Prof. Dr. Leo Pollmann
*3. Mai 1930 in Bocholt bis 19. Dezember 2009 Stegen
Prof. Leo Pollmann, Ölgemälde - Ausstellung im Bürgersaal Stegen 6.5.- 24.5.1996
Nachruf auf Prof. Dr. Leo Pollmann (1930 – 2009)
• Ort: Regensburg / Freiburg i. Br.
• Disziplinen: Literaturwissenschaft
• Sprachen: Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Weitere romanische Sprachen
Am 19. Dezember 2009 ist Prof. Dr. Leo Pollmann (*3. Mai 1930 in
Bocholt) in Stegen / Breisgau verstorben. Dorthin hatte er sich nach
seiner Emeritierung zurückgezogen. Seinen „wissenschaftliche[n]
Werdegang“ hat er aus der Distanz seiner späten Jahre für den von
Klaus-Dieter Ertler herausgegebenen Sammelband Romanistik als Passion
ohne Überheblichkeit, aber im Bewusstsein seiner auch durch Malkurse
geförderten „Sensibilität für künstlerisches Gestalten“ skizziert.
Außerdem prägte der von ihm als leitendes Denkmodell erkannte Gedanke,
dass „alles sich wandelnd ruht“ seine Lebensführung wie sein
berufliches Ethos.
Der vielseitig begabte und interessierte Abiturient immatrikulierte
sich zunächst für das Hauptfach Altphilologie in Münster, aber ein
Angebot des Pariser Laienordens Les Chevaliers de Saint-Bernard, für
einige Zeit in seiner Klostergemeinschaft zu hospitieren, ermöglichte
ihm trotz der Einschränkungen der Nachkriegszeit die Fortsetzung seines
Studiums an der Sorbonne und den Wechsel zur Romanistik. Bereits 1953
verheiratete er sich mit der in Baden beheimateten Ruth Herbstrith. Sie
bewog ihn, nach Freiburg zu wechseln, wo er das Staatsexamen ablegte
und 1965 bei Hugo Friedrich mit einer mediävistischen Dissertation über
die Geschichte der Amortheorie promovierte. Danach war Leo Pollmann
während eines Jahrzehnts im höheren Schuldienst tätig. Seine
beeindruckende Arbeitsdisziplin ermöglichte es ihm gleichzeitig, durch
erste Publikationen auf sich aufmerksam zu machen und außerdem „zu
Hause Seite um Seite und Anmerkung um Anmerkung“ seine
Habilitationsschrift Die Liebe in der hochmittelalterlichen Literatur
Frankreichs zu verfassen, was ihm bereits 1966 einen ersten Ruf an die
Technische Universität in Berlin eintrug. Von dort aus nahm er die
Gelegenheit zu einer Gastprofessur an der Universität Valparaiso in
Chile wahr, wo er mit dem ihn kennzeichnenden Enthusiasmus den damals
im deutschsprachigen Bereich noch weitgehend unerschlossenen
literarischen Kontinent Lateinamerika für sich zu entdecken begann.
Schon früh hatte Leo Pollmann seine romanische Sprachkompetenz an der
Dolmetscher¬hochschule in Germersheim erweitert und gefestigt und zudem
Arabischkurse besucht, was ihn dazu beflügelte, „ohne durch
Prüfungsordnungen dazu verleitet zu sein“ 1965 die eigenständige
Publikation „Trobar clus“. Bibelexegese und hispano-arabische Literatur
vorzulegen, eine Thematik, die ihn nachhaltig beschäftigte und die er
dann in Spanische Literatur zwischen Orient und Okzident (1996) wieder
aufgriff und vertiefte.
Wer dem nach seiner Rückkehr aus Lateinamerika schon bald nach Erlangen
Berufenen unterstellte, er werde wohl über die sprachlichen und
literarischen Entdeckungen an der Peripherie der Romania die in seiner
Disziplin zentrale Aufgabe der Ausbildung von FranzösischlehrerInnen
vernachlässigen, konnte mühelos eines Besseren belehrt werden, hatte
Leo Pollmann doch bereits 1966 die mehrfach aufgelegte, in verschiedene
Sprachen übersetzte Monographie Sartre und Camus, und zwei Jahre danach
Der frühe Roman in Frankreich und Lateinamerika vorgelegt, um dann
zwischen 1974 und 1978 als Krönung im Alleingang eine als
„Bewußtseinsgeschichte“ konzipierte dreibändige Geschichte der
französischen Literatur zu veröffentlichen. Mit einer eigenen
Publikation Literaturwissenschaft und Methode, die 1973 in zweiter
Auflage erschien, hatte er außerdem zuvor seine Kompetenz in
theoretischen Fragen dokumentiert.
Nach der 1978 erfolgten Annahme eines Rufs auf den vakanten zweiten
literaturwissenschaftlichen romanistischen Lehrstuhl in Regensburg
erfüllte Leo Pollmann dort alle in ihn gesetzten Erwartungen. Er
brachte seine inzwischen gewonnenen Erfahrungen in die akademische
Selbstverwaltung ein, und bewährte sich als kompetenter und
hilfsbereiter Kollege. Die StudentInnen fanden bei ihm stets Gehör für
ihre Interessen und Probleme.
Mit besonderer Freude konstatierte Leo Pollmann nach dem Ende der
Franco-Diktatur unter der nachwachsenden Studentengeneration eine neu
erwachte Aufgeschlossenheit für Spanien und Lateinamerika. Er knüpfte
Kontakte zu dortigen Literaten und Kollegen und wurde vom
Goethe-Institut ermuntert, eine ausgedehnte Vortragsreise nach
Argentinien und angrenzende Staaten zu unternehmen. Seine mehrfach ins
Spanische übersetzten Veröffentlichungen über die literarische
Selbstentdeckung und Selbstverwirklichung eines ganzen Kontinents
hatten dem Gast aus Übersee dort großes Ansehen verschafft, wie auch
die von seinen Schülern Eckhard Höfner und Konrad Schoell
herausgegebene Festschrift zu seinem 60. Geburtstag belegt. Freilich
gab sich der von seinen Gastgebern bis zum Exzess gefeierte und
beanspruchte Amerikareisende nach seiner Rückkehr zum ersten Mal
Rechenschaft über die auch ihm gesetzten Grenzen hinsichtlich seiner
Belastbarkeit.
Nach dem Tod seiner Frau (1998), die nicht nur stets der Mittelpunkt
der fünfköpfigen Familie war, sondern auch seine literarischen
Interessen geteilt hatte und auch als Übersetzerin spanischsprachiger
Lyrik hervorgetreten war, brauchte der Witwer längere Zeit, um sich im
Leben wieder zurechtzufinden. Hilfreich war ihm dabei die erneute
Beschäftigung mit dem Arabischen, „zu dem diesmal ein intensives
Studium des Korans kam.“ Es geht kaum zu weit, in dem bereits vor
seiner Emeritierung immer intensiver werdenden Interesse für weibliches
Schreiben, das in zahlreichen Publikationen seinen Niederschlag fand,
auch eine Hommage an seine Frau zu sehen.
In dem Rückblick auf seinen wissenschaftlichen Werdegang hatte der
Mittsiebziger zuversichtlich geäußert, dieser sei „immer noch nicht
ganz abgeschlossen.“ Die zehn Jahre nach dem Tod seiner Frau
erschienene umfangreiche komparatistische Abhandlung Sternstunden
weiblichen Schreibens zeigte es ebenso wie die vor wenigen Monaten
veröffentliche Monographie Was steht wirklich im Koran? Befremdlich ist
dieser Titel lediglich für diejenigen, die nicht um das intensive
Arabischstudium des jungen Romanisten wissen und seine enge Bindung an
die Chevaliers de Saint-Bernard. Der streitbare missionarische Eifer
des Gründers und Abts von Clairvaux im Dienst der Kreuzzugidee war dem
ebenso toleranten wie unaufdringlichen, aufgeschlossenen wie
reservierten Kollegen und akademischen Lehrer eher fremd. Dazu gehört
die gleich zu Beginn seines letzten Buchs getroffene Feststellung,
Islam als Bezeichnung für die dritte der drei monotheistischen
Weltreligionen hänge mit dem arabischen Wort für Friede, salám,
zusammen. Er hat dieses Wissen stets beispielhaft vorgelebt und
umgesetzt.
Johannes Hösle, Univ. Regensburg
Von: Johannes Hösle via Jochen Mecke
Publiziert von: Kai Nonnenmacher