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Inhaltsverzeichnis
Das Burgfräulein auf Wißneck.
Auf den Ruinen andrer Schlösser ziehen weiße Frauen um Mitternacht
einher und verbreiten, als Vorboten trauriger Ereignisse, Furcht
und Schrecken; das Fräulein auf Wißneck läßt sich dagegen am
hellen Tage sehen, verweilt oft Stunden lang, wie ein heller
Lichtstreifen, mitten im Gebüsche oder in dem dunkeln Gemäuer
,verschwindet plötzlich und erscheint wieder, doch thut sie keinem
guten Menschen etwas zu Leide. Wer aber mit beschwertem Gewissen
oder mit böser Absicht in ihre Nähe kommt, der hat gewöhnlich
seine Unvorsichtigkeit sehr zu bereuen. Eh? er es sich versieht
,schlingt sich das Dorngebüsch so fest um ihn, daß er nicht mehr
vorwerts kann; eine unerklärliche Angst überfällt ihn und,
zerrissen an seinen Kleidern, blutend an Gesicht und Händen, eilt
er zurück, oder es wird vom Thurme Mauerwerk auf ihn
herabgeschüttet, und er steht in Gefahr, lebendig begraben zu
werden. Früher zeigte sich das Fräulein öfter und half manchem
Nothleidenden, wovon viel zu erzählen wäre; aber seit einigen
Jahren hat man sie nur noch hin und wieder und wie in tiefer
Betrübniß gesehen. Alte Leute meinen, sie zeige sich gar nicht
mehr, wegen der Schatzgräber, welche sie so empfindlich hätte
strafen müssen. Ich will darüber nicht entscheiden, denn wie
könnte ich in das verborgene Herz eines solchen Geisterwesens
hineinrathen? sondern nur getreu berichten, was ich gehört und
gesehen habe.
Die Burg Wißneck liegt zu oberst in dem lieblichen Kirchzartner
Thale. Rechts an ihr vorbei zieht die Hauptlandstraße nach
Schwaben, und kein Reisender geht vorüber, ohne sich der
romantischen Ruinen auf dem kleinen, mit Gras und Buschwerk
überzogenen Vorhügel zu erfreuen. Rückwärts von der Burg befindet
sich ein Brunnen, um welchen sich zur Mittagszeit gemeiniglich die
Heerden lagern und erquicken. Dort sitzen auch die Hirten und
schneiden Stäbe, oder versuchen neue Stückchen auf ihren Pfeifen.
Hie und da mag wohl ein Thalmädchen dadurch angelockt und herbei
gezogen werden; dem Burgfräulein aber ist dieses Getöse zuwider
und sie läßt sich nach dieser Seite hin nicht blicken. Dagegen
schien ein anderer Hirtenknabe ihr Liebling zu seyn, welcher sich
gewöhnlich von den übrigen absonderte und in der biblischen
Geschichte oder einem andern Buche blätterte und las, Anfänglich
zeigte sie sich ihm aus der Ferne, lächelte, als sie den Knaben
ein großes- Kreuz schlagen sah, wie es ihn seine Mutter gelehrt
hatte, und verschwand wieder. Nach und nah kam sie etwas näher und
der Knabe legte allmälig seine Furcht ab. Auffallend war es, daß
sie stets über eine gewisse Stelle nahe bei den Mauern hinging,
einige Augenblicke wie sinnend dort verweilte, und dann sich
wieder schnell entfernte. Eines Tages dachte der Knabe, er wolle
doch nachsehen, was es mit diesem Stillstehen für eine Bewandtniß
habe, merkte sich den Ort und ging nach einiger Zeit daselbst hin.
Sieh, da schien ihm etwas aus dem Grase wie eine große Silbermünze
entgegen zu glänzen, schnell bückte er sich nieder und hatte einen
halben Thaler aus den Schwedenzeiten in der Hand. Hocherfreut und
zugleich neugierig wühlte er mit seinem Stabe die Erde ein wenig
auf, und es kam noch ein zweites und eín drittes Stück zum
Vorschein. Schon wollte er, der noch nie so viel Geld beisammen
gehabt hatte, voll Entzücken aufjauchzen, aber was sah er, als er
seinen Kopf emporhob? Das Burgfräulein, wie es leibte und lebte,
dihct vor ihm. Freundlich lächelnd sah es seiner Arbeit zu, legte
aber, als er aufschaute, zwei Finger auf den Mund und verschwand.
Der arme Kleine war wie versteinert, denn so nahe stand sie noch
nie vor ihm, und selbst der alte Segen, den er geschwind
hermurmeln wollte: „Alle gute Geister u.s.w.“ blieb ihm im Munde
stecken, Er wußte nun nichts Angelegentlicheres als auch schnell
fort zu gehen, und wagte es noch lange nicht, in die Tasche zu
greifen, weil er gelöschte, oder gar noch glimmende Kohlen, wie es
sonst geschieht, hervor zu ziehen besorgte. Als er endlich mit
aller Vorsicht die Untersuchung anstellte, so fand er, daß die
Stücke richtig Silber geblieben seyen, und verwahrte sie nun
sorgfältig, um sie am nächsten Markttage nach Freiburg zu bringen
und auszuwechseln. Sie kamen in die Hände des Alterthumsfreundes,
welcher dieses Märchen erzählt, und in diesen Münzen einen
schlagenden Beweis für die Wahrheit desselben vorlegen kann.
Der Knabe kam ganz glücklich nach Hause und wußte kaum, wo er
seinen Schatz unterbringen sollte. Um so bereitwilliger trieb er
jezt seine Heerde auf die Weide und verweilte Tage lang bei dem
alten Schlosse, aber so oft er auch über seine Büchelhen nach den
Mauern hinschielte, so war es doch lange vergebens. Man könnte
freilich sagen, er hätte nur an der ihm wohlbekannten Stelle
nachgraben sollen, aber damit hatte es sein gutes Bewenden. Denn
auch dieser Geisterspuck, so lieblich er war, hatte doch das
Eigne, daß die Erinnerung an Ort und Stelle sich augenblicklich
wieder verwischte und der Knabe den halben Berg hätte umwühlen
können, bis er wieder zu dem Schatze gelangt wäre. Endlich schien
sich doch das Burgfräulein ihres Lieblings wieder zu erinnern; er
hatte nämlich einen Schulpreis gewonnen, und hielt das schöne
rotheingebundene Buch so lange nach dem Schlosse hin und las so
fleißig darin, daß des Fräuleins Herz von Stein hätte seyn müssen,
wenn es nicht bewegt worden wäre. Kurz, sie erschien auf einmal
wieder, nickte sehr freundlich und winkte wieder auf die
bezeichnete Stelle. Dem Knaben schien es, als fielen ihm die
Schuppen von den Augen; er sah nun wieder, was er seither nicht
mehr gesehen, übergab dem Hund die Wache über die Heerde, nahm den
schönen Schulpreis unter seinen Arm, zog höflich den Hut ab und
näherte sich unter vielen ehrfurchtsvollen Bücklingen wieder der
Stelle. Richtig, auch jezt ging er nicht leer aus, vielmehr war
der ganze Boden mit Silberstücken wie übersäet. Er that also einen
tüchtigen Griff und wollte noch einen zweiten thun, da fing
plötzlich sein Hund an zu bellen. „Gewiß,“ dachte er, „ist bei der
Heerde etwas vorgegangen, ich darf mich nicht länger aufhalten!“
und mit diesem Gedanken, und nachdem er dem Fräulein noch eine
tiefe Verbeugung gemacht hatte, eilte er davon. Er sah nur noch,
wie sie neuerdings die zwei Finger, fast ängstlich bittend, zum
Munde führte, und rief vor sich hin: „Weiß schon, keiner Seele ein
Wörtchen!“ Als er bei der Heerde ankam, lag diese in größter Ruhe
beisammen und es schien, als hätte der Hund nur aus Muthwillen
eine kleine Stimmübung vorgenommen, vielleicht auch einen
Bekannten zu grüßen, der unten am Berge neben dem Führer hinter
einer Ziegenheerde bedächtig hertrabte. Zum erstenmal wurde der
Knabe über seinen Spitz recht mißmuthig, und wies dessen
Liebkosungen mit einem derben Stoße zurück.
Jetzt zählte er sein Geld; es waren zwölf Stücke, für die er
wenigstens fünf oder sechs Thaler erwarten durfte. Bald verschwand
deschalb sein Unmuth und machte einer um so größeren Munterkeit
Platz. Auch Spitz wurde zu Ehren gezogen und nahm sein
Unterkommando bei der Heerde wieder ein, welche sehr erstaunt war,
ihn in Ungnade fallen zu sehen. Früher als gewöhnlich, und mehr
singend und tanzend, als im Alltagsschritte, ging er nach Hause.
Ein so verändertes Betragen mußte seinen Mitdienstboten auffallen
und den Verdacht bestätigen, welchen wenigstens Einer unter
denselben bereits geschöpft hatte. Dieses war der boschafte und
neidische Knecht des Hauses, welcher nun beschloß, sich an den
Knaben zu machen und demselben das Geheimniß zu entlocken. Er
brachte daher während des Essens die Rede auf das Burgfräulein und
dessen bekannte Freigebigkeit; zugleich frug er ganz obenhin den
Knaben, ob ihm, der doch täglich um das Schloß herum hüte, noch
nichts zu Theil geworden sey? Vergebens folgte eine ausweichende
Antwort; die Röthe, welche schnell das Gesicht des Knaben
überflog, ließ kaum einen Zweifel übrig. Der folgende Tag war ein
Sonntag. Auch dieser zufällige Umstand begünstigte den Betrüger,
welcher den arglosen Kleinen in ein Wirthschaus lockte, und
demselben so lange mit Wein zusetzte, bis er Alles rein
ausplauderte. Auch die muthmaßliche Stelle mußte er dem Knechte
möglichst genau angeben, und dann entließ ihn dieser mit einigen
Schlägen, und nahm ihm noch überdies den größten Theil des
gefundenen Geldes ab. Bitterlich weinend kehrte der Knabe beim
anbrechenden Dunkel nach Hause zurück, und sein Schmerz wurde noch
vermehrt, als er zufällig auf die Schloßruine hinüber sah und dort
die Gestalt des Burgfräuleins erblickte, wie sie mit gehobenem
Finger gegen ihn herab drohte. Er wehklagte die ganze Nacht und
fuhr am Morgen weit früher als gewöhnlich mit seiner Heerde auf
den Burgplatz, um dort unter bitteren Thränen das Fräulein um
Verzeihung zu bitten. Er weinte Tage und Wochen lang, aber
vergeblich; schon lang ist er einer der schönsten Burschen im
ganzen Thale geworden, doch hat er noch immer die Thränen in den
Augen, wenn er von dem himmlischen milden Fräulein spricht; aber
gesehen hat er sie seither nicht wieder.
Der arge Knecht dagegen glaubte um so zuversichtlicher, daß jezt
für ihn die Stunde des Glückes gekommen sei. Schon lange hatte er
sich mit zwei Schatzgräbern in eine Bekanntschaft eingelassen,
welche durch die Mittheilung, die er ihnen machte, den höchsten
Grad der Vertraulichkeit erhielt. Gemeinschaftlich wurde das alte
Gemäuer untersucht und es ergab sich aus den Bewegungen der
Wünschelruthe, daß an dem Orte, welchen der Knabe zufällig
bezeichnet hatte, ganz gewiß. ein großer Schatz liegen müsse. Die
nöthigen Vorkehrungen wurden schleunig gemacht. Das Gefäß mit
Weihwasser und das Büchlein mit den Zauberformeln wurde in eine
abgelegene Nische niedergelegt, wo es nach Jahren der Erzähler
dieses Mährchens bei einem Besuche der Burg zufällig und mit
traurigen Gefühlen wieder fand. Der Ort zu den verhängnißvollen
drei Kreisen wurde abgesteckt, vierzehn Tage streng gefastet und
endlich in einer dunkeln und schaurigen Herbstnacht der
bedauernswürdige Versuch vorgenommen. Es war den ganzen Tag über
umwölkt und stürmisch gewesen, das Unwetter mehrte sich auf die
Nacht und steigerte sich von Stunde zu Stunde. Schneidend strich
der Wind durch das Gebüsch und trieb ganze Haufen abgestreiften
Laubes vor sich her. Die wilde Dreisam rauschte stärker und
unheimlicher erscholl die Stimme des einsamen Uhu's in dem Walde.
Jedermann verschloß sich in sein Häuschen und seine Hütte und
beschwerte sich über den schaurigen Abend; nur den drei
Schatzgräbern war er ganz willkommen und je menschenleerer die
Gegend wurde, desto mehr freuten sie sich. Endlich, als sie sich
völlig sicher wußten, machten sie sich mit den Werkzeugen zum
Graben auf den Weg und eilten dem alten Gemäuer zu. Die
Wünschelruthe schlug neuerdings an, die Kreise wurden nach
Vorschriften gezogen und die furchtbaren Beschwörungsformeln
begannen. Der Mittelpunkt der Kreise befand sich an dem, durch
Brand und Zeit gespaltenen Gemäuer, welches weit über ihre Köpfe
heraufragte. Dreimal wurde das sogenannte Christophelsgebet oder
der Höllenzwang vorgelesen; die Erwartung der Unglücklichen war
auf das Höchste gespannt — da kam plötzlich ein weit stärkerer
Windstoß als alle bischerigen, das ganze Gebüsch schien lebendig
zu werden und die Schatzgräber drehten voll Gierigkeit und Angst
ihre Köpfe dahin, weil sie von daher das Geisterfräulein und die
abzuliefernde Geldkiste erwarteten. Aber umgekehrt, die Laterne
hinter ihrem Rückken wurde umgeworfen und ausgelöscht, ein
furchtbares Brüllen donnerte in ihre Ohren hinein und als sie sich
entsetzt umkehrten, fühlten sie über ihrem Nacken die zottigen
Tatzen des Höllenhundes und sahen, wie er mit feuersprühenden
Radaugen sie anglotzte und den Rachen öffnete, sie zu
verschlingen. In dem Entsetzen waren sie ihrer selbst nicht mehr
mächtig und stürzten mit dem Geheule der Verzweiflung aus den
Kreisen heraus, von welchen sie Rettung erwarteten. Wenig
Augenblicke vergingen und alles sank in die tiefste Stille zurück;
nur der Wind peitschte die Blätter umher nach wie vor.
Des folgenden Tages fand man alle Drei bewußtlos um die Trümmer
herum liegen, und konnte leicht errathen, was hier geschehen war.
Zwei kehrten nicht mehr in das Leben zurück, der Dritte kam wohl
wieder zu sich, aber ein dumpfer Wahnsinn hatte sich seiner für
immer bemächtigt. Oft sah man ihn an der Landstraße, nicht weit
von dem Schlosse, unter einem steinernen Kreuze sitzen und die
Vorübergehenden um eine Gabe bitten. Er kehrte dem Orte seines
Unglücks den Rücken zu, stierte gedankenlos vor sich hin, und
sprach keine Sylbe; auch soll seit dieser Zeit kein verständliches
Wort aus seinem Munde gegangen seyn. Er murmelte nur abgebrochen
vor sich hin und drückte den Hut in seine Stirne. Wenn aber
zufällig sein Blick auf die Schloßruine fiel, fing er am ganzen
Leibe zu zittern an und umfaßte unter Angstgeschrei das steinerne
Kreuzbild, als wenn dieses allein ihm Schutz- und Ruhe zu gewähren
vermöchte.
Dr. Heinrich Schreiber.
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Himmelreich und Hölle. (1)
Wie nah die Hölle grenzt an's Himmelreich,
Im Dreisamthale kannst du leicht es schauen;
Ein Felsenthor versetzt dich zaubergleich
Vom Paradies in wilder Schluchten Grauen.
Dort draußen lacht der Wiesen Blumenpracht ,
Hier brütet Nacht im Riesenklippenschacht ;
Dort Sonnengold und Thaujuwelgeblitze,
Hier scheint Kobold und Gnom im Landsbesitze.
Doch gleicht die Dreisam nicht dem Lethefluß,
Der schlammtrüb schleichet durch der Alten Hölle,
Nein, lustig stürzt sie sich im Schaumerguß
Von Block zu Block, von Fels zu Felsgerölle.
Du trinkst aus ihr, anstatt Vergeßlichkeit,
Nur frisches Kraftgefühl und Fröhlichkeit,
Und köstlich munden dir aus ihren Wellen
Zum goldnen Wein die zierlichen Forellen.
Denn einen Wirth, wie den im Höllenthal,
Wirst du im Paradies vergeblich suchen.
Bei seiner Küche auserlesnem Mahl
Gewiß nicht deinem Pilgerloose fluchen; (2)
Sein Traubennektar vom Markgräflergau
Verklärt die Hölle dir zur Himmelsau,
Und statt der Hexen oder Teufelinnen
Siehst du nur rosige Schwarzwälderinnen.
Und lächelt dir ein solcher Engel zu,
Möchst du wohl kaum die Hölle mehr verlassen,
Und lieber in zweisiedlerischer Ruh
Mit ihm dich nisten in die Felsenmassen;
Fern von der Welt verwirrendem Gewühl,
In einer Hütte traulichem Asyl,
Des Tannenwalds, des Wasserfalles Rauschen,
Den Hirschlein, Reh’n und wilden Tauben lauschen.
Doch brich nun ab dein träumerisches Zelt ,
Hier sollst du deinen Wanderstab nicht pflanzen !
Zu neuem Zauber lockt des Feldbergs Welt,
Hinauf die Steig, vorbei die Kriegerschanzen ! (3)
Entstiegen bist du heil der dunklen Kluft,
Und wiegst dich frisch in freier Höhen Luft;
Wer kühn bestand der Höllen Abenteuer
Hat nicht zu fürchten mehr das Fegefeuer.
August Schnezler.
(1) Der reizende Theil des Dreisamthales, der sich, drei Stunden
östlich von Freiburg, an den Vorbergen des Schwarzwaldes noch in
ansehnlicher Breite dahin zieht, heißt das Himmelreich; dem Strome
hinaufwerts folgend tritt man aber plötzlich aus dem
gartenähnlichen Lustgefilde durch ein hohes Felsenthor, welches
das Thal zu verschließen scheint, in den durch Moreau's kühnen
Rückzug (1796) berühmten Gebirgspaß, die Hölle genannt, Auf beiden
Seiten des wild daher brausenden Baches starren uns himmelhohe
Klippen, mit spärlichen Tannen und Föhren bewachsen, entgegen zwei
der höchsten dieser Kuppen, die einander diesseits und jenseits
gegenüber stehen, heißen „der Hirschsprung“; denn ein gehegter
Hirsch soll einmal von einem dieser Gipfel über die Schlucht
hinweg zum andern hinüber gesprungen seyn.
(2) Diese von ausfluglustigen Breisgauern und Fremden zahlreich
besuchte Höllenwirthschaft ist das Gasthaus zum Sternen im
hintersten Theile des Thales, hart an der Steige, die hinauf sich
die Poststraße nach Neustadt windet; der treffliche
Markgräflerwein und die unvergleichlichen Forellen, die man hier
aufgetragen erhält, machen alle Schauer dieser Hölle leicht
vergessen. Nahe daran bildet der von Breitnau her zwischen
ungeheuren Granitblöcken sich die Bahn brechende Ravennenbach
einige höchst malerische Fälle.
(3) Auf der Steige kommt man an den Ueberresten der Verschanzungen
vorbei, welche in den ersten Monaten des Jahres 1814 von den
Alliirten hier angelegt wurden, als es noch ungewiß war, ob der
große Zauberer Napoleon nicht wieder ein frisches Bündniß mit dem
Glück oder Teufel schließen und einst seine Heerschaaren hier
durch wieder in das Herz Teutschlands führen werde. Auf der Höhe
der Höllensteig angelangt, genießt man wieder freie Aussicht auf
die umliegenden Berge, unter denen des Feldbergs ehrwürdiges
Haupt, selten oder kaum einen Monat im Jahr ohne weiße
Schneelocke, sich rechts neben uns erhebt. Südlich von der Straße
im „Moos“ ragt die rothe Kuppel des Thurms von Hinterzarten empor,
dessen Kirchspiel weit zerstreut, ober- und unterhalb der Steig
und um den Fuß des Feldbergs herum liegt. Hinterzarten soll ehedem
„in der Zärte,“ nämlich in der zarten Jungfrau Haus geheißen
haben, von einem Marienbilde, das zuerst daselbst aufgestellt
wurde. Hier oben haben wir nun schon den eigentlichen tieferen
Schwarzwald betreten.
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Herr von Falkenstein.
(Fliegendes Blatt, auch abgedruckt in Herder's Volksliedern. I.
Th. S. 232.)
Es reit’ der Herr von Falkenstein,
Wohl über ein´ breite Haide.
Was sieht er an dem Wege stehn ?
Ein Mädel mit weißem Kleide.
„Wohin, wohinaus du schöne Magd ?
Was machst du hier alleine ?
Willst du die Nacht mein Schlafbuhle seyn,
So reite du mit mir heime !‘“
"Mit Euch heimreiten, das thu´ ich nicht,
Kann Euch doch nicht erkennen.“ —
„Ich bin der Herr von Falkenstein,
Und thu´ mich selber nennen.“
"Seyd Ihr der Herr von Falkenstein,
Derselbe edle Herre,
So will ich euch bitten um’n Gefang'nen mein,
Den will ich haben zur Ehe."
„Den Gefangnen mein, den geb ich dir nicht,
Im Thurm muß er vertrauren.
Zu Falkenstein steht ein tiefer Thurm
Wohl zwischen zwo hohen Mauren.“ —
"Steht zu Falkenstein ein tiefer Thurn,
Wohl zwischen zwei hohen Mauren,
So will ich an den Mauren stehn,
Und will ihm helfen trauren.“' —
Sie ging den Thurm wohl um und wieder um:
„Feinslieb, bist du darinnen ?
Und wenn ich dich nicht sehen kann,
So komm ich von meinen Sinnen."
Sie ging den Thurm wohl um und wieder um,
Den Thurm wollt sie aufschließen :
„Und wenn die Nacht ein Jahr lang wär ;
Keine Stund thät mich verdrießen !
"Ei dürft ich scharfe Messer tragen,
Wie unsers Herrn sein Knechte,
Ich thät mit'm Herrn von Falkenstein,
Um meinen Herzliebsten fechten !"
„Mit einer Jungfrau fecht ich nicht,
Dann wär mir immer ein Schande!
Ich will dir deinen Gefangnen geben ;
Zieh mit ihm aus dem Lande !“ —
"Wohl aus dem Lande, da zieh ich nicht,
Hab niemand was gestohlen:
Und wenn ich was hab liegen lahn',
So darf ich's wieder holen.“
(Siehe „Des Knaben Wunderhorn ec.“ Bd. I.)
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Sagen von der Burg Falkenstein.
Wenn der Wanderer von Freiburg aus die Landstraße nach Schwaben
einschlägt, führt sie ihn zuerst die ganze Länge des freundlichen
Kirchzartner Thales hinauf und dann, sich einer von Ferne kaum
bemerkbaren Oeffnung des Gebirges zuwendend, ostwärts weiter in
das sogenannte Himmelreich. Hier freut er sich, noch von der etwas
erhöhteren Straße herabblickend, der frischen Wiesengründe, die
von den klarsten Bächen durchschnitten und mit zahlreichen Heerden
bedeckt sind, des jugendlich dahinbrausenden Waldbaches und der
unter malerischen Baumgruppen halb versteckten, zerstreut
liegenden Höfe. Aber bald ändert sich die Ansicht, das Thal wird
enger und wilder, tobender schäumt der Waldbach um die
Granitblöcke, welche sich seinem Lauf entgegenstämmen. Von beiden
Seiten drängen sich gewaltige Felsenmassen, oder steile, mit
haltlosem Geröll bedeckte Abhänge hervor, die mit Nadelholz
bekränzt sind. Nur links des Weges ziehen sich noch einzelne, zum
Theil sehr ärmliche Hütten hin, über welchen auf einer Anhöhe
weithin sichtbare Trümmer eines viereckigen Thurmes hervorragen.
Der Umwohner hält sie mit Unrecht für die noch übrigen Reste der
Burg Falkenstein; es stand hier nur ein Vorwerk mit geringem
Umfange, vielleicht ein Wartthurm, um weiter hinab die Windung des
Thales übersehen zu können. Des Gemäuers Dicke
beträgt zwischen sechs und sieben Fuß, der innere Raum hat zwanzig
Fuß in der Länge und vier und zwanzig in der Breite. Der Eingang
ist an der westlichen Wand auf der Seite angebracht und im
Gesteine noch unversehrt. Die wenigen Kreuzstöcke sind
ausgebrochen, die- Wände selbst ragen noch über das zweite
Stockwerk hinauf. Der Graben zieht in unbeträchtlicher Tiefe auf
drei Seiten um den Thurm; auf der vordersten Seite gegen die
Straße ist der Fels sehr abschüssig und nur mit Moos und aus den
Ritzen hervordringendem niedern Gesträuche bekleidet.
Setzt man von hier den Weg weiter fort, so verdüstert sich die
Ansicht des Thales immer mehr; die Hütten hören auf, die letzte
Spur von Anbau verschwindet, und die Straße scheint in den
zusammengeschobenen Bergabhängen aufhören zu müssen. Aber jetzt
erwartet den Wanderer erst das großartigste Schauspiel. Er steht
am sogenannten Höllenthore, aus welchem der Waldbach (die Rota
oder der Höllenbach genannt) wilder und schäumender als irgendwo
daherbraust. Kalter Schauer befällt den Ueberraschten, wenn er zum
erstenmale in diese tiefe Schlucht (die eigentliche Hölle)
eintritt; schneidender Wind weht ihm entgegen, das Licht des Tages
verläßt ihn, und wenn rings schon Alles grünt und blüht, findet er
diese Abgründe noch mit tiefem Schnee gefüllt. Mühsam windet sich
links die Straße an haushohen, senkrechten, oft überhängenden
Felswänden hin: sie wurde erst im vorigen Jahrhunderte für
Fuhrwerke breiter gebrochen, früher zogen nur Fußgänger oder
einzelne Saumrosse hier durch. Aber auch jetzt noch lösen sich
bisweilen unerwartet Steinblöcke ab und versperren oder erschweren
auf einige Zeit den Durchgang. Rechts treten die nicht minder
gewaltigen Felsen etwas mehr zurück, und fallen dadurch zwar
weniger schreckend, aber um so großartiger in die Augen. Sie
laufen meist in thurmartige, mit einzelnen Tannen gekrönte Spitzen
aus, wovon die zwei merkwürdigsten den Namen des Hirschsprunges
führen. Fichten und düsterer Wachholder umgrünen das schwarze
Gestein, in dessen Vertiefungen da und dort gesammeltes Wasser in
langen Milchfäden zum Bache hinabstäubt, der hier, gewaltsam
eingeengt, unter wildem Getöse ein immer tieferes Bett wühlt, und
seine Oberfläche mit dicken Schaumwirbeln bedeckt. Einsamkeit
herrscht ringsum, nur bisweilen flattert ein Raubvogel, der in
diesen Klüften nistet, lautkrächzend vorüber.
Mit Staunen und nicht ohne Beengung zieht der Wanderer an diesem
erhabenen Naturgemälde dahin, und wenn er es zurückgelegt hat,
wendet er seinen Blick nochmals, um es auch von jenseits zu
genießen. Jetzt erst kann er den Bau der linken Felsenwand, in
welche die Straße gebrochen ist, vollkommen überschauen. Sie
steigt anfänglich breiter, dann schmaler längs des ganzen
Bergrückens terrassenförmig hinauf, bis sie endlich zu oberst die
schwindelndste Höhe erreicht. Ueberall steil und unbekleidet, hat
sie den Abgrund neben sich; und selbst gegen oben, wo eine andere
Felsenwand sich an sie anschließen will, steht sie frei und
unberührt, hier nicht von der Natur, sondern von Menschenhänden
durchbrochen. Jetzt bemerkt der Wanderer auch da und dort über sie
aufragendes, aber mit ihr gleichförmiges und ganz in sie
verwachsenes Gemäuer, dem er es ansieht, wie sich der glühendste
Haß vergeblich bemüht haben mag, es zu überwältigen. Hier stand
nun die Burg Falkenstein über den Abgründen der Höllenschlucht,
selbst die Wächterin und Beherrscherin derselben. Fast auf jedem
Punkte durch die Natur unzugänglich gemacht, wurde sie noch
überdies auf der Nordostseite, wo sie ihren Eingang gehabt zu
haben scheint, durch eine weithin laufende, zwölf Fuß dicke Mauer,
die schon für sich ein Riesenwerk ausmacht, vertheidigt. Sie hatte
auf ihren verschiedenen Abstufungen mehrere zum Theil
beträchtliche Gebäude, von denen aber jetzt kaum mehr die
Grundmauern zu erkennen sind. Die Aussicht war sehr beschränkt;
vor- und rückwerts durch das Gebirg gehindert, thalaufwerts
umfaßte sie eine Strecke der Höllenschlucht, thalabwerts fielen
der Wartthurm, von welchem schon die Rede war, und die zunächst
liegenden Hütten in die Augen der Bewohner. Jetzt stehen die
Trümmer sehr öde und schauererregend, der gemeine Mann kennt sie
nur unter dem Namen des alten Raubschlosses.
Wie fast um jedes merkwürdigere Denkmal der Vorzeit hat die Sage
auch um dieses ihr zauberhaftes Gewebe verbreitet. Hier hat sie
den Erbauer der Burg selbst, den sie Kuno von Falkenstein nennt
und mit allen ritterlichen Tugenden ausschmüdckt, zu ihrem Helden
und Liebling gewählt.
Nur Eines, erzählt sie mit zuversichtlicher Gutmüthigkeit, fehlte
zu seiner Beglückung: eine Nachkommenschaft, auf die er Namen und
Thaten und Güter hätte übertragen können. Darob ging er tagelang
in düstere Gedanken versunken umher, und begegnete nicht selten
dem verkappten bösen Feinde, der des Ritters trübe Gemüthsstimmung
zu benützen und ihn um das Heil seiner Seele zu bringen versuchte.
Aber Kuno blieb standhaft und beschloß endlich, um dieser Lockung
und seines Grames los zu werden, die gefahrvolle Reise in das
gelobte Land und zum heiligen Grabe. Doch bevor er hinzog, brach
er noch seinen Trauring und hinterließ seiner Gattin die eine
Hälfte mit dem Bedeuten, daß sie, wenn er im Verlaufe von sieben
Jahren nicht wiederkehre, und den Ring aufs Neue vereinige, ihn
für todt, und daher ihr Eheband als für immer aufgelöst erachten
solle. Durch viele Schlachten wurde bald im gelobten Lande das
Schwert des Falkensteiners berühmt, der nun am heiligen Grabe
seinem Gebete und seinen Thränen freien Lauf ließ, aber zuletzt
auch in die Gewalt des Sultans gerieth und jahrelang in tiefem
Kerker schmachtete. Endlich, durch göttliche Fügung befreit, will
er nach Hause eilen, verirrt sich aber in ungeheuern Wäldern, aus
denen er keinen Ausweg mehr finden kann. Da sinkt er erschöpft
nieder und aufs Neue tritt der böse Feind zu ihm, und versichert
ihn hohnlachend, daß so eben das siebente Jahr zu Ende laufe und
seine Gattin, des mit ihm geschlossenen Ehebandes ledig, morgen
ihre Hand einem benachbarten Ritter reichen werde. Jetzt geräth
der niedergedrückte Kuno außer Fassung, und gibt dem Vorschlag des
Verführers, ihn bis Morgen in die Heimath zu bringen, unter der
Bedingung Gehör, daß seine Seele ungefährdet bleibe, wenn es ihm
gelänge, auf der ganzen unermeßlichen Reise sich des Schlafes zu
enthalten. Sogleich verwandelt sich der Satan in einen Löwen,
dessen Rückken der Ritter besteigt und auf dem er nun durch die
Lüfte dahin fährt. Tief unter ihnen lassen sie Länder und Meere
zurück, aber bald vermag es die durch die ungeheuersten
Anstrengungen erschöpfte Kraft des Ritters nicht länger dem,
andringenden Schlafe Widerstand zu leisten, Schon wollen die
Augenlider sich schließen, und der wackerste Mann soll des bösen
Feindes Beute werden; sieh! da fliegt unversehens ein Falke
herbei, setzt sich auf das Haupt des Ritters und hält den
Schlaftrunkenen mit seinem Schnabel und dem Schwunge seiner Flügel
wach. So gelangt er unversehrt und neu gekräftigt in dem
Augenblicke in der Nähe seines Schlosses an, als eben der Brautzug
aus der Kirche dahin zurückkehrt und sich Kuno ungekannt in
denselben mischen kann. Er nimmt Theil an dem festlichen Mahle und
läßt, der Braut seinen Becher zubringend, die zurückbehaltene
Hälfte des Ringes in denselben fallen. Sie bemerkt es mit
freudigem Erstaunen, wirft auch ihre Hälfte in die goldene Schaale
und der Ring vereinigt sich wieder zum ungetrennten Ganzen. Jetzt
wird Kuno erkannt, und tritt wies der als Herr und Gemahl in die
ihm gebührenden Rechte ein. Auch ist von nun an seine Ehe
gesegnet; durch Jahrhunderte erblüht ihm eine zahlreiche
Nachkommenschaft, die mit dankbarer Anerkennung ihres Ahnherrn
Retter, den Falken mit geschwungenen Flügeln, in ihrem Wappen
führt. ( Freier erzählt und mit cinigen Zusätzen bereichert,
findet sich diese Sage bereits in Jakobis „Jris,“ Jahrgang 1805
Seite 210 u. ff. Hermann v, Rotteck, wie auch der Herausgeber,
haben sie metrisch behandelt.)
So Lieblichschauerliches weiß die Sage vom Gründer der Burg
Falkenstein dem gutwillig zuhörenden Wanderer da und dort in einer
der einsamen Hütten mitzutheilen: fragt er aber nach den spätern
Bewohnern des Schlosses und nach den Ursachen seiner Zerstörung,
so zieht sie sich verstummend zurück und weiset den Fragenden in
diesem späteren Gebiete an ihre jüngere Schwester, die Geschichte,
die so gerne sinnend und forschend an ihrer Seite geht, und nun
auch, wenn gleich in einfacherem und ernsterem Tone, dafür aber um
so bestimmter und sicherer, das Wort übernimmt.
In den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts hatten an der Burg
Falkenstein mehrere Familienglieder Antheil, von denen sich nur
Thoman von Falkenstein, eines Edelknechtes Sohn, zu Freiburg, wo
er Bürger war, niedergelassen zu haben scheint. Die Uebrigen,
Ritter Hans und Künlin, Herrn Künlins seligen (Zuverläßig ist
dieser Herr Künlin selig derselbe, dessen abgehobener Grabstcin
noch in der rechten Seitenwand der Kirche zu Kirchzarten
cingemauert zu sehen ist. Der Ritter ist auf demselben in voller
Rüstung mit gefalteten Händen abgebildet, seine Füße ruhen auf
einem Löwen, Die Rundschrift lautet; „Anno Domini MCCCXLIII. IV.
Idus Maji obiit Dominus Cuno de Valkenstein Miles.) Sohn, nebst
seinen drei Söhnen, dem Ritter Dietrich und den Edelknechten
Werner und Klein-Künlin, hatten auf der Burg selbst ihre Häuser
und Knechte.
Hier war schon seit Jahren die schöne Zeit ritterlicher Tugenden
vorüber, und man benützte ungescheut die allgemeine
Gesetzlosigkeit des unter Wenzeslaus der größten Verwirrung
preisgegebenen Reiches, um Vorüberziehende jeder Art anzufallen
und sich ihres Guts zu bemächtigen. Ohne Zweifel trug anfänglich
die ganz abgeschiedene Lage der Burg, die fortwährende Einsamkeit
und die Zuversicht, mit der man auf der unzugänglichen Felsenwand
jedem Angriffe trotzen konnte, mit wenig dazu bei, die
übermüthigen Herren, welche überdieß noch schwere Schuldenlast
drückte, in so schändliches Leben zu verlocken. Wie leicht mochte
in ihnen, wenn sie von ihrem Adlersitze auf den tief in der
Schlucht dahinziehenden Wanderer herabsahen, der Gedanke
aufsteigen: der Fremdling, der hier in den Abgrund eingegangen,
habe sich selbst muthwillig in ihr Gefängniß, in ihre Hände
geliefert und sie zu Herren über sein Leben und Gut gemacht; sie
dürfen nur wollen, so sey ihnen Beides verfallen, denn wer vermöge
wohl, sie hier oben deshalb zur Rede zu stellen ?
Jede noch aus den Verhören aufbewahrte Aeußerung der Burgbesizer
zeugt von diesem gränzenlosen Uebermuthe und zugleich von einem
sittlichen Verderben, welches nur der eigenen Frechheit Gehör gibt
und jedem menschlichen und göttlichen Gesetze Hohn spricht. Als
Werner einst vier ehrbare Männer aus den Landen des Herzogs von
Geldern oder Jülich niederwarf, ihnen ihr Geld (bei 46 fl. oder
mehr (Man vergesse nicht, daß in diesen Zeiten das Geld einen weit
höheren Werth hatte) abnahm und sie selbst gefangen auf die Veste
legte, mußten sie ihm bei ihrer Loslassung nicht nur schwören,
Niemanden zu warnen, sondern auch sich selbst auf eine bestimmte
Zeit wieder auf Falkenstein einzustellen. Zwar, bemerkt die
Verhörurkunde, war es Wernern lieber, sie stellten sich nicht
wieder ein; doch erwiederte er, als einige Knechte selbst sein
Verfahren mißbilligten und ihm ins Gesicht sagten, er habe kein
Recht zu diesen Leuten und zu ihrem Gute, wörtlich: „er wolle ihr
Gut haben, würde er aber dazu gebracht, daß er es wiedergeben
müßte, so hätte er es doch eine Weile unter Händen gehabt; und
beriethe ihn Gott inzwischen andern Gutes, dazu er Recht habe,
damit wolle er dieß Gut wiedererstatten.«
Noch weit unverholener sprach er sich bei einer anderen
Gelegenheit aus und bewies zugleich, daß er sich nicht etwa selbst
über sein Gewerbe täusche, sondern dasselbe vollkommen zu würdigen
und mit dem gehörigen Namen zu belegen wisse. Ein wandernder
Walker, der zu Freiburg gedient hatte, wurde angehalten. Man nahm
ihm sein Geld (5 Schillinge Straßburger) und fand unter Anderm
nooh zehn oder zwölf Steine bei ihm, welche Werner für Saphire,
und darum den Gefangenen für einen Kaufmann hielt. Vergebens
machte ihm ein Knecht neuerdings Vorstellungen. Werner bricht
darüber voll Zorn in die Worte aus: „Schweig, daß dich .…. ., was
geht es dich an? verzagter Minner und barmherziger Räuber thun nie
gut."
Selbst das schöne Geschlecht, das doch allerwerts durch seine
Milde sich auszeichnet und gewöhnlich mit Erbarmung die Wunden
wieder heilt, welche ein schonungsloser Mann schlägt, scheint hier
über den Schluchten des Höllenthales seiner Natur untreu geworden
zu seyn und sich in der starren wilden Umgebung ganz verloren zu
haben. Spähend sah zu jeder-Zeit Werners Frau aus den Fenstern
umher, und gewahrte sie dann unglückliche
Wanderer, rief sie selbst den Ihrigen mit Lust zu: „Sie kommen,
sie kommen, laufet abhin!“ Wie hoch steht neben ihr der gemeine
Knecht, der ihr eins zu entgegnen wagte: „ich will nicht abhin
laufen; soll ich Einem das Seinige nehmen, wozu ich kein Recht
habe? Wie wohl gefiel´ es Euch, wenn ich Euch Euern Pelz nähme ?"
Und doch vermochte sie es noch, ihm zu erwiedern: „er wolle,
schein´ es, ein Junker seyn !“
Nebst der Burgfrau besorgten noch besondere Knechte das Geschäft
des Ausspähers. Sie sind namentlich in den Verhören aufgeführt:
Dietrich Gipper, Hanmann Dietrich, Heintz Keller, der Niggel, der
Wenk und Wernli Stock von Breitnau. Bisweilen stand auch einer der
Burgherren selbst unter der Veste und angelte; kamen dann
Reisende, so blies er in ein Hörnlein und alsbald stürzten die
Knechte herbei. Klein-Künlin lief oft drei- und viermal von der
Veste herab und war bei sämmtlichen Angriffen.
Auf Stand und Gewerbe wurde keine Rücksicht genommen; wer heran
kam und überwältiget werden konnte, zog nur seines Gutes ledig
weiter. Zu Rom führten acht Pilger, (wovon drei Geistliche) zwei
aus Holland, zwei aus Flandern und vier aus England bittere Klage,
wie ihnen 700 Gulden baar bei Falkenstein abgenommen und sie noch
überdieß gezwungen worden, ihren Weg fortzusetzen und Niemanden
bis nach Rom zu klagen. Sieben Andere. wurden auf der Burg in
einen Keller geworfen und durchgesucht, da man aber nichts bei
ihnen fand, ließ Werner sie wieder ledig, „aber“ sagen die
Verhöre, „der Gipper und der Wenk nahmen ihnen ihre Kleider wider
Werners Willen.“ Ein fremder Mönch verlor unter Falkenstein seine
ganze Baarschaft, einen Gulden; und noch vor dem Herbste 1389
wurden sogar drei Schüler, deren einer des Vogtes Sohn von
Burgheim. war, auf die Veste geführt und durchgesucht und jedem so
viel Schürlitz-Tuch abgenommen, als zu einem Wamms gehört.
Einen reicheren Fang machten die Räuber an einem Lombarden, der
von Köln nah Como reiste und dem sie gegen seinen Geleitsbrief die
gesponnenen Gold- und Silberfäden, die er bei sich trug, im Werths
zu 60 Gulden, abnahmen. Werner selbst bekannte, das Gut zu haben,
und der Kaufmann richtete von Como aus an Freiburg eine
Klagschrift in lateinischer Sprache. Herr Georg von Pala aus
Flandern verlor 140 Gulden, wie des Grafen von Kirchberg Brief
ausweist. Dem Peter, des von Mailand Boten, nahmen sie 70 Gulden
Werth und 11 Franken, wie aus des Wehinger s und Derer von
Konstanz Briefen ersichtlich ist. Ein Brief aus Waldshut
versichert, mit den Verhören übereinstimmend, daß einem zu dieser
Stadt gehörigen Knechte 16 Pfund Heller und 6 Pfund neuer Pfennige
abgenommen worden. Ulgker, ein Söldner von Freiburg, klagte, seine
Baarschaft von 3 Gulden und 30 Schilling Pfennigen, Brüchlein, ein
Kürschner, Hintersaß daselbst, 18 Pfennige verloren zu haben.
Munderchingern, die des Weges zogen, wurden ihre Pferde und ihre
Baarschast abgenommen und sie noch überdieß um anderthalbhundert
Gulden geschägt, wovon sie fünfzig bezahlten. Einen andern
Munderchinger erledigten die Freiburger. Ein Knecht von Ehingen
mußte den Wein, den er führte, auf Falkenstein lassen; einem
andern Knechte füllte man noch zum Spotte das geleerte Faß mit
Wasser und den geleerten Sack mit Mist. Einem aus Mainz nahm man
in Ermanglung von Anderem Briefe und Messer ab und ließ die Briefe
durch Herrn Bernhart, einen Priester, lesen. Selbst zum
verächtlichsten Taschendiebstahle scheinen sich die Burgherren, wo
es geschehen mochte, erniedriget zu haben. Von Wernern erzählte
man, er habe des Bestenwirths Schwester eine silberne Schaale und
einer Klosterfrau von Rothenmünster zwei Leilachen und ein
Berwer-Mäntelein gestohlen.
Auch des nächtlichen Einbruches scheuten sie sich nicht. So befahl
einst Klein-Künlin fünf Knechten, den zwei Brüdern Hennin und
Klewin Hase, dem Pforrer und noch zwei Andern, nächtlicher Weile
mit ihm zu Zarten in Horants Hof einzusteigen, wo sie einem
fremden Händler aus Schwaben heimlich sechs Schafe nahmen, und
Jeder, Klein-Künlin selbst auch, eines auf ihren Schultern in die
Burg trugen. Dort wurden die Schafe geschunden und die Felle zu
kleinen Stücken zerhackt und auf einen benachbarten Berg getragen,
damit die That nicht auskommen möchte. Auf gleiche Weise wurde
auch nächtlicher Weile von zwei Knechten ein Ochs zu Horben
gestohlen und auf die Burg getrieben.
Bei weitem nicht alle von den Falkensteinern näher oder ferner
verübte Diebstähle, Räubereien und Einbrüche sind erhoben und
aufgezeichnet worden. Die niedergeschriebenen Verhöre umfassen nur
einen kurzen Zeitraum vor der Zerstörung der Burg und deuten
überdieß Manches nur an. Dabei beweisen verschiedene Stellen, wie
unangenehm den Raubgenossen bei ihren Unternehmungen die Nähe der
Stadt Freiburg war. Der Eine wünschte sie in Flammen aufgehen zu
sehen, der Andere, die Freiburger auf's Rad setzen zu können, ein
Dritter brach in offene Drohungen gegen sie aus.
Es ist leicht zu erachten, daß es bei einem so schändlichen,
gesetzlosen Leben zu noch weit empörenderen Greuelthaten kommen
mußte. “ Man entsetzt sich, wenn man Klein-Künlins Verfahren gegen
einen seiner Knechte, Weltin von Witenthal liest. Er hatte schon
seit einiger Zeit mit dessen Frau sträflichen Umgang gepflogen und
dafür den Unterhändler, Klewin Hase, mit einem neuen Wamms
beschenkt. Der unglückliche Knecht merkte bald das Verhältniß, in
dem seine Frau stand und machte ihr deßhalb Vorwürfe. Darüber
entzündete sich in Klein-Künlin der heftigste Haß, und er schwur
dem Knechte den Tod. Er ließ deschalb eines Abends die beiden Hase
zu sich kommen, gab dem Klewin seinen eigenen Panzer, machte sie
mit seinem Vorhaben bekannt und befahl. ihnen, wenn. er anfinge,
ihm zu helfen, wogegen er auch, wenn sie anfingen, ihnen helfen
wolle. Dann nahm er- noch den Pforrer und Andere mit sich und ging
mit ihnen und noch einem besonders hiezu bestellten Pfeiffer in
des Knechtes Haus. Hier ließ er Allen Essen und Trinken auftragen
und befahl endlich auch dem Pfeiffer, zu spielen. Unglücklicher
Weise nahm ein gerade anwesender Freund des Weltin das Wort: man
möge nicht pfeifen, es sey schon spät, sie wollten schlafen. Da
rief Einer der Hase: man müsse es doch thun, und im gleichem
Augenblicke zuckte Klein-Künlin sein Schwert und gab unversehens
dem Weltin den ersten Streich; worauf auch die Hase ihre Schwerter
zogen und, wie der städtische Bericht sagt, den armen Knecht
erschlugen in seinem eigenen Hause, zudem, daß sie ihn an seinem
ehelichen Weibe entehrt und das Seinige gegessen und getrunken
hatten und über seinen Willen in sein Haus gegangen waren. Pforrer
und die Uebrigen wagten es wegen ihres Herrn nicht, etwas gegen
diese Mordthat zu thun; alle bekannten einstimmig: „Klein-Künlin
hätte den Todschlag mit einem Worte gewendet, wenn er nur gewollt
hätte. Die beiden blutdürstigen Hase, welche so bereitwillig den
armen Westin hatten morden helfen, entgingen, wie sich bald
ergeben wird, der gerechten Strafe nicht.
Natürlich fand bei solchen Vorfällen ein steter Wechsel. der
Knechte auf Falkenstein statt. Den, der nur noch einiges Gefühl
für Recht und Sittlichkeit hatte, trieb der Abscheu fort und sein
Herr sah sich beim Abschiede genöthigt, ihn zu bitten: „daß er
ihm, wenn er ihm auch nicht gut seyn wolle, doch nicht zu Schaden
sey.“ Der Bösewicht aber suchte seinen schmählich
zusammengerafften Erwerb in Sicherheit zu bringen, und benügte
bisweilen die erste Gelegenheit, sich mit einer Summe zu
entfernen, die den Besitzern der Burg selbst „unbillig“ däuchte.
Wenige, des wüsten Lebens gewohnte, eben so feige und
unzuverläßige, als raubsüchtige und grausame Menschen blieben
zurück, mochten aber wohl wenig zur gehörigen Vertheidigung der
Burg beitragen, bis endlich durch eine der schreiendsten
Gewaltthaten, die im Spätherbste des Jahres 1389 auf der Burg
vorfiel, die Gerechtigkeit geweckt wurde und die schon längst
verschuldete Strafe vollzog.
Der Untergang der Falkenburg ist an höchst unscheinbare
Veranlassungen geknüpft. Ein Mädchen aus dem Kirchzartner Thale,
die Tochter Künin Henselers, der Herrn Dietrich von Falkenstein
leibeigen war, liebte Hans Schneider, einen Hintersaßen von
Freiburg und ehelichte ihn gegen ihres Vaters und ihrer Freunde
Willen. Ihr Mann war sehr arm und da auch sie nichts zur Mitgift
erhielt, gerieth sie nach und. nach in eine so bedrängte Lage, daß
sie es doch nach einigen Jahren, als sie schon ein Kind hatte und
das andere trug, wagte, mit ihrem Manne zu ihrem Vater und ihren
Geschwistern zu gehen und sie um eine Unterstüzung zu bitten. Díe
Bitte war vergebens und hatte die Folge, daß der alte Groll wieder
aufgefrischt wurde. Nur ein Bruder war auf eine unkluge Weise
mitleidiger; er sagte der armen Frau, sie möge einen Rock nehmen,
der in ihres Vaters Hause lag und ihrer Schwester angehörte, um
doch etwas für ihre Nothdurft zu haben. Aber eben dieser Rock
wurde nachmals die Ursache ihres Unglücks. Der Vater und die
übrigen Geschwister nämlich erklärten ihn für gestohlen, und
ließen ihren Mann als muthmaßlichen Dieb zu Ebnet vor Gericht
laden, wo er jedoch durch ritterliches Urtheil sogleich
losgesprochen
wurde. :
Von nun an kochte die unversöhnlichste Rache in den Herzen dieser
elenden Menschen, die unabläßig darauf ausgingen, den Gegenstand
ihres Hasses aus dem Wege zu räumen. Künin Henseler, der Vater
selbst, beredete sich mit seinem Herren, der ihm erlaubte, und ihn
sogar aufforderte, den Hans Schneider zu fangen und ihn auf die
Veste Falkenstein zu führen, wobei er ihm ein Wortzeichen an Henni
Frässelin, den Thorwächter zu Falkenstein, gab, damit ihn dieser
mit dem Gefangenen einließe. Das Wortzeichen bestand darin, daß
Herrn Dieterichs Kellner zu Baldenweg dem Frässelin vor Kurzem
Brod und Fleisch in einem Sack gegeben habe.
Nun wurde dem Hans Schneider von allen Seiten aufgelauert, und es
gelang auch dem Schlupf von Kappel, seinem Schwestersohne Hanmann
Schlupf von Lütenweiler und Käni Weinmann von Kappel, ihn mit
seiner Frau bei Freiburg ob der Kapelle am obern Werde
aufzufangen. Die Frau, als sie sah, daß man ihren Mann schlug und
stach, fing ein lautes Geschrei an, da erhielt auch sie einen
Schlag mit einem Spieß über den Rücken, daß sie bewußtlos
niedersank. Indessen wurde ihr Mann das Kirchzartner Thal hinauf,
zu den Birken in ihres Vaters Haus, fortgeschleppt, wohin auch
sie, sobald sie der Sinne wieder mächtig wurde, nachfolgte. Hier
blieb er einen Freitag und Samstag gefangen; Sonntag Morgens
führte man ihn weiter auf die Burg Falkenstein, wo sie gleichfalls
mit ihm einzudringen wußte. Nun legte man sie aber in eine Stube
in Eisen, in der sie des folgendes Tages, von den Schlägen und dem
Schrecken entkräftet, ein todtes Kind gebar. „Und war,“ erzählte
sie nachher im Verhöre selbst, „Niemand bei ihr von Frauen noch
Mannen, der ihr in diesen Sachen zu Statten käme. Und dasselbe ihr
todtes Kind wand sie in ihren Daphart und Morndes (künftigen
Tages) auf Dienstag zu Mittag ward sie aus dem Gefängniß gelassen
und trug ihr todtes Kind bis nach Kirchzarten in das Dorf und
begrub es da.“
Indessen hatte man sich über ihren Mann aufs Neue berathschlagt
und Ritter Dietrich ihrem Vater erlaubt, mit demselben zu leben,
wie er wolle. „Denn ,“ sagte er zu ihm: „es ist besser, du
verdirbst den Gefangenen, als daß er dich verdirbt.“ So war der
Unglückliche ganz in die Hände seines rachedurstigsten Feindes
gegeben, der nur noch schwankte, ob man ihn aufs freie Feld vor
die Veste führen und dort erstehen, oder in ein Bergloch werfen,
oder von der Veste selbst herabstürzen solle, sich aber bald für
das Letztere entschied. Somit nahm Künin Henseler noch einen
seiner Söhne, ferner Hanmann Schlupf, Künin Weinmann und noch zwei
Andere zu sich und kündete dem unglücklichen Gefangenen das
Todesurtheil an, wobei man ihn fragte, ob er in den Kleidern
hinausfallen oder sie zum Heil seiner Seele in eine Kirche
vergraben wolle. Hans Schneiders Antwort war: er wolle sie seinem
Kinde geben, und somit zog er sich in Künlins Hause, wo er
gefangen gelegen hatte, bis auf sein Niedergewand und sein Hemd
aus, und wurde auf den höchsten Punkt der Veste in Herrn Dietrichs
Haus an ein Fenster geführt, unter dem sich der Abgrund auf
anderthalbhundert Klafter vertiefte, wo man ihm das Haupt zu dem
Fensterlein hinausdrückte und ihn Hanmann Schlupf vollends
hinabstieß. Alle hatten Hand an ihn gelegt, nur Künin Henseler
nicht, der Haupturheber seines Todes.
Am achten Tage, seit sie die Burg verlassen hatte, bekam endlich
die Frau Nachricht von dem, was mit ihrem -Manne zu Falkenstein
vorgegangen war. „Da ging sie,“ fahren die Verhöracten fort, „mit
ihrem kranken Leibe von Freiburg wieder gen Falkenstein unter die
Burg an die Halde und suchte da ihren Mann, und fand ihn auch
zerschmettert und modernd, und zog ihn herab an den Weg, und
schuf, daß er ward begraben im Falkensteinerthal zu St.: Oswalds
Kirchen.“
Wohl mag noch jetzt kaum ein Herz ohne Rührung, kaum ein Aug´ ohne
Thräne des Mitleids bleiben, wenn diese Ereignisse längst
verschwundener Tage an ihm vorüberziehen; diese Gräuel, diese
Unmenschlichkeit auf der einen, diese zärtliche, ehliche,
väterliche und mütterliche Liebe auf der andern Seite; diese
heilige Sorgfalt, die des Kindes in der schweren Todesstunde nicht
vergißt und sein Wohl sogar dem eingebildeten Heil der eigenen
Seele voranstellt; diese unverbrüchliche Treue, die der
Erschöpfung und Kraftlosigkeit des eigenen Körpers nicht achtet,
den zerschmetterten, modernden Gatten in ihren Schooß nimmt und
ihm den einzigen Dienst erweist, den sie ihm noch erweisen kann:
ihm ein Grab an geweihter Stätte zu bereiten.
Ergreifen solche Ereignisse noch jetzt nach mehr als vierhundert
Jahren mit fortreißender Gewalt jede fühlende Seele, um wie viel
mächtiger, ja wie unwiderstehlich muß nicht damals ihr Eindruck
gewesen seyn, als sie so eben vor sich gingen und die neue Kunde
lebendig von Mund zu Mund erscholl; als noch bei den frischen
Gräbern des Vaters und Kindes sich die Haufen des tief empörten
Volkes versammelten, und Frau und Mutter, in ihren Schmerz
zerflossen, unter sie und vor den Rath und die Gemeinde zu
Freiburg trat, um sie zur gerechtesten Rache aufzurufen.
Freiburg zögerte nicht. Sogleich wurden von allen Seiten her
Erkundigungen über die Burg Falkenstein eingezogen, die Beraubten
mündlich und schriftlich vernommen, und schon unterm 15. Jänner
des folgenden Jahres (1390) ging ein eigener Abgeordneter: an das-
königliche Hofgericht zu Rotweil ab,. dort Wernern von Falkenstein
und die Seinigen und die Beste Falkenstein in die Acht zu
verklagen. — :
Es ist höchst wohlthuend, bei dieser Gelegenheit die Namen so
vieler wahrhaft-Edeln aufgeführt zu finden, -die voll Abscheu
gegen die Gräuelthaten einiger ihres: Standes, und weit entfernt,
denselben Vorschub zu thun, mit dem rächenden Freiburg sich
verbanden, um die verdiente Strafe: rüsichtslos und: furchtbar
über die Schuldigen ergehen zu lassen.
Der Angriff. scheint noch in diesem Monate (Jänner) oder doch in
den ersten Tagen des folgenden ausgeführt worden zu seyn; die Burg
fiel im Sturme und wurde sogleich verbrannt und bis auf den Grund
niedergerissen.
Merkwürdig ist es, daß die Sage auch hier wieder das Wort nimmt
und den plötzlichen, wenn man ihre Lage betrachtet, kaum
erklärlichen Fall der Burg, durch eine neue ihrer kleinen
Erfindungen wahrscheinlicher zumachen und zugleich: auszuschmücken
sucht. Sie erzählt nämlich unter den Gewaltthaten, welche die hier
wohnenden Räuber (der gemeine Mann kennt, wie gesagt, diese Burg
nur als einen Räubersitz) betrübt hätten, sey auch die Entführung
einer wunderschönen Frau nicht zu vergessen, welche bestimmt war,
hier den Lüsten dieser schändlichen Menschen preis gegeben zu
werden. Da sie die Unmöglichkeit, von der Veste zu kommen,
eingesehen, habe sie sich scheinbar gutwillig in ihr Loos gefügt
und dadurch bei den Räubern den Wahn erregt, als sey sie -nun mit
voller Seele die Ihrige. Endlich habe -sie es gewagt, um Erlaubniß
zu bitten, einen Markt in Freiburg zu besuchen, um dort Allerlei
einzukaufen. Diese sei ihr auch geworden, und so habe sie dieselbe
benützt, um bei dem Rathe zu Freiburg die nöthigen Anzeigen zu
machen. Darauf habe sie unter Anderm einen Schurz voll Erbsen
gekauft und dieselben durch das Thal bis zum Eingange in die Burg
verstreut. Die Freiburger seyen sodann diesen Spuren nachgegangen
und hätten, auf ein weiteres Zeichen, - ein ausgehängtes weißes
Tuch, - das Thor gesprengt und die überraschten Räuber in ihrem
Trunke niedergemacht oder gefangen genommen. - Sollte nicht in
diesem Märchen wenigstens. einige Spur von Wahrheit und vielleicht
unter der wunderschönen Frau die Wittwe des unglücklichen Weltin
von Witenthal verborgen seyn? Wunderbar wäre auf diese Weise
wirklich das Walten der geheimnißvolle Wiedervergeltung.
Die Zerstörung der Burg war übrigens nicht die einzige Strafe,
welche die Falkensteiner traf. Freiburg hielt den Ritter Dietrich
und später Klein-Künlin sammt -mehreren ihrer Helfer
in schweren Banden und erst nach langer Zeit ließ man jenen eine
Sühne angedeihen. -
Ohne Zweifel mußte es den Falkensteinern sehr empfindlich fallen,
die fast unbezwingliche Veste ihrer Ahnen schon so früh in
Trümmern zu sehen. Sie schlossen sich wahrscheinlich alle nah dem
Sturze derselben, in Freiburg an und ihre Nachkommen versuchten es
nun zu Anfange des folgenden Jahrhunderts, von der Stadt Freiburg
die Erlaubniß zur Wiedererbauung ihrer Burg ‘zu erhalten. Aber die
Rathsbücher aus dieser Zeit melden: „Als vor unsern Rath gekommen
sind Kaspar, Hans Jacob und Heinrich von Falkenstein. von ihrer
selbst und anderer ihrer Freunde. wegen, und -da. erklärt haben,
daß sie meinen „Falkenstein die Veste wieder zu bauen, da haben
alte und neue Räthe die Briefe: und bösen Geschichten, so vor
Zeiten auf Falkenstein geschehen sind, darum die Veste gebrochen
ward, zu Hand genommen, angehört und darauf erkannt, daß man die
Veste nie wieder baue nach den bösen räublichen und schädlichen
Thaten, so da geschehen sind. Und ist darauf den Obgenannten von
Falkenstein, da sie die Unsern sind, bei ihren Eiden geboten
worden, die Veste nicht zu bauen und die Sache fernerhin an
Niemanden zu: werben noch zu: treiben; käme der Rath darüber in
Kosten oder Schaden, so werde er sich an sie halten. Und hat der
Rath geboten, es in dieß Buch zu schreiben zur ewigen Gedächtnuß."
(6. Juni. 1414,)
Mit dem Schicksale der Burg Falkenstein scheint auch das des
Geschlechtes verknüpft gewesen zu seyn. Noch war jene nicht viel
über ein Jahrhundert untergegangen, so sah man auch dieses,
wenigstens in unsern Gegenden, verblüht.
Und so sind denn seit Jahrhunderten diese Trümmer in dem Zustande
geblieben, in welchem die rächende Hand sie einst verlassen hat.
Nur bisweilen wagt es ein Anwohner, vermeinten Schatzgewölben
nachspürend, die ungeheuer Mauern da und dort anzubohren; wenn er
aber dann unerwartet, statt der gehofften Schätze, auf einen
Haufen modernder Knochen stößt, läßt er mit Entsetzen von seinem
Unternehmen ab und versichert den Wanderer treuherzig, es seyen
dieß noch Ueberreste von Reisenden, die einst in diesem Raubschloß
erwürgt und verscharrt worden.
Dr. Heinrich Schreiber.
(Vergl, auch „Taschenbuch für Geschichte und Alterthum in
Südteutschland.“ IV. Bd.
1844 „Die Freiherren von Falkenstein" S.149.)
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Die Kinder im Stollenbach.
Auf der Mitternachtseite des Feldbergs liegt der Stollenbach, die
Viehhütte der Gemeinde Zastler; dort begab es sich vor etwa 30
Jahren, daß ein Paar Kinder, ein Knabe und ein Mägdlein, als sie
den ganzen Sommer hindurch — von Morgens früh bis Abends spät
beisammen allein gelassen, — die Heerde weideten, sich nach und
nach eine ganz eigene Sprache bildeten. Als man nach Heiligkreuz
wieder heimfuhr in's Thal, zeigte sich's, daß diese Kinder die
gewöhnliche Sprache gar nicht mehr verstunden; dagegen bedienten
sie sich nun einer ganz eigenen, selbst erfundenen. Sie schnalzten
nämlich auf eine besondere, so verschiedenartige Weise mit der
Zunge, daß sie einander ganz wohl verstanden; auch wollten sie
anfangs gar nicht anders miteinander sprechen, als so. Man mußte
sie mit Gewalt dazu nöthigen, die gewöhnliche Wortsprache wieder
neu zu lernen und anzunehmen.
L. H, B.
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Feldberg.
Der Jäger,
Nicht ferne vom Feldberg, über einer der einsamsten Schluchten des
Schwarzwaldes, sieht man noch das zerbröckelte Gemäuer einer alten
Burg, deren Namen verloren gegangen ist. Doch hat sich noch
folgende Sage davon erhalten.
Der letzte Bewohner des Schlosses war ein reicher Graf, der
jedoch, außer dem Waidwerk, keine andere Lust und Beschäftigung
kannte. Er hegte das Wild in seinen Forsten so reichlich, daß es
die Felder der umwohnenden Bauern gänzlich verwüstete und viele
armen Leute darüber Hungers starben.
Einst, am Vorabend eines kirchlichen Festes, trieb er sich, wie
gewöhnlich, bis tief in die Nacht im Walde herum, kam dabei ab von
seinem Gefolge und verirrte sich in eine ihm völlig unbekannte
Gegend. Umsonst gab er sich alle Mühe, einen Pfad zu entdecken;
die Wildniß wurde immer verwachsener und ihm blieb zuletzt kaum so
viel Kraft, sich durch das dichte Gestrüpp hindurch zu arbeiten.
Endlich um Mitternacht kam er auf einen freien Platz im tiefsten
Forste, wo er sich auf den Rasen niederwarf, um auszurasten. Da
vernahm er ein Rauschen und Stöhnen in den Gebüschen und griff
rasch nah seinem Jagdspieße, doch seine Hunde begannen so
ängstlich zu winseln und sich hinter ihm zu verkriechen, daß es
ihm selbst, so beherzt er sonst war, ganz unheimlich zu Muthe
wurde. Plötzlich stürzte ein hoher stattlicher Mann, einen
Schießbogen in der Hand und ein Hifthorn an der Seite, aus dem
Walde hervor auf den freien Platz, und hinter ihm drein klappernd
und rasselnd eine Schaar von Todtengerippen, sämmtlich auf
gewaltigen Sechzehnendern daherjagend. Der Mann suchte ihnen, so
schnell ihn seine Füße tragen konnten, zu entrinnen, aber wohin er
sich auch wenden mochte, von allen Seiten kam ihm ein Trupp
solcher mit langen Spießen bewaffneter knöcherner Reiter entgegen
und hetzte ihn wohl über eine Stunde lang auf dem Platze hin und
her, bis der Graf in der Angst seines Herzens mit lauter Stimme
den Namen des Erlösers anrief, worauf im Nu die Gerippe auf ihren
Hirschen nach allen Richtungen auseinanderstoben und verschwanden.
Der Mann aber, den sie so herumgejagt hatten, trat zum Grafen und
sagte im hohlen Tone:
Ich bin der Geist deines Urgroßvaters und habe, wie du, mein
Lebenlang Wild und Menschen zu Tode gequält. Wohl hundert arme
Wilderer, die sich in meinen Bann wagten, ließ ich lebendig auf
Hirsche schmieden und diese dann durch meine Hunde hetzen, bis sie
dem Tode nah zusammenstürzten, während die Unglücklichen, die
darauf saßen, unter langen Qualen ihren Athem verhauchten. Zur
Strafe muß ich nun jede Nacht in diesen Wäldern umherirren; jede
Naht werde ich nun selbst verfolgt und gehetzt von dem Schwarme
der von mir Gemordeten und ich büße tausendfach für das, was ich
an ihnen verübt.
Laß dich mein jammervolles Beispiel warnen: gehe nach Hause und
werde menschlicher, als ich es war !“
Mit diesen Worten verschwand die Erscheinung. Der Graf aber war so
vom Schrecken gelähmt, daß er sich nicht von der Stelle zu bewegen
vermochte. Erst am Morgen fanden ihn seine Leute dort liegen,
allein seine Züge waren so sehr entstellt, daß sie kaum ihn mehr
noch erkannten. Sie wollten ihn auf seine Burg tragen, aber er
that ihnen seinen unerschütterlichen Entschluß kund, an diesem
Orte eine Klause zu bauen, und bis diese fertig seyn würde,
einstweilen in einer nahegelegenen Felsenhöhle zu wohnen. Seine
bewegliche Habe ließ er unter die Armen vertheilen und alle
Zugänge zu seiner Burg vermauern, damit kein menschliches Wesen
dieselbe mehr betreten könne, und der Name seines Geschlechtes
verschwinde unter den Menschen.
Nach Aloys Schreiber.
Feldsee.
Hat man von dem furchtbar - schönen Todtnauer Thal aus über
Brandenberg den Feldberg erstiegen, so zieht sich der Weg eine
Zeitlang auf der fast wellenförmigen Hochebene fort bis zu dem
östlichen Abhange desselben. Nun erblickt man auf einmal in einer
schauerlichen Tiefe von mehr als 2000 Fuß unter sich, jedoch noch
in einer Höhe von 2287 Fuß über dem Meeresspiegel, einen
schwarzgrauen, kleinen, kreisförmigen See, mit düstern Tannen und
Föhren, von welchen viele Stämme, theils vom Blitze verkohlt,
theils vom Sturme hiehergeschmettert, umherliegen, begrenzt,
Dieser See heißt der Feldsee, ist über 13 Morgen groß, und soll
gute Lachsforellen enthalten. Seine schwarze Tintenfarbe, in
Verbindung mit der finstern Nadelwaldung und den zerklüfteten
Felsenhängen, welche sein Ufer bilden; die tiefe Einsamkeit der
Gegend und die schauerliche Stille der Natur, bilden hier eine
grausenhaft-schöne Naturscene.
Außer den Naturfreunden, worunter namentlich die Liebhaber der
Botanik hier eíne schätzbare Ausbeute finden, wendet nur dann und
wann ein Bäuerlein in frommer Einfalt und mit scheuem Herzen sich
diesen unheimlichen Gestaden zu. Denn - so geht die Sage - seit
undenklichen Zeiten wurden böse Geister oder Dämonen in die
unergründliche Tiefe des Feldsee's versenkt. Spuckt ein solcher
Kobold in irgend einem Hause der Umgegend, so wird er von dem
nächsten besten Geistlichen beschworen, in eine Flasche gebannt,
dieselbe, wenn gleich nicht mit dem Siegel Salomonis, doch fest
genug verspundet, in aller Stille zum See getragen und darin
versenkt. Jetzt, nachdem er das geheimnißvolle Werk vollbracht und
dem See wieder den Rücken gewandt, jetzt — nimm dich in Acht!
Blicke ja nicht zurück! Denn seltsame Stimmen in wirrer
Tonmischung rufen dir zu, rufen dir nach. Du bist verloren, wenn
du dich umschaust — die noch freien Geister ergreifen dich und
stürzen dich in den nächtlichen Abgrund des See's.
An den Ufern desselben spuckt auch zuweilen der durch unsern Hebel
berühmt gewordene Denglegeist. (Siehe das Gedicht: „Geisterbesuch
auf dem Feldberg.) Schon Mancher, der z. B. von Todtnau her aus
dem Wirthshaus einen andern Geist im Kopf mitgeschleppt, welche
Art der Denglegeist nicht ausstehen könne, soll's übel empfunden
haben. Er sey im Nebel herumgeführt worden die ganze Nacht
hindurch; ja, einst habe derselbe einen Wildfrevler, der schon
viel Schlimmes begangen und über die Neckereien des Denglegeist
entseglich geflucht hatte, ín seinem Grimm in den See
hinuntergestürzt. Auch die geistlichen Herren von St. Blasien
sollen ihm verhaßt gewesen seyn, weil ihn einige zu beschwören und
zu bannen versucht hatten. Sie seyen einst ausgegangen und hätten
auf dem Gipfel des Feldbergs ein Feuer angezündet, um ihm auf die
Spur zu kommen. Da habe der Denglegeist es sogleich wüthend
ausgeblasen und die Mönchlein mit einer fürchterlichen, von einem
Stein- und Hagelregen begleiteten Windsbraut den Berg wieder
hinunter gejagt. Zwei Professoren oder weisen Meistern von der
Freiburger Universität, welche bald nachher denselben Versuch
anstellen wollten, sey es nicht besser ergangen.
August Schnezler.
Titisee
(Zwei Stunden östlich vom Feldberg, an der Poststraße nach
Lenzkirch)
Nachdem schon Manche vergebens gesucht hatten, die Tiefe des
Titisee's zu erforschen, fuhr Einer, mit dem festen Vorsatz,
dieselbe kennen zu lernen, in einem Kahn in die Mitte des See's
und warf an einer fast endlosen Schnur das Senkblei aus. Schon
schwebte dieses in ungeheurer Tiefe und doch war noch eine Menge
Schnur zum Nachlassen vorhanden, da rief aus dem Wasser eine
Stimme in fürchterlichem Tone :
„Missest du mich,
So freß ich dich !“
Voll Schrecken ließ nun der Mann von seinem Unternehmen ab und
seitdem hat Niemand mehr gewagt, die Tiefe des See's zu ergründen.
(Siehe Mone's Anzeiger ec. v. J. 1829.)
Die Wißneck
Bei Kirchzarten, einem der ältesten Orte des Schwarzwaldes, liegen
auf
einem Vorsprung links der Landstraße ins Höllental die Trümmer des
einst berüchtigten Raubnestes‚ der Wißneck. Der letzte Wißnecker
sah
einst den Markenbauern unweit des Schlosses mit einem prächtigen
Gespann sein Feld pflügen, und gleich war die Habgier des Ritters
geweckt. Er befahl dem Bauern, seine Pferde auszuspannen. Demütig
bat
ihn dieser, er möge ihn nur noch bis zum Ende des Ackers fahren
lassen.
Die Bitte wurde ihm arglos gewährt, und der Ritter begleitete das
Gespann bis zur bezeichneten Stelle. Dort ergriff der Markenbauer
seinen Karst und erschlug den Wißnecker. So soll das Raubnest
herrenlos
und dann von den Bauern zerstört worden sein (tatsächlich ist die
Wißneck am 14. Mai 1525 von den Bauern unter Hans Müller von
Bulgenbach
verbrannt worden). Heute noch sucht man nach den verborgenen
Waffen und
Schätzen.
Aus: Alemannische Sagen -
Herausgegeben von Ulf Diederichs und Christa Hinze - Bechtermünz
Verlag
St. Martin bei Oberried
In dem Goldberg bei Oberried war vor Zeiten eine reiche Goldgrube,
Sankt Martin genannt. Darin lag, hinter einer silbernen Tür, ein
Standbild dieses Heiligen verborgen, welches von lauterem Gold und
dreihundert Mark schwer war. Noch im Jahr 1521 wurde der Bau
betrieben,
aber bald danach wegen des hereinbrechenden Krieges eingestellt.
Die
Bergleute schlossen jedoch die Grube mit einer eisenbeschlagenen
Tür
und schütteten diese mit Erde und Steinen zu. Hierdurch gelang es
ihnen, das Bergwerk den Augen der Feinde zu entziehen, die sich
mit der
Plünderung und Verbrennung der Poch- und Schmelzgebäude begnügen
mußten. Kaum war es wieder ruhiger geworden, kam die Pest und
raffte
die Bergleute weg oder scheuchte sie in entfernte Gegenden.
Infolgedessen blieb die Grube uneröffnet, und mit der Zeit ist sie
immer mehr in Vergessenheit geraten.
Aus: Alemannische Sagen -
Herausgegeben von Ulf Diederichs und Christa Hinze - Bechtermünz
Verlag
WILDE SCHNEEBURG
Die sagenumwobene Schneeburg gab es wirklich
Eine Sage aus dem Schwarzwald — Wo lag die Wilde Schneeburg?
Die in der Sage vom wilden Jäger erwähnte Burg kann nur die Wilde
Schneeburg gewesen sein. Sie lag auf dem hinteren Schneeberg,
einem
Ausläufer des Hochfahrn, auf einem
nahezu unzugänglichen Felsgrat, nur wenige Meter unter der
1000-Meter-Marke. Heute zeigt nur noch der einstige Halsgraben,
der die
Burg vom Bergrücken trennte, ihren ehemaligen Lageplatz. Eine
Einebnung
und einige behauene Werksteine sind weitere Indizien für ihre
einstige
Lage. Die Herren der Burg waren Angehörige des weitverzweigten
Geschlechtes der Snewelins, die im Breisgau reich begütert waren
und
mehrere Burgen ihr eigen nannten. Jagd und Fischenz standen im
Mittelalter nur dem Adel zu. Wilddieberei wurde unnachsichtig
bestraft,
doch die in der Sage beschriebene Strafe dürfte wohl auf einer
freien
Erfindung beruhen. Umgängliche Herren scheinen die Schneeburger
indes
nicht gewesen zu sein. Wie vermeldet, lagen sie dauernd im Streit
mit
den Mönchen, die ihr kleines Klösterlein im nahen Wilhelmertal
hatten.
Hören wir, was die Sage zu berichten weiß:
Dort, wo der Schwarzwald noch unwegsam und kaum begehbar ist,
liegen in
einem einsamen Seitental, hoch oben auf einem Felsschroffen, die
Reste
einer alten Burg. Die einstmals starken Mauern sind eingestürzt,
über
den moosigen Trümmern wächst Dornengestrüpp, nur Holzfäller und
Jäger
kennen diesen Platz, aber auch sie vermeiden es, sich dort
aufzuhalten.
Mit der verfallenen Burg ist auch ihr Name abgegangen, und nur
diese
Sage erinnert noch an sie und ihre einstigen Bewohner.
Auf der äußersten Spitze eines schroffen Felsgrates lag die Wilde
Schneeburg. Nach den Beschreibungen bestand sie in der Hauptsache
aus
einem festen Wohnturm. Heute ist die Stelle der ehemaligen Burg
kaum
noch zu finden. Das Wappenbild unserer Zeichnung gehörte dem
Ritter
Kolman von Snewelin.
Der Burgherr war ein gar strenger Mann, der dort oben mit einigen
wenigen Gesellen hauste, die, wie er, nur eines kannten: die Jagd.
Den
Bauern im Tal war er ein unbarmherziger Zwingherr‚ und es war
ihnen bei
Todesstrafe verboten, den Hirschen oder Sauen zu wehren, die ihre
kümmerlichen Äcker und Felder immer wieder verwüsteten, so daß sie
und
ihre Kinder im Winter oft bitter Hunger leiden mußten.
Nebelschwaden zogen über die Waldwiese. undeutlich hoben sich
dunkle
Gestalten gegen den düsteren Himmel ab...da stürzte ein Mann aus
dem
Tannendunkel auf die Lichtung. verfolgt von Totengerippen. die auf
riesigen Sechzehnendern saßen.
An einem stürmischen Herbstabend gingen der Graf und seine
Spießgesellen wieder mal, wie so oft, ihrem Waidwerk nach. Einem
angeschossenen Hirschen durch Dickicht und Dornen folgend, verlor
der
Graf in der hereinbrechenden Dunkelheit die Spur. Auf einer
kleinen
Lichtung machte er Rast; vergeblich sah er sich nach seinen
Jagdgenossen um. Müde von der Verfolgung setzte er sich hin und
schlief
ein. Als er aufwachte, war es Mitternacht. Groß stand der bleiche
Mond
am Himmel. Nebelschwaden zogen über die Lichtung und verbreiteten
ein
geisterhaftes Licht. Da hörte er das Brechen dürrer Äste, ein
Stampfen
und Röhren, so daß es ihm — so beherzt er auch sonst war — ganz
unheimlich wurde. Selbst sein Hund verkroch sich winselnd hinter
ihm.
Undeutlich hoben sich dunkle Gestalten gegen die mondhellen
Nebelschwaden ab. Er faßte seinen Jagdspieß fester. . ., da kam
eine
Gestalt auch schon heran. Ein kräftiger Mann in altertümlicher
Jagdkleidung stürzte aus dem Tannendunkel auf die Lichtung. Ihm
nach
hetzten bleiche Totengerippe‚ auf riesigen Sechzehnendern sitzend,
über
die Waldwiese. Nur das Klappern und Rasseln der knöchernen Reiter
und
das Stampfen der Hirsche unterbrachen die unheimliche Stille.
Immer
näher kam die wilde Jagd, so daß der Graf in seiner Angst den
Namen
Gottes ausrief. Da, wie durch Zauberhand gebannt, hielt der
Geisterspuk
an und verschwand in dem immer stärker werdenden Nebel. Im fahlen
Mondlicht trat der Mann, den sie so grausam gejagt hatten, zu dem
Grafen und sprach mit hohler Stimme:
"Ich bin der Geist deines Urgroßvaters und habe wie du immer nur
für
die Jagd gelebt. Mein Leben lang habe ich meine Bauern geschunden
und
unterdrückt. Wilderer, die in meinen Wäldern jagten, oder Bauern,
die
Tiere, die in ihre Äcker eingebrochen waren, zu Tode schlugen,
ließ ich
lebendig auf Hirsche binden und diese dann durch meine Hunde in
das
Dickicht hetzen, so daß die Unglücklichen, die darauf saßen, von
spitzen Ästen zerrissen wurden oder langsam unter den zu Tode
gestürzten Hirschen elendig umkamen. Zur Strafe muß ich nun um
Mitternacht bergauf bergab in diesen Wäldern umherirren und werde
von
den einst so unmenschlich von mir Bestraften selbst gehetzt. So
büße
ich jetzt tausendfältig mein begangenes Unrecht. Laß dich warnen.
. .
noch kannst du deinem Leben einen neuen Sinn geben, kehre um und
wandle
deine Hartherzigkeit!“
Mit diesen Worten verschwand der Geist. Der Graf stand wie unter
einem
geheimen Zwang, nur langsam gewann er wieder die Herrschaft über
sich
selbst. Erst am frühen Morgen wurde er von seinen Jagdkumpanen
gefunden. Doch er war bleich und verstört und kaum fähig zu
sprechen.
Nicht lange darauf ließ er an der Stelle, an der er dieses
unheimliche
Erlebnis hatte, eine Klause bauen, in der er nun seine Jahre
verbrachte. Güter und Felder vermachte er seinen einst so hart
unterdrückten Bauern. Seine Burg indes, nun unbewohnt und
verlassen,
zerfiel im Laufe der Zeit, und mit der Burg versank auch der Name
des
Burgherm und seines Geschlechtes in der Vergangenheit.
aus: Arthur Hauptmann
"Burgen einst und jetzt - Burgen und Burgruinen in Südbaden und
angrenzenden Gebieten" Im Verlag des SÜDKURIER Konstanz, 1984/87
Die Ritter von Falkenstein
Zur Zeit, da Kaiser Rothbart sein frommes Heer nach dem heiligen
Lande
führte, lebte auf Falkenstein ein Ritter, der erst seit wenig
Monden
mit einer lieblichen jungen Frau vermählt war. Aber des Kaisers
Ruf
galt dem Ritter mehr als das süße Mahnen der Liebe und er folgte,
das
weinende Weib zurücklassend, den Fahnen des Kreuzheeres. Kaum im
heiligen Lande angekommen, ward er in einer wilden Schlacht von
Saracenen umringt und gefangen. Er ward in harte Sklaverei geführt
und
gedachte bei schwerer Arbeit, Noth und Entbehrung mannigfaltiger
Art,
öfters zurück an die liebliche Heimath und sein junges,
verlassenes
Weib. Ganze Nächte brachte er schlaflos zu und fast brach ihm das
Herz
vor banger, banger Sehnsucht.
Einst nach einem Tage voll harter Arbeit lag er auch wieder
wachend auf
dem halbfaulen Stroh in seinem finstern Kerker, als er plötzlich
einen
häßlichen Mann vor sich stehen sah.
,,Ritter von Falkenstein,« sagte der Fremde, „Du sehnst Dich heim
nach
Deinem jungen Weibe und den Wildthälern des Schwarzwalds. Wohlan
vertraue mir und ich schaffe Rath“
,,Was soll ich thun?« fragte der Ritter.
,,In dieser Nacht noch bringe ich Dich wohlbehalten nach
Falkenstein.
Aber, wenn Du auf der Reise einschläfst, so ist Deine Seele mein
auf
ewig, wonicht, so sind wir quitt und ledig«
Jetzt erkannte der Ritter seinen Befreier und schon wollte er dem
Versucher mit den Worten des Herrn antworten: ,,Weiche von mir
Satan!“
aber des Herzens Heimweh überwog alle andern Gründe, und erschlug
ein.
Ein geflügelter Löwe war des Falkensteiners Reitpferd und in
raschem
Fluge giengs über Länder und Meere die kühle stille Nacht
hindurch.
Aber den Reiter überkam plötzlich ein mächtiger Schlaf so daß er
kaum
noch im Stand war die Augen offen zu halten. Langsam senkte es
sich ihm
wie schweres Blei in seine Glieder, langsam ließ er das Haupt auf
des
Löwen Kopf niedersinken. Da schoß plötzlich aus hoher Luft herab
ein
schneeweißer Falke, der den Schlaftrunkenen mit heftigem
Flügelschlag
aufschreckte; leise tönte es an sein Ohr:
"Ich bin der Falke von Falkenstein,
Ich will Dein Beschützer und Retter sein;
Halt’ die Augen auf recht weit, recht weit,
Es gilt ja die ewige Seligkeit. –"
Also flatterte der getraue Falke ständig um des Ritters Haupt
herum, so
daß dieser nicht schlafen konnte, wie sehr es ihn auch zog. Als
sie um
die frühe Morgenstunde auf der heimathlichen Burg ankamen,
verschwand
der Löwe plötzlich mit einem zornigen Gebrüll, der Falke aber hob
sich
langsam und majestätisch in die blaue Morgenluft hinauf.
Schwarzwaldsagen und Geschichten
von: Alexander Würtenberger (Verfasser von "Alten Geschichten vom
Oberrhein“ Baden-Baden Verlag von C.Wild Seite 43-45
Falkenstein
Dort, wo man aus dem lieblichen Himmelreich ins wilde Höllenthal
hinaufkommt, liegt hoch auf steilem Felsen über der wildbrausenden
Rotta die Burgruine Alt-Falkenstein. Wer das unbezwingliche
Felsennest
hier oben im grauen Alterthum erbaut hat, weiß man nicht. Die
Geschichte schweigt darüber und auch die Sage weiß nichts davon.
Aber,
ein altes, mächtiges Geschlecht saßen die Falkensteine seit
undenklichen Zeiten dort, wie ehemals die heidnische Stadt
Tarodunum,
den Weg aus dem Breisgau in den Wald und nach Schwaben bewachend.
- Aber in der Zeiten Wandlung verarmten sie, wie gar manches
streitbare
Geschlecht jener Tage und griffen zum schmählichen Stegreif. Darum
auch
heute noch die Ruine Falkenstein von den Leuten gemeinhin nur das
Räuberschloß genannt wird. Am buntesten und unverschämtesten
trieben
die Herren ihr sauberes Geschäft zu Ende des vierzehnten
Jahrhunderts,
da zahlreiche entartete Sprößlinge des einst edlen Geschlechtes
der
Falkensteine auf der Burg saßen. Mord, Brand und Raub war der
tollen
Verbrecherbande ihre fast tägliche Uebung. Nicht schreckte sie die
Nähe
der festen wehrhaften Stadt Freiburg. Und doch hat diese Stadt den
Dienst der rächenden Nemesis übernommen und das Räubernest
gründlich
zerstört, nachdem die von Falkenstein einen armen Mann von
Freiburg auf
gräßliche Weise gemordet.
Die Sache hat sich so zugetragen: Hans Schneider aus der Stadt
hatte
gegen den Willen ihres Vaters ein Mädchen aus dem Zartener Thal
zum
Weibe genommen. Darüber ergrimmte der Alte und die Geschwister des
Weibes über alle Maßen und schworen dem gehaßten Eidam und
Schwager
Rache bis in den Tod. Zu Falkenstein aber saß damals mit noch
etlichen
sechs Brüdern und Vettern der Herr des rachsüchtigen Vaters,
Ritter
Dietrich von Falkenstein, der offen das schändlichste
Räubergewerbe
trieb. Zu diesem verruchten Menschen gieng jetzt Künin Henseler
und
verklagte seinen Eidam. - ,,Besser ist, Du verderbest ihn, als daß
er
Dich verderbe ! Zieh aus, fang’ ihn und führe ihn hierher auf
Alt-Falkenstein, ich will dem Städtlerschuft eine Strafe geben,
dergleichen bis jetzt kaum erhört wurde“ - Also lauerte Hänseler
seinem
Eidam auf und fieng ihn nebst seiner Frau, als er harmlos seines
Weges
zog. Er wurde nach der Räuberhöhle geführt und nach wenigen Tagen
vom
höchsten Thurm hinunter in den felsigen Abgrund geworfen. Dort
fand
nach einiger Zeit die unglückliche Frau den verstümmelten Leichnam
ihres Mannes. Und ihr Wehgeschrei erscholl durch den ganzen Gau,
so daß
sich darauf viele Herren mit der Stadt Freiburg verbündeten, viel
Kriegsvolk zusammen brachten, das Räubernest eroberten und fast
dem
Erdboden gleich machten. - So fiel Alt-Falkenstein im Höllenthal
Schwarzwaldsagen und Geschichten
von: Alexander Würtenberger (Verfasser von "Alten Geschichten vom
Oberrhein“ Baden-Baden Verlag von C.Wild Seite 45-46
Der Adelhauser Geist.
Auf dem Baldenweger Hof bei Wittental geht zu manchen Zeiten der
Geist
eines früheren Besitzers aus der „Sickingschen“ Zeit um. Als die
Großmutter des jetzigen Besitzers, Herrn Stößer, eines Tages
allein im
Zimmer in ihrem Lehnstuhl saß, kam plötzlich ein Herr im schwarzen
Anzug, mit Handschuhen und Zylinderhut ins Zimmer herein und blieb
nach
einer höflichen Verbeugung vor ihr stehen. Sie fragte ihn: “Mein
Herr,
was wünschen Sie?“ Es folgte keine Antwort. Sie fragte zum
zweitenmal:
: “Mein Herr, was wünschen Sie?“ Wieder keine Antwort. Ganz
bestürzt
rief sie zum drittenmal: „Um Gottes Willen, was wünschen Sie, mein
Herr?“ Darauf antwortete er mit hohler Stimme: “Ich wollte
nachsehen,
wie es in diesem Hause geht; ich bin der Graf von Sickingen;
früher war
ich euer Herr.“ Die Frau fragte, ob sie mit ihm gehen solle. Der
Mann
aber drehte sich um und sagte: “Nein, jetzt nicht; erst wenn ich
wiederkomme“ – und verschwand vor ihren Augen. Die Frau zog
daraufhin
vom Hof weg.
Der Geist zeigt sich übrigens nicht nur im Hause, sondern auf dem
ganzen Gute, z.B. auch auf dem ehemals Sickingenschen Schloß
Ebnet,
ferner auf allen zum Gute gehörigen Äckern. Der Flurname dieser
Felder
ist „im Adelhauser“ wonach der Geist benannt ist. Er erscheint in
den
verschiedensten gestalten: als totes Pferd, das quer über den Weg
liegt
und plötzlich verschwindet; als großer Hund, welcher die Leute
drohend
umspringt; als Mann ohne Kopf, als Fackellicht, als feurige
Reiswelle,
die durch die Luft schießt, und als älterer Herr.
Aus: "Badische Sagen“.
Gesammelt und herausgegeben von Dr. Johannes Künzig, 1925
Das Irrgespenst.
Zwischen Kirchzarten, Zarten und Wittental geht besonders in der
Weihnachtszeit ein Geist, das sogenannte Irrgespenst, das
verspätete
Wirtshaussitzer in die Irre führt und erst seine Gewalt verliert,
wenn
in Kirchzarten die Betglocken läuten.
Aus: "Badische Sagen“.
Gesammelt und herausgegeben von Dr. Johannes Künzig, 1925
Der Schlangenkönig mit goldenem
Ring.
In Wittental glauben manche Leute, daß die Schlangen den Kühen die
Milch aussaugen. Der Schlangenkönig habe einen kostbaren goldenen
Ring,
den er vorher auf die Seite lege. Könne ihn ein Mensch nehmen,
ohne daß
es die Schlange merke, so gehöre er ihm. Bemerke es aber die
Schlange,
so müsse der betreffende Mensch sterben.
Aus: "Badische Sagen“.
Gesammelt und herausgegeben von Dr. Johannes Künzig, 1925
Das Uebelthal
In dem dritthalbstündigen Thale, welches von Burg hinauf gegen
St.Märgen zieht, war vor Zeiten keine Kirche. Da hieraus für die
Bewohner viel Beschwerden entstanden, so beschlossen sie, sich
eine
Kirche zu bauen; allein sie konnten über deren Platz nicht einig
werden. Die Leute des obern Thales wollten sie dort, die des
untern sie
bei sich haben, und jeder Theil fällte schon Bauholz und führte es
an
die von ihm gewünschte Stelle. Bei einer gemeinschaftlichen
Berathung
schlugen einige vor, in die Mitte des Thals zu bauen, aber sie
wurden
von den Reichen, welche meistens an dessen Enden wohnten,
überstimmt
und die Versammlung trennte sich spät in der Nacht mit dem
Entschlusse
gar keine Kirche auszuführen. Am nächsten Morgen lag das Bauholz
nicht
mehr an seinen Stellen, sondern beisammen auf einem hohen Berge in
der
Mitte des Thales. Jeder streitende Theil hielt dies für einen
Streich
des andern, ohne zu bedenken, daß dieser unmöglich in einer halben
Nacht das Holz hinaufschaffen konnte, zu dessen Herabbringen beide
Theile zusammen einige Tage bedurften. Als sie hiermit fertig
waren,
kam in der folgenden Nacht all das Holz wieder auf den nämlichen
Berg.
Nach dem Rathe der Klostergeistlichen von St.Peter, bei denen man
die
Sache angezeigt, wurde nochmals das Holz ins Thal geschafft, und
dabei
ein Zimmergesell als Nachtwache aufgestellt. Um ja nicht
einzuschlafen,
fing derselbe an zu rauchen, aber trotz dessen fielen ihm die
Augen zu,
und als er sie wieder aufschlug, lag er, die brennende Pfeife im
Munde,
mit allem Bauholz auf dem Berge. Da überdies auf dem Platze ein
großer
Lindenbaum stand, der Tags zuvor noch nicht dagewesen, erkannte
man
endlich den Willen Gottes und baute dort die Kirche Maria-Linden,
jedoch ohne dabei einen Geistlichen anzustellen. Wegen dieses
Mangels
mußte der Gottesdienst von St.Peter aus versehen werden, was so
manche
Unbequemlichkeit hatte, daß die Kirche nach einigen Jahren fast
gar
nicht mehr besucht wurde. Zur Strafe hierfür brachen drei Jahre
nacheinander in dem Thale Seuchen aus, die zuerst alles Hornvieh,
dann
die Pferde und zuletzt die Schweine und Schafe wegrafften. Größer
noch
wurden die Drangsale, als man die Kirche abgebrochen und deren
Geräth
mit dem Gnadenbild der Muttergottes verkauft hatte. Verheerende
Brände
nahmen überhand, eine Menge taubstummer und krüppelhafter Kinder
kam
zur Welt, und ansteckende Krankheiten wütheten so heftig, daß
viele
Häuser gänzlich ausstarben. Wegen dieser Trübsale bekam die Gegend
den
Namen Uebelthal, und die meisten Bewohner zogen von da weg nach
dem
Dorfe Espach. Weil dieses das Gnadenbild und das Geräth von
Maria-Linden für seine neue Kirche gekauft hatte, ward es auch mit
Strafen heimgesucht Sieben taubstumme Kinder wurden dort in einem
Jahre
geboren, und viel solche Geburten kamen so lange vor, bis die
Espacher,
auf den Rath ihres Geistlichen, Maria-Linden wieder aufbauten und
alles, was .sie daraus gekauft, dahin zurückgaben. Da hörten die
Leiden
Espachs und des Uebelthals mit einem Male auf, und der Name des
letztern wurde nachher in ,,Ibenthal« umgeändert
Aus: "Schwarzwald Sagen“
Gesammelt und herausgegeben von Dr. Johannes Künzig, 1930
Spuk und Schatz beim
Bankenbrunnen
Ein armes Mädchen ans Wittenthal, welches in der Umgegend Brod
zusammengebettelt hatte, ging damit nachts seiner Heimath zu. Bei
dem
Bankenbrunnem der unweit des Dorfes auf dem Felde hervorquillt,
sah es
ein Männlein mit einem Halbmaltersack zwischen den beiden Stämmen
eines
Zwieselbaums stehen. Dasselbe winkte ihr mehrmals, hinzukommen,
indem
es den Sack aufhob; allein sie hatte dazu nicht den Muth und lief
zuletzt vor Angst davon. Da fuhr das Männlein, ganz feurig, am
Bann:
hinauf, und der Sack, der voll Geld war, versank klingend in den
Boden.
Mehrere Leute aus Steurenthal sahen, spät in der Nacht, bei dem
Brunnen
eine unzählbare Menge Lichter. »Was ist denn das?« rief einer der
Männer, der betrunken war, und im Augenblick fuhren die Lichter
alle
zusammen und bildeten eine riesenhafte Flamme. Zugleich entstand
ein
Gebrause, und es klang wie versinkendes Geld, worüber die Leute
erschrocken davoneilten.
In der Nähe des Brunnens ist ein Grasplatz, um den vier uralte
Eichen
stehen. Daselbst scharrte eines Tags ein Schaf von der Heerde des
Bankenhofs etwas Blinkendes aus der Erde. Einer der Hirtenbuben
ging
hin und sah, daß es mehrere alte Silbermünzen, so groß wie
Kronenthaler, waren. Sogleich rief er seinem Genossen, welcher
eben die
Heerde zusammentrieb, zu dem Funde herzukommen; aber derselbe
hielt es
für Scherz und kam nicht, worauf der Bube allein im Boden suchte
und so
viel solche Münzen fand, daß er seinen ganzen Hut damit füllte.
Voll
Freude lief er zu den Leuten, die auf dem Felde des Bankenhofs
arbeiteten, und zeigte ihnen das Geld, wovon jedes sich etwas
zueignete. Als er dann wieder auf den Grasplatz eilte und weiter
suchte, fand er nur noch einige kleine Münzen, welche voll
Grünspan
waren. Um denselben wegzuschaffen, ging er zum Brunnen und fing
an, die
Münzen zu waschen; da sah er auf einmal einen langen Mann neben
sich
stehen, der wie ein Jäger gekleidet war, Schuhe mit Schnallen und,
auf
der Brust, ein glänzendes Schild von Kupfer trug. Derselbe sagte
zu ihm
mit drohender Geberde: »Hättest du dich heute Morgen nicht
gesegnet, so
solltest du jetzt sehen, was ich mit dir anfinge!«
Hierdurch heftig erschreckt, rannte der Junge davon, und als er
wieder
zu den Arbeitern kam, erzählte er ihnen das Geschehene. Seine
Schwester
ging nun so weit mit ihm zurück, daß sie den Brunnen sehen
konnten;
allein sie gewahrte den Jäger nicht, welchen ihr Bruder noch dort
stehen sah. Kurz darauf fiel dieser in eine mehrwochige Krankheit,
worin er häufig jammerte, daß der Jäger bei ihm stehe. Nachdem er
wieder genesen, mußten die Leute, auf Befehl des Pfarrers, ihm
alles
zurückgeben, was sie ihm von seinem Fund genommen hatten.
Hierdurch
erhielt er so viel Vermögen, daß er seinen Dienst aufgeben konnte.
Auf
dem Grasplatz ist seitdem öfters nach Geld gegraben, aber stets
nur
wetthloser Erzstaub gefunden worden.
Aus: "Schwarzwald Sagen“
Gesammelt und herausgegeben von Dr. Johannes Künzig, 1930
Trudpert von Zurduna und seine
Schenkung an St.Gallen
Eine Erzählung um Leben und Tod des heiligen Otmar, dem ersten Abt
von
Sankt Gallen aus der Gründungszeit von Kirchzarten. Von Erika
Ganter-Ebert
Es war im Jahr des Herrn 759. Der Wintersturm brauste über
Zarduna, der
einst befestigten Fliehburg, die den Kelten und Römern schon
diente,
und welche jetzt der tapfere Stamm der Alemannen erobert und sich
angeeignet hatte; er rüttelte an Tor und Fensterläden des Hofgutes
Trudperts des Jüngeren, das wie ein verankertes Schiff an der
Außenwand
einer der geborstenen römischen Wallmauern lag.
Waldcozus, der Verwalter des Gutes, der schon in früher Jugend
unter
dem alten Herrn diente, schlug vor Dunkelwerden die Bolzen fester
in
ihre Verschlüsse, damit Tor und Läden dem Sturm standhielten, dann
schürte er die Glut der Feuerstelle des großen Wohnraumes. Er
murmelte
einige Verse dabei, denn es war um die „Heiligen Zwölfe”, und man
konnte nicht wissen, was in den Nächten von „den Alten” noch alles
sich
herumtriebe und Unheil wirke. Seine Mutter, welche sonst während
der
langen, dunklen Winterabende emsig am Spinnrocken saß, hatte sich
frühzeitig zur Ruhe begeben. Auch als getaufte Christin hielt sie
an
dem alten Brauch fest, daß während der heiligen Nächte, in welchen
auch
das Sonnenrad stille stünde, kein Rad und keine Spindel sich
drehen
dürfe. Auch die Knechte hatten sich schon in das Gebäude, wo Rosse
und
Vieh untergebracht waren, zurückgezogen.
Trudpert, der Sohn und Erbe des Hofes, saß über einer Schriftrolle
gebeugt am schweren Eichentisch und las im aufgehellten Scheine
des
Herdfeuers, denn er war des Lesens und Schreibens kundig, als
einstiger
Schüler des Klosters St.Gallen. Bei der Taufe erhielt er den Namen
Trudpert, den sein Vater schon trug, nach einem heiligen Manne und
Glaubensboten, der in der Nähe seines südlicher gelegenen,
hügeligen
Rebgutes als Einsiedler gelebt hatte und von zwei heidnischen
Knechten
erschlagen wurde. Otmar, der rührige Abt von St.Gallen, der seit
719
aus der zerfallenen Galluszelle nach und nach das Kloster schuf
und 747
nach der Regel des hl. Benedikt begründete, war auf seinen großen
und
mühseligen Missionierungsreisen dem Rhein entlang auch auf das Gut
des
Vaters gestoßen. Die Einfachheit dieses großen, mit reichem Wissen
und
Können ausgezeichneten Abtes, der aus seinem Stamme und wie er
alemannischen Geblütes war, gewann die Zuneigung, ja die
Freundschaft
seines Vaters, den er dann, wie seine ganze Familie und
Angehörigen für
das Christentum gewinnen konnte. So kam es auch, daß er, Trudpert,
der
Knabe, freudig dem großen Abte Otmar in seine Klosterschule nach
St.Gallen folgte. Wohl hegte dann der gütige, von allen verehrte
und
geliebte Vater und Abt immer mehr die stille Hoffnung, daß er, der
gelehrige, für die christliche Denkungsart aufgeschlossene junge
Schüler einmal im Chore der Mönche ihm in segensreichem Wirken zur
Seite stehen würde. Doch es kam anders.
Aus der kleinen klösterlichen Niederlassung im Steinachtal im
Arbongaue
war nun unter fränkischer Schutzherrschaft durch Abt Otmar ein
großes
Kloster mit Kirche aus Stein erbaut worden. Seelsorge,
Wissenschaft und
Kunst standen bald unter Otmars Wirken in hoher Blüte. Doch Abt
Otmar
blieb einfach und schlicht. Auf einem Esel reitend suchte er
selber mit
seinen Brüdern die Seinigen im Lande auf. Er schuf Gebetsstätten
und
Siechenhäuser und war allgemein als Vater der Armen geliebt und
verehrt. Durch Kauf und Schenkung vieler Güter im Thurgau,
Linzgau,
Hegau, Breisgau und im Elsaß gelangte die Abtei unter Leitung
ihres
Abtes Otmar zu Ansehen und Wohlstand. Nur dem Bistum Konstanz, zu
dessen Kirchsprengel sie gehörte, war sie zinspflichtig.
Der Aufstieg und das Ansehen den Abtei St.Gallen und ihres Abtes
erweckten den Neid und die Habsucht der beiden fränkischen
Gaugrafen
Warin und Ruthard, der Kammerboten König Pipins, die ganz
Alemannien
regierten. Diese entrissen dem Kloster wertvolle Güter und
versuchten
St.Gallen stärker unter fränkische Botmäßigkeit zu bringen. Selbst
Bischof Sidonius von Konstanz ließ sich nur zu gern von den beiden
Grafen betören. Von Habsucht und stillem Neid erfüllt suchte er
St.Gallen zu seinem bischöflichen Eigenkloster zu machen.
Gegen diese Einund Zugriffe seiner Gegner verteidigte sich Abt
Otmar
und beklagte sich bei König Pipin. Einmal aber auf dem Weg zum
Königshof gelang es den Feinden Otmars ihn, den verhaßten Abt, aus
dem
Hinterhalte zu überfallen und gefangen zu nehmen. Sie schleppten
ihn
vor das bischöfliche Gericht zu Konstanz und erhoben falsche
Anklage
gegen ihn. Starken Einspruch hierbei gewann Lantpert, ein
mißratener
St.Galler Mönch, welcher durch Versprechungen und Gold betört
seinen
Abt eines unsittlichen Lebenswandels bezichtigte. Dem Bischof
sowohl
als den Gaugrafen kam diese Kunde willkommen. Das Gericht setzte
den
Abt Otmar ab und verurteilte den Unschuldigen zu „ewigem
Gefängnis".
Man brachte ihn auf den Frauenberg am Überlinger See über der
Königspfalz Bodmann in ein dunkles, kaltes und feuchtes Verlies,
zu
strenger Einzelhaft.
Noch überläuft Trudpert eine Welle des Zornes und der Qual, und
tiefe
Abscheu erfaßt ihn beim Gedanken an die fluchwürdige Behandlung
des
geliebten Vaters und Abtes Otmar, und dieses von jener Seite, die
doch
sein segensreiches Wirken in erster Reihe hätte unterstützen
müssen.
Der alternde und abgemühte Leib des Abtes und Vaters Otmar wäre
dem
Hungertode preisgegeben worden, wenn nicht dem getreuen Mönch
Perahtgoz
und ihm, Trudpert, und Wisirich, dem ihm gleichgesinnten
Klosterschüler, es abwechselnd gelungen wäre, heimlich Nahrung
durch
eine schmale Mauerlucke in die Tiefe des Kerkers hinabzulassen.
Als bald danach Bischof Sidonius von seiner ihm leicht
zugefallenen
Beute, dem Kloster St.Gallen, Besitz nahm und den neuen Abt, einen
aus
dem Kloster Reichenau hierfür herbeigeholten Mönch, namens
Johannes,
einführte, trat ihm wohl der Konvent mit starker Zurückhaltung,
aber
doch geziemend entgegen. Ihm aber, Trudpert, war es nicht möglich,
sich
beim Eintritt des Verachteten zurückzuhalten. Als der Bischof
durch die
Pforte des Klosters schritt, sprang er aus den Reihen der Schüler
hervor und spie ihm verächtlich vor die Füße.
Nur mit Mühe und Not konnte er hierauf flüchtend zwischen der
gaffenden Menge entkommen.
Am späten Abend gelang es ihm dann es war eine Sturmnacht wie
heute in
das Kloster zurückzukehren. Im Kreuzgang, durch dessen Rundbögen
der
Orkan aufheulend, als ob alle bösen Geister der Hölle losgelassen
wären, tobte, traf er auf eine dunkle Gestalt und blickte gleich
darauf
in die unstet flackemden Augen Lantperts, des verräterischen
Mönches. In
aufflammendem Zorne packte er diesen mit scharfem Griff um die
Kehle und
er hätte den Unseligen, um sein Leben winselnden, erwürgt, wenn
somit
nicht des Verräters Blut über ihn gekommen wäre. So eilte er denn
über
den vor ihm auf der Erde liegenden hinweg und entkam, seine
Scholarengewandung ablegend, in die Finsternis der Nacht.
Ein Aufheulen des Sturmes weckte Trudpert aus diesen quälenden
Gedanken
der Erinnerung. Waldcozus bekreuzigte sich und murmelte seinen
Spruch.
„Du bannst die alten Götter? Sie waren gnädiger als der Eine,
Tatsächliche” knirschte Trudpert. „Er duldet es, daß seine
Heiligen in
Qualen zermartet und zertreten werden!” „Herr, rede nicht also.
Er, der
Allmächtige selber hat seinen eigenen Sohn dahingeopfert zur
Rettung
der Menschen. Seinen eigenen eingeborenen Sohn” wiederholte
Waldcozus
mit Nachdruck. „Gott fügte es, daß du damals bei deiner Flucht
unversehrt, gerade richtig in die Heimat zurückkamst, um deinem
sterbenden Vater die Augen zu schließen und dein Erbe entgegen zu
nehmen. So war alles Gott des Herrn Wille” setzte er hinzu.
„Wahrhaftig, ein wahrer Christ, mehr denn ich mit all meiner
Gottesgelehrtheit” dachte hierauf Trudpert bei sich.
Zwischen dem Tosen des Sturmes hörte man plötzlich Schreie und
Stöhnen,
die aus Menschenkehle zu kommen schienen. „Das ist kein Sturm,
kein
Heulen eines Wolfes” rief Trudpert. „Hier ist ein Mensch in Not,
schau
nach, Waldcozus, doch sieh dich mit einer Waffe vor, man kann nie
wissen, wie noch Häscher am Werk sind ich folge dir auf dem Fuß.”
„Nein, Herr, bleib zurück, verbirg dich” mahnte der Getreue.
„Weißt du
noch wie sie dich suchten, damals, geführt von dem schändlichen
Mönche,
der Abt Otmar verriet, er wollte auch dich verderben doch ich wies
ihnen ein Ziel, an dem sie dich nimmer finden konnten.” „Weiß der
Teufel wie sie mir in dem abgelegenen Zarduna auf die Spur kommen
konnten”, knirschte Trudpert verächtlich. „Sie gaben es dann auf,
dich
weiter zu verfolgen, und diese deine Hube hier, die du mir in
Verwaltung gabst, bietet dir weiterhin Schutz ich gelte ihnen als
Herr
und Besitzer", fügte Waldcozus beruhigend hinzu. „So öffne denn
die
Pforte”, gebot Trudpert, „doch wecke zuvor die Knechte”.
Waldcozus öffnete etwas zögernd die Türe und nahm draußen am
Hoftor den schweren Bolzen hinweg.
Ein Mensch taumelte herein und Trudpert, der Waldcozus gefolgt
war, sah
beim flackernden Scheine des erhobenen Spanes die schreckensvoll
geweiteten Augen des Mönches Lantpert von St.Gallen auf sich
gerichtet.
„Unseliger, was suchst du hier?” schrie Trudpert durch das
Sturmgetöste
Lantpert an. Ein gelles Auflachen war die Antwort. Es schüttelte
den
Mönch im zerschlissenen Gewande unter der harten Faust des
Waldcozus,
die ihn gefaßt hatte, hin und her, und zwischendurch kam in
abgerissenen Worten aus ihm heraus: „Du lebst, Trudpert? Bist du
es
wirklich? Dem Mächtigen, Gott oder Teufel, Dank, der mich zu dir
führt.
Da bin ich, töte mich jetzt den Verräter den Mörder! Du willst
nicht?”
Das neue schrille Auflachen eines Wahnsinnigen, das Trudpert mit
Schauder erfüllte, ließ den Mönch wieder taumeln, bis er erschöpft
niederfiel. Doch gleich riß es ihn wieder empor und Trudpert
anstarrend
wimmerte er: „Er ist tot, unschuldig getötet, unser guter Vater,
unser
Abt Otmar!”
„So habt ihr ihn denn endlich zu Tode gequält, langsam verenden
lassen
wie ein edles waidwundes Tier? ihr Mörder, ihr Scheinchristen, ihr
Pharisäer, ihr Teufel in Menschengestalt und du bist sein
Judas”
kam es qualvoll vor tiefem Schmerz aus Trudpert heraus. „Ich,
ich,hier
bin ich töte mich jetzt!” schrie Lantpert, der bei jedem Worte
Trudperts wie unter einem Peitschenhieb zusammengezuckt war.
„Nein,
niemals, lebe nur dein elendes Leben weiter, das schlimmer ist als
der
Tod”, herrschte Trudpert ihn an. „Eingemauert gehörst du, wie Abt
Otmar, damit du langsam hinsiechst in all deiner Schuld und
Höllenqual.” Lantpert brüllte! auf wie ein zutodegetroffenes Tier.
Er
umklammerte die Faust des Verwalters, welche ihn immer noch hielt.
„Erbarmen, so töte du mich, dessen Hütte ich durch mein Dasein
verpeste”, bat der Mönch flehentlich Waldcozus. „Nur, wenn es mein
Herr
gebietet”, antwortete ihm dieser. „So bist du hier nicht Herr und
Gebieter?” „Nur für dich und deinesgleichen” sagte Waldcozus. „So
mußt
du mich jetzt töten, denn ich habe auch deinen Herrn verraten und
verfolgt”, schrie ihn der Mönch an. „Ich tue es nur, wenn es mir
geboten wird” versetzte Waldcozus mit Nachdruck.
In diesem Augenblick riß der Sturm, das nicht wieder fest
verschlossene
Tor weit auf. Der Mönch entwand sich der ihn umklammernden Faust
und
eilte ihm zu, und indem ihn sein irrsinniges Gelächter wieder hin
und
her schüttelte schrie er: „So helfe mir der Teufel, dem ich
verfallen
bin." Gleich hierauf war er in der brausenden Sturmnacht
verschwunden.
Trudpert und Waldcozus wußten, daß er in der Richtung des
Wildbaches
eile, der dort gestaut einen Weiher bildete. Er war tief und hatte
jetzt da noch kein starker Frost über ihn gekommen war, nur eine
dünne
Eisdecke, die noch keinen Menschenkörper zu tragen vermochte.
Waldcozus
erreichte gerade noch den Versinkenden und erfaßte ihn am Gewand,
indes
Trudpert den verlöschenden Span, den er mit sich getragen hatte,
mit
vorgehobener Hand schützte. Sie bargen dann beide den Bewußtlosen
und
brachten ihn in das Haus zurück, wo sie ihm ein Lager bereiteten.
Tage und Nächte waren vergangen, und auch die Heilige Nacht, die
allen
Menschen den Frieden bringen sollte. Lantpert brannte im Fieber.
Er
warf sich auf seinem Lager hin und her und stieß Schreie der
Verzweiflung aus, da er sich wohl in der Hölle glaubte.
Langsam genaß er unter der Pflege, die ihm gewährt wurde. Als
Trudpert
sich einmal über ihn beugte, öffnete er seine Augen und erblickte
ihn.
„Er schien seiner Sinne mächtig zu sein, denn er wollte wissen,
wie er
der Hölle, in die er gestürzt wäre, entkommen konnte. Als er von
Trudpert erfuhr, daß er und Waldcozus ihn aus dem Weiher geborgen
und
dieser mit seiner Mutter ihn treulich versorgt und gepflegt hätten,
stürzten ihm Tränen aus den Augen.” „Wie und wo kann ich
endlich
Ruhe finden?” fragte er gequält. „Der unschuldig verratene Abt hat
nach
seinem Tode in mir ein furchtbares Feuer entzündet, das mich
lebendig
verbrennen, aber nicht töten kann. Warum habt ihr mich nur diesem
erbärmlichen Leben wiedergegeben?’ wimmerte Lantpert. „Du Tor”,
antwortete Trudpert, „willst du denn der irdischen Höllenstrafe,
welche
dich gerechterweise traf, entgehen, um dich in die ewige zu
stürzen?"
„Nimm dein elendes Leben und Leiden hin zur Buße und unser Herr
und
Erlöser und der gute Vater und Abt Otmar werden dir verzeihen.”
„Verzeihen? verzeihen?” stöhnte ungläubig Lantpert. „Als ich
Otmar, unseren Abt und Vater, lasterhaften Lebens bezichtigte,
schwieg
er und sah mich groß und traurig an, doch Herz und Sinn blieben
mir
kalt, kalt wie das Gold, das ich mir für meine Lüge errang.”
Heftig
schluchzend sank Lantpert auf sein Lager zurück.
In den nächsten Wochen hatten sich Sturm und Wetter gelegt. Trotz
winterlicher Zeit machte sich Lantpert auf. Er wollte als Büßer in
das
Kloster des heiligen Gallus zurückkehren. Laut wollt er dort die
Unschuld des Abtes und Vaters Otmar verkünden und seine Schuld als
Verleumder und Mörder bekennen, auch wenn man ihn schlagen und wie
ein
Hund vor das Tor setzen würde. Durch Trudpert mit neuer warmer
Kleidung
und mit reichem Mundvorrat versehen, verließ er darauf Zarduna.
Bald drang dann auch von Sankt Gallen her die sichere Kunde, daß
Abt
Otmar, der von dem angesehenen fränkischen Grundherm Gozbert zu
Eschenz
am Untersee zu einer milderen Haft auf seiner Rheininsel Werd bei
Stein
am Rhein gehalten war, dort in der Verbannung fast siebzigjährig
gestorben und begraben worden wäre.
Dieses war am sechzehnten des Nebelung 759 geschehen.
Jahre vergingen. Nach einem harten Winter folgte ein mildes
Frühjahr.
Trudpert werkte noch immer mit seinem Verwalter Waldcozus und
dessen
Mutter, welche nach dem frühen Tode der Seinigen ihn schon auf den
Armen gewiegt hatte, auf seinem Hofgute in Zarduna. Selten und nur
so
viel es notwendig erschien, besuchte er mit aller Vorsicht das ihm
von
seinem Vater noch verbliebene Rebgut nahe dem Rheine.
Es war an einem Tag im Maien. Neu stand die junge Saat auf den
Feldern
und schon beim Morgengrauen jubelten die Amseln dem kommenden
Frühlicht
entgegen. Auch Trudpert, den meist ernsten und verschlossenen, auf
dessen Seele immer noch Undank und Schmach lasteten, welche Abt
Otmar
durch seine nächsten Mitarbeiter beim Aufbau des Reiches Christi
angetan wurden, ermunterte dieser Lobesgesang der Natur.
Heute war es ihm, als ob diese Last von ihm genommen wäre.
Fröhlich
stimmte er den Morgenpsalter seiner Scholarenzeit im Kloster Sankt
Gallen an, der nun schon so lange in seinem Herzen geschlummert
hatte:
„Iubilate Deo, omnis terra:
Frohlocket Gott, ihr Lande all:
servite Domino in laetitia!”
in
Freuden
dient dem Herrn!”
Ps. 99
und die Berge rings um Zarduna stimmten schweigend mit ein bei der
Pracht der aufgehenden Sonne, besonders der Kandel, der
helleuchtende,
schneeweiße Berggipfel, wie ihn schon hier die Vorfahren, die
Kelten
benannt und besungen hatten.
Als Trudpert in den frischen Morgen zur Arbeit schritt, war ihm
die
gleiche Herzensfröhlichkeit geschenkt, die er seiner Zeit im
Steinachtale unter den gütigen Augen seines geistlichen Vaters,
Abt
Otmar, in sich trug. An diesem Tage war es, daß ein Mönch, wohl
seines
Alters, an seine Tür pochte. Gleich darauf bot ihm, der von der
Wanderung gebräunte, seinen Friedensgruß. Es war Wisirich, der
immerfrohe aus seiner Scholarenzeit in der Klosterschule von Sankt
Gallen, der ihn in die Arme schloß. Er brachte die gute und
befreiende
Kunde, daß die Schuldlosigkeit ihres verehrten und geliebten
Vaters und
Abtes Otmar nun ganz offenbar geworden wäre. „Viel Unbill hatten
noch
die zu ihm treu stehenden Mönche von Sankt Gallen durch den Stolz
und
die Herzenshärte des Bischofs Sidonius von Konstanz zu ertragen.
Doch einmal, als dieser zornerfüllt im Kloster eintraf, da ihn
König
Pipin wegen seiner Bedrängung von Sankt Gallen rügte, war es, daß
ein
sichtbares Gottesgericht über ihn kam. Von Rachegedanken erfüllt
bestieg er stolzerhobenen Hauptes die Stufen des dem heiligen
Gallus
geweihten Altares, als ob er dort eine Andacht; verrichten wolle.
Da
befiel ihm plötzlich ein furchtbares, körperliches Leiden.
Qualvoll
entwich ihm das Innere seines Leibes, einen pestartigen Geruch
verbreitend. Es war, als ob alle Häßlichkeit und aller Unrat
seiner
Seele auf diese Weise für alle sichtbar würden. Mit Mühe nur
konnte man
ihn auf seinen Wunsch nach dem Kloster Reichenau bringen, wo er
bald
einem schweren Tod erlag. „Auch Lantpert, der Verräter, ist in das
Kloster zurückgekehrt" berichtete Wisirich weiter. „Gebrochen an
Leib
und Seele bekannte er laut seine Schuld und war gewillt jede Buße
auf
sich zu nehmen, wenn ihm Gott und der von ihm geschmähte Abt
Verzeihung
schenken könnten. Er wurde erhört. Nach den fiebrigen
Erschütterungen,
die ihn durchwühlt hatten, erschlaffte die Lebenskraft seiner
Glieder
nach und nach, und er wurde allmählich zum Krüppel. Wie so alle
seine
Glieder die Geradheit oder die natürliche Form einbüßten und sein
Kopf
nach Art der Vierfüßler zur Erde geneigt war, gestand er auch
durch die
Verbildung seiner furchterregenden Gestalt, daß er gegen den
Heiligen
Gottes gesündigt habe.”
Trudperh hörte erschüttert diesen Bericht, doch verschwieg er, daß
es
ihm gegeben war, den Verzweifelnden dem Judastode zu entreißen.
„Auf die so sichtbaren Gottesgerichte hin” fuhr Wisirich fort,
„ist es
nun auffällig, wie zurückhaltend sich die beiden Gaugrafen Warin
und
Ruthard, dem Kloster Sankt Gallen gegenüber verhalten. Keiner wagt
es
mehr, dieses in irgendeiner Weise zu bedrängen.”
„Und der neue Abt Johannes von Reichenau, wie verhält er sich zu
diesen
Ereignissen?" fragte Trudpert. „Gott war uns gnädig, er ist ein
demütiger und besorgter Nachfolger auf dem Abtsstuhle Otmars”,
sagte
Wisirich erleichtert. „Er ist es auch, der mich auf meine Bitte
hin zu
dir sendet, dir mitzuteilen, daß für dich keine Gefahr mehr
bestehe,
und daß du beruhigt deine Einsamkeit hier, in welcher du
zurückgezogen
lebst, verlassen könntest.”
Von der Hausbank unter dem schattenden Eichbaum, auf welchem sich
Trudpert und Wisirich nach dem Mittagsmahle zur Ruhe
niedergelassen
hatten, sah man weit ins Tal hinein mit seinen Äckern und Wiesen,
auf
denen das Vieh friedlich graste. Man sah auf die dunklen Berge
rings
um, von denen der Kandel noch ein schimmerndes Schneegewand trug,
man
hörte das Jubeln der Vögel im jungen Laube und das ungestüme
Rauschen
der Wildbäche.
„Zarduna, das befestigte umhegte Gut, ist mir traut und lieb
geworden”,
sagte nach einer Weile Trudpert besonnen. „In ihm barg ich
Enttäuschung
und Qual und meinen Zweifel an Gottes Gerechtigkeit. Mußten wir
nicht
erleben, wie Treulosigkeit, Lüge und jedes Laster siegten, auf
einer
Seite, die nach außen hin Gottes Wort vertrat?” „Du sagst es, doch
Gottes Gedanken und Wege sind nicht die unsrigen”, antwortete
Wisirich.
„Dies machte mir Otmar, unser geliebter Abt und Vater selber
offenbar.”
„Otmar?” rief Trudpert verwundert. „Hast du ihn denn noch
einmal
vor seinem Tode gesehen und gesprochen?” „Gott schenkte mir diese
wunderbare Gnade”, sagte Wisirich bescheiden. „Ich war am Orte
seiner
Verbannung auf der kleinen Insel Werd, umströmt von Rhein und See,
und
es erschien mir gleich einem Eiland tiefsten Friedens. Ich fand
den
Vater froh, gelöst von allem was gemeinhin Menschensinn bedrückt.
Was
immer uns an Otmar so beglückte, das heilige Wort, die Gabe es
auszulegen, es zu leben, mit Hilfe der unvergleichlichen Regel des
heiligen Benedikt‚ der Stufenleiter, die zu Gottes nächster Nähe
führt.
Er hatte sie bestiegen und stand nun auf der höchsten Stufe, im
Geiste
schon entrückt, der Ewigkeit geeint. Ich fand ihn, sein ganzes
Sein und
Wesen restlos Gott anheim gegeben. Sein zeitliches und ewiges
Schicksal, sein Leben und sein Sterben lag in Gottes Hand. Er war
dem
heiligen Christ gefolgt und trug sein Kreuz ihm nach, er konnte
mit ihm
sprechen: „Ich bin ein Wurm und kein Mensch und der Auswurf des
Volkes.” So lebte und so starb er in großer Demut vor Gott, und
seinem
heiligen Willen hingegeben.”
Es war später Nachmittag geworden. Beide schwiegen und sahen im
Geiste
den heiligen Vater Otmar vor sich, geschmäht, verstoßen, vergessen
von
der Welt, still, einsam hinsinkend in den Tod. So geschehen nach
ruhmreicher Tat, Aufbau, Wirken, Hingabe seiner ganzen
gotterfüllten
Persönlichkeit an seine Nächsten im weiten Umkreis, unermüdlich
Leben
schaffend und wirkend. Doch das Weizenkorn muß sterben, um
tausendfältige Frucht zu bringen. Trudpert wurde dieses klar im
irdischen Bild. Vor ihm stand die junge Saat und erfüllte die
Äcker.
Korn um Korn war aufgegangen zu geheimnisvollem neuschaffendem
Leben.
Muß das nicht alles so sein auf Erden in der von Gott geschaffenen
Welt?
Die Sonne hatte ihren höchsten Stand verlassen, langsam sank sie
hin in
Schönheit verglühend. Längere Schatten schenkten Kühlung. Die
Vögel,
jubelnd, sangen dankbar in den scheidenden Tag.
Da erhob sich Wisirich, der Mönch. Er breitete seine Arme aus und
sang den Hymnus der Vesper:
”O seliges Licht, Dreifaltigkeit,
Dreieinigkeit von Anbeginn,
schon sinkt der Sonne Feuerball,
gieß ein den Herzen jetzt dein Licht.
Dich preisen wir im Morgenlob,
dich laß am Abend uns anflehn,
Dich rühme unser schwaches Lied,
durch aller Zeiten Wandel hin.
Gott Vater sei das Lob geweiht
und seinem eingebornen Sohn,
dem Beistand auch, dem Heilgen Geist,
jetzt und in alle Ewigkeit, Amen."
Als Wisirich den Hymnus gesungen hatte und das Gebet sprach:
„Unser
Abendlob steige zu Dir empor, o Herr” antwortete Trudpert: „Und
Dein
Erbarmen neige sich zu uns nieder.” Dann lobten sie die reine Magd
des
Herrn, die durch Gottes Liebe und Erbarmen der sündigen Welt den
Erlöser zum ewigen Leben schenken durfte.
Nun schritten sie in den schon länger gewordenen Abend des Lenzes.
Würzig wehte die Luft der jungen Gräser und süß der weiße Blust
der
Kirschbäume. „Nicht nur himmlisches Gedankengut schenkte Abt Otmar
und
sein Kloster, auch irdisches Wissen und Können wurden vermittelt"
unterbrach Trudpert ihr Schweigen. „Mit Waldcozus, meinem getreuen
und
gelehrigen Verwalter, schuf ich hier all meine Habe, und der
Himmel gab
seinen Segen hierzu.”
„Abt Johannes ist jetzt bemüht”, fuhr Wisirich weiter fort, „auch
die
äußere Ehre und das ihm geziemende Andenken für Abt Otmar zu
erwirken.
Man denkt daran, seinen schon durch Wunder ausgezeichneten Leib
von der
Insel Werd in das Kloster Sankt Gallen zurückzubringen, um ihn da
feierlich und würdig zu bestatten. Aber dieses Unterfangen wird
ein
sehr schwieriges und kostspieliges sein.” „Doch das muß und
wird
gelingen” rief Trudpert freudig aus. „Hierzu bin ich wieder mit
Wille
und Kraft, mit allem, so wie ich es vermag, ganz einig mit euch
und
euerem Kloster. Der Geist des heiligen Vaters Otmar muß weiter
wirken
für alle Zeit, bei euch, bei uns, und in unserem Volke, dem er als
würdiger Nachfolger des heiligen Gallus neues Leben schenkte. Ich
stehe
euch zur Verfügung, Wisirich, hier meine Hand, wenn es gilt, Abt
Otmar
dem Kloster des heiligen Gallus und all den Seinen wieder zurück
zu
gewinnen” fuhr Trudpert begeistert fort „sei es mit mir, mit
meinem
eigenen Tun, oder mit meiner Habe.” „Nun bist du wieder der
Gleiche, so
wie ich dich kenne von damals her, aus unserer Scholarenzeit”
sagte
Wisirich, fröhlich, die dargebotene Hand Trudperts ergreifend.
Waldcozus blickte verwundert auf seinen Herrn, als er diesen mit
raschem, frischem Schritt und fast jugendlich erscheinend an der
Seite
seines Gastes aus Sankt Gallen in das Wohnhaus zurückkehren sah.
Seine
immer noch rüstige alte Mutter hatte den großen Eichentisch mit
dem
selbstgewirkten, besten Linnen bedeckt, Becher mit dem
köstlichsten
Weine gefüllt, der aus des Herren Rebgut nahe dem Rheine stammte,
standen neben den Tellern. „Gott segne euch Brot und Wein und all
euer
Tun” sagte sie, als man sich nach gemeinsamem Dank an Gott
niederließ.
„Fürwahr, hier ist ein kleines Paradies schon auf Erden”, sagte
Wisirich, während der Mahlzeit, indem er lächelnd den “Becher
hob.“
„Gern teile ich mit euch dieses, ja, ich übergebe es euch”, gab
Trudpert den Bescheid.” „Wie meinst du das?" Der Freund seiner
Jugend
sah ihn fragend an. Trudpert schwieg längere Zeit, in welcher
nicht nur
Wisirich, sondern auch alle anderen gespannt auf den Mund ihres
Herrn
sahen. Dieser erhob sich, blickte in die Weite und dann fest in
die
Augen des Mönches und sprach: „Eingedenk des Herrenwortes, „Gebt
und es
wird euch gegeben werden, vergebt und es wird euch vergeben
werden“
denn auch mir muß viel vergeben werden, indem ich an Gott und
seiner
ewigen Gerechtigkeit zweifelte und in stillem Gedenken an Otmar,
dem
ersten Apostel aus unserem eigenen alemannischen Volke, teile ich
mit
euch Land und Besitz. Dieses hier in Zarduna gelegen, sei euch
nach
meinem Tode zu immerwährendem und rechtsgültigem Eigentum
übergeben. Es
sei euch und eurem Herrn und Abt Johannes im Kloster zu Sankt
Gallen zu
eigen.”
Tiefe Stille herrschte bei diesen Worten Trudperts im Raume. Von
draußen hörte man das Rauschen der jungen Dragisama und den
jubelnden
Schlag einer Amsel in den dämmernden Abend. Alle hatten sich mit
Trudpert erhoben und es war wie ein heiliger Schwur, der sich über
Haus
und Hof und ringsum über das weite Land legte.
Wisirich sah bewundernd, ja fast erschrocken auf seinen Freund, er
sah
vor sich all die fruchtbaren Äcker und Matten im weiten Tale, die
fischreichen Wasserläufe und die durch allerlei Wild belebten
Wälder,
ringsum eingeschlossen von schützenden Bergen. Er war nicht nur
Diakon,
sondern auch Schreiber der Rechtsangelegenheiten des Klosters und
er
wußte, was diese Worte für Trudpert bedeuteten, doch er würde sie
wahrmachen.
So kam es, daß Trudpert seinen Vertrag mit dem Kloster Sankt
Gallen im
Arbongau schloß und seine Schenkung verbriefte. Es war dieses im
vierzehnten Regierungsjahr von Pipin, dem König der Franken. Elf
Zeugen
unterschrieben das Dokument, darunter Lantpert, der unglückliche,
aber
reuig gewordene Verräter Otmars. Wisirich, der Freund Trudperts,
hatte
in dessen Namen die Urkunde verfaßt und niedergeschrieben. Es war
dieses im Jahre des Herrn 765.
Vier Jahre, nachdem Trudpert seine Schenkung aus der Mark Zarduna
an
das Kloster Sankt Gallen im Arbongau vollzogen hatte ein Jahrzehnt
war
vergangen seit Abt Otmar auf der kleinen Insel Werd in der
Verbannung
seine Augen für diese Erde schloß da fuhren mit den Wellen des
Rheines
elf beherzte Mönche aus Sankt Gallen mit einer Ruderbarke den
Bodensee
hinab. Das längstersehnte Ziel galt zu erreichen, den noch immer
auf
der Insel Werd ruhenden Leib Abt Otmars in das heimatliche Kloster
Sankt Gallen zurückzubringen, damit er dort in der durch ihn
erbauten
Kirche in allen Ehren bestattet werden könne.
Es war im Spätjahr 769. Im Herbstgold brannten Bäume und Büsche am
Gestade des Untersees und auf der kleinen Insel Werd, welche die
rauschenden Wogen des jungen Rheines, der sich hier aus dem See
ergoß,
umspülten. Die sanktgallischen Mönche betraten ehrfurchtsvoll die
kleine Kapelle, welche der fränkische Grundherr Gozbert zu
Eschzenz
über die steinerne Gruft des ihm liebgewordenen einstigen Abtes
von
Sankt Gallen errichten ließ.
Es war inzwischen Nacht geworden und der besternte Himmel lag über
dem
einsamen bescheidenen Heiligtum. Drinnen flutete der volle Mond
durch
die rundgebogten schmalen Fenster der Kapelle, in der nur ein
stilles
Licht vor dem Sanktissimum, das hier in einer Mauernische geborgen
war,
brannte.
Als die Mönche die schwere Grabplatte hoben, sickerte der silberne
Schein des Mondes durch eines der Fenster in die dunkle Tiefe des
Grabes. O Wunder, der heilige Vater und Abt lag hier unversehrt,
als ob
er dem Tag der Auferstehung nur entgegenschliefe. Ergriffen von
diesem
Anblick fielen alle auf die Knie und sangen jubelnd im Chore:
"Amavit eum Dominus,
"Der Herr hat ihn geliebt
Et ornavit eum,
und ihn geschmückt.
Stolam gloriae induit eum.”
Das Kleid der Herrlichkeit hat
Er ihm angetan.”
Die Mönche trugen des anderen Tages ihren toten Vater behutsam
unter
Psalmengesängen und begleitet von dem Priester und den Bewohnern
der
nahegelegenen Orte zum Gestade des Rheines, der hier schon zum See
geweitet war. Man stellte dann auf das Ruderboot zwei brennende
Kerzen
zu Häupten und Füßen des Abtes und die guten Leute, die sich nur
ungern
von ihrem „Heiligen” trennten, der wie sie versicherten, schon
manches
Gebet erhört hätte, brachten einen Lägel (Fäßchen) guten Weines,
den
die tapferen Mönche auf ihrer weiten gefahrvollen Rückfahrt wohl
zur
Stärkung benötigen würden.
Wie das Schifflein unter den Ruderschlägen der Mönche durch den
Rhein
und dann den Seeufern entlang glitt, kamen von überall Menschen,
oft in
der Feldarbeit innehaltend, um noch einen letzten Segensgruß von
dem
heiligen Manne zu erhalten.
Als dann das Boot auf dem großen See dahinglitt, verfinsterte sich
mit
einem, Male immer mehr der Himmel. Eine Windböe legte sich über
den
weiten See, und immer schwerer hatten es die Ruderer gegen die
heranwallenden Wogen zu kämpfen, die das Schiff immer weiter vom
Ufer
weg in den offenen See hinaustragen wollten.
Sie flehten zum Himmel und sahen in das stille Angesicht ihres
ruhenden
Vaters, neben dem, wie wunderbar, der Sturm die brennenden Kerzen
nicht
zu löschen vermochte. Auch der Wein aus dem Lägel stärkte die
abwechselnden Ruderer so sehr, daß sie mit kräftigen Schlägen
mitten
durch die anwallenden Wogen ihrem Ziele näher kamen. Der Wein in
dem
Fäßchen verringerte sich nicht und reichte aus bis der Sturm sich
gelegt hatte und sie sich glücklich an Land begeben konnten.
Als dann später die elf tapferen Mönche mit ihrer heiligen Bürde
nahe
dem Kloster Sankt Gallen waren, fingen die Glocken der von Abt
Otmar
erbauten Kirche zu läuten an.
Unter dem weitgeöffneten Tore, wo man den großen Vater mit dem
Kruzifix, mit brennenden Kerzen und mit Weihrauch dankbar
erwartete,
war auch Wisirich und ihm zur Seite Trudpert zugegen. Aus
übervollem
Herzen stimmten sie in den Gesang der Mönche und Brüder ein:
"Ecce sacerdos magnus,
"Sieh, ein Hoherpriester,
qui in diebus suis placuit Deum!”
der in seinen Tagen Gott
wohlgefiel!”
Trudpert verspürte eine große Seligkeit, wie er sie noch nie
gekannt
hatte. Es war ihm, als ob sein geliebter Vater, Abt Otmar, ihn im
Geiste in seine Arme schlösse, ihn segnete und spräche: "Ziehe
hin,
mein Sohn, in Frieden!”
Am 25. Oktober 864 war es, daß auf der Diözesansynode zu Sankt
Gallen,
der Konstanzer Bischof Salomon I.‚ die Heiligsprechung Otmars in
die
Wege leitete. In Sankt Gallen wurde dann neben der Galluskirche
eine
Otmarskirche erbaut und Sankt Gallus und Sankt Otmar zu
Schutzpatronen
des Klosters erhoben. Bald darauf wurde auch in der ganzen Diözese
Konstanz der Todestag Otmars am 16. November gefeiert und Sankt
Otmar
als Schutzheiliger Alemanniens verehrt.
aus: Alt-Kirchzarten
erzählt . . .
Alt-Kirchzarten in Erzählungen
nach Legende, Sage, Chronik und mündlichem Bericht von Erika
Ganter-Ebert
Ein altes Gasthaus erzählt
Die Sage von dem ehrenwerten und standhaften Ritter Kuno von
Falkenstein
von Erika Günter-Ebert
Mitten in Kirchzarten‚ dort wo es noch alt ist und erzählen kann,
nicht
weit von der ehrwürdigen Dorfkirche, deren uralter Turm wohl auf
den
Resten eines römischen oder gar keltischen Wachtturmes ruht und in
deren Inneren das Grabmal des Ritters Kuno von Falkenstein
befindet,
liegt das Gasthaus „Zum Rindsfuß”, jetzt „Zur Fortuna” genannt. Es
ist
wohl die älteste Gaststätte deren bauliche, noch erhaltenen Teile
weit
in das Mittelalter hineinreichen und auf einen gotischen Profanbau
schließen lassen. Dieser muß einst neben dem Gotteshaus eine
Zierde des
Dorfes gewesen sein.
So wäre es wieder, wenn sein hohes Giebeldach, das vermutlich wie
die
damaligen gotischen Profanbauten mit einer sich abstufenden Zinne
gekrönt war, neu hergestellt würde. Die schönen profilierten
Fenster in
Farben getönt und ihre Stäbe mit schmalen Goldstreifen versehen,
würden
das ganze Gebäude wieder zu einem wahren Schmuckstück des Dorfes
gereichen lassen.
Leicht versteht man, daß hier nach mündlicher Überlieferung die
Hochzeitsfeierlichkeit der immer noch um ihren im Kreuzzug
gebliebenen
Gatten Kuno von Falkenstein trauernden Frau Ida mit einem anderen
Ritter stattgefunden haben soll. Das Hochzeitsmahl, das einen so
traurigen Anfang genommen hat, nahm ein glückliches Ende durch die
unerwartete Rückkehr des Ritters Kuno von Falkenstein. Noch sieht
man
heute, den in die Ecke des Hauses eingemauerten Stein, welchen der
Teufel nach dem Ritter Kuno warf, als er sich um den Pakt, den er
mit
dem Ritter um dessen Seele geschlossen hatte, betrogen sah.
Geschichtliche Tatsache ist, daß Ritter Kuno von Falkenstein, wie
die
Chronik von 1320 berichtet, „Zwang und Bann samt Boden” zu
Kirchzarten
besaß und die hohe und die niedere Gerichtsbarkeit dort ausübte.
Heute noch labt ein kühler Trunk aus der Tiefe des Kellers alle
einheimischen und fremden Gäste in der Wirtsstube des Ritters Kuno
von
Falkenstein im Gasthaus „Zur Fortuna” einzutreten. Dort befinden
sich
auch die noch vorhandenen Urkunden des Hauses. Die ältesten sind
leider
dem Bauernkrieg und einem Brande zum Opfer gefallen. Die Stube
schmückt
ferner ein holzgeschnitztes Relief, ein kleines Kunstwerk des
Holzbildhauers Gerhard von Ruckteschell, welches den tapferen
Ritter
Kuno von Falkenstein zeigt und in sechs Bildern die
abenteuerlichen
Erlebnisse des standhaften Ritters erzählt.
So hören wir denn die Kernsage des Dorfes Kirchzarten: „Die
Geschichte
von dem ehrenwerten und standhaften Ritter Kuno von Falkenstein”.
„Die Sage vom ehrenwerten und stundhaffen Ritter Kuno von
Falkenstein"
Das letzte Halali der Jagd verklang in den Bergwäldern des
„schwarzen"
Waldes, wo noch Bär, Wolf, Hirsch und Luchs hausten, und verlor
sich am
wilden Felsenhang gegenüber, den die Burg Falkenstein krönte.
Schon war
das Gefolge mit der Meute und dem erlegten Wild auf dem Weg, um
über
die enge Talschlucht die heimatliche Burg zu erreichen, wo Imbiß
und
kühler Trunk lockten. Herr Kuno, Ritter von Falkenstein, war mit
seiner
treuen Bracke etwas zurückgeblieben und folgte in tiefem
Nachsinnen
verloren nur langsam seinen Leuten nach. Ja, er sehnte sich wohl
nach
seiner geliebten Hausfrau, Frau Ida‚ doch fehlte ihnen noch das
letzte
Glück, Gott hatte ihnen bis jetzt die Leibeserben versagt. Schon
schrie
der Bergkauz im düsteren Geheg und die letzten Strahlen der Sonne
ergriffen nur noch die höchsten Gipfel der dunklen Tannenberge und
die
Spitze des trutzigen Turmes der Burg Falkenstein. Da knackte
dürres
Geäst, dem treuen Hund sträubte sich mit einem Male am starken
Nacken
das Fell. Knurrend und winselnd zugleich drängte er sich an seinen
Herrn, als ein fremder Jäger im engsitzenden grünen Jagdwams aus
dem
Dunkel der Tannen trat. Er grüßte den Ritter mit hämischem Lächeln
und
meinte: „Ich weiß wohl, Herr Kuno, worüber Ihr nachsinnt. Schenkt
mir
Euere Zusage und Ihr werdet reich und mächtig sein und Euch
zahlreicher
Nachkommenschaft erfreuen können.” „Wer seid Ihr?” fragte der
Ritter,
abgestoßen von den funkelnden Augen des Fremden, die ihm
heimtückisch,
wie die eines reißenden Wolfes erschienen. „Der Mächtigste der
Erde,
ich kann all Euern Wünschen zu Willen sein" antwortete der andere.
„Doch sicher nicht ohne Gegengabe von meiner Seite?” sagte der
Ritter.
„Nur um ein kleines unnützes Ding in dieser Welt, um Eure Seele”
kicherte der Fremde und trat Ritter Kuno einen Schritt näher,
indem der
Hund sich aufwinselnd hinter seinen Herrn verkroch. Herr Kuno
erkannte
mit einem Male den Teufel in der Gestalt des fremden Jägers und
schlug,
all seine innere Kraft zusammenfassend, ein großes Kreuz über der
unheimlichen Gestalt, worauf diese sich, aufheulend wie ein
getroffenes
Tier, im Dunkel des Waldes verlor.
Als bald hierauf zu einem Kreuzzug ins heilige Land aufgerufen
wurde,
folgte auch Ritter Kuno von Falkenstein diesem Ruf. Durch seine
Teilnahme am Kreuzzug erhoffte er von Gott Segen und die ersehnten
Nachkommen. So kam der Tag, daß Kuno den andern Rittern und
Mannen,
welche sich zum Kreuzzug in das heilige Land versprochen hatten,
folgen
mußte. Er umarmte sein geliebtes Weib Ida und versprach, ihr seine
Treue zu halten. „Auch du” sagte er „warte meiner in Treuen sieben
Jahre lang. Wenn diese vorüber sind und ich in dieser Zeit nicht
heil
zurückgelangt bin, so erwarte mich nicht mehr, denn dann werde ich
wohl
nicht mehr unter den Lebenden sein." Damit nahm er seinen Ehering
und
teilte ihn mit seinem Schwerte in zwei Teile, wovon er den einen
Frau
Ida reichte. Diese küßte ihn und barg ihn aufweinend in ihrem
Gewande.
Noch einmal schloß der Ritter sein geliebtes Weib in die Arme, bis
er
sich losriß und hinab zum Tor der Burg eilte, wo schon seine
Knappen
mit den ungeduldig wiehernden Pferden seiner harrten. Ein letzter
Gruß
von unten und ein Winken vom Söller und der Ritter war mit seinem
Gefolge zwischen Felsen und Getänn verschwunden. Ein Ruf klang
später
fern her als letzter aus der Tiefe.
Jahre vergingen. Arbeit am Spinnrocken und Webstuhl hielten die
Hände
Frau Idas rege und sie öffnete sie Almosen spendend, wenn sie
durch die
Schlucht mit ihrem kleinen Gefolge dem zwei Meilen entfernten
Kirchdorf
„Kirchzarten” zuritt. Immer mehr wurde sie bedrängt, da ihr Gatte
immer
noch nicht vom Kriegszuge ins heilige Land zurückgekehrt war. So
manchen Ritter lockte es, Gut und Land des Falkensteiners sich
durch
eine Heirat mit Frau Ida zu sichern. Am meisten trieb dies Johann
von
Schnewlin, welcher durch seine Gewalttätigkeit bekannt und
gefürchtet
war, mit welcher er sich so manche Burg und die hiermit
verbundenen
Güter anzueignen verstand. Frau Ida blieb allen Bewerbern
gegenüber
fest und war glücklich über das ihrem Gatten gegebene Versprechen
sieben Jahre in Treue seiner zu warten.
Herr Kuno zeichnete sich in dieser Zeit durch besondere Tapferkeit
im
Heere der Kreuzritter beim Kampf im heiligen Lande gegen die
ungläubigen Türken aus. Aber schließlich wurden die Heere doch
überwältigt oder erlagen heimtückischen Seuchen. So wurde auch
Kuno von
Falkenstein mit den Seinen geschlagen und geriet schließlich in
die
Gefangenschaft des Sultans. Schwere Fron mußten die gefangenen
Mannen,
ob Herr oder Knecht verrichten. Gleich Zugtieren wurden sie an Rad
und
Pflug gespannt.
In einer Nacht, in welcher der Halbmond, gleichsam als
Siegeszeichen
des Landes, in dem Kuno in Gefangenschaft lag, am klaren Himmel
stand
und sein Licht in die enge Kerkerzelle fiel, bemerkte der Ritter
plötzlich eine dunkle Gestalt neben seinem spärlichen Lager. „Herr
Kuno” redete ihn diese in seiner vertrauten Heimatsprache an, „Ihr
hättet besser getan mir Eure Führung anzuvertrauen‚ Ihr würdet
jetzt
nicht gebunden und gehalten wie ein Stück Vieh hier gefangen
liegen,
sondern frei und glücklich auf Eurer Burg im Kreise Eurer Familie
leben.” Tief erschrocken erkannte Kuno in der Gestalt den Teufel,
der
ihn seiner Zeit als fremder Jäger bei der Heimkehr von der Jagd
angeredet hatte. Nochmals bot ihm der Böse seine Hilfe an, ihn aus
der
Gefangenschaft zu lösen und glücklich in seine Heimat
zurückzubringen,
falls ihm der Ritter seine Seele verschreiben würde. Doch voll
Schrecken und Abscheu wendete der Ritter sich von dem Bösen ab und
rief
die allmächtige Hilfe Gottes an. Höhnend verließ ihn der Teufel,
siegesgewiß, da8 er doch noch Mittel genug hätte die
Widerstandskraft
des Ritters zu beugen.
Recht sonderbar kam es dem Ritter vor, daß bald darauf nach jenem
Erleben in der Nacht sein Kerker geöffnet wurde, daß man ihn in
den
Palast des Sultans verbrachte und ihm dort Wohnung, Bad, Salböl
und
schöne Gewandung schenkte. In dem Garten des Beherrschers des
Landes
konnte er sich unter schattenden Palmen zwischen balsamisch
duftenden
Blüten bewegen. Einmal begegnete ihm die tiefverschleierte Tochter
des
Sultans. Sie sprach ihn freundlich an und machte ihm verständlich,
daß
ein Bewohner seines Heimatlandes ihr vieles und rühmliches von ihm
und
seiner edlen Ritterschaft berichtet hätte und, daß sie nun seine
Gesellschaft wünsche.
Ritter Kuno hatte nun ein herrliches Leben und fand Gnade beim
Sultan. Auch seinen Knappen wurde die Freiheit geschenkt.
Aber je mehr die Zeit verstrich, um so mehr erwachte auch trotz
allem
WohIleben in Kuno die Sehnsucht nach seiner Heimat, wo seine
geliebte
Gemahlin Ida sicher um ihn trauerte, denn die sieben Jahre ihrer
Wartezeit mußten seiner Rechnung nach bald vorüber sein.
Einmal, in einer schönen Mondnacht, als Ritter Kuno sich im kühlen
Garten seines Wohnteiles erging, erblickte er die schattenhafte
Gestalt
des Bösen an der Seite Fatmes, der Tochter des Sultans. Nachdem
dieser
Fatme verlassen hatte und im dunklen Buschwerk verschwunden war,
näherte sich ihm Fatme, nachtwandlerisch wie im Traume. Das
Mädchen
ergriff seine Hand und bedeutete dem Ritter, daß sie ihm ihr
Angesicht
enthüllen wolle, das noch kein Sterblicher außer ihrem Vater
erblickt
hätte. Sie nahm den Schleier von ihrem Angesicht, und der Ritter
erschrack ob der tiefen Schönheit des Mädchens, das sich ihm
liebend
ergeben wollte. Heiß wallte es in ihm auf voll unseligen Gefühles,
zugleich stand aber auch die Gestalt Idas, des geliebten Weibes,
vor
seinen Augen, das seiner in Treue wartete. Sanft nahm er die Arme
des
Mädchens von den seinigen und sprach ihr von Ida, der treuliebend
ihm
Verbundenen. Auch von christlicher Lehre, Brauch und Sitte sprach
er,
und er verstand die Treue seines Weibes und das sehnsüchtige
Hoffen auf
seine Heimkehr so anschaulich zu schildern, daß Fatme ergriffen
lauschte und mit dem Ritter zu überlegen begann, wie er die
Freiheit
gewinnen könne.
In nicht allzulanger Zeit gelang ein Plan, und langsam und unter
allerlei Mühseligkeiten und Gefahren durch Wüstensand und wilde
Tiere,
oft gerade noch eine Karawane oder eine erquickende Oase
erreichend,
näherte sich Ritter Kuno mit seinen beiden Knappen der Heimat.
Einmal verirrten sie sich in einem endlos sich hinziehenden Wald.
Keinen Ausweg schien er zu haben, und nur kümmerlich ernährt und
von
der Mühsal des Umherirrens ermattet, glaubten sie hier Verderben
und
Tod entgegen zu gehen. Die beiden Knappen murrten gegen ihren
Herrn und
stellten ihm vor, wie herrlich sie im Türkenlande gelebt hätten,
und
hier müßten sie verenden wie ein wildes Tier im Busch. Ritter Kuno
ermahnte sie auf Gott zu vertrauen, welcher sie bisher aus vielen
Gefahren, aus Not und Tod errettet hätte. So fanden sie auch immer
wieder eine Quelle, die ihren Durst löschte oder einen Baum mit
wilden
Früchten, der ihnen Nahrung gab.
Mit einem Male kamen sie an eine große und unabsehbare Mauer,
mitten in
der Wildnis. Hohe Palmen wiegten darüber ihre Wipfel in warmem
Winde
und balsamische Düfte wehten ihnen von drüben entgegen. Sie
glaubten
nun, das verloren gegangene Paradies gefunden zu haben. Die beiden
Knappen ließen sich nicht halten und erkletterten die Mauer. Kuno,
von
geheimem Grauen erfüllt, wollte sie zurückhalten, doch zu spät
schon
waren sie jenseits der Mauer verschwunden. Ritter Kuno hob seine
Hände
zum Gebet — und sogleich versank die Mauer und das geglaubte
Paradies
in einem undurchdringlichen Morast. Nun erkannte Kuno, daß alles
nur
Blendwerk des Teufels war. Er irrte weiter, bis er sich eines
Abends
erschöpft niederlegte. Da stand aber auch schon der gespenstige
Jäger
vor ihm, der Böse, der ihm schon einmal in dieser Gestalt
erschienen
war. „Herr Kuno, Ritter von Falkenstein”, höhnte er „morgen, beim
ersten Hahnenschrei sind die sieben Jahre vorüber, da Ida, Euer
Weib,
in Treuen auf Euch warten sollte. Morgen muß sie einem anderen
Eheherrn
zum Altare folgen. Voll Erschrecken und Qual hörte Kuno die
Botschaft
und in Verzweiflung nahm er des Bösen Versprechen an, ihn, in
Gestalt
eines Löwen durch die Lüfte zu tragen, und ihn rechtzeitig zur
Heimat
zu bringen, wenn es ihm, dem Ritter gelänge, unterwegs nicht
einzuschlafen. Falls er aber in Schlaf versänke, wäre seine Seele
ihm
zu eigen.
In seiner großen Not unterschrieb Kuno diesen Teufelspakt mit
seinem
Blute. In Gestalt des Löwen trug nun der Böse Kuno mit Windeseile
der
Heimat zu. Unterwegs fiel lähmende Müdigkeit auf den erschöpften
Ritter. Doch siehe, es kam ein großer Falke, der mit weiten
Schwingen
über ihn herstrich und ihm den Schlaf verscheuchte. Beim ersten
Hahnenschrei war das heimatliche Kirchdorf des Falkensteiners,
Kirchzarten, erreicht, und der Teufel setzte den Ritter neben
einem
großen Steine vor der Herberge „Zum Rindsfuß” nahe der Dorfkirche
ab.
Wie der Teufel bemerkt, daß des Ritters Augen weit geöffnet und
schlaflos waren, entbrannte er in Wut um seines verloren
gegangenen
Paktes willen. Er griff zu dem Steine und wollte damit den Ritter
zermalmen. Doch der Stein entglitt seinen Händen und fuhr krachend
in
die Ecke des Hauses, wo er heute noch eingemauert zu erblicken
ist.
Inzwischen war ein alter Knecht des Falkensteiners, der in Treuen
seiner Herrin Ida auf der Burg diente, zur Herberge „Zum Rindsfuß”
gelangt. Er pochte den Wirt aus dem Schlaf und brachte ihm die
Unheilskunde, daß seine Herrin heute einem der gefürchtetsten
Ritter
aus der Umgebung zum Altare folgen müsse, denn die sieben Jahre,
da sie
noch ihren geliebten Eheherrn erwarten konnte, wären heute
vorüber, und
hier, im Gasthofe, müsse der Brauttrunk und auch das Festmahl nach
der
Trauung in der Kirche ausgetragen werden.
Als sie noch, Knecht und Wirt, voll Schmerz über den noch nicht
heimgekehrten, guten Ritter Kuno von Falkenstein und sein armes
Eheweib
Ida sprachen, erschütterte ein furchtbares Krachen das Haus und
ein
fremder Mann taumelte herein und fiel bewußtlos zur Erde. Als
dieser
seine Besinnung wiedergewonnen hatte und erfuhr, daß er zu
Kirchzarten
in seiner Heimat wäre, erhob er betend seine Hände und dankte Gott
für
seine wunderbare Errettung. Als Knecht und Wirt ihren Herrn, den
guten,
schon schwerbetrauerten Ritter Kuno von Falkenstein erkannten,
fand
ihre Freude kein Ende, und staunend hörten sie von den seltsamen,
abenteuerlichen Begebenheiten und Bedrohungen ihres Ritters und
seiner
wunderbaren Errettung und Heimführung.
Als dann in der Morgenfrühe der berittene Hochzeitszug mit
schmetternden Fanfaren bei der Herberge nahe der Kirche hielt und
dem
Brautpaar der Hochzeitstrunk zum Willkomm gereicht wurde, drängte
sich
Ritter Kuno heran und bat, tief in seinem Mantel verhüllt, seine
Gattin
um einen Schluck aus dem gereichten Pokale. Der Ritter neben Frau
Ida
wollte es ihm verwehren, doch Ida bat ihn, es zu gewähren, da
hierdurch
der Brauttrunk gesegnet würde. Kuno trank aus dem Pokal und ließ
heimlich seinen halben Ehering hineinfallen. Als Ida aus dem
zurückgereichten getrunken hatte, bemerke sie den halben Ring auf
dem
Grunde. In freudigem Erschrecken fügte sie die ihrige Hälfte, die
sie
immer unter dem Gewande bei sich trug, hinzu und, o Wunder, beide
Ringhälften schlossen sich ineinander, als ob sie niemals getrennt
gewesen wären. Ritter Kuno warf seinen Mantel rasch ab und blickte
tief
in die Augen seiner geliebten Gemahlin, welche ihn in freudigem
Erkennen fest in ihre Arme schloß. „Hier ist mein geliebter Gatte”
wandte sich nun Ida an Johann von Schnewlin. „Ich habe mein
Versprechen
gehalten, das ich Euch geben mußte, Euch zum Altare zu folgen,
sobald
die sieben Jahre des Fembleibens meines Eheherrn vorüber sind.
Gott,
der Allmächtige, hat aber in seiner Güte ihn mir zurückgegeben,
dem ich
mit großer Liebe meine Treue hielt.” Wie dann die Glocken in die
Kirche
zum Traualtar riefen, erfaßte sie die Hand ihres treuen Gatten und
führte ihn beseligt zur neuen Segnung ihres Bundes.
Viele Jahre des Glückes, mit reicher Nachkommenschaft bedacht,
erblühten dann noch dem allgeliebten Paare.
Wenn auch Geschichte und Sage verklungen sind, so spricht doch
heute
noch das auf dem Grabstein gemeiselte Bild in der alten Dorfkirche
zu
Kirchzarten von Gottesfurcht und Treue des Ritters Kuno von
Falkenstein.
aus: Alt-Kirchzarten erzählt . . .
Alt-Kirchzarten in Erzählungen
nach Legende, Sage, Chronik und mündlichem Bericht von Erika
Ganter-Ebert
Unsere liebe Frau von Giersberg
Nach Legende und Chronik erzählt von Erika Ganter-Ebert
Es war um das Jahr 1700.
Das Silberglöcklein der Jakobikapelle im alten Schloß Buckerütti
läutete den mittäglichen Angelus und die Glocke im uralten Turm
der St.
Galluskirche zu Kirchzarten stimmte mit tieferem Tone ein, und all
die
Filialkapellen in der Runde, die des heiligen Hilarius in Ebnet,
die in
der Johanniskapelle in Zarten und der Schloßkapelle in Weiler, und
endlich die jenseitige Michaelskapelle in Oberried, alle bimmelten
mit
und hatten es eilig, die Gottesmutter zu grüßen, die droben auf
dem
Lindenberg ihr Heiligtum hatte, dem fernen, dem man in allerlei
Nöten
zupilgerte. Ach, wie gern hätte man diese Stätte des Heiles näher
gehabt, denn wie viel Zeiten der Heimsuchungen trafen schon das
Tal,
angefangen, als wilde Horden des Bauernkrieges es verwüsteten und
aus
der ehrwürdigen Pfarrkirche einen Pferdestall machten, bis zur
Belagerung von Freiburg, die eine neue betrübte und armselige Zeit
brachte. Nun läuteten und bimmelten alle Glocken und Glöcklein zu
Mariens Ehr, und man faltete die Hände zum mittäglichen Gebet.
Auch der Köbli tat es, der Hüterbub vom Meier des Herrenhofes zu
Buckerütti, dann streckte er sich wohlig ins Gras, oben am Hang im
Schatten der ersten Fichten und Föhren des Bergwaldes. Von da aus
konnte er die Kühe und Kälber des Hofes überschauen, und unten
schnatterten die Gänse beim Teich, der in der warmen Sonne
flimmerte,
und im Morast vor dem alten Gemäuer wühlten befriedigt die
Schweine.
Dort, wo die Wiese noch sumpfig war, watete ein Storchenpaar, ein
zappeliges Mittagsmahl für sich und die Jungen aus dem feuchten
Grunde
zu erhaschen, um dann die Beute dem unweit breitgelagerten
Satteldach
des Dorfkirchturmes zuzutragen, wo ihr Nest, lag. Das Vieh graste
gemächlich und folgte still der Leitkuh‚ auf die man sich mal
verlassen
konnte, und so träumte der Köbli ins Blaue und dachte an seinen
Namenspatron, den heiligen Jakobus, dessen Bild recht wanderfroh
mit
dem Pilgerstabe in der Hand aus der Nische oben über dem Tor des
Herrenhauses blickte. Ja, so wollte er auch immer wandern, weit,
weit,
und ein Heiligtum aufsuchen, wer weiß wo, vielleicht im Heiligen
Lande
selber. Wie er noch so träumte, bis ihm die Augen mittagsmüde
zufielen,
da hörte er mit einem Male ein helles Klingen und Singen, als ob
tausend Bienen um ihn summen würden, oder als ob das
Silberglöcklein
des heiligen Jakobus zu ihm heraufgekommen wäre. Das Tönen wurde
so
stark, daß er aufwachte‚ aber es kam nicht von unten aus der
Kapelle,
sondern oben vom Walde her, wo die Föhren standen, und es zog ihn
mit
aller Gewalt diesem Tönen und Klingen nachzugehen. Er kletterte
den
Hang zwischen den dunklen Stämmen empor, und es war ihm, als ob
hier
das Geläute immer stärker würde. Oben, wo sich der Stamm einer
alten
Föhre in stärkeres Geäst und kleineres Gezweige teilte, schien der
Klang herzukommen. Ja - von dort her - Köbli mußte sich die Augen
reiben, denn er wußte nicht, ob er wache, oder träume, dort in der
Gabelung des Baumes befand sich ein wunderfeingeschnitzes, kleines
Bildwerk der himmlischen Mutter mit dem Gotteskindlein auf dem
Arme. Es
war alles wirklich wie ein Traum - aber das Bild der Gottesmutter
verschwand nicht und das Tönen und Klingen blieb in seinen Ohren.
Er
ging behutsam näher und wahrhaftig - alles blieb wie er es
erblickte,
und es wurde ihm gar wunderselig zumute und er mußte niederknien,
um
hier nochmals den Englischen Gruß an die Gottesmutter zu
wiederholen.
Dann stürmte er den Berg hinab zum Herrenhof‚ wo unten bei der
großen
Einfahrtshalle, aus der die holzgeschnitzte Treppe nach oben
führte,
die große Gesindestube lag. Doch, wie Köbli auf der
herabgelassenen
Zugbrücke am großen Tor angekommen war, hemmte er seinen Schritt.
Nein
- keiner würde ihm glauben, was er gehört und gesehen hatte - und
vielleicht hatte er doch nur alles geträumt ? - Die gemeinsame
Abendsuppe, bei der sonst Köbli auf jeden Löffel achtete,
schluckte er
nur so hinter und nach dem Dankgebet eilte er nach außen, um mit
dem
selbstgebundenen Reisigbesen die gepflasterte Innenhalle des
Hauses zu
säubern, denn das war seine Aufgabe. Morgen an „Unserer Lieben
Frauen
Tag”, da ritt die Herrschaft, wie an allen Sonn- und Feiertagen
zum
Hochamt in die St. Galluskirche, beim ersten Glockenton verließ
man
stets die Halle. Eine Viertelstunde lang mußte geläutet werden, so
lange brauchte der Ritt zur Kirche. Ja, er wußte es genau, denn
zuweilen mußte er mit den Pferden die Herrschaft nach dem
Gottesdienste
vor der schönen Säulenhalle am Südtor der Kirche erwarten. Er
ärgerte
sich nur immer über die Totenfratze, welche dort an der Ecksäule
angebracht war, um dem Totengräber die vorgeschriebene Tiefe der
Gräber
anzugeben. Einmal streckte er ihr heimlich die Zunge heraus. Er
beichtete es zwar danach, da sie doch an heiligem. Orte angebracht
war.
Als nun besonders sauber gekehrt war, huschte der Bub nochmals zum
Tor
hinaus. Das Vieh war im Stall und oben beim Walde war es
kirchenstill.
- Doch nein, da war das Klingen und feine Tönen wieder und als
Köbli
mit klopfendem Herzen bei der Föhre stand, war es ihm, als spräche
eine
Stimme aus dem Baume: „Bete - bete, denn hier soll die Mutter
unseres
Herrn besondere Verehrung finden, und Gnade und Hilfe in der Not
wird
jeder Betende gewinnen”. – Ja - Köbli hatte es deutlich gehört
-und um
das Bildnis in der Föhre war ein milder Schein. -
Wenn morgen die fromme Herrschaft zur Kirche reitet, wird er sich
ein
Herz fassen und ihr von dem wundersamen Erleben berichten.
Köbli konnte die ganze Nacht kein Auge schließen. Am anderen
Morgen,
als die Pferde säuberlich gestriegelt und ordentlich gesattelt für
die
Herrschaft zum Ritt in die Kirche in die Halle geführt wurden,
versteckte sich Köbli, um auf sie zu warten. Neben dem Eingang zur
Jakobikapelle war dort eine tiefe Mauernische. Hier drückte er
sich
fest an die kleine Holztüre, die den Abstieg zu einem schmalen
Gang
versperrte‚ der, wie man sagte, in wehrhafter Zeit unterirdisch
zur
Brandenburg geführt hätte. Wie der Herr und die Dame die Treppe
zur
Halle hinabstiegen, eilte ihnen Köbli entgegen. „I bitt schön”‚
stieß
es aus ihm heraus, dem hochwürdigen Herrn Leutpriester zu
vermelden,
daß die heilige Muttergottes im Giersbergwald oben Verehrung haben
möcht.” Ungläubig lächelten beide, aber der Herr tröstete:
„Büblein‚ du
wirst mir sagen, wo das sein soll, dann werden wir schon
weitersehen”.
Und so kam es, wie viele Jahre danach der Talvogt Peter Busset zu
Kirchzarten in seiner Chronik um 1740 berichtete: „Es war am Weg
ein
Fören-Baum, der anstatt des Bildstocks dastund und diente; in
diesem
Baum war ein kleines Muttergottesbildlein, lieblich anzusehen, es
war
eine Kniebank davor, wo ein und anderer Maria-Diener sein Gebet
davor
verrichtete. Es gingen auch vorüber Krüppelhafte, Presthafte,
welche
auch alle ihr Gebet verrichtet, sie bekamen Hilfe durch Maria und
wurden gesund, dieses war kundbar an allen Orten.”
Zehn Jahre waren nach diesem Geschehen dahingegangen, seitdem die
„neue
Wallfahrt” zum Unterschied der „alten” auf dem Lindenberg
entstanden
war.
Köbli ist auf dem Herrenhof der „Brigitti”, wie im Volksmund
Buckerütti
genannt wurde, geblieben. Er hat es nicht mehr für nötig gehalten,
eine
Pilgerfahrt in die Ferne zu machen, sondern ist ein treuer Hüter
der
heiligen Mutter auf dem „Girschberg” geworden.
Seit kurzem weilt im Schloß Buckerütti ein Gast, dem Köbli
besonders
zugetan war. Es war Laurentius Rost von Eichsfeld, ein junger
Edelmann
aus dem Mainzer Gebiet.
An einem frühen Herbstmorgen, als vom Wald oben die Hörner zu
frischem
Jagen riefen, hielt der Jungknecht Köbli dem Junker die Bügel, als
er
zu Roß stieg. Der Talvogt Hug von Hugenstein zu Kirchzarten hätte
ihn
geladen, meinte Junker Laurentius fröhlich. „Herr", drauf der
Köbli,
„wenn am Abend nach fröhlichem Jagen bei guter Laune die Becher
kreisen, bringt es dem Talvogt bei, daß er doch endlich verlauben
möge,
daß die mit einem heiligen Gelübde versprochene Bergkapelle für
„Unsere
Lieben Frau im Föhrenbaum“ gebaut werden darf. Seht, Herr, schon
einmal
war ein schreckliches Feuer im Dorf, das sicher alles in Schutt
und
Asche gelegt hätte, wenn nicht nach einem Verspruch eine Kapelle
auf
dem „Girschberg“ zu bauen, das Feuer wie durch ein Wunder zum
Verlöschen gekommen wäre, aber danach, als es allen wieder gut
ging,
waren bald Verspruch und Kapelle wieder vergessen.” „Ein
Versprechen an
die Gottesmutter muß man halten”, meinte drauf der Junker. „Ja,
und so
kam es”, eiferte der Köbli, „daß bald darauf eine schrecklich
grassierende Viehseuche ausgebrochen ist im ganzen Dorf. Auch hier
auf
dem Herrenhof kamen etliche Stück Vieh um. Wieder hat man die
Gottesmutter angerufen und die Kapelle versprochen und erhielt
Hilfe,
aber nun ist es der Talvogt, der dagegen ist, daß eine Kapelle
gebaut
wird. Er scheint mit dem Herrgott zu hadern, der ihm seine gute
Ehefrau
dahinsterben ließ." „Ich will versuchen den Herrn umzustimmen,
guter
Freund”, sagte Junker Laurentius. Er klopfte Köbli freundlich auf
die
Schulter und ritt bei frohem Hörnerklang mit der Herrschaft aus
dem
Tore.
Bei der Abendkühle dieses Tages schritt Gertrudis, die Tochter des
Talvogtes Hug von Hugenstein, langsam den Giersberg hinauf.
Manchmal
stützte sie sich auf die leichter dahinschreitende Zofe, die sie
begleitete. „Rastet ein wenig, Fräulein”, meinte diese zuweilen.
Sie
war um die junge Herrin besorgt, die, wie deren früh
dahingeschiedene
Mutter, von zarter Gesundheit war. „Es geht schon, gute Hanna”,
antwortete das Fräulein, „hier oben zwischen den Föhren weht solch
würzige Luft, man atmet leicht im Wald Unserer Lieben Frau. Ach,
daß
mein Vater sie auch verehren und lieben könnte, die Gottesmutter,
sein
unbeugsamer, harter Sinn würde sich ändern und er selber würde
Trost
und Hilfe finden.” „So ist es, Fräulein, und man murrt schon da
und
dort, daß Seiner Liebden, der Herr Talvogt, nicht zugeben will,
daß die
versprochene Kapelle über dem Föhrenbaum Unserer Lieben Frau
gebaut
wird, man fürchtet schon wieder neu hereinbrechendes Unheil”,
seufzte
Hanna.
Ein Hornruf vom Wald her schreckte Gertrudis von der schmalen
Kniebank
vor dem heiligen Baume auf, wohin sie sich begeben hatte. War es
schon
so spät geworden und kehrte der Vater von der Jagd zurück? Sie
hatte
nicht bemerkt, daß Junker Laurentius sein federgeschmücktes Barett
abnehmend und zum Gebet sich neigend in einiger Entfernung sich
hinter
sie gestellt hatte. Wie er aufblickte, schritt sie auf ihn zu und
reichte ihm die Hand, denn sie erkannte in ihm den Gast ihres
Vaters.
„Erfreut Euch auch dieses Heiligtum?” meinte sie, „schon reichen
Trost
und Hilfe haben viele, wie auch ich, hier gefunden. Besonders gern
suche ich es auf, seitdem meine Mutter nicht mehr auf dieser Erde
weilt.” „Ich verstehe Euch, Fräulein, und ich weiß auch um Euern
Kummer, da Euer Herr Vater nicht zugeben will, daß die
versprochene
Kapelle für „Unsere Liebe Frau“ hier erbaut werden darf.” „Ihr
wißt
dies schon, Junker?” „Ja”, antwortete Laurentius, „und ich
wünschte es
in meiner Macht zu haben, die Kapelle bauen zu können, gern möchte
ich
das Meinige dazusteuern.” „Auch ich”, sagte Gertrudis, „und viele
wollen es im Dorf.” „Dann wird, so Gott will, unser Plan
gelingen”,
sagte zuversichtlich der Junker.
Der Jagdtroß des Talvogtes über die Waldhöhe kommend, näherte
sich.
„Heute Abend schon will ich beim frohen Austrunk im Talschloß bei
Eurem
Vater einen Vorstoß für unseren allgemeinen Wunsch tun. Darf ich
Euch
dann wiedersehen und guten Bescheid bringen, Fräulein?"
„Ach, wie oft schon bin ich mit dieser Bitte abgewiesen worden”,
antwortete Gertrudis traurig. „So hoffen wir auf den Fürspruch und
die
Hilfe Unserer Lieben Frau selber”, meinte guten Mutes der Junker.
Er
neigte sich vor dem heiligen Bild und grüßte Gertrudis zum
Abschied,
denn Hanna, welche etwas entfernt geblieben war, kam und reichte
ihren
Arm dem Fräulein, um es sorgsam den Berg hinabzuführen.
Aber der Talvogt verharrte unbeugsam auf seinem Willen, als Junker
Laurentius ihn in einem geeigneten Augenblick persönlich ob dem
Kapellenbau-Versprechen anreden konnte. „Wozu sollte eine Kapelle
gebaut werden? Hat denn nicht jahrelang der Bildstock auf dem
Giersberg
seine Beter gefunden?” Beinahe wäre es bei dem fröhlichen Abtrunk
in
dem Talschloß zu Kirchzarten zwischen dem Vogt und dem Junker zu
einem
harten Wortstreit gekommen, wenn nicht letzterer um des Fräuleins
willen sich schließlich zurückgehalten hätte.
Längere Zeit, als er es vorhatte, blieb Laurentius von Rost in
Buckerütti zu Gast und schon neigte sich das Jahr seinem Ende zu.
Die
Buchen und Eichen trugen die späten Farben des Herbstes, nur die
ernsten Föhren und Fichten auf dem Giersberg hatten treulich ihr
immergrünes Gewand. Der Junker traf sich gern mit Gertrudis, für
welche
er inniges Mitleid, ja ehrfürchtige Liebe im Herzen barg. Als er
von
ihr schied, versprach er im folgenden Jahr wiederzukommen.
Es war ein harter Winter wie selten. Schwere Schneelast lag auf
den
ausgedehnten Wäldern und brachte manchen Schaden. Der Hartung des
neuen
Jahres führte klirrenden Frost. Als im Hornung die Kälte nachließ,
hofften alle auf das Kommen der nun besseren Jahreszeit. Aber
vergebens, bis in den Maien hinein wollte die Sonne nicht einen
beständigen Schein geben. In der Talvogtei kam kein frohes Leben
auf.
Der Vogt saß im pelzgefütterten Hausrock fröstelnd am Kamin. Ein
schweres Augenleiden hatte ihn befallen. Kein Bader und kein
Medicus
unter den vielen gelehrten Herren der nahen Stadt Freiburg konnte
ihm
Erleichterung bei seinen Schmerzen verschaffen, und eine völlige
Erblindung drohte seinem Augenlicht. Getrudis saß, so viel das
eigene
Befinden es ihr gestattete, geduldig an seiner Seite. Alles, was
sie
selber für den Vater verrichten konnte, tat sie und unterdrückte
jede
selbstsüchtige Klage.
Eines Tages im Maien konnten die Fenster geöffnet werden. Nach
langer
Zeit lag erster warmer Sonnenschein über Berg und Tal und milde
warme
Luft strömte in die Stube, in der das Kaminfeuer erloschen war.
Gertrudis stellte einen Krug mit dem frischen Grün junger Zweige
auf
den Tisch. Wohl konnte sie der Vater nicht sehen, doch sollte er
ihren
herben und belebenden Duft verspüren. Ach, wie hatte sie oben bei
der
Marienföhre die Gottesmutter angefleht zu helfen, damit der Vater
sich
ihr zuwenden möge in seinem schmerzvollen Leiden.
Der Talvogt, dessen kranke Augen mit einer Binde verhüllt waren,
wandte sich seiner Tochter zu, als er ihre Schritte vernahm.
„Gertrudis, du kommst von oben, vom Giersberg, ich verspüre es. Es
ist
wie eine warme Welle, die mich durchrieselt und zu neuem Leben
erwecken
will. Gertrudis, führe mich hinauf zum Föhrenbaum, vielleicht kann
nur
noch von dorther mir Linderung werden.” „Mit Freuden, lieber
Vater”‚
rief Gertrudis bewegt.
Zwei Pferde wurden gesattelt, ein Knecht führte das des Vogtes und
man
ritt durch den frühlingsfrohen Tag gen Buckerütti und von da nach
oben.
Der junge Köbli, der den Pflug durch die feuchte Erde der letzten
schattenwärts gelegenen Äcker zog, staunte nicht wenig, als er den
Vogt, der monatelang das Talschloß nicht verlassen hatte, neben
dem
Fräulein zur Höhe reiten sah. Er hielt einen Augenblick in seinem
Werken still, bekreuzigte sich und sprach ein kräftiges Gebet, daß
dem
schwerleidenden Herrn Hilfe geschenkt werden möge, denn er ahnte,
daß
dieser seinen Weg zur Gebetsstätte vor dem Föhrenbaum nehmen
würde.
Mit frohem, neuem Mut kehrte der Talvogt von oben, dem Giersberg,
zurück. Die Nacht schenkte ihm nach großer Ermüdung stärkenden
Schlaf,
der Morgen ein schmerzfreies Erwachen und neue Frische. Die
kommenden
Tage brachten sichtliche Erleichterung. Täglich wandte er seine
Augen
zu Maria, der Gottesmutter und bat sie um Hilfe. Sie wurde ihm
gewährt
und er selber veranlaßte nun, daß mit dem Bau der Kapelle begonnen
werden solle, und er war von da ab behilflich und besorgt Mariens
Ehre
zu fördern.
Schon im kommenden Monat, es war im Heuet 1710, war eine kleine
hölzerne Kapelle fertiggestellt worden. Der Talvogt hatte den Bau
mit
Eile betrieben, dessen Beendigung seine Tochter sehnsüchtig
erwartete.
Ihr heißer Wunsch war, das Gnadenbild selber in der Kapelle bergen
zu
dürfen. Aber je frischer der Vater sich fühlte, desto müder und
schwächer wurde sie, und zuletzt konnte sie nicht mehr das Lager
verlassen.
Es war nun der vierzehnte des Heumondes, da die von der Gemeinde
Kirchzarten auf ihrem Allmendebesitz auf der Anhöhe des Giersbergs
errichteten Kapelle eingeweiht werden sollte. Der Dekan des
Kapitels
Freiburg, Herr Johann Jakob Brenzinger und so manche angesehenen
Gäste
waren eigens hierzu herbeigekommen. Auch Junker Laurentius vom
Eichsfelde, wie er versprochen hatte. Gertrudis streckte ihm von
ihrem
Lager aus freudig ihre Hände entgegen, als er in ihr Gemach trat.
„Unsere Liebe Frau hat uns erhört, der Vater ist heil an Leib und
Seele, und heute wird das Bildnis der Gottesmutter die
versprochene
Heimstatt finden!” „Aber Ihr seid krank, Fräulein”, der Junker
konnte
kaum seiner Tränen sich erwehren. „Die Gottesmutter hat mein Opfer
angenommen - aber heute fühle ich mich so froh und frisch”, sagte
lächelnd Gertrudis, „daß ich zur Gnadenstätte gebracht werden kann
und
vielleicht darf ich sogar, von Euch und allen geleitet, das
Gnadenbild
selber in die Kapelle bringen.
So war es dann, die Kapelle auf dem Giersberg wurde eingeweiht und
freudig besucht von allen, die sie gewünscht und ersehnt hatten.
Das Fräulein wurde sichtlich schwächer, und als Junker Laurentius
bemerkte, daß seine Nähe ihr wohltat, verblieb er noch länger, um,
wenn
er gerufen würde, an ihrem Lager erscheinen zu können.
Einmal erwartete ihn Gertrudis besonders sehnsüchtig. „Laßt mich
nun
endlich aussprechen, was mir noch auf dem Herzen liegt, Herr
Laurentius”, flüsterte sie. „Vergeßt niemals „unsere Liebe Frau“,
ja
werdet ein Hüter ihrer Gnadenstätte auf dem Giersberg.” „Ich will
es,
so Gott mir helfe”, antwortete der Junker und kniete, seine Hände
zum
Gebet faltend, vor ihrem Lager nieder.
Nach dem Hinscheiden des Fräuleins ließ Junker Laurentius allerlei
Einkünfte seiner Güter der Kapelle „Unserer Lieben Frau auf dem
Giersberg” zukommen und hatte immer ein waches Auge auf das kleine
Heiligtum.
Es waren über zwanzig Jahre vergangen, seitdem die erste
Giersbergkapelle eingeweiht worden war. Um allerlei
Streitigkeiten, die
zwischen dem neuen Talvogt, dem Pfarrer und der Gemeinde um die
rechtmäßige Führung der Kapelle entstanden waren, abzuhelfen,
entschloß
sich Herr Laurentius Rost von Eichsfeld, sein Versprechen, das er
dem
Fräulein gegeben hatte, nun im tiefsten und wahrsten Sinne zu
erfüllen.
Er ließ sein ganzes Vermögen „Unserer Lieben Frau auf dem
Giersberg”
zufließen und verpflichtete sich, ihr dort als einfacher
Kapellenbruder
zu dienen. So kam es dann, daß 1737 „dem um die Wallfahrt
hochverdienten Kapellenbruder Lorenz Rost”, wie er sich nun
bescheiden
nannte, das Heiligtum der Gemeinde der Sankt Galluskirche unter
der
Bedingung übergeben wurde, daß darin „alle Wochen von Ostern bis
Weihnachten fürderhin, ja bis zum Untergang der Welt”, die heilige
Messe für sie gelesen werden solle. Der Pfarrer Joh. Bapt. Molitor
(1714 - 1724 in Kirchzarten) und der neue Talvogt Franz Anton Gehr
anerkannten und genehmigten diese „Cession”.
Sie gestatteten auch gleichzeitig die Restauration und die
Erweiterung der Kapelle.
Anstelle der baufälligen, hölzernen wurde nun eine größere aus
Stein erbaut, auch ein Bruderhaus daneben errichtet.
Die Föhre mit dem Gnadenbildnis wurde kunstvoll in den neuen Altar
eingefügt.
Köbli‚ der auf Buckerütti, der später im Volksmund genannten
„Brigitti”‚ bis zu seinem Tode verblieb, erlebte es noch, daß sein
hochverehrter Herr Junker Laurentius als einfacher Kapellenbruder
dem
Heiligtum auf dem Giersberg diente. Niemals mehr zog es ihn in die
Ferne. Er hatte die Gnadenstätte Unserer Lieben Frau gefunden, an
der
in friedlichen, wie im wirren Lauf der Zeiten viel Segen und Hilfe
sich
kundtat - und so Gott will wird es so fürderhin sein - bis zum
Ende
aller Erdentage.
aus: Alt-Kirchzarten erzählt . . .
Alt-Kirchzarten in Erzählungen
nach Legende, Sage, Chronik und mündlichem Bericht von Erika
Ganter-Ebert
Der Pfaff-Salesi
Anekdoten aus seinem Leben berichtet von Erika Ganter-Ebert
Ja, der Salesi war wirklich „e B’sunderer” und die Gemeinde
Kirchzarten
hat gutgetan, indem sie ihm auch ein besonderes Denkmal setzte.
Sein
Holzbildnis durch die sachkundige Hand Gerhards von Ruckteschell
steht
auf einer kleinen Brunnenmauer am „Pfaffeneck”‚ wo sich mitten im
Dorf
die Straßen kreuzen und wo er, der Salesi, nahe seinem Hof einst
seine
gewichtigen Reden geschwungen hat.
Ganz so, wie er dasteht, mit der seine Zuhörer in Bann haltenden
erhobenen Hand, mit der Zipfelmütze auf dem Kopf, dem aus der
rechten
Hosentasche heraushängenden „Sacktuechzipfel”, mit den Holzschuhen
an
den Füßen, ganz so muß er ausgesehen haben, der Salesi, und hierzu
denke man sich noch seine Donnerstimme, die seinem Namen „Pfaff”
alle
Ehre machte. Schon als kleiner „Knäckis” war er nicht auf den Kopf
gefallen. Überall hatte er seine Augen und Ohren, wenn irgendwo
etwas
los war. Besonders imponierten ihm die Feuerwehrmänner, die
damaligen
„Pumpier”. Doch einmal erregte den kleinen unbeachteten Lauscher
eine
Auseinandersetzung gewiegter Feuerwehrmänner vor einem Festzug. Es
galt
einige im Alter vorgeschrittene Männer, die ihnen nicht mehr zu
einem
strammen Marsch zu festlich schmetternden Trompeten fähig
schienen, mit
irgend einem ehrenhaften Posten zu betreuen. „Jee i waiß, was mer
wenn”, sagte einer der gewichtigsten Männer. „Mer len se als
Melder vum
Kirchdurm aus funktionieren, wenn die Zartener, Buechebächer und
die vu
de andere Däler zum Fescht arucke. Jeder kriegt derzu e Stange mit
nem
Schtrauwisch dra, dann hen mer se abgschaufelt."
Das hat aber dem kleinen Salesi schwer zu denken gegeben. Er hat
hinter
den gewichtigen „Pumpiers” seine Faust geballt und gerufen: „Sell
waiß
i, wenn i emol alt bin, no laß imit nit uf de Kirchdurm schperre,
selle
kenner ei merke!”
Als der Salesi vor nun hundert Jahren, 1864, das Licht der Welt
erblickte, verband die Eisenbahn schon ein Jahrzehnt lang das
südliche
Freiburg mit der nördlicher gelegenen Residenz Karlsruhe. In die
Seitentäler des Schwarzwaldes, wo kühne Felsdurchbrüche und
schwungvolle Brücken gebaut werden mußten, konnte sie erst später
gelangen. Der Salesi und sein Bruder, der Seppli, den man sich
immer
als seinen beständigen Begleiter dazudenken muß, haben dieses noch
erlebt.
Beide waren tüchtige Landwirte. Da ein Stück ihres Ackerlandes
auch an
die neue Durchfahrtslinie der Eisenbahn grenzte, so hatten nicht
nur
sie sondern auch ihre Kühe als Vorspann vor den Wagen sich mit dem
Dasein des unheimlich schnaubenden Dampfrosses, das nun durch das
Tal
fauchte, abzufinden.
Einmal, als der Salesi mit dem Seppli und den Kühen auf dem Acker
nahe
dem Bahngleis waren, wären sie beinahe mit dem herannahenden
Ungetüm in
einen wilden Streit geraten. Als die sonst lammfrommen Kühe das
unheimliche Wesen, die Lokomotive, heranbrausen sahen, stiegen sie
hoch. Salesi hätte es diesen am liebsten gleichgetan. In großer
Angst
und voll Verzweiflung rief er die Hilfe der Gnadenmutter auf dem
fern
vor ihnen liegenden Lindenberg an. Sepple, der im Gegensatz zu
seinem
Bruder Salesi die Geruhsamkeit selber war, dem aber die Natur ein
Hemmnis in der Sprache gesetzt hatte, packte mit fester Faust das
erregtgewordene Gespann und sagte ruhig: „Rief doch d-d-d
Muedergottis
vom Gi-Gi-Gierschberg a - die isch näher!”
Auf der Landstraße und im Dorf ging es damals noch gemächlich zu.
Öfter
hat man das Brüderpaar, den Salesi und den Seppli mit ihren
klappernden
Holzschuhen hinterm Graswägele mit dem Öchsle davor, einhertrotten
sehen, nichts war da, welches die arbeitsmüden Brüder hätte stören
oder
aus der Ruhe bringen können. Wenn es aber dem Öchslein einmal
beliebte
stehen zu bleiben, so taten es die beiden „Schdradege” auch - alle
machten eine Verschnaufpause bis das Öchsle wieder anzog. - Das
muß man
sich heute einmal vorstellen - !
Abends ging man dann gern zum „Noochber”, das waren die
„Krummholze",
und die „Wäbers”. Dort war's nicht nur gemütlich auf der Ofenbank
zu
sitzen, man fand da auch de „Friburger Bott" un d"Friburger
Dagesposcht”. Nie war es aber der Fall, daß der Seppli zusammen
mit dem
Salesi „z’ ‚Nochbere’ gange isch”. Kam er später, so vergewisserte
sich
der Seppli erst ob der Bruder nicht schon da wäre. Er streckte
gewöhnlich den Kopf durch die Türspalte, nahm sein „Pfiffle” aus
dem
Mund und fragte: „Bi-bi-bi scho do?” Und war dies der Fall, so zog
er
sich eiligst wieder zurück und meinte: „’s dohlt ka-ka-kai zwo
G-i-Gi-Gigel uf a-a-aim Hof!” So blieb der Friede gewahrt.
An Festtagen war der Salesi immer in erster Reihe. Besonders
festlich
wurde der Herrgottstag (Fronleichnam) gefeiert. Die Dorfstraße
glich
dann einem frischgrünen Buchenwalde und die ländlichen Häuser
sahen
fröhlich in ihrem bunten Bänder- und Blumenschmuck aus. Ein
Ereignis
war aber immer die jährlich sich ändernde Figurengruppe „an's
Pfaffe
Schiire”, welche eine Darstellung aus dem Heilsgeschehen der Bibel
brachte. Nachmittags nach der feierlichen Vesper, als man Zeit
fand,
gemächlich die geschmückten Häuser und Straßen zu betrachten, gabs
gewöhnlich einen großen Auflauf am Pfaffeneck. Dort stand der
Salesi
mit erhobener Hand und erklärte mit weitvernehmbarer Stimme das
bildliche Gleichnis aus der Heiligen Schrift und wußte alles so
anschaulich auszulegen, daß sogar der Pfarrherr selber erschien,
um
sich an seinem Kollegen im Laiengewande zu erbauen. Weniger
erfreulich
schien dieses Salesis Schwesternpaar zu sein, der Karline und der
Fränz. Sie taten sich fast zu Tode schämen, daß der Salesi ein so
großes Aufheben von ihrer Figurengruppe machte. Jedesmal, wenn
wieder
Salesi die von ihnen gefürchtete große Rede halten wollte,
versprachen
sie ihm den größten Kuchen zu backen, wenn er diesmal schweigen
wolle.
Aber selbst die von ihm so beliebte Süßigkeit konnte ihm nicht den
Mund
verschließen.
An der „Fasnet” mit ihren zahlreichen geschmückten Wagen beim
festlichen Zug durch das Dorf und den Darstellungen aus Sage und
Geschichte auf dem Kirchplatz bei dem Rathaus, war der Salesi
jeweils
der vorderste Mann. Meistens spielte er die Rolle des Talvogtes,
wobei
er sich bemühte, sich in bestem Hochdeutsch auszudrücken. Als
einmal
der Durchzug der bräutlichen Fürstentochter Marie Antoinette zur
Darstellung kam, begrüßte sie Salesi mit den gewichtigen Worten:
„Ich
bin der Vogt des Dales!” Und als er hörte, daß sie sich nun weiter
nach
Freiburg in das altrenommierte Gasthaus „Zum Kopf” begeben wolle,
gab
er ihr den Rat, in Kirchzarten zu bleiben, da es hier noch größere
Köpfe gäbe.
Daß es auch in der sogenannten „guten alten Zeit”
Lausbubenstreiche
gegeben hat, zeigte sich auch in Kirchzarten‚ und wie überall
werden ja
gerade hierfür solche Persönlichkeiten ausgesucht, die wie der
Salesi
in der Öffentlichkeit eine gewisse Rolle spielen.
Die obere Stufe von Pfaffes Haustür war seiner Zeit etwas
abgelaufen,
so daß sich zwischen Stufe und Türe immer mehr eine kleine Öffnung
bildete, die, wenn sie groß genug ist, gern von Hühnern oder
Katzen
benutzt wird, um in das Innere des Hauses zu gelangen. Dieses
lockte
nun tatsächlich ein paar Lausbuben, sich in nicht sehr anständiger
Weise zu betätigen, und der Brunnen neben dem Hause mußte noch das
Seinige hinzutun. Als nun beinahe ein kleines Bächlein sich durch
die
Türlucke durch den Hausgang hinab bis zur „Kuchi” bewegte, ja,
sein
Rinnsal sich schon in diese hineinschlängelte und seinen Weg nach
Salesis in Schtrauschuhen steckenden Füßen nahm, sprang dieser wie
von
einer Viper gestochen auf. Er rannte nach dem Ausgang, suchte nach
dem
vermeintlichen Täter und brüllte: „So e Sauhund! — So e Sauhund! —
Was
so e Sauhund nit fertig bringt!” - Seppli, der ihm langsam gefolgt
war,
meinte zwar zu diesem Tatbestand: „Se-sesell isch ka-ka-kai Hund
gsi,
der sa-sa-saicht nur a-a-paar Spritzer. Se-sesell sind
Lu-Lu-Lusbuebe
gsi!” Diese hatten sich aber schleunigst hinters „Nochbers”
Gartenzaun
verzogen und lachten sich ins Fäustchen.
Einen nicht geringen Schrecken erlebte einmal der Salesi in einer
stockfinsteren Nacht als er hörte, daß eine unheimliche Hand außen
im
Hausgang entlang strich und, daß dann heftig an seiner
verschlossenen
Zimmertüre gerüttelt wurde. Entsetzt sprang er aus seinem Bett,
riß das
Fenster auf und brüllte in die Stille der Mitternacht hinaus mit
seiner
mächtigen Baßstimme: „Ihr Nachbarn, zu Hilfe! Räuber, Mörder,
Diebe im
Hause! O, hätte ich ein Schwert!” Als nun die hilfsbereite
Nachbarschaft mit Laternen, Stöcken, Beilen, oder was man sonst
gerade
erwischen konnte, herbeigeeilt war, zeigte sich der selber
tieferschrockene „Räuber” als der „alte Salesi”, ein Mitbewohner
des
Hauses, der nächtlicherweise eine gewisse Tür aufsuchte und - wie
es so
gehen kann - an eine verkehrte geraten ist. Er, der ohne Lug und
Trug
war, unser Salesi, konnte aber zuweilen auch einmal boshaft
werden,
besonders, wenn es sich um „Dratschwieber” handelte. Von diesen
sagte
er: „Wenn selle mol schterbe, derno mueß mer ne ’s Mulwerk no
extra mit
’nem Schlappe dotschlage”.
Der Pfifli-Geischt
„Heiner”‚ so sagte der Salesi zu seinem viel jüngeren Freund.
„Los, was
ich d'r sage will. Du bisch au einer, der gern in d’Bücher
nieluegt,
merk ders guet, under mim Bett liege se - leng se d'r, wenn mi Zit
do
isch.” Ja, der Salesi war ein Bücherwurm und die Heimatgeschichte
und
die Sagen der Gegend kannte er wie kaum einer. Über jeden
Geisterspuk
wußte er Bescheid, wo einer gehen muß, weil er den Grenzstein
verrückt
hat, oder wo eine andere Untat in Gestalt eines schwarzen Hundes
oder
in der einer Katze mit feurigen Augen gebüßt werden muß, alles
wußte
er.
Aber einmal geschah es, daß er selber vor einem Gespenst Reißaus
genommen hat, und wie das kam, hat er seinem jungen Freund, dem
Heiner,
berichtet.
Eines Abends spät begab sich der Salesi nach seinem
Wiesengrundstück‚
das nicht weit vom Engenwald beim Bruggabach lag. Er war nämlich
an der
Reihe, am andern Tag das Bruggawasser seiner Matte zuleiten zu
dürfen.
Nun geschah es aber dann und wann, daß ein sogenannter
„Wasserdieb”
diesem Recht zuvorkam, was gewöhnlich nächtlicherweise geschah. Um
nun
einem solchen Falle vorzubeugen und einem eventuellen Dieb sein
Handwerk zu legen, hatte sich Salesi entschlossen, auf seiner
Wiese die
Nacht über Wache zu halten.
Es war eine stürmische Nacht. Der Wind brauste durch die Wipfel
des
Engenwaldes, und dunkle Wolken jagten über die helle Scheibe des
Mondes, so daß sich willkürliche Schatten über die weitgebreitete
Matte
bewegten. Salesi hatte sich neben einem Weidenbusch am Rande der
Brugga
niedergelassen. Er steckte sich seine Pfeife an, seine ständige
treue
Begleiterin‚ was ihm eine gewisse gemütliche Sicherheit
verschaffte. Er
schmauchte und zog regelmäßig an seiner Pfeife. So verging einige
Zeit,
in der nichts Besonderes geschah. Auch hörte man nichts außer dem
zeitweiligen Aufheulen des Sturmes, oder das gleichmäßige Rauschen
der
Brugga. Die Dorfkirchenuhr zeigte nun mit ihrem Doppelschlag die
mitternächtliche Stunde an. Die Mitternacht hat doch immer „so
ebbes
Bsunderes” dachte nun Salesi bei sich, dabei zog er immer
kräftiger an
seiner Pfeife, was ihm jedesmal neue Beruhigung schenkte. Aber -
was
war das nun auf einmal? - In seiner allernächsten Umgebung hörte
er ein
unheimliches Geräusch. Es war wie ein Gurgeln - es kam und ging,
mal
rascher, mal langsamer. Er sah sich um - nichts war zu sehen. Ob
er
wollte oder nicht, alle Gespenstergeschichten fielen ihm mit einem
Male
ein und umtanzten seinen Geist in spukhaftem Reigen. Der kalte
Schweiß
brach ihm aus. Auch sein gutes Pfifle konnte ihm nicht mehr
helfen, es
war ausgegangen und er hatte keine Lust mehr es wieder anzuzünden.
Er
hatte es satt, das nächtliche Wachehalten und man kann nicht
wissen -
ja man kann nicht wissen, ob vielleicht auch hier etwas nicht ganz
geheuer ist - und keine Ruhe findet? Er steckte rasch seine Pfeife
ein
und machte sich auf die Beine und lief und lief, so rasch er
laufen
konnte und sah nicht mehr um, bis er glücklich vor seiner Haustüre
stand, den Schlüssel unter ihr hervorgezogen, sie aufgeschlossen
und
hinter sich wieder fest zugeschlossen hatte. Nun atmete er auf.
Aber zu
Bett gehen und schlafen, das konnte er noch nicht. Er schlich sich
in
die Wohnstube und zündete die Lampe an - was für einen guten
Schein die
gab! - Aber jetzt noch ein „Chrisiwässerli” und ’s Pfifli wieder
angesteckt, dann „ka’s si, daß mer wieder bienander isch”. - Wie
der
Salesi auf der Ofenbank sitzt, seine Pfeife anzündet und so recht
zufrieden einen tiefen Zug macht, da wär ihm fast das Pfeifle aus
dem
Mund gefallen - denn ’s het widder gurgelt! - Aber mit einem Male
merkt
er - „sel war jo im Pfifesäckli drinne”. Im Pfeifensäcklein, das
unten
an der Pfeife hing, hat sich das dort gesammelte Wasser bei jedem
Zug,
den er aus der Pfeife tat, den Gurgelton hervorgerufen. Ja, jetzt
war's
ihm klar „wo dr Geischt g’hockt isch”.
Manches wäre wohl noch aus den Lebenstagen unseres Salesi zu
berichten und selbst sein letzter war von einiger Bedeutung.
Es war im Februar 1929, der sich durch besonderen starken Frost
hervorhob. Da ging Salesi, wie er es gewöhnlich tat des morgens
früh
zur Kirche. Nach dem heiligen Opfer sah er draußen auf dem
Gottesacker
wie der Totengräber mit großer Mühe und Anstrengung ein Grab
aushob,
denn durch die ungewöhnliche starke Kälte war die Erde ein Meter
tief
gefroren. „Karle!” - rief ihn Salesi an - „des tät i jetzt dem
Dodegräber nit z’leid, jetzt z’schterbe!” -
Doch das lag nicht in seiner Macht, noch am selben Tage erlag der
Salesi einem Herzschlage, in seinem 65ten Lebensjahr. Das nächste
Grab
mußte für ihn ausgehoben werden.
Ja - man muß es schon sagen, der Salesi „isch e Bsunderer gsi”!
aus: Alt-Kirchzarten erzählt . . .
Alt-Kirchzarten in Erzählungen
nach Legende, Sage, Chronik und mündlichem Bericht von Erika
Ganter-Ebert
Die Brigitti-Hex
Alt-Kirchzartener Sage nach mündlichem Bericht von Erika
Ganter-Ebert.
Vor langer, langer Zeit war da mal ein Hirtenbüble, welches das
Vieh
vom Matthießlehof hütete. Als es wieder einmal oben auf der Matte
nahe
dem Giersbergwald beim Hüten war und kurz vor dem Heimtrieb der
letzte
Abendschein auf den Bergen lag, da raschelte es im nahen Hag und
ein
uraltes Weiblein auf einen Krückstock gestützt huschte aus dem
Dickicht. Dem Büblein kam dieses Weiblein recht „bsunders” vor. Es
kannte es nicht und es konnte doch alle Leute vom Tal und den
umliegenden Höhen mit Namen nennen, schon vom Sonntag in der
Dorfkirche
her und von den großen Markttagen davor. Das Weiblein trug auch
eine
uralte Tracht, wie sie keiner mehr im Dorf und im Tal oder in den
einsam verstreutliegenden Gehöften an den Berghängen trug. Es
bückte
sich da und dort, als ob es etwas Verlorengegangenes suchen wolle
oder
schob mit seinem Krückstock lose Steine zur Seite. Als es dann
bald
wieder verschwunden war und das Vieh unruhig wurde und sich zum
Heimgang zusammendrängte, führte das Büblein es zum Hof hinab und
hatte
auch bald die seltsame Erscheinung vergessen.
Da ihm aber immer wieder das sonderbare Weiblein zur Abendzeit
beim
ersten Schrei des Waldkauzes auf einem bestimmten Weg begegnete
und
nach kurzer Zeit spurlos verschwand, wurde es dem sonst recht
kecken
Buben doch etwas gruselig zumute, und unten im Hof berichtete er
dem
Buer was er gesehen und erlauscht hatte. Der kratzte sich am Kopf,
räusperte sich und meinte: „I rat dr wohl, loß sel Wieble in Rueh,
sell
duet dir nix und du solsch’m au nix due.”
Wenn dann der Bube von da ab das Weible dann und wann erblickte,
verhielt er sich ruhig und ließ es ungeschoren seines Weges gehen,
es
war ihm aber auch, wie gesagt, immer etwas gruselig bei der Sache.
Jahre waren vergangen. Das Hirtenbüble ist ein großer starker
Bursch
geworden und ein tüchtiger Metzgergeselle obendrein. Da kam er
wieder
einmal in die Heimat, das Dreisamtal, zurück. Er umging es auch
nicht,
den inzwischen altgewordenen Matthießlebuer in seinem Hof in Höfen
aufzusuchen. „Was isch au aus dem bsunder Wieble wore? - Laufts no
de
Weg vo früher?”‚ so fragte er den Alten, als sie gegen Abend bei
einem
„Veschperle” mit Most und Räucherspeck saßen. „S’wird halt immer
noch
umgehe mieße” - meinte dieser - „bis alles büßt isch, was es
bosget
het.”
Bald, als es vom Höllental her schon kühl geweht hat, ist der
Bursche
aufgebrochen. - Er ist aber nicht dem Dorf Kirchzarten zugegangen,
sondern, weil es ein schöner Sommerabend war, hat er seinen Weg
zum
Mättle hinauf nach dem Giersbergwald genommen. Im Wald war es
schon
dämmerig und der Abendwind rauschte leise in den dunklen
Tannenwipfeln.
– Da - der Schrei eines Waldkauzes brachte ihm die Erinnerung an
das
„bsundere Wieble” seiner Hüterbubenjahre wieder. „He, heda, du
Kruckili, bisch du noch do?”, rief er keck- „kumm jetz numme,
jetz,
gruselts mer’s nimme, jetz nimis mit’r uf!” Kaum gerufen, fuhr ein
kalter Windstoß daher und das gerufene Weiblein stand hart vor
ihm. Dem
aber war vor Schrecken Hören und Sehen vergangen.
Erst am anderen Morgen früh, als es Betzeit läutete, fand er sich
beim
letzten Glockenschlag wieder beieinander, doch er lag unten in der
„Brigitti” mit den Beinen im Sumpf, dort wo einst das uralte
Wasserschloß Buckerütti stand und jetzt noch das Hofgut
Birkenreute zu
sehen ist.
Zum Matthießlebuer ist er dann nicht mehr gegangen - und wenn er
sein
Abenteuer mit dem gespenstigen Wieble nicht einmal im alten
Gasthof
„Zum Rindsfuß”, jetzt „Fortuna”, bei einem „Viertele” zum Besten
gegeben hätte, wüßten wir von dieser Begebenheit nichts.
Ob das Weiblein heute noch geistern muß, weiß ich nicht. Doch das
ist
sicher - in den Köpfen der Kirchzartener spukt es immer noch, denn
alljährlich nach der „Fasnet” wird die „Brigitti-Hex” als
Strohpuppe
zur Gaudi von allen verbrannt - und, man sollte es nicht glauben
- die „Häxe”, ihre Gefolgschaft, sind eine ehrbare
Fasnet-Zunft
geworden.
aus: Alt-Kirchzarten erzählt . . .
Alt-Kirchzarten in Erzählungen
nach Legende, Sage, Chronik und mündlichem Bericht von Erika
Ganter-Ebert
Marie Antoinettes Reise durch das
Höllental
Eine heitere Erzählung nach mündlichen Bericht
von Erika Ganter-Ebert
Dort, wo noch vor Zeiten der Rotbach als ein wahrer Höllenbach
durch
die wilde Felsenschlucht des Höllentales sich ungestüm einen Weg
bahnte
und wo nur ein schmaler Saumpfad mit aller Vorsicht begangen
werden
konnte, herrschte früh im Jahre 1770 ein unheimliches Treiben. Mit
mächtigem Getöse fielen altersgraue, von Efeu wild umwucherte
Felsen,
berstend auseinander, und gaben so einen breiteren Durchgang durch
das
enge Felsenlabyrinth frei. Die geheimen Schlupfwinkel einstiger
Wegelagerer waren schon früher verschwunden, aber jetzt mußte eine
durchfahrtssichere und genügend breite Straße angelegt werden. Ja,
dieses war notwendig, denn von der kaiserlichen Residenz in Wien
waren
zur Durchfahrt der fünfzehnjährigen Erzherzogin Marie Antoinette‚
der
jungen Braut des Dauphin und späteren Königs Ludwigs des XVI.ten
von
Frankreich, sechzig Karossen gemeldet worden. Und so werkten und
fronten die in der Umgegend und auf den einsamen Höhen wohnenden
Bauern, wie schon fünfzehn Jahre zuvor, als man den schmalen
Fußsteig
fahrbar machte. Diesmal tat man es mit geheimer Freude, denn das
muß
ein wahres Spektakel geben, wenn die prunkvollen Hofkarossen mit
dem
Doppeladler darauf durch ihr einsames Felsental den Weg nehmen
werden.
So wurde denn die Fahrstraße verbreitert und die tiefer zum
Höllenbach
abfallenden, gefährlichsten Stellen der Schlucht mit Geländern
versehen, die mit dem fröhlichen Rot und Weiß des Freiburger
Stadtwappens angestrichen waren.
In der Stadt Freiburg wurden schon große Vorbereitungen getroffen,
denn
die junge Prinzessin sollte zum Abschied vom heimatlichen Boden
mit
allen Freuden des Daseins umgeben werden.
An einem frühen Morgen im Mai, der Feldberg trug noch seine
Schneekrone, fuhr das junge Fürstenkind noch etwas müde von den
über
eine Woche lang dauernden Abschiedsfeierlichkeiten in Wien und den
mütterlichen Ermahnungen und den Vorbereitungen, die für eine
zukünftige Königin von Frankreich notwendig waren, durch den
frischgrünen Schwarzwald. Hier, wo in das ungestüme Rauschen des
Wildbaches sich der erste Laut der Vögel mischte und eine
herbfrische
Morgenluft alle eingenickten Schläfer erwachen ließ, zog Marie
Antoinette den seidenen Vorhang des Karossenfensters zurück und es
öffnend atmete sie die würzige Luft tief ein. Sie stieß sachte die
noch
immer im Morgenschlafe in die Polster zurückgesunkene
Oberhofmeisterin
von Paar an und flüsterte der erwachenden den Wunsch zu, hier, in
diesem romantischen Schwarzwaldtale eine kurze Rast machen zu
dürfen,
um vielleicht ein kleines Picknick halten zu können. Die
Oberhofmeisterin lächelte etwas verlegen, denn eigentlich war vor
Erreichung der „viellieben” Stadt Freiburg kein Aufenthalt so kurz
vor
diesem Ziele vorgesehen. Aber sie wolle versuchen, ob der Wunsch
zu
einer kleinen Rast, sich hier in dem ihr etwas wild und unwirtlich
erscheinenden Tal arrangieren ließe. Die Prinzessin klatschte
kindlich
froh in die Hände, sprang von ihrem Polstersitze auf, so daß von
ihrer
hochgetürmten, von dem aus Paris extra nach Wien beorderten
Coiffeur
aufgebauten Frisur, eine leichte Puderwelle herniederrieselte. Sie
schüttelte ihre Reisekleidung zurecht, welch der Robe einer
Schäferin
auf einem Watteaubilde glich, und nickte so freundlich der, neben
der
kaiserlichen Karosse reitenden Ordonanz zu, daß man den
fürstlichen
Wunsch eiligst nach vorne gab. Es wurde nach einem einigermaßen
entsprechenden Ort und Ruheplatz gefragt, und man erfuhr, daß sich
nicht mehr weit ein stattlicher Hof erreichen ließe, an dem auch
gewöhnlich die Postfuhre und die spärlichen Reisewagen halten
würden.
Die nicht an solchen Umtrieb gewöhnten, wackeren Leute des Hofes
waren
glücklicherweise schon früh auf, denn man lebte etwas in Unruhe
und
Spannung auf das große Ereignis, der Durchfahrt der kaiserlichen
Karossen und Equipagen, die man erwartete. Als man erfuhr, daß die
Prinzessin ein kleines Frühstück im Hofe einnehmen wolle, legte
eiligst
die Posthalterin selber ihre feinste selbstgesponnene mit
eingewebter
Borte versehene Linnendecke auf den Tisch der Nebenstube, in
welcher
gewöhnlich die vornehmeren Reisenden Platz nahmen. Aus dem
kunstvoll
geschnitzten und gemalten Spinde in der sogenannten guten Stube
entnahm
sie das feine Kaffeeservice, ein wahrhaft fürstliches Geschenk,
das sie
zu ihrer Hochzeit erhalten hatte und stellte es sorgsam auf den
gedeckten Tisch.
Der Kaffee brodelte schon und brauchte nur in die Kanne gegossen
werden, als die ersten Vorreiter ansichtig wurden. Gebäck aus Wien
könne der Proviantierung entnommen werden, war die Kunde. Ein
feines
strohgeflochtenes Körbchen stand hierfür bereit.
Da stürzte der Nachbar, der Jöcklisbuer, mit seinem Knecht herbei.
Es
sei eine große Wasserlache vor dem Hause, und die hochfürstliche
Prinzessin könne doch nicht mit ihren feinen goldenen oder
seidenen
Schühlein da hindurchgehen. Der Knecht war ein ganz gescheiter,
einer,
der sozusagen „das Gras wachsen hört”. Er rannte in der
Posthalterin
bessere Stube und zog dort den großen Teppich unter dem Tisch und
Kanapee hervor und eilte damit zu dem durch das Schneewasser
aufgequollenen Vorplatz, diesen damit zu bedecken. Aber, o weh,
der
Teppich war doch zu kurz und reichte nicht zu dem Wege, wo die
Kaiserliche Karosse halten würde. Aber der Jöcklisknecht wußte
neuen
Rat. Er holte aus dem Nebenzimmer die große pelzgefütterte
Reisedecke,
die dort über einer Holztruhe lag und welche ein vornehmer,
reicher
Ausländer liegenließ und bisher nicht wieder abgeholt hatte. Aber
immer
noch nicht reichte die nebeneinander gebreitete Bedeckung bis zu
der
erwähnten Stelle aus. Eine dritte Decke wäre mindestens notwendig
gewesen. „Oha”, sagte der Jöcklisknecht. „Jetz weiß i, was mer
wenn,
isch d’Prinzessin über de erschde Deppich gloffe, ziege mer’n weg
und
leg’n derno widder vorne dra.” So war die Sache abgemacht, aber
ganz
glatt ist sie danach nicht abgelaufen. Als der, mit dem
Doppeladler
geschmückten kaiserlichen Hofkarosse die liebreizende Prinzessin
in
ihrer Schäferrobe entstieg, dem kurzen himmelblauseidenen Jupe und
dem
à la polonaise gerafften rosigen Überkleide mit dem schmalen
Mieder und
dem tiefen Decolte, dazu das wippende Blumenhütchen auf der hohen
Frisur, da hätte beinahe vor lauter Staunen die ganze
Teppichlegerei
versagt. „Oha”, sagte wieder der Jöcklisknecht. Dann boxte er den
Buer
in die Rippen und rief: „Hü - hott‘, jetz numme los!” Er und der
Bauer
packten mit festen Fäusten den ersten Teppich und legten ihn vor
den
Tritt der Karosse und schnell die große Pelzdecke davor. Aber,
weiß der
Himmel, da war das Hühnergatter schon offen und ein
aufgescheuchtes
Huhn, man weiß ja wie so Hühner sind, lief laut gackernd über die
ausländische Decke, auf der sie noch - o Schreck - etwas
hinterließ,
der Decke, welche gerade das prinzeßliche Seidenschühlein betreten
wollte, und da auch der Haushahn hinterher sein Kikeriki
trompetete,
das war für die Teppichleger zu viel. Sie zogen den ersten
Teppich, um
ihn wieder eiligst vor den zweiten zu legen, zu früh weg, indem
der
spitze Absatz eines Prinzessinnenschuhes ihn noch nicht verlassen
hatte, so kam es, daß die Prinzessin auf ihre Knie fiel und dem
verdutzten Wirt zuerst ihre Reverenz machte. Was aber dem Faß den
Boden
ausschlug war, daß dem Jöcklisknecht sein üblicher
Verlegenheitsausruf
herausfuhr, indem er dem Bauern zurief: „Jetz hemer aber e Sau
uffghebt
!".
Ja, das war alles zu viel. Aber schon war die Prinzessin mit Hilfe
der
beherzten Posthalterin, welche in ihrer schönen Tracht mit der
seidenen
Schürze herbeigeeilt war, wieder aufgesprungen und sie lachte und
lachte und umhalste die behäbige Helferin bis der Bann gebrochen
war
und alle, bis auf die steifen Hofschranzen neben der kaiserlichen
Karosse, mitlachten. „So a Gaudi, so a Gaudi !”, rief die
Prinzessin
lustig aus, hätte sie in ihrem Leben noch nicht gehabt und würde
sie
wohl auch nie mehr erleben. So wurde denn eine recht fröhliche
Frühstückspause in der morgenfrischen Waldschlucht des Höllentales
gehalten.
aus: Alt-Kirchzarten erzählt . . .
Alt-Kirchzarten in Erzählungen
nach Legende, Sage, Chronik und mündlichem Bericht von Erika
Ganter-Ebert