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Die Schlangenkapelle
auf dem Höhenkamm zwischen Attental und Wittental

aus: Franz Kern Das Dreisamtal mit seinen Kapellen und Wallfahrten
Schillinger Verlag Freiburg 1985


Am leichtesten erreicht man die mit vielen Geheimnissen umrankte Schlangenkapelle von Wittental aus, indem man das Fahrzeug im Talabschluß beim Recklehof stehen läßt und die 20 Minuten zu Fuß geht, wobei man nebenbei einen zauberhaften Blick auf das Dreisamtal genießt, oder vom Attental einen etwas längeren Aufweg unter die Füße nimmt. Auf der bewaldeten Kammhöhe zwischen dem Attental und dem Wittental, unweit des alten Henslehofes, der ein nicht allzu großer Berghof war,liegt die Schlangenkapelle. Sie lag längere Zeit darnieder und bot ein Bild des Verfalls, ist aber 1953 und wieder 1978 unter tatkräftiger und freiwilliger Mithilfe der Bevölkerung gleichsam neu erstanden, mit schindelbeschlagenem Satteldach und mit Dachreiterchen und Glöckchen versehen.

Wieder weist die Kapelle einen kleinen Vorraum auf, mit 2 Sitzbänken zum Verweilen oder zum Unterstehen bei Unwetter. 1953 brachte man beiderseits 2 Sandsteintafeln an. Auf der einen lesen wir: „Hier erbauten gläubige Vorfahren eine Kapelle zu Ehren Unserer Lieben Frau im frommen Sinn von einer argen Schlangenplage erlöst zu werden.” Auf der anderen: „Die Kapelle wurde neu errichtet Anno 1953 durch die Gemeinde Wittental unter selbstloser Fron von Arbeitern der Firma Max Jordan Karlsruhe.”

Innerhalb des vergitterten Altarraumes steht eine Madonna auf der Erdkugel und zertritt der Schlange den Kopf. Etwa 60 cm groß hat sie Michael Bauernfeind nach dem Original gegossen. Den ganzen Sommer über umgeben sie frische Feldblumen, die Altbäuerin Fehr vom Recklehof, die Hüterin des Waldheiligtums, besorgt. Auf der Vorderseite des Altares windet sich eine Schlange.

Mit der Madonna hat es seine Geschichte: Das Original wurde eines Tages gestohlen. Als schon der Einweihungstag der renovierten Kapelle festgesetzt war, meldete die Polizei den Fund einer Madonnenfigur in der Nähe der Autobahn bei Freiburg. Es war die Original-Schlangenmadonna von der Schlangenkapelle. Nach jenem Original, das nunmehr sicher im Gemeindearchiv Stegen verwahrt wird, ist die oben genannte Kopie gefertigt, die Madonna, die auf dem Globus steht, der von einer Schlange umwunden ist.

Durch Testament ist die Kapelle längst in den Besitz der ehemaligen Gemeinde Wittental übergegangen, die seit dem 1. Juli 1974 mit der Gemeinde Stegen vereinigt ist.

Das alte Volksheiligtum wird gerne aufgesucht.

An einem Maisonntag wird dort eine Maiandacht gehalten, wozu jeweils dieOriginalstatue in die Kapelle gebracht wird.

Über die Entstehung dieser Kapelle schreibt E. H. Meyer in „Badisches Volksleben im 19.Jahrhundert”. (Straßburg, 1900, S.79/ 80):” Einst, man sagt vor ein paar hundert Jahren, wurde der Henselerhof im hinteren Attental, das noch heute reich an unschädlichen Ringelnattern wie an giftigen Kreuzottern ist, von Schlangen derartig heimgesucht, daß der Bauer der allerseligsten Jungfrau eine Kapelle gelobte, um von der Plage befreit zu werden. Wirklich blieben seit der Erbauung der Kapelle die Schlangen weg...”

Kann das wahr sein? - Straßenwart i.R. Otto Thoma, Eschbach, Mitteltal 19, dessen Heimat der Albrechtenhof im Attental ist, erzählte dem Verfasser am 19.1.1983, daß er als Hirtenbub oft bis zu einer Stunde zum „Ausfahren des Viehs” auf die weitläufigen Weidberge gebraucht habe.

Die Weidberge um den Henselerhof habe man gerne gehabt, weil es dort „Obst zu klauen” gegeben habe. Und um den Henselerhof, als auch um den Hugenhof herum, seien Schlangen gekrochen. Die Dienstboten der beiden Höfe, etwa 10-15 Jahre älter als er, haben ihm und seinen Geschwistern erzählt, daß. die Schlangen ums Haus herum daheim seien und daß sie sogar nachts in den Stall zum „Katzentrögle” geschlichen seien, in welches die Bauersleute Milch für die Katzen geschüttet hatten. Gelegentlich habe man die Schlangen mit dem Besen und mit Gabeln aus dem Stall hinausgeworfen. „

Des isch kei Witz, des isch Tatsach”! Mit solchen Worten unterstreicht er den Wahrheitsgehalt des Erzählten; und er findet auch einen plausiblen Grund für die Schlangenplage an jenen Südseiten. Die Schlangen suchen Wärme und darum suchen sie nachts die Holzställe der Rinder auf und machen diese „verrückt”. Ihr beliebter Aufenthaltsort sei aber auch der Misthaufen gewesen.

Früher wurde der Kuhdung nur ein einziges Mal und zwar im Frühling auf die Felder gefahren. So blieb der Dunghaufen in ständiger Gärung, Wärme erzeugend, und die Schlangen suchten zum Ruhen und Eierlegen den Misthaufen auf. Das war dann die natürliche Brutstätte der Ringelnattern und Ottern. Seitdem nunmehr der Mist mehrere Male im Jahr weggeführt wird, hätten die Schlangen ihre Brutstätten verloren und sich von den Höfen entfernt. Und er erzählt weiter: „Ich selber hab später 5 Jahr im Berghiisle von Löwenwirts gwohnt. Do hets noch gnueg Schlange gha. Im Summer han ich sie jede Tag sähne könne. Mi Frau het sie gfirchtet”. Und er erzählt, wie er beim Grasmähen gelegentlich eine Schlange vor der Sense Reißaus nehmen sah. „Ich selber han dann zweimol Mischt rusgfahre. Deno hän sie d’Brutstätte verlore. Jetzt gitts nur noch e paar einzelne. Aber grad gnueg hets früher gha.” - Soweit einiges von der herzhaften Erzählung eines alten Attentälers. Der kritische Mensch der Gegenwart mag davon halten, was er will. Er wird aber wenigstens gelten lassen, daß Schlangen etwas mit der Entstehung der Schlangenkapelle zu tun haben. Auch Otto Thoma schwächt etwas ab: „Ich hab selber Schlange hinter dem Henselerhof gsähne. Aber daß sie nachts in de Schtall sin, des hän Dienstbotte verzellt.”

Als Kinder und junge Menschen seien sie früher oft zur Schlangenkapelle an Sonntagnachmittagen gelaufen, aber weniger wegen des Rosenkranzgebetes, als wegen der guten und reichlichen Walderdbeeren in der Nähe. Daß die Entstehung der Kapelle im Zusammenhang mit der Schlangenplage steht, ist nicht zu bezweifeln. Fr. Aug. Metzger, Hauptlehrer in Wittental, hinterließ ein handschriftliches, heimatkundlichen Themen gewidmetes Manuscript, das vom Jahre 1894 datiert und dessen Angaben glaubwürdig sind. So schreibt er bei der Schilderung heimatlicher Tiere:
„Auch die Schlange spielt eine Rolle. Bei einem kleinen Bauernhofe ganz im hinteren Attenthal an einer Berglehne steht etwa 500 m davon entfernt die sog. „Schlangenkapelle;” welche erbaut wurde infolge eines Gelübdes, welches der frühere Bauer gemacht, wenn die Schlangen seinem Hause fernbleiben. Das Haus soll fürchterlich von diesen Tieren (Kreuzotter bek. sehr giftig!) heimgesucht worden sein. Nachdem die Kapelle erbaut und eingeweiht war, so seien die Schlangen fern geblieben bis jetzt. Es hat sich in diesem Bauernhause ein Brauch erhalten, an dem zäh festgehalten wird. Jedes Jahr an Mariä Lichtmeß beten die Leute dieses Hofes nach dem Mittagessen drei Rosenkränze. Nachher muß ein Kind dreimal eine Kette ums Haus ziehen, um so die Schlangen abzuhalten. Diese Giftschlange kam früher hier sehr häufig vor und tritt auch jetzt noch verhältnismäßig zahlreich auf; wie auch die ungiftige Ringelnatter. Ich sah selbst vor einigen Jahren, wie ein Bauer beim Dungführen im Frühjahr aus einem Misthaufen 37 Stück gezogen. Da er mir eine Freude machen wollte, so ließ er mich rufen, weil ich mich seit Jahren mit dem Studium der Kriechtiere und Lurche befasse, und setzte ich die schönsten Exemplare in meine Terrarien. Im Sommer 1893 fing ich an einem Tage hier 4 Ringelnattern und 12 Kreuzottern, darunter 7 junge. Die Gegend ist für diese Tiere besonders geeignet. Allgemein ist der Glaube verbreitet, die Schlangen saugen den Kühen die Milch aus. ...” Somit dürfte auch der Wahrheitsgehalt der Erzählungen von Herrn Otto Thoma bestätigt sein.

Aber die Frage bleibt, wann die erste Schlangenkapelle entstand. Auf dem Sickingen’schen Plan H/l Wittental, welcher die dem Freiherrengeschlecht von Sickingen gehörenden Besitzungen aufweist und der am 6. Oktober 1780 angefertigt und datiert ist, ist die Schlangenkapelle schon verzeichnet, wie auch die Martinskapelle beim Baldenwegerhof, die aber kurz nach 1800 abgegangen ist. Maria Thoma, geb. Walter, wohnhaft in Kirchzarten, sagte dem Verfasser am 11.10.1984, daß ihr Ehemann Karl Thoma, 1904-1967, öfters erzählt habe, sein Vater Karl Thoma,1857-1924, habe die Kapelle erbaut. Es ist anzunehmen, daß der Genannte, der 1882 auf den Henslehof heiratete, anstatt einer ersten hölzernen Kapelle einen massiven Kapellenbau aufrichtete, auf dessen baufälligen Zustand schon 1936 hingewiesen wurde. Emma Saier, geb. Thoma, Kirchzarten, schildert: „Unser Vatter, (Josef Thoma, 1899- 1968, ein Bruder des vorigen Karl) hett uns Kinder ufm Ofebank oft verzellt, wie sie als kleini Buebe die schweri Kette um de Hofrum zoge hän, um die Schlange zue vertribe, un d’inne in de Stube hän Vatter un Muetter un die Maidli de Rosekranz bättet.”

Als die Gemeinde Wittental dann in den Besitz von Hof und Kapelle gelangt war, ging sie daran, das alte Kulturdenkmal zu erneuern, es mit Schindeln zu verkleiden und mit einem Dachreiter und einem Glöckchen, das keinerlei Aufschrift hat, zu verzieren. Arbeiter der Baufirma Jordan, die damals die Hochspannungsleitungen bauten, machten sich dabei verdient. Am Christi Himmelfahrtsfest des Jahres 1953 wurde das Kleinod vom Kirchzartener Pfarrer Erminold Jörg unter Mitwirkung der Wittentaler Musikkapelle, des Kirchzartener Kirchenchores und in Anwesenheit vieler Dreisamtäler, die sich heute noch an das Volksfest erinnern, feierlich eingeweiht. Alljährlich findet an einem Maisonntag ein Feldgottesdienst und eine Maiandacht unter großer Beteiligung der Bevölkerung statt. (10)

(10) Frdl. Mithilfe danke ich Herrn Otto Thoma; Herrn Steinhart, Pfarrer Josef Hog und Bürgermeister Klaus Birkenmeier.
Literatur: K.F. Vilgis, Alte Kapellen im Dreisamtal. In „Mein Heimatland“ 1936, 290 f.