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Stegen - die Sonnenseite des Dreisamtales
Serie: Dorf 2000

von Dagmar Engesser
aus: Dreisamtäler vom 6. Juli 2000

Der Ursprung Stegens geht auf das Schloss Weiler zurück. Dieses war Sitz der „Meier von Weiler“, frühen, urkundlich genannten Gutsbesitzern, die dort ab dem 12. Jahrhundert herrschten. Als sie im 15. Jahrhundert ausstarben, ging Schloss Weiler an die Reischachs über, die den „Meierhof“ Ende des 15. Jahrhunderts zu einem Wohnschloss und Herrensitz umbauten. Ab 1700 war die Adelsfamilie von Kageneck Träger des Weilerschen Lehens. Den Spuren des Schlosses Weiler kann man heute noch nachgehen: Rund um Kirche und Kolleg St. Sebastian stehen weite Teile der Schlossmauer und auf dem Areal selbst die Kapelle, die urkundlich 1493 erstmals erwähnt ist, und wahrscheinlich aus der Zeit der Herren von Weiler stammt. In:ihr befindet sich heute  eine stattliche Sammlung von  Kunstschätzen.

Stegen heute 
1970 war Stegen noch ein kleines Dorf. Mit Rechtenbach, Ober- und Unterbirken hatte Stegen gerade mal 944 Einwohner. Bis 1974 schnellte die Einwohnerzahl hoch auf 2.213 Einwohner. Innerhalb von vier Jahren hat sich die Bevölkerung mehr als verdoppelt. 

Wie kam dieses Wachstum zustande? 
In diesem kurzen Zeitraum wurde überproportional viel gebaut. Möglich wurde diese Bautätigkeit, weil die Gräfin Gertrud von Kageneck — die letzte der in Stegen lebenden Kagenecks - der Gemeinde Grundstücke schenkte und andere frei verkaufte. Dies waren vor allem Flächen um den Ortskern herum, die dann bebaut wurden. 
Mit den Eingemeindungen von Wittental und Eschbach kamen dann bis 1975 noch einmal über 2.000 Einwohner dazu, so dass in der Gesamtgemeinde Stegen heute etwa 4.350 Menschen wohnen. 

Bevölkerungsexplosion 
Mit diesem explosionsartigen Wachstum zwischen 1970 und 74 entstanden in Stegen erst einmal sehr problematische Strukturen. Was Ideal der Städtplaner in den 60er und 70er Jahren war, nämlich die Stadt in Funktionsbereiche aufzuteilen, wurde in Stegen Wirklichkeit. Stegen war so etwas wie ein Schlaf-Vorort Freiburgs. Die Menschen waren auf Freiburg fixiert. Dort arbeiteten sie, dort verbrachten sie ihre Freizeit. Stegen war zum Schlafen da. Es bestand keine gewachsene Beziehung zum Wohnort. 
Diese Struktur hat sich inzwischen deutlich verändert. Heute ist Stegen ein lebendiger Ort mit vielen Vereinen und Bürgern, die sich aktiv am gesellschaftlichen und kulturellen Leben beteiligen. Die dörfliche Infrastruktur hat sich der Einwohnerzahl angepasst und die Bürger identifizieren sich mit ihrem Wohnort. 
Heute stagniert Stegens Einwohnerzahl — auch wenn der Eindruck nach außen hin ein anderer ist - da die Baulandpolitik eher restriktiv ist. 

Stegens Zentrum 
Stegen wird schon immer von zwei Landesstraßen zerschnitten. Deshalb hat sich nie ein richtiger Ortskern entwickelt, sondern nur punktuelle Anhäufungen von Geschäften rund ums Rathaus und rund um den Hirschen. Erklärtes politisches Ziel war deshalb immer die Schaffung eines Ortszentrums. Nach langen Jahren der Planung und des Bauens mausert sich nun der Bereich mit Rathaus, Kageneckhalle, Ökumenischem Zentrum, Schule und Dienstleistungszentrum langsam zum neuen Ortskern. Es wurde ihm auch schon Leben eingehaucht und bei schönem Wetter ist der Platz rund um den Brunnen bis in den Abend hinein immer belebt. Allerdings macht es auch noch Sorgen: denn noch längst sind nicht alle Gewerbeflächen vermietet. 

Sorgenkind Infrastruktur 
Der Trend ist nicht zu übersehen: die Volksbank zog sich zurück, die "Post musste schließen, die Sparkasse in Eschbach gibt es nicht mehr, das neue Dienstleistungszentrum ist immer noch nicht voll vermietet. 
„Zunehmend beobachten wir existenzielle Schwierigkeiten bei den vorhandenen Geschäften. Großmärkte in der Nachbarschaft sind mit ihren Dumping-Preisen eine große Konkurrenz für die kleinen Unternehmen in Stegen. Gleichzeitig ist es schwierig, Verkaufsflächen vor Ort anzusiedeln,“ erläutert Stegens Bürgermeister Siegfried Kuster.
Das was man für das tägliche Leben braucht, kann man in Stegen auch einkaufen. Aber von der Infrastruktur her hat Stegen nicht mehr zu bieten als St. Peter, und das, obwohl Stegen doppelt so viele Einwohner hat. Auf den ersten Blick ist das unverständlich. Eine mögliche Erklärung dafür: die Nähe zu Kirchzarten und Freiburg. Beides ist für eine mobile Bevölkerung keine Entfernung und die Stegener kaufen vieles  dann dort ein, wo das Angebot breitgefächerter ist. 

Altersgerechtes Wohnen im Kernort 
Mit der Seniorenwohnanlage Pater Middendorf haben ältere Menschen die Möglichkeit, ihren Lebensabend relativ selbständig, aber doch abgesichert zu verbringen. Bürgermeister Kuster ist davon überzeugt: „Die Entscheidung dort eine Seniorenwohnanlage zu erstellen war richtig!“ 
Gerade für ältere Bürger ist zentrales Wohnen und eine gute Infrastruktur wichtig. Es ist auch zu beobachten, dass jetzt, wo die Bürger älter werden, auch wieder mehr vor Ort eingekauft wird. Kurze, fußläufige Verbindungen zu den wichtigsten Geschäften werden eben geschätzt - und zwar nicht nur von den Bewohnern der  neuen Seniorenwohnanlage Pater Middendorf. 

Stegen eine Wohn- und Auspendler-Gemeinde 
Jeder Bürgermeister hätte gerne viele Arbeitsplätze am Ort. Stegen hat leider nicht allzuviele zu bieten. Die Zahl der Auspendler ist relativ groß — etwa 80 % der Bevölkerung arbeitet außerhalb Stegens.
Größter Arbeitgeber in Stegen ist das Bildungs- und Beratungszentrum für Hörgeschädigte und das Kolleg St. Sebastian als freies kirchliches Gymnasium. 
Viele Arbeitsplätze stellt neben dem heimischen Gewerbe auch die Landwirtschaft. Sie spielt trotz rückläufiger Betriebszahlen eine wichtige Rolle. Wie allen anderen Dreisamtalgemeinden auch, liegt Bürgermeister Kuster die Offenhaltung der Landschaft sehr am Herzen. Zunehmend problematischer wird der Erhalt der Nebenerwerbsbetriebe. Dort ist die Belastung für die Familien sehr groß. Deshalb, so Bürgermeisters Kuster, „wird es auch künftig eine wichtige Aufgabe der Gemeinde sein, die noch vorhandenen Landwirte ideell und finanziell zu unterstützen.“ 

Gewerbepark hilft Arbeitsplätze schaffen und erhalten 
Die ansässigen Handwerksbetriebe haben im Innerort der Gemeinde Probleme zu expandieren. Es fehlen die Flächen und die Lärmemissionen stören die Nachbarn. Unter solchen Bedingungen einen Betrieb zu führen ist oft nicht mehr wirtschaftlich und manchmal existenzbedrohend. Deshalb war es dringend geboten, für die Gesamtgemeinde ein Gewerbegebiet auszuweisen. Der zukünftige Gewerbepark wird westlich der Gehörlosenschule, gegenüber des Sportplatzes, angesiedelt. Seine Größe: 1,5 Hektar. Er wird etwa 10 bis 15 Betriebe aufnehmen können.

Eschbach - Erstaunlich selbständig! 
Trotz der Eingemeindung ist Eschbach erstaunlich selbständig. Eschbach hat Kindergarten und Schule, Kirche und Friedhof im Ort, hat eigene Vereine, eine eigene Feuerwehr, ein Lebensmittelgeschäft, eine Bank — also eine Infrastruktur, die mithalten kann. Innerhalb der Bürgerschaft ist die Identifikation mit Eschbach sehr groß.

Die Halle in Eschbach — die Einlösung einer Zusage 
Stark aufgewertet wird Eschbach durch die neue Mehrzweckhalle. Die Halle wurde Eschbach im Eingemeindungsvertrag vor 25 Jahren zugesagt — letztes Jahr wurde sie eingeweiht. Obwohl noch jung, ist sie inzwischen ziemlich ausgebucht. Sie wird von den vielen Eschbachern Vereinen rege genutzt, vor allem dem Sportverein mit seinen vielen Unterabteilungen. In Eschbach gibt es Vereine mit Tradition und es gibt sehr erfolgreiche Vereine: so feiert der Kirchenchor dieses Jahr sein 200- jähriges Bestehen, im Jahr 2004 wird der Musikverein 100 Jahre alt. Der Tauziehclub zieht immerhin in der Bundesliga! 

Die Landwirtschaft — geprägt von Steillagen 
Der besondere Reiz Eschbachs ist der Wechsel zwischen Grünflächen und Wald und typisch sind die Höfe, die einzeln in der Landschaft stehen. Eine Zukunftsaufgabe wird es sein, diese Landschaft zu erhalten. Und das geht nur mit der Landwirtschaft. Denn die Landwirte sind es, die die Flächen offen halten. Eschbach hat eine Gemarkungsfläche von 1400 Hektar, die sich von den Talflächen des Dreisamtals (390 m ü. d. M.) bis hoch nach St. Peter (870 m ü. d. M.) erstreckt. Das heißt, dass auf engem Raum sehr viele Höhenmeter zu überwinden sind.
Die Landwirtschaft in Eschbach ist geprägt von Steillagen, die schwer zu bewirtschaften sind. Hangpflege findet hier unter schwierigsten Bedingungen statt. Deshalb ist in starkem Maße eine Umstrukturierung der Landwirtschaft zu beobachten, nicht zuletzt bedingt durch den Preisverfall von Fleisch, Milch und Holz. Umstrukturierung bedeutet, dass junge Leute andere Erwerbsquellen suchen, Landwirtschaft extensiviert wird und Flächen einfach aufgegeben werden - und verwalden. Trotz des Negativtrends in der Landwirtschaft, auch in Eschbach gibt es Versuche, die zeigen, dass die Landwirtschaft auch Chancen bietet, Der Salzhof, der fast auf der Höhe von St.Peter liegt, geht neue und eigene Wege. Der Betrieb wird als Biolandhof geführt und vermarktet erfolgreich die Ziegen- und Kuhmilchkäse-Sorten aus der eigenen Hofkäserei. Als in Eschbach bekannt wurde,  dass dort zukünftig Ziegen gehalten werden, wurde am Stammtisch und auf dem Kirchplatz viel darüber geredet. Denn in diesem Punkt ist Eschbach ganz Dorf.
Dem Projekt wurde mit Skepsis begegnet. Und Salzhofbäurin Karin Feucht kann diese Vorbehalte sogar verstehen: „Ja, die ältere Generation musste früher eben Ziegen hüten — und es gibt nichts Schlimmeres als Ziegen hüten. Die machen was sie wollen, vor denen ist nichts sicher!“ Inzwischen aber sind Ziegen auch anderswo in Eschbach verbreitet — um das Verwalden von Grünflächen zu verhindern. Egal ob Büsche oder Dornenhecken, was sie zwischen die Zähne kriegen, wird gefressen. 
Ortsvorsteher Bernhard Schuler sieht in der Haltung von Ziegen zur Flächenfreihaltung jedoch kein Allheilmittel. 
Schuler ist der Überzeugung, dass die Leistungen der Landwirte stärker im Bewusstsein der Bevölkerung verankert werden müssen. Zentrales Anliegen muss es sein, dass die Kunden Produkte aus der Region kaufen. Denn „die Förderung der heimischen Landwirtschaft ist ein Beitrag zur Offenhaltung der Landschaft.“ Genau darauf zielen auch die alljährlichen Reckenberger Landtage ab, bei denen einem breiten Publikum heimische Produkte vorgestellt werden. 

„uf d’Kirch sin mer bsonders stolz!“ 
Die spätbarocke Kirche ist eine der schönsten der Gegend. Äußerlich sehr unscheinbar, „strahlt sie innen von seltener Schönheit.“ — so Bernhard Schuler. Sie wurde als Klosteranlage von St. Peter gebaut und diente den Äbten von St.Peter als Winterresidenz. In der Kirche sind Figuren von Mathias Faller und Gemälde von Simon Göser zu sehen. 

Eingemeindungen — heiße Eisen auch schon in früheren Jahrhunderten 
Eingemeindungen sind immer mit hochgehenden Emotionen verbunden, früher wie heute. Denn das was heute vereinigt ist, war früher selbständig oder mit ganz anderen Gemeinden zusammen. Im Laufe der Jahrhunderte gab es im Dreisamtal alle möglichen Konstellationen und bei der Gemeindereform gab es Überlegungen in viele Richtungen. Alles hätte auch ganz anders kommen können.
Teile Eschbachs, nämlich Schwabenhof und Berlacherhof, gehörten zum Beispiel zu Wiesneck, das im 19. Jahrhundert noch selbständig war und heute zu Buchenbach gehört. Nach der Auflösung Wiesnecks, wurden dann die beiden Höfe, nach Eschbach eingemeindet. 
Stegen und Unteribental waren in vergangenen Jahrhunderten mehrfach zusammengeschlossen und trennten sich endgültig erst 1827. Im ausgehenden Mittelalter war das Attental vollständig in Freiburger Besitz. Es wurde derzeit dem Gemeindeverband Zarten zugeordnet und von der Kirchzartener Talvogtei aus regiert. 
Das Attental fühlte sich in diesem Gemeindeverband allerdings benachteiligt und als Freiburgs Einfluss kleiner wurde, löste es sich von Zarten und tat sich 1813 mit Wittental zusammen. Darüber war das Wittental nicht erfreut und versuchte seinerseits mehrfach die Verbindung zu lösen.
Annäherungen fanden ab 1935 mit dem Bau eines gemeinsamen Schulhauses und einer Verbindungsstraße statt. 
Als zu Beginn der 70er Jahre die Gemeindereform anstand versuchten sowohl Wittental als auch Eschbach, ihre Selbständigkeit zu erhalten.  Eschbach kämpfte jahrelang für den Erhalt der Selbständigkeit. Vorstellbar wäre für die Eschbacher eine Verwaltungsgemeinschaft nach dem Vorbild des Hexentals gewesen. Mehrere Modelle wurden gehandelt. Eine Verwaltungsgemeinschaft mit St.Peter,  St.Märgen und Glottertal, oder mit Stegen, Wittental und Eschbach oder sogar mit Kirchzarten - aber immer mit dem Ziel: Eschbach bleibt selbständig. Schlussendlich wurde Eschbach zwangseingemeindet. Und das, obwohl ein freiwilliges Zusammengehen 100.000 DM Zuschussgelder des Landes Baden-Württemberg bedeutet hätte. Aber Eschbach blieb stur, man wollte nicht käuflich sein. 
Anders verlief der Prozess der Eingemeindung in Wittental. Für Wittental war es relativ klar, dass es mit 350 Einwohnern einen stärkeren Partner brauchen wird. Denn eine Gemeinde hat eine Vielzahl an Aufgaben zu finanzieren und es war absehbar, dass sehr kleine Gemeinden damit zukünftig überfordert gewesen wären. Die Überlegungen gingen auch im Wiittental in ganz unterschiedliche Richtungen. Auch Wittental favorisierte die Selbständigkeit und dachte an eine Verwaltungsgemeinschaft mit Kirchzarten. Stegen stand anfänglich überhaupt nicht zur Diskussion.
Die Praxis sprach aber für Stegen, denn die Wittentäler Eltern schickten ihre Kinder nach Stegen in den Kindergarten. Dazu kam, dass die Wittentäler Schule geschlossen wurde und das Oberschulamt die Kinder an die Stegener Schule verwies. Als dann Stegen Wittental ein Eingemeindungsangebot machte, wurde es mit großer Mehrheit
angenommen. Doch seine eigene Identität bewahrte sich auch das Wittental. Wittental hat wie Eschbach eigene Vereine. Der Musikverein wurde gerade 75 Jahre alt und der Tauziehclub wurde schon Deutscher Vizemeister. Außerdem gibt es eine eigene Feuerwehr. Neben dem Gerätehaus hat sie im alten Rathaus einen eigenen Schulungsraum, den sie selber ausgebaut hat. In nächster Zeit wird sie eine Weile ohne ihn auskommen müssen, denn das alte Rathaus  wird abgerissen. Es befindet sich in einem desolaten Zustand und Orkan Lothar gab ihm den Rest. Im Frühjahr wird voraussichtlich mit dem Abriss und dem Neubau eines Bürgerhauses für das Wittental begonnen. 

25 Jahre Gesamtgemeinde 
Beide Orte - Wittental und Eschbach - sind nun schon über ein Vierteljahrhundert eingemeindet. Die Emotionen sind ruhiger geworden. Beide haben sich ihre eigene Identität bewahrt und Eschbach auch eine gewisse Selbständigkeit. Und dennoch sind die drei Gemeinden zusammengewachsen. Politik wird im Sinne der Gesamtgemeinde gemacht und nicht von Teilortsdenken geprägt - sagt Bernhard Schuler, einer der es wissen muss. Denn seit. 6 Jahren ist er Ortsvorsteher in Eschbach und seit 20 Jahren Ortschaftsrat von Eschbach und Gemeinderat in Stegen.