Was es mit dem geheimnisvollen Türmchen mitten in Stegen auf sich hatvon Peter Disch Badische Zeitung
10.1.2025 |
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Blickfang an der Hauptstraße in Stegen: das "Ecktürmchen" Foto: Anton Schuler |
Markant ist auch die zwischen 1958 und 1961 auf dem Areal erbaute Herz-Jesu-Kirche an der Hauptstraße. Parallel dazu verläuft eine Steinmauer – und dort, auf der Höhe zwischen Kirchenportal und -turm, findet sich der optisch deutlichste Hinweis auf die Vergangenheit des Areals als wehrhaftem und selbstgewissem Herrschaftssitz: ein Türmchen mit quadratischem Grundriss, rotem Ziegelzeltdach und grauer Firstspitze. Auf einer Seite hat es ein Fenster. An der anderen Seitenwand macht sich Efeu erfolgreich auf den Weg in Richtung Sonne. Der sandsteingefasste Eingang schaut zur Kirche.
Zu den Arbeitsgemeinschaften des Kollegs zählt auch die preisgekrönte Geschichts-AG. Deren Leiter Claudius Heitz hat sich nach einer BZ-Anfrage mit dem früheren stellvertretenden Schulleiter Manfred Müller über das Türmchen ausgetauscht. Die beiden haben den 2015 veröffentlichten Kunstführer "Schlosskapelle Stegen" geschrieben. Aus dem damals recherchierten Material, vor allem aber anhand von Bildquellen hat der Lehrer Wissenswertes über das kleine Bauwerk zusammengetragen.
"Das Türmchen gehört zur Schlossmauer", sagt er. Schon im 16.
Jahrhundert sei das Schlossareal des Schlosses Weiler mit einer
Mauer umgeben gewesen. Auf der "Sebastianstafel" aus dem frühen
16. Jahrhundert, das in der Schlosskapelle hängt, wurde das
Areal verewigt. "Das Haupttor mit dem vorderösterreichischen
Wappen befand sich demnach ungefähr an der Stelle, wo heute das
große schmiedeeiserne Tor (1894) mit dem Kageneck-Wappen ist",
sagt Heitz. "Leider verdeckt das Bein des Heiligen Sebastian die
Stelle, wo heute das Türmchen ist".
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Bernhard Coenenbergs Aquarell des Türmchens Foto: Bilker Sternwarte/Heimatgeschichtlicher Arbeitskreis Stegen | Aus der
Vogelperspektive: Der von Bernhard Coenenberg gemalte
Lageplan, auf dem das Türmchen nicht korrekt verortet ist. |
Ähnlich ist es bei anderen Quellen. Gemarkungspläne aus dem 18. Jahrhundert zeigen die Mauer. "Eine Ringmauer umschließt den Komplex", steht in Akten von 1816, die im Stadtarchiv Freiburg aufbewahrt werden. Das Türmchen taucht in beiden Quellen nicht auf. Auch im Deckengemälde der Schlosskapelle von 1894 und auf einer Zeichnung aus dem frühen 20. Jahrhundert ist sein heutiger Standort nicht zu sehen.
Aufschlussreich
sind dagegen die Aquarelle von Bernhard Coenenberg aus
Düsseldorf, der während des Zweiten Weltkriegs im Schloss gelebt
hat. Nach einem Bombenangriff auf seine Heimatstadt, gelang es
seiner Mutter, für den damals elfjährigen Bernhard, seine sieben
Geschwister und drei Verwandte "eine Bleibe in einem Kloster im
Schwarzwald zu erwirken. Der Wohltäter war Pater Middendorf,
Rektor des Klosters Stegen bei Freiburg der Herz-Jesu-Priester",
heißt es in Coenenbergs Kindheitserinnerungen, die 1992 in der
"Bilker Sternwarte" veröffentlicht wurden. Die Zeitschrift des
in Düsseldorf ansässigen Vereins Bilker Heimatfreunde, erscheint
auch heute noch. Der Beitrag findet sich auch
auf der Internetseite des heimatgeschichtlichen Arbeitskreises
Stegen. Bernhard Coenenberg
erwähnt in dem Aufsatz "die Mauer mit Toren und Türmchen", die
den "ländlichen Gutshof mit drei unterschiedlichen Gebäuden und
einer Kapelle" einfasste. Verewigt hat er Türmchen und Mauer,
wie sie 1945 ausgesehen haben sollen, auf einem Aquarell und in
einem Lageplan aus der Vogelperspektive. Dort allerdings habe er
das Türmchen "zu weit östlich, direkt beim schmiedeeisernen Tor"
eingezeichnet, sagt Claudius Heitz. Oder gab es zwei davon? Das
glaubt Heitz nicht. "Es gibt mehrere Bilder des schmiedeeisernen
Tors, eins von Coenenberg selbst, und auf keinem ist das
Türmchen abgebildet."
Eine wichtige Quelle ist eine vom Landesdenkmalamt zusammengestellte und 1974 veröffentlichte Liste von Kulturdenkmälern. Sie erwähnt "an nordwestlicher Straßenseite der Mauer ein kleines Türmchen auf quadratischem Grundriss mit Zeltdach" und datiert seine Entstehung auf das 19. Jahrhundert. Das dürfte stimmen, sagt Claudius Heitz. "Philipp Josef von Kageneck (1788-1850), der Begründer der Stegener Linie der Familie Kageneck, hatte das Schloss 1841-43 restaurieren lassen und bewohnte es dann mit seiner Familie dauerhaft. Vermutlich hat er die Schlossmauer damals neu errichten lassen, denn der Mauerverlauf unterscheidet sich von dem in den Gemarkungsplänen des 18. Jahrhunderts. Sehr wahrscheinlich ist, dass das Türmchen da hinzugekommen ist. Im Stil des Historismus sollte es zum herrschaftlichen Gesamteindruck des ganzen Areals beitragen. Ob es je als Wächterhäuschen verwendet wurde, ist fraglich."
Auch wenn das Türmchen relativ spät Teil der Geschichte Stegens geworden ist, so ist es doch ein Hingucker und Symbol bewegter Jahrhunderte. Die Schlossmauer selbst ist übrigens vor einer Erfindung der Neuzeit zurückgewichen. Als 2008 mit dem Bau des Geh- und Radwegs entlang des Kollegs begonnen wurde, ist sie ein Stück weit versetzt worden. Weil sie genau da, wo der Turm steht, einen Knick macht, wird der gerne auch "Ecktürmchen" genannt.