das zur Wegereparatur nötig ist, nämlich Schubkarren, Spaten, Hacken usw. So versprachen die Untertanen, diese Arbeit fortzuführen, bis der Weg fertig ist” (29.5.1761). Die Maßnahmen scheinen gewirkt zu haben, denn Jahre später hält Abt Steyrer fest: „Heute habe ich alle Vögte der Bauern unseres Gebietes gemeinsam mit den Abgeordneten der Gemeinden zusammengerufen und ihnen ernsthaft eingeschärft: 1. Dass sie die mit großer Anstrengung und hohen Kosten instand gesetzten Wege teils wieder instand setzen und teils weiterführen müssten. 2. [...] Das Erstere versprachen alle bereitwillig“ (9.2.1771).

Spannungen zwischen Bauern und Kloster

Der Wegebau war jedoch bei weitem nicht der einzige Anlass für Spannungen zwischen Bauern und Kloster. Für Reibungsflächen sorgte sicherlich die starke Abhängigkeit der Untertanen von der Obrigkeit in wirtschaftlichen wie in persönlichen Belangen. Für beides hier jeweils nur ein Beispiel: „Heute habe ich dem Schuster Martin Winterhalter ab dem Sauwasen die Erlaubnis erteilt, zwischen den Häusern des Schulmeisters Fackler und des Metzgers Jakob Dold bei unserem Gut Scheuerhof ein Haus zu bauen, und habe ihm zum Anlegen einer Wiese ein bestimmtes Stück Land für einen jährlichen Pachtzins zugewiesen. Dabei ist die Bedingung, dass das Grundstück, auf dem er bauen und den Garten und die Wiese anlegen wird, immer Eigentum des Klosters bleiben wird, und dass es — wann immer es mir oder meinen Nachfolgern beliebt — jederzeit zurückgefordert werden kann“ (31.12.1750). Später ergänzt der Abt, er habe dem Schuster Winterhalter die Erlaubnis zum Hausbau erteilt, „weil das Grundstück, auf dem das Haus erbaut ist und das ich ihm für das Anlegen einer Wiese für einen jährlichen Zins überlassen habe, zuvor unbrauchbar war, sumpfig und mit Binsen bedeckt“ (15.4.1751). — Wer heiraten wollte, brauchte nicht nur das Ja-Wort des Partners oder der Partnerin, sondern auch das der Obrigkeit. So konnte der neue Bauer N. Dold auf dem Platten seine Braut von Steinbach zunächst nicht heiraten, weil Abt Steyrer und der neue Probst von Waldkirch (den er einen severus criticus, einen sturen
Querkopf nennt) sich stritten, wer von ihnen für diese Zustimmung zuständig sei; erst als der St.Petermer Abt sich durchgesetzt hatte, konnte die Hochzeit stattfinden, und zwar (wie Steyrer triumphierend berichtet) „in unserer Kirche und in unserem Wirtshaus“ und nicht in Simonswald (8.1.1770).

Die folgende Anekdote, die Steyrer über einen seiner Vorgänger, den hundert Jahre vor ihm wirkenden Abt Paulus Pastor (1670-1699) erzählt, klingt zwar lustig, veranschaulicht aber das gespannte Verhältnis zwischen den Bauern und dem Kloster: „Dieser [Abt Paulus] kam eines Tages um die Zeit des Mittagessens zum Huloch-Hof, und als er ins Fenster schaute, sah er auf dem Tisch des Bauern eine Wachtel auf eingemachtem Kraut liegen. Sogleich ging er hinein, nahm die Wachtel weg und sagte: "Diese gehört mir, o Bauer, und das eingemachte Kraut dir. Morgen wirst du vor Gericht erscheinen und die Strafe wegen Verletzung des Waldrechts erleiden“ (22.11.1752).

Manche Bauern versuchten, die Grundstücksgrenzen heimlich zu verändern, so dass das Kloster dagegen vorgehen musste: „Heute beginnt P. Großkeller [diesen Titel trug der Leiter der Wirtschaftsverwaltung im Kloster] zusammen mit dem Schreiber Schienle damit, die Äcker und Wiesen, welche die Einwohner in der Nähe des Klosters mit widerruflichem Jahreszins besitzen, zu beschreiben, zu vermessen und mit gesetzten Steinen zu begrenzen, damit sie künftig nicht wie bisher die Grenzen ausdehnen und die steuerpflichtigen Güter erweitern können“ (17.10.1765).

Dauerkonflikte waren die Versuche der Bauern, das Kloster bei den Abgaben auszutricksen, sowie Auseinandersetzungen um den Besitz und die Nutzung des Waldes im Rohr: „Der Vogt der Bauern im Rohr kommt zu mir und bittet im Namen der Gemeinde darum, ich möge den Auftrag rückgängig machen, fünf Bäume in ihrem Gemeindewald fällen und zu Brettern für den Gebrauch des Klosters zersägen zu lassen, da schon im Frühjahr auf meinen Befehl mehrere gefällt worden seien. Ich habe geantwortet, dass ich nach dem besten Rechte verfahre, wie aus dem Rotulus, aus dem Dingrodel 7 hervorgeht, welcher dem Kloster die Vollmacht erteilt, Holz in den Wäldern vom Rohr, Eschbach und Ibental zu fällen, welches für die Gebäude, die Herde oder die Öfen gebraucht wird“ (31.12.1750). — „Heute habe ich diejenigen Untertanen zusammengerufen, welche den Zehnten der Erdäpfel nicht vollständig abgeliefert haben; ich habe ihnen den Betrug vorgeworfen und einen, der dreißig Scheffel versteckt hatte, habe ich bestraft. Alle aber habe ich dazu verurteilt, die zurückgehaltenen Zehnten zu vervollständigen. [...] Den Leuten vom Rohr habe ich ihre Hartnäckigkeit vorgeworfen, mit der sie immer eigenmächtig über den Wald verfügen wollen und das überzählige Holz zu fordern und zu fällen pflegen! [...] Den Haldenbauern habe ich zu einer achttägigen Haft bei Wasser und Brot [...] verurteilt, weil er durch wiederholtes Fluchen den Namen des Herrn entweiht hat und wegen der lügnerischen Behauptung, der Rohrwald gehöre den Bauern und — gegen das klare Recht — nicht dem Kloster“ (29.11.1765).

Dieser Tagebucheintrag über den Schwindel beim Abliefern des Zehnten der Erdäpfel erlaubt einen kleinen kulturgeschichtlichen Exkurs über den Kartoffelanbau in der Region: Abt Steyrer schreibt nämlich in seinem lateinischen Text, die Untertanen hätten decimas cyclaminum nicht vollständig abgeliefert; daneben steht auf deutsch die Randnotiz: Erdäpfel oder Grundbirnen. ‚Cyclamen’ ist jedoch der lateinische Name für das Alpenveilchen, das wegen seiner knollenfürmigen Wurzel schon in mittelalterlichen Pflanzen- und Kräuterbüchern „Erdapfel’ genannt wurde.8 In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde dieser Name ‚Erdapfel’ auf die neu angebaute Kartoffel übertragen. Ganz offensichtlich war die Kartoffel im Gebiet von St.Peter noch eine solche Neuheit, dass der Abt ihre botanische Bezeichnung ‚Solanum tuberosum’ nicht kannte und irrtümlich den Begriff ‚cyclamen’ von dem ‚Erdapfel’ Alpenveilchen auf den ‚Erdapfel’ Kartoffel übertrug.9

Wie aufgeheizt die Stimmung zwischen den Bauern und dem Stift war, zeigt eine Reihe von Tagebucheintragungen vom Januar bis März 1761. Der Abt hält sich einige Tage in Freiburg auf, wo er Rechtsbeistand gegen seine aufsässigen Bauern holt: „Um drei Uhr nachmittags habe ich mit P. Großkeller und dem Herrn Amtmann den Herrn Steuerkommissar von Scheiner aufgesucht, wo ich Beweismittel gegen unsere Untertanen vorgetragen habe, welche das Kloster in vielen Punkten auf lügnerische Weise anklagen und seine Rechte angreifen.“ — Am nächsten Tag: „Um neun Uhr bin ich mit den Gestrigen zum Herrn Kommissar gegangen und habe die Verteidigung des Klosters gegen unsere Bauern vervollständigt, mit welcher der Herr Kommissar einverstanden zu sein scheint, der unsere Untertanen als eindeutig leichtfertige und unverschämte Streithammel bezeichnet. Außerdem habe ich abermals die schuldige Genugtuung gefordert“ (29. und 30.1.1761). — Wieder später: „Am Morgen habe ich Herrn Kommissar von Scheiner besucht, welcher mir versichert, er habe den Abgeordneten unserer Bauern befohlen, dass sie wegen der ungerechtfertigten Anklagen und Vorwürfe gegen das Kloster mich um Verzeihung bitten und Besserung versprechen müssten, was sie freilich wegen ihrer angeborenen Starrköpfigkeit bis jetzt nicht getan haben“ (6.3.1761). Erst ein volles Jahr später haben sich die St.Petermer dazu durchgerungen, die ihnen befohlene Verzeihung einzuholen: „Vor meiner Abfahrt vom Kloster [nach Freiburg] haben die Untertanen, nachdem sie ihren Irrtum eingesehen hatten, endlich wegen der Lügen, die sie im vergangenen Jahr beim Steuerkommissar gegen das Kloster ausgestreut haben, um Verzeihung gebeten, die ich ihnen auch gewährt habe; wobei ich die Drohung anfügte, künftig jeden hart zu bestrafen, der dieses ganze alte Kohlgericht an Lügen wieder aufwärmt“ (1.3.1762). Manche dieser St.Petermer „Starrköpfe“ hat Abt Steyrer im Tagebuch ‚verewigt’, ein paar von ihnen sollen hier vorgestellt werden.

St.Petermer Köpfe: Einzelpersonen und -schicksale

Aus offiziellen Dokumenten erfährt man wenig über das Alltagsleben der kleinen Leute. In Abt Steyrers Tagebuch hingegen begegnen uns St.Petermer Menschen von damals — teils in leidvollen Schicksalen, teils in witzigen Kurzportraits, selbst ein wenig Dorftratsch aus dem 18. Jahrhundert ist gelegentlich dabei.

Als einen Kauz ganz besonderer Art schildert Steyrer den Bauern Georg Schneider, nach dem der Schneiderjörgenhof in St.Peter benannt ist: „Heute ist Georg Schneider, Bauer beym Schmittenbach, an der Gelbsucht gestorben. Er war ein Mensch von äußerst kauziger Wesensart, geizig, hinterlistig usw. Mit verschiedenen unehrlichen Tricks versuchte er immer wieder, die Äcker und Wiesen seines Hofes, den er sein schmales Gütle zu nennen pflegte, zu erweitern. Aus diesem Grunde ergaben sich mit seinen Nachbarn unentwegt Gerichtsstreitigkeiten; er hörte aber nicht damit auf, obwohl er des öfteren wegen dieser Sache schwer verprügelt wurde. Ob er dies aus Bosheit tat oder weil es ihm am gesunden Menschenverstand fehlte, ist ungewiss. Auch bewarb er sich über mehrere Jahre um das Vogtsamt, und als ihm gesagt wurde, dass keiner hierzu befördert werden könnte, der einen Bart trage, nahm er diesen sofort ab. Nachdem unsere neue Basilika unter Abt Ulrich erbaut worden war, wurde ihm ein Sohn geboren. Als P. Prior ihn fragte, welchen Namen er ihm in der Taufe geben wolle, antwortete er: Moses. Nach dem Grund hierfür befragt, antwortete er: Damit dieser Name mir immer die vielen Steintafeln in Erinnerung rufen möge, die ich zusammen mit anderen Untertanen zum Bau des neuen Tempels heranzufahren gezwungen wurde. Seiner Frau, die häufig die Kommunion empfing, warf er bisweilen vor, dass sie wegen einiger Weintropfen die Heilige Messe besuche; er behauptete, dass sie nur aus diesem Grunde so oft kommuniziere. Dies und noch vieles andere Kuriose und Einfältige sagte und tat er. R.I.P.“ (10.12.1756). — In Wirklichkeit hieß keiner der Söhne Georg Schneiders ‚Moses’; der 1731 geborene, von Steyrer erwähnte Sohn wurde auf den herkömmlichen Namen ‚Jakob’ getauft.10 Der aufmüpfige Bauer wollte ganz offensichtlich nur den Prior ärgern, und mit seiner Anspielung auf die steinernen Gesetzestafeln des Moses greift er geschickt und schlagfertig die Geistlichkeit auf ihrem eigenen Feld — nämlich der Bibelkenntnis und des Bibelzitats — an.

Recht reizvoll ist es zu erfahren, wie dörfliche Spitznamen entstanden sind, zum Beispiel der Hofname ‚Gerngroßhof”: „Hochzeit [...] des Bauern Simon Hättich am Hugsberzg [...]. Sein Gutshof wird von den Leuten der Gerngroßen Hof genannt; diesen Spitznamen hat Abt Paul [1670-1699] seinem Großvater beigelegt, weil er bei seiner äußerst kleinen Gestalt sehr stark erhöhte Stiefel trug‘ (23.10.1758).

Der Mesner der Lindenbergkirche wurde damals traditionell als der ‚Lindenbruder’ bezeichnet. Abt Steyrer schreibt über ihn: „Der Lindenbruder. Der Mesner der Kirche der seligen Jungfrau Maria auf dem Lindenberg wohnt in einer Flechthütte, er ist unverheiratet. Er trägt aber kein Eremitengewand. Sein Vorgänger war zugleich Gastwirt und verheiratet, wurde aber trotzdem der Lindenbruder genannt und seine Frau die Lindenbruderin“ (11.2.1771).

Wie heute in St.Peter das ‚Plattenweible’ (1854-1936) — mit Männerhut und Tabakspfeife auf Postkarten porträtiert — als Dorforiginal bekannt ist,11 machte 250 Jahre früher ein anderes, allerdings recht rabiates ‚Weible’ von sich reden: „Zur Zeit wird bei uns eine gewisse Witwe, das Schlag-Weible genannt, im Kerker festgehalten, eine überaus vorwitzige und unruhige Frau, Als ihr Häuschen vor kurzem wegen schwerer Schulden verkauft wurde und ihr selbst Wohnung und angemessener Unterhalt überlassen wurde, zündete sie aus lauter Zorn das Häuschen an, der Brand konnte jedoch rechtzeitig gelöscht werden. Heute morgen erwartet sie nun den Urteilsspruch und den Lohn für ihre Tat“ (30.11.1765).

Ein Familiendrama mit einem auch in unserer heutigen Gesellschaft aktuellen Thema wurde von Steyrer mit besonderer Anteilnahme und Empörung verfolgt — es ging um den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen: „Heute morgen wurde Joseph Reiner, der mit seinen drei Stieftöchtern inzestuösen Umgang gehabt haben soll, in den Kerker eingeliefert. Eine ist zwanzig, die zweite sechzehn, die dritte vierzehn Jahre alt, welch letztere (oh welch widernatürliche Freveltat!) schwanger sein soll“ (28.2.1765). — „Heute morgen fällte der Herr Amtmann über Joseph Reiner [...] wegen wiederholten Inzests das Urteil, durch welches angeordnet wird, dass er mit einer am Halse hängenden Tafel, auf der sein Verbrechen beschrieben ist, und mit einer brennenden schwarzen Kerze in der Hand an drei Sonntagen vor der Kirche stehen muss; außerdem muss er drei Monate lang mit Fußfesseln gefesselt öffentliche Arbeiten verrichten. Seine vierzehnjährige Stieftochter, die bei der Verkündung dieses Urteils anwesend sein musste, nachdem sie das Vergehen zu erdulden hatte, erklärte, schwanger zu sein, was der Herr Amtmann bislang nicht glauben wollte, weshalb die Ausführung des Urteils verschoben wurde“ (26.4.1761). Nachdem ein hinzugezogener Arzt festgestellt hatte, dass das vierzehnjährige Mädchen doch nicht schwanger war, wurde das Urteil rechtskräftig (28.4.1761).

Tatort St.Peter: Verbrechen und Rechtsprechung

Auch in anderen Fällen zeigt sich, dass man bei Strafen für Gesetzesverstöße alles andere als zimperlich war: „Heute wurde von zwei jugendlichen Untertanen, die wegen Getreidediebstahls schon einige Monate im Gefängnis saßen, der eine vom Stockmeister zum Halsblock geführt und dort mit dem Knüppel geprügelt und für zehn Jahre aus unserem Gebiet verwiesen, der andere ins Zuchthaus nach Breisach gebracht. Dort ist schon seit zwei Monaten ein anderer Jugendlicher eingesperrt [...], der Sohn des Bauernvogts im Seelgut“ (1.12.1769).

Manche Vorkommnisse hätten Stoff für eine Fernsehserie "Tatort: St.Peter” geben können. So kursierten einmal im Dorf Gerüchte über einen angeblichen Mord. Der Abt erzählt von einem Bauern im unteren Ibental: „Der Bauer [...] wird der Gallis Michele [Gallihof in Ibental] genannt oder vielmehr Michael Mayer, der im darauffolgenden Jahr — wie es das Gerücht behauptet — von seiner Frau durch Gift aus den Lebenden entfernt wurde“ (23.5.1771). Das Gerücht erweist sich tatsächlich als wahr. Auf seinem Rückweg von Freiburg begegnet dem Abt im nächsten Jahr „eine etwa dreißigjährige Frau aus dem unteren Ibental, die gefangen nach Freiburg geführt wird, weil auf sie der schwere Verdacht gefallen war, ihren Mann vor kurzem mit Gift, das sie in den Kuchen gebacken hatte, aus den Lebenden herausbefördert zu haben. Dieser wurde hier der Gallis Michele genannt, er wurde von unserem P. Berthold mit allen Sterbesakramenten versehen. Es heißt, dass sein Leichnam nach neun Tagen ausgegraben und von den Chirurgen untersucht worden ist“ (3.4.1772).

Weniger dramatisch, mit eher etwas komischem Ausgang, verlief eine andere Kriminalgeschichte: „Heute wurde ein Ibentäler Untertan, der Weber Wursthorn, wegen des Verdachts auf wiederholten Diebstahl dem Gefängnisse übergeben. Er wohnte im Berghäusle des Kusshofs“ (10.8.1772). Ein paar Tage später ist im Tagebuch zu lesen: „In der vorigen Nacht hat der Weber Mathias Wursthorn, welcher neulich wegen häufigen Diebstahls ins Gefängnis eingeliefert worden war, die Mauer des Gefängnisses durchgebrochen und sich an einem Seil, das er sich aus einem Leintuch angefertigt hat, auf den öffentlichen Weg herabgelassen und sein Heil in der Flucht gesucht“ (20.8.1772).

Brandkatastrophen

In der Höfechronik Klaus Webers 12 ist nachzulesen, dass in St.Peter im Laufe der Jahre immer wieder Höfe durch Blitzschlag oder durch Brandstiftung vernichtet wurden. Unmittelbare zeitgenössische Schilderungen solcher Brandkatastrophen gibt Abt Steyrer, zum Teil als Augenzeuge. Seine große Betroffenheit spricht nicht nur aus seiner Anteilnahme am Schicksal der Unglücklichen, sondern verrät sich auch darin, dass er jedem dieser Berichte am Seitenrand eine kleine Federzeichnung des in Flammen stehenden Hofes beifügt. Auch auswärtige Brandkatastrophen in Gütenbach, Furtwangen und in Littenweiler sind im Abtstagebuch festgehalten - ein Zeichen dafür, wie tief die Furcht vor Gewittern und Feuer saß (21.5. und 26.6.1756 sowie 27.4.1770).

Breiten Raum nimmt die Geschichte eines Brandstifters ein, der im Scheuerhof und im Spittelhof Unheil anrichtete (Februar bis Juli 1754). Abt Steyrer berichtet: „Weil der Meier [d.h. Gutsverwalter] ihn nicht im Schürhof beherbergen wollte und ihn darauf hingewiesen hatte, dass der nahegelegene Schweighof als Herberge für die Armen bestimmt sei, dringt in der vergangenen Nacht ein bettelarmer französischer Vagabund — nachdem er schreckliche Verwünschungen ausgestoßen hat — heimlich in die Scheune des Schürhofs und wirft Feuer in das Heu und das Stroh. Nachdem er herausgekommen war, entzündete er auch noch unter dem Strohdach Feuer, um umso sicherer in kurzer Zeit das gesamte Hofgut in Asche legen zu können. Aber eine Wöchnerin erblickte durch die Fenster der Küche die Flammen und schreckte mit ihrem Geschrei die Hausbewohner auf, welche schnell herbeiliefen und glücklicherweise den Brand löschten; der Brandstifter indessen war ihren Händen entkommen und entfloh, GOTT sei Lob, der unser Kloster vor solch großem Schaden bewahrt hat“ (28.2.1754). Am nächsten Tag fährt der Abt fort: „Der gestern erwähnte Brandstifter wurde aus dem Berghäusle des Wolfsteige-Hofs gefangen abgeführt und ins Gefängnis gebracht. Der Herr Amtmann bereitet den Prozess vor, von dem er selbst jedoch Abstand nehmen muss, weil er nicht französisch kann“ (1.3.1754). Wieder ein paar Tage später: „Nach dem Mittagessen bricht Herr Lizentiat Hinterfad, welcher die französische Sprache hervorragend beherrscht, nach St.Peter auf, um unseren gefangenen Franzosen zu verhören, welcher nur mäßige Deutschkenntnisse hat. Dieser gestand, ein Deserteur der französischen Armee zu sein; das Feuer im Schürhof habe er [...] aus Rache gelegt, weil man ihm befohlen habe, unseren Bezirk zu verlassen, und ihm Prügel angedroht habe. Er habe jedoch nicht beabsichtigt, den Hof niederzubrennen, sondern wollte lediglich dem Meier einen großen Schrecken einjagen und auch die anderen ermahnen, den Armen mehr Mitleid zu zeigen usw.“ (10.3.1754). Ein paar Wochen später heißt es: „Gestern morgen wurde von den Wachleuten, den Hatschieren, der französische Brandstifter aus unserem Bezirk abgeführt, nachdem er einige Monate hier gefangen gehalten worden war und sich per Eid verpflichtet hatte, unser Territorium künftig nicht mehr betreten zu wollen. Er hätte freilich ein strengeres Urteil verdient, welches jedoch Herr Rechtsprofessor von Reinhard abmilderte, zum einen wegen der Überfüllung des Gefängnisses, zum andern weil der Gefangene fest bei seiner Beteuerung blieb, er habe nicht schaden, sondern nur den Meier erschrecken wollen. [...] Mehrere Leute haben ihn im Gefängnis häufig sagen hören, dass er nach erlangter Freiheit wieder Feuer legen wolle“ (1.6.1754).

Die Fortsetzung dieser Brandstiftergeschichte spielt einige Wochen später im Spittelhof: „Morgens vor drei Uhr begann unser Gut Spitelhof [sic!] zu brennen und brannte noch vor vier Uhr vollständig nieder. Wie es scheint, war das Feuer an mehreren Stellen im Strohdach gelegt worden, was leicht möglich war, da das obere Tor, durch welches nach dem im Schwarzwald üblichen Brauch das Heu und Getreide eingefahren zu werden pflegt, die ganze Nacht über offenstand, um die dort unter dem Dach gelagerten Pflanzen, Ginster genannt, zu trocknen. Diese pflegen von manchen Leuten gesammelt und nach Basel gefahren zu werden; sie sind nämlich notwendig, um Seidenstoffe mit bunter Farbe zu färben. Zusammen mit diesem Gutshof ist auch das gesamte Vieh des Klosters vom Feuer vernichtet, zusammen mit drei weiteren
Kühen, von denen eine dem Herrn Amtmann gehörte, die zweite dem Meier und die dritte dem Wagner, der dort wohnt. Ohne jeden Zweifel wären auch alle Menschen in diesem derart rasenden Brand zugrunde gegangen, wenn nicht einige arme Leute auf dem Gelände des Hofes übernachtet hätten, unter denen ein Mädchen war, welches — durch das herabstürzende Feuer und den Rauch aufgeschreckt — geschwind aufstand und mit seinem großen Geschrei den Meier und die übrigen Hausbewohner aufweckte. Diese, da sie schon nicht mehr zu den Türen hinausgehen konnten, sprangen halbangekleidet durch die Fenster und retteten — bei Verlust ihrer ganzen Habe — nur das nackte Leben. Was die Ursache dieses Brandes gewesen ist, der das Kloster innerhalb einer Stunde viele tausend Gulden kostete, weiß nur GOTT, dessen Name gelobt sei! Indessen ist der Verdacht nicht unbegründet, dass jener französische Brandstifter, von welchem oben [...] die Rede war, der Urheber dieses Feuers war. Einige Leute nämlich, welche zum Löschen des Brandes durch das dem Gut nächstgelegene Wäldchen herbeiliefen, sahen aus diesem einen fremden Mann flüchten, der seinen Stock aus Wacholderholz dort an einen Baum gelehnt zurückließ. Oder soll man einem Menschen, der sich nicht einmal im Gefängnis scheute, so oft mit Brandstiftung zu drohen, etwa nicht zutrauen, dass er das Feuer gelegt hat?“ (29.7.1754, Abb. 2).

Nebenbei erfährt man in diesem Text auch etwas über eine Einnahmequelle der Bauern von St.Peter, die sich durch den Verkauf von Färberginster nach Basel einen Zusatzverdienst verschaffen konnten, ‚Genista tinctoria” = Färberginster, Gilbkraut wurde früher zum Gelbfärben und arzneilich benutzt.13

Beim Spittelhof sieht man dann, wie in St.Peter beim Wiederaufbau eines abgebrannten Hauses die freiwillige Nachbarschaftshilfe durch Holzspenden praktiziert wurde, die sogenannte "Brandsteuer”14: „Gestern haben die Bauern von St.Märgen und andere kostenlos Holz für das Gebäude des Spittelhofs angefahren, unter anderem waren auch ein Wagen und Pferde des Herrn Abtes [von St.Märgen] dabei. Allen wurden im Gutshof Knödel, Fleischstücke, Gemüse mit Brot und Wein im Überfluss vorgesetzt, wie zuvor schon einigemale anderen, sowohl Untertanen wie Auswärtigen. Unsere Untertanen sind nicht verpflichtet, sich für Arbeiten beim Errichten von Gutshöfen, die zum Kloster gehören, zur Verfügung zu stellen; daher müssen sie gebeten werden, was ich auch getan habe. Aber diese waren damit noch nicht zufriedengestellt und erbaten von mir überdies eine schriftliche verbindliche Erklärung, dass sie zu diesen Arbeiten nicht verpflichtet sind; ich habe ihnen diese auch versprochen“ (28.5.1755). Besonders aufschlussreich für das Verhältnis zwischen Untertanen und Kloster ist hier das tiefe Misstrauen der Bauern, denen die mündliche Zusicherung des Abtes nicht genügte; sie wollten es schwarz
auf weiß haben, dass aus ihrer freiwilligen Hilfeleistung später keine Zwangsverpflichtung abgeleitet werden dürfe.

Schließlich kann man auch noch miterleben, wie damals ein Richtfest gefeiert wurde: „Der neue Gutshof Spittelhof wird allmählich bis zum Giebel aufgeführt.“ — „Dem Gutshof Spittelhof wurde das Dach aufgesetzt, unter Mithilfe mehrerer Untertanen, die wie üblich dazu eingeladen wurden, und auch Auswärtiger. Mit zwanzig Wagen wurde das Notwendige herangefahren, Latten, Schindeln usw. Zu Mittag wurde jedem, der wollte, ein Viertel Maß Wein und eine Portion Brot gewährt; am Abend wurde zum Essen allen Knödel, Fleischstücke, Kopfsalat, Rettiche vorgesetzt, mit Brot und Wein so viel man wollte. Die Frauen der Bauern brachten Kuchen. Es waren über hundert Gäste anwesend, das Essen dauerte bis in die späte Nacht, und es wurden etwa drei Saum Wein'” konsumiert. Diese Mahlzeit fand im Gesindehaus statt“ (11. und 25.6.1755).

Als im Jahre 1760 der Muckenhof vom Blitz getroffen wurde und abbrannte, galt dieses Ereignis als besonders aufregend, weil es im Zusammenhang mit Gespenstergeschichten gesehen wurde, von denen später noch ausführlich die Rede sein wird. „Gegen 5 Uhr ein entsetzliches Unwetter, Donnerschläge, Blitze, Regen mit Hagel vermischt, und was ich nur aufstöhnend berichten kann, ein Blitz schlug im Muckenhof ein, setzte ihn in Brand und legte ihn in kurzer Zeit in Asche. Und dies, nachdem eben dieser Gutshof im gesamten abgelaufenen Jahr

und bis heute auf jammervolle Art und Weise von Gespenstern angegriffen und gequält worden war [...]. Aber alle Menschen, GOTT sei Lob, und der größte Teil des Viehes entkamen unverletzt aus diesem Haus; vom Hausrat und vom Mobiliar konnte indessen nichts den gefräßigen Flammen entrissen werden. Zur gleichen Zeit schlug ein anderer Blitz im größeren Fischweiher ganz nahe der Ostseite des Klosters ein, wie Augenzeugen sagen. Von Blitz und Ungewitter verschone uns, Herr. Es heißt, dass in der Nachbarschaft noch zwei weitere Höfe vom Blitz getroffen und vom himmlischen Feuer vernichtet wurden und Bäume zerspalten und in Stücke gerissen wurden. [...] Die Menschen und das Vieh des abgebrannten Hofes habe ich in unseren Gütern Schweighof und Spitelhof [sic!] untergebracht; ich habe Sorge dafür getragen, dass ihnen Betten und das notwendige Essen hergerichtet und so lange zur Verfügung gestellt werden, bis sie imstande sind, für all das selbst wieder zu sorgen“ (27.3.1760, Abb. 3).

Beim Brand des Schönbachhofes 1769, über den auch der St.Märgener Abt Fritz in seinem Tagebuch berichtet,'* konnte Abt Steyrer den Feuerschein vom Kloster aus selbst beobachten:„Gestern um Mitternacht ist aus mir unbekannter Ursache das Hofgut Schempen oder Schönbach abgebrannt im oberen Ibental in unserem Bezirk. Dichter Nebel, überall erleuchtet und rotgefärbt, bot einen schrecklichen Anblick. Alles Vieh außer einer Kuh, alle Geräte, das Heu, das Getreide, mit einem Wort alles im Gutshof wurde von diesem Feuer verschlungen. Nur die Menschen — die meisten bloß mit einem Obergewand bekleidet, viele nackt — entgingen Hals über Kopf fliehend dem Untergang, bis auf eine alte Frau, die alte Bäurin oder das Leibgeding Weib, in deren separater Küche oder Feuerstelle der Brand — wie man glaubt — entstanden ist. Diese bemerkte als erste das Feuer und führte ihre Kuh aus dem Stall; als sie jedoch danach, wie man vermuten darf, wieder in ihre Küche zurückeing, um ihre Sachen den Flammen zu entreißen, fiel sie eben diesen Flammen zur Beute. Die dem Brand entkommenen Menschen flüchteten ins Hofgut Schwebeleck [= Reinerhof]. Ich habe diesen Unglücklichen Brot und Mehl geschickt und ihnen fünfzig Gulden versprochen“ (10.10.1769).

Auch von einem Brand in Steinbach war der Feuerschein in St.Peter zu beobachten: „Heute abend zwischen 6 und 8 Uhr wurde die Mühle des Bauern in Steinbach vom Feuer vernichtet: Der Flammenschein war hier deutlich zu sehen“ (16.2.1770).

Gelegentlich weist der Abt auch darauf hin, dass die Ursachen der Brandkatastrophen zum Teil in der Bauweise der Häuser und in den Lebensgewohnheiten der Schwarzwälder Bauern zu suchen sind: „Heute nachmittag brannte ein Haus in Wildgutach ab. Als dessen Besitzer Risle seine Habe dem Brand entreißen wollte, wurde er durch das Feuer schwer verletzt, noch schwerer indessen seine Frau, die nicht lange überlebte. Das unheilvolle Feuer brach im Ofen der Küche aus, der zugleich als Backofen benützt wird, in dem man heute Brot gebacken und zugleich Getreide auf den Ofen gelegt hat; so wurde durch das Backfeuer das ganze kleine Gut in Asche gelegt, das vor 17 Jahren schon einmal auf gleiche Weise abgebrannt war“ (7.5.1767). - „Gegen II Uhr vormittags, nach dem Ende des Gottesdienstes, wurde durch ein Feuer, das aus mir unbekannter Ursache ausgebrochen ist, der Hof samt der Mühle in Stein im oberen Ibental zerstört. Niemand von den Menschen ging zugrunde, und auch der größte Teil des Viehs wurde gerettet, das Übrige ist fast alles vernichtet. Dergleichen Unglücksfälle sind nur allzu häufig im Schwarzwald, besonders in unserem Gebiet, wo man fast ausschließlich Holzhäuser antrifft und die Küchen gewöhnlich nicht ausreichend gegen das Feuer gesichert sind. Wenn die Bauern doch endlich einmal durch Schaden klug würden“ (19.3.1771, Abb. 4).

Landwirtschaft und Wetter

Als "Gutsherr” widmet sich der Abt intensiv den Themen Landwirtschaft und Wetter. Fast täglich beginnt er seine Eintragungen mit einem kurzen Wetterbericht. Er notiert den fallenden oder steigenden Barometerstand, die Temperatur (allerdings nur in beschreibenden Worten, nicht in gemessenen Graden), Bewölkung, Sonne, Niederschläge, die Wachstums- und Erntebedingungen usw., sodass man über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg die Witterungs- und Klimaverhältnisse in St.Peter im 18. Jahrhundert verfolgen kann.

Genau wie heutzutage sind auch damals in St.Peter extreme Wetterschwankungen zu beobachten: In einem zu nassen Sommer verfault das Heu auf den Wiesen (28.7.1763), ein andermal entsteht Ende des Jahres durch eine wochenlange Trockenheitsperiode Wassermangel, so dass die Mühlen nicht mehr betrieben werden können (17.12.1766). In einem Jahr wird Ende Januar „überall im Schwarzwald gepflügt, und so wird beinahe die ganze Frühjahrsarbeit vorweggenommen, der Dünger wird auf die Äcker gefahren“ (30.1.1765). Dafür heißt es ein andermal im Juni: „Heute schneite es auf dem Candel und den anderen Bergen so stark, dass die Hirten gezwungen waren, das Vieh in die tieferen Täler auf die Weide hinabzuführen. Dasselbe geschah in Waldau und im Hohlengraben“ (4.6.1771). Auch der Sturm ‚Lothar’ hat schon im 18. Jahrhundert seine Vorläufer, welche die Ziegel von der Dächern reißen, alle Gebäude heftig rütteln, die Fenster zerbrechen (18.2.1756 und 12.3.1763) oder im Wald schweren Schaden anrichten: „Nach Mitternacht hat die Wut des Windes abgenommen, welcher freilich weit und breit die Spuren seines Tobens hinterließ. In den Wäldern unseres Klosters wurden mehr als 600 große Bäume mit der Wurzel herausgerissen oder abgebrochen“ (13.3.1763).

An Sonn- und Feiertagen durfte günstiges Erntewetter nur mit Erlaubnis des Abtes genutzt werden: „Fest der Hl. Maria Magdalena. Morgens heiterer Himmel, sehr kühle Luft. Das Barometer fällt innerhalb kurzer Zeit. Daraufhin erlaubte ich, dass das noch auf' den Wiesen liegende Heu von den Heuern eingefahren werden durfte“ (22.7.1763).

Immer wieder fügt Abt Steyrer seinen lateinisch geschriebenen Wetterbeobachtungen Wetterregeln in deutscher Sprache hinzu, wie er sie von seinen Bauern gehört hat und wie sie zum Teil auch nach 250 Jahren heute noch gebräuchlich sind. Als einmal im Dezember der Schnee ausbleibt, schreibt er: „Vielleicht wird sich die Bauernregel bewahrheiten: "Grüne Weihnachten, Weiße Ostern“ (25.12.1753). — Ein andermal heißt es im März: „Nur auf den fernsten Bergen zeigt sich Schnee. Überall ist die Erde trocken. Wenn doch diese Bauernregel in Erfüllung ginge: "Märzen Staub bringt Graß und Laub!“ (14.3.1772). — Von einem Gewitter im April gibt er eine eindringliche Schilderung: „Gegen Ende der Mahlzeit [...] krachten Donnerschläge. Als darauf ein wütendes Unwetter ausbrach, nahmen die Donnerschläge zu, häufig zuckten Blitze und endlich folgte stärkster Regenguss. Der Regen war mit kleinen Hagelkörnern gemischt. [...] Dieses Unwetter dauerte über eine Stunde, was um diese Zeit ungewöhnlich ist. Wenn das Sprichwort der Bauern: Früher Donner, später Hunger wahr ist, dann wird dieses Jahr ein überaus fruchtbares. Möge GOTT es gewähren!“ (30.4.1772).

Erdbeben

Auffallend häufig ist von Erdbeben in der Region die Rede. Innerhalb weniger Jahre (zwischen 1755 und 1772) registriert Abt Steyrer fünf Erdbeben, welche die Menschen in St.Peter — ob im Kloster oder im Dorf — mit größter Angst erfüllten. „Letzte Nacht hat gegen 3 Uhr ein Erdbeben unser Kloster leicht erschüttert, und zwar so, dass in meinem Schlafgemach die Fenster und die Bilder an den Wänden bewegt wurden. Dasselbe Beben ist auch in Freiburg und andernorts im Breisgau eingetreten. GOTT möge uns verschonen!“ (9.12.1755). — „Etwa um neun Uhr vormittags hat ein Erdbeben unsere ganze Kirche samt dem Kloster für kurze Zeit heftig erschüttert, zum großen Schrecken aller, aber GOTT sei Lob! ohne jeden Schaden“ (11.8.1771). — „Um elf Uhr vormittags hat ein heftiges Beben die Erde erschüttert. Andere sagen, sie hätten dieses Beben, jedoch ein leichteres, schon um zehn Uhr gehört. Sie behaupten auch, sie hätten gestern abend gegen acht Uhr etwas wie ein Feuer durch die Luft fliegen sehen. GOTT sei uns gnädig!“ (31.1.1772).

Die Furcht vor Erdbeben steigerte sich damals bei den Menschen in St.Peter offensichtlich zu Weltuntergangsängsten; denn das durch die Luft fliegende Feuer, das manche gesehen haben wollten, konnte als Vorzeichen großen Unheils, ja des nahen Weltendes gedeutet werden. Dies ist vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund zu sehen und zu verstehen: 1755 ereignete sich in Portugal ein furchtbares Erdbeben, bei dem die Stadt Lissabon zu zwei Dritteln zerstört wurde und über 30.000 Einwohner ihr Leben verloren. Auf diese Katastrophe, die in der ganzen damaligen Welt Entsetzen hervorrief, geht Abt Steyrer dreimal ausführlich ein (1.11. und 5.12.1755 sowie 9.1.1756). Er zitiert dabei ein lateinisches Gedicht, das „irgendjemand über den Untergang dieser Stadt geschrieben hat: Non Lis-bona, sed Lis-mala / Lis cum elementis vana, / Meta litis pessima. / Fuit, heu! non est Lisbona / Portugalliae corona, / Regiarum optima. In einem Wortspiel wird hier ‚Lisbona’, der lateinische Name Lissabons, mit neuem Sinn in seine Bestandteile ‚Lis-bona’ zerlegt: lat. ‚lis, litis’ f. = der Streit; ‚bonus, -a, -um’ = gut; ‚malus, -a,
-um’ = schlecht. Also: Kein guter Streit, sondern ein schlechter Streit / ein vergeblicher Streit mit den Elementen; / Schlimmste Wendung des Streits. / Es war, wehe! und ist nicht mehr Lissabon / Portugals Krone, / die beste der königlichen Residenzen. — Nach seinen damaligen Informationen glaubte der Abt sogar, dass über 100.000 Menschen in Lissabon unter den Ruinen begraben wurden. Kein Wunder also, dass auch in St.Peter der Schock tief saß und jedes Erdbeben in der Region schlimmste Ängste auslöste.

Die Geschichte von der feurigen Erscheinung, die manche Leute vor dem Erdbeben angeblich durch die Luft fliegen sahen, leitet zu einem letzten Thema über: dem Gespensterglauben im Dorf, der im 18. Jahrhundert nicht nur das einfache Volk, sondern auch die Geistlichkeit beherrschte. In Abt Steyrers Tagebuch finden sich hierfür mehrere Beispiele.

Gespensterstunde: Spukgeschichten und Sagen

Beim Brand des Muckenhofs 1760 (s.o.) wurde Abt Steyrers Bemerkung zitiert, dass „eben dieser Gutshof im gesamten abgelaufenen Jahr und bis heute auf jammervolle Art und Weise von Gespenstern angegriffen und gequält worden war“. Auf diese Vorfälle des Jahres 1759 geht er im Tagebuch ausführlich ein und gibt mit seinen Berichten eine deutliche Vorstellung von dem Gespensterglauben der Zeit (Abb. 5): „Um vier Uhr nachmittags werden P. Petrus und P. Großkeller Gregorius wie schon einigemale zuvor in den Gutshof Muckenbach gerufen, welcher bei Tag und Nacht von Geistern, Gespenstern oder Unholden beunruhigt wird. Häufig entsteht darin Lärm, es werden Steine in den Zimmern umhergeworfen, und niemand ist zu sehen. Brennende Holzscheite werden von unsichtbarer Hand aus dem Ofen gerissen und gegen die Danebenstehenden geworfen usw.“ (25.5.1759). — „Die Gespenster machen wieder den Gutshof Muckenbach unsicher“ (Mai 1759). — „Die Gespenster lärmen in noch größerer Zahl im Gutshof Muckenbach und erschrecken die Bewohner, besonders die kleinen Kinder, trotz aller erteilten priesterlichen Segnungen und heiligen Handlungen. Heute erteilte P, Großkeller dem Gutshof, nachdem das Ehrwürdige Sakrament bereits dorthin getragen wurde, seinen Segen“ (1.7.1759). — „In der vorausgehenden Nacht haben die Gespenster den Einwohnern des Gutshofes Muckenbach in Anwesenheit des P. Gregorius Großkeller sowie P. Petrus auf außer-
ordentliche Weise übel mitgespielt“ (20.8.1759). Schließlich gaben die Patres ihre erfolglosen Bemühungen auf und holten sich einen Experten von auswärts: „Am Abend kommt P. Pereerinus an, ein Freiburger Kapuziner, der im Volksmund der Hexenmeister genannt wird, welcher in der Provinz dafür zuständig ist, Dämonen zu bannen und Zauberwerke zu vertreiben.“ Am nächsten Tag übt er „am Nachmittag im Hofgut Muckenbach sein Amt aus“ (13. und 14.9.1759).
Abb. 5 „Kampf des hl. Petrus gegen den heidnischen Zauberer Simon Magus“ von Franz Joseph Spiegler. Das Deckengemälde (1727/28) in der Kirche von St.Peter veranschaulicht den Dämonen- und Gespensterglauben der Zeit (Foto: Raimund Schreiber).

Die Spukerscheinungen im Muckenhof wurden als so wichtig betrachtet, dass P. Gregor Baumeister, der Geschichtsschreiber des Klosters, sie in seinen Annalen der Abtei festhält; auch der St.Märgener Abt Petrus Glunk berichtet in seinem Tagebuch darüber.17 Nach P. Gregor Baumeister hören die Gespenstererscheinungen im Muckenhof erst auf, als das Gut durch Blitzschlag abbrennt.

Ein Zeugnis für den Teufelsglauben der Zeit gibt es im Zusammenhang mit einem Selbstmord, der sich im Rohr ereignete: „Heute morgen hat im Rohr im Nazis Hof der Salpeterer Johannes Hermann sich selbst mit einer Schlinge die Kehle gebrochen, als er dort eine Zeitlang Salpeter ausgrub und zubereitete. Die Ursache seiner Verzweiflung war Habgier. Als er nämlich erfuhr, dass andere ausreichende Einnahmen hätten, verzweifelte er so sehr darüber, weil er in diesem Jahr zu wenig Gewinn aus dem Salpeter bezog.“ Der Abt deutet den Vorfall theologisch-moralisch: „Wie der Apostel in Wahrheit sagt: Die reich werden wollen, fallen in verschiedene Versuchungen und in die Schlinge des Teufels. 1. Tim, 6 v. 9. Daher trifft das voll zu, was mehrere erzählen, dass man — denkt euch nur — am zweiten Tag dieses Monats in der Nähe des Hofes, in dem sich das Erhängen ereignete, das Schreien eines Frohlockenden oder Triumphierenden gehört habe, ohne dass jemand zu sehen war“ (4. u. 5.8.1763),

All diese Geschichten zeigen, wie sehr sich die Menschen von dunklen Mächten umgeben und bedroht sahen. Selbst das Erscheinen eines Drachen wird von Abt Steyrer berichtet und zunächst auch für nicht unmöglich gehalten: „Ein Bauer aus Geyersnest, Jakob Busch, erzählt, er habe in dem Wald, der von Geyersnest zum Bollschweiler Gut Schweighoff hinabreicht, neulich morgens bei dem Felsen einen Drachen gesehen und sei in großer Furcht schnellstens entflohen, auch sei er drei Tage lang krank gewesen und habe kaum eine Speise zu sich genommen. [Randnotiz:] Da später nichts mehr von diesem Drachen gesehen oder gehört wurde, scheint diese ganze Geschichte ein Märchen gewesen zu sein“ (11.6.1765).

Ein volkskundlicher Leckerbissen ist es, im lateinischen Tagebuch die Entstehung einer kleinen St.Petermer Ortssage zu entdecken, die der Abt auf deutsch aufgeschrieben hat, wie sie ihm von den Leuten erzählt wurde: Als heut des Steigbauren Hirten Mägdlein das Vieh hütete und sein Schöplein oder Ärmel anlegen wollte riß ihm jemand hinter ihm stehend dißselbige weg und ficht ihm mit der Hand über das Gesicht. Als das Mägdlein umsahe, erblickte es einen Menschen mit kohlrabenschwartzem Angesicht, und bezeichnete sich mit dem H, Kreutz, auf welches das Gespänst verschwund, das Kleidlein aber auf der Gegenseite des Berges auf des Mucken Bauren Feld in einer Hecke gefunden worden. Das Mädchen ist etwa zehn Jahre alt (22.5.1770). — Auch diese Geschichte wurde in die Annalen der Abtei aufgenommen.

Neben diesem Gespenster- und Teufelsglauben, welcher Geistlichen wie einfachen Leuten gemeinsam war, gab es im Volk auch unerlaubte abergläubische Vorstellungen und Praktiken, die von der Kirche und den weltlichen Gerichten verfolgt wurden. Ein Vorfall, der dies belegt, ereignete sich im Jahre 1746, also vor Steyrers Amtszeit. Deshalb sei hier ergänzend auf das Tagebuch des St.Märgener Abtes Petrus Glunk verwiesen, der sehr ausführlich darüber berichtet. Demnach haben einige Leute aus St.Märgen und aus St.Peter versucht, durch unerlaubte abergläubische Gebetter, Schäz und Geldt zu bekommen. Bei einer Hausdurchsuchung wurden im Hochrütti abergläubische Büchlin und Zedule gefunden und verbrannt.18

Außer den hier ausgewählten Themen finden sich in Philipp Jakob Steyrers Diarium noch zahlreiche weitere heimatkundlich lohnende Mitteilungen über das Dorf St.Peter in seiner Zeit. Der Abt informiert über die Anfänge des Obstanbaus in St.Peter im 18. Jahrhundert; über die Verbesserung der Viehzucht, wozu im Jahr 1768 drei Kühe und ein Stier aus dem Schweizer Kanton Solothurn importiert wurden; über die Unruhe, welche die Scharen von Bettlern — manchmal weit über tausend — am jährlichen Almosentag des Klosters im Dorf verbreiteten; über Epidemien; über die sogenannte ‚Konskription’, das damalige Musterungsverfahren, nach welchem die wehrfähigen Burschen zum Militärdienst ausgehoben wurden; über Feste und Feiertage; über Uhrmacher aus St.Peter und über Uhrenhändler, die schon um 1760 ihre Ware nach England, Holland, Moskau, Dänemark und in andere Gegenden ausführten.


* Überarbeitete Fassung eines Vortrags, der am 28.2.2011 im Bildungswerk St.Peter gehalten wurde.
1 PHILIPP JAKOB STEYER: Diartum Philippi Jacobi, abbatis monasterii S. Petri a die 8. Dec. 1749 usque ad finem anni 1772, 8 Bde., Generallandesarchiv Karlsruhe, 65/549-556.
2 KLAUS WEBER: St.Peter im Wandel der Zeit. Beitrag zur 900-Jahr-Feier 1993, Freiburg 1992; Ders.: Höfechronik von St.Peter, 2 Bde., Freiburg 1997 und 1998.
3 Der Abt als Dorfchronist. St.Petermer Menschen und Ereignisse in Abt Steyrers Tagebuch 1749-1772, Parallelausgabe lateinisch/deutsch, ausgewählt, übersetzt und hg. von ERICH KAISER, unveröffentlichtes Manuskript, St.Peter 2009.
4 VOLKER HIMMELEIN: Die Brautfahrt der Marie-Antoinette, in: Vorderösterreich — nur die Schwanzfeder des Kaiseradlers? (Vernissage. Die Zeitschrift zur Ausstellung 1/1999), S. 40.
5 Sebastian Sailers Schriften im schwäbischen Dialekte. Gesammelt und mit einer Vorrede versehen von SIXT BACHMANN [1819]. neu hg. von HANS ALBRECHT ÖEHLER, Weißenhorn 2000, S. 226f.
6 Hier und im Folgenden wurden, um eine Verwechslung mit Quellenzitaten, die kursiv gesetzt sind, zu vermeiden, die durch den Autor vorgenommenen deutschen Übersetzungen des in lateinischer Sprache geschriebenen Tagebuchs in Anführungszeichen wiedergegeben.
7 BENJAMIN GEHRING: Der „Große Dingrodel“ von St.Peter auf’ dem Schwarzwald von 1458, in: Schau-ins-Land 125 (2006), 8. 25-36.
8 LEONHART Fuchs: Das Kräuterbuch von 1543, Nachdruck Köln 2001, Cap. CLXXI: „Erdtapffel“.
9 HEINRICH MARZELL: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen, Bd. 4, hg. von Heinz Paur, Stuttgart’ Wiesbaden 1979; fotomechanischer Nachdruck Köln 2000, Sp. 369-386; JACOB und WILHELM Grimm: Deutsches Wörterbuch, München 1984, Bd. 3, Sp. 745 und Bd. II, Sp. 244f.
10 WEBER, Höfechronik (wie Anm. 2), Bd. 1, 8. 181.
11 Fritz Hockensos: Wäldergeschichten, Freiburg 1980, S. 33-37.
12 WEBER, Höfechronik (wie Anm. 2).
13 Meyers Konversations-Lexikon, 7. Bd,, Leipzig und Wien °1894, S. 316.
14 Weber, Höfechronik (wie Anm. 2), Bd. I, S. 356.
15 Ebd., Bd. 1,8. 354: 1 Saum Wein = 115-145 Liter.
16 Ebd., Bd. 2, S. 638.
17 GREGORIUS BAUMEISTER: Synopsis Annalium Monasterii S. Petri in nigra Silva O.S.B. 1770, S. 568 und 579; Die Tagebücher des Abtes Petrus Glunk von St.Märgen aus dem Schwarzwald (reg. 1736-1766), bearb. von ELISABETH IRTENKAUF unter Mitwirkung von WOLFGANG IRTENKAUF, in: FDA 115 (1995), S. 35-278, hier 5. 199.
18 Die Tagebücher des Abtes Petrus Glunk von St. Märgen (wie Anm. 17), S. 142f.