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Das „große Sterben“ im Freiburger Umland
Von
Konrad M. Müller

Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland  129. 2010 - Seite: 90 bis 94

Waren die Jahrhunderte des Mittelalters - wie der Aus-der-Ferne-Blickende sagt - „finster"? Es gab sicher zu allen Zeiten als „finster" zu bezeichnende Ereignisse. Strahlend sollte die Zeit der Stadtgründungen genannt werden können: Freiheiten und Rechte u.a. waren die Errungenschaften der Stadtbürger. Sie besaßen, was der Landbevölkerung fehlte. Auf was die Städter verzichten mussten, war Platz. Die Stadthäuser drängten sich auf engstem Raum. Möglichst hoch gebaut und in die Straße hineinragend standen die Gebäude. Doch dieses Zusammenleben in der engen Stadt barg auch Gefahren. Als die Pest um die Mitte des 14. Jahrhunderts aus dem Orient das Abendland wie eine Welle überflutete und ein Drittel, teilweise sogar die Hälfte und
mehr Opfer forderte, war noch nicht bekannt, dass diese Seuche immer wiederkehren würde. Sie blieb als andauernde Gefahr jahrhundertelang in der Stadt hängen. Wenn im Folgenden von der Pest die Rede ist, dann sind damit grundsätzlich die großen Seuchen gemeint, die bis in das 19. Jahrhundert Europa heimsuchten und allgemein mit der Bezeichnung „Pest" belegt werden. Ob es sich dabei um die von dem Bakterium „Yersinia pestis" verursachte Krankheit handelte, muss aus heutiger Sicht in vielen Fällen angezweifelt werden. Sollte es sich dennoch um die „richtige" Pest gehandelt haben, dann wurde diese durch Ratten, die auf den Handelsschiffen in jeden beliebigen Hafen des Mittelmeeres gelangen konnten, mitgebracht. Im Rattenpelz aber lebten Flöhe, die wiederum die Krankheitserreger der Pest trugen. Mit den Ratten und infizierten Kranken wanderte die Pest unerkannt von Ort zu Ort. Inmitten der eng zusammengebauten Häuser fühlte sich die Ratte und auch der Floh wohl. Dieser lebte vom Blut der Ratte solange, bis das Pestbakterium in die Blutbahn der Ratte gelangte. Die Ratte starb und die Flöhe suchten sich frisches Blut, am liebsten bei den menschlichen Hausbewohnern. So begann die Menschenpest. Mit Fieber und schweren Kopfschmerzen brach sie aus. Nach und nach erkrankten die Organe, an den Lymphknoten entwickelten sich die sogenannten „Pestbeulen" und nach wenigen Tagen trat der Tod ein. Nach einiger Zeit verebbte die Pest, um dann wenige Jahrzehnte später wiederzukehren. Verheerend war z.B. in Freiburg die Pest von 1564. Täglich starben 20 bis 30 Personen. Vom Juli dieses Jahres bis Weihnachten starben ungefähr 2.000 Freiburger. Die Pestgeschichte Freiburgs1 soll nun mit der Geschichte der Umlandgemeinden -jedoch ohne die Kaiserstuhlgemeinden - fortgesetzt werden.


Stegen


Die Geschichte der Schlosskapelle, die vor den Dreißigjährigen Krieg zurückreicht, könnte leicht die Vermutung begründen, dass zu ihr ein Pestereignis gehört. Am 21. Oktober (Gedenktag
der hl. Ursula) 1517 wurde die Stiftung einer Muttergotteskapelle niedergeschrieben. Der Ursulatag ist zu beachten, denn die hl. Ursula gehörte neben dem hl. Stephan, hl. Georg,
hl. Nikolaus und der hl. Margaretha zu den Kapellenpatronen. Zu dieser Zeit war hier folglich keine Sebastianskapelle. Außerdem geht aus dem Stiftungsbrief nicht hervor, ob es eine Vorgängerkapelle gab oder ob diese neu errichtet wurde.
Abt Speckle von St. Peter muss noch andere Quellen gekannt haben, denn er behauptet, dass die Kapelle mit Friedhof das erste christliche Gebäude der Gegend sei, worauf vielleicht der
Stein im Fenstersims mit eingemeißelter Jahreszahl 1504 hinweist. In dem genannten Jahr soll Hans von Reischach, der Besitzer des Schlosses zu Weiler (Weyler), den Bau der Kapelle in Auftrag gegeben haben. Das dort befindliche Gemälde des hl. Sebastian mit dem Schloss, der Kapelle und der Burg Wiesneck stammt aus dem 16. Jahrhundert. In diese Zeit könnte auch die Gründung einer Sebastiansbruderschaft zurückreichen, obgleich der älteste Nachweis ihrer Existenz aus dem Jahr 1663 stammt. Die Kapelle diente wohl den Mitgliedern als Versammlungsort. Dies dürfte ein Grund dafür sein, weshalb sich der Name Sebastianskapelle als Bezeichnung durchsetzte. Zur Kapellenausstattung gehörten eine Glocke von 1731 mit dem hl. Sebastian, eine Sebastiansfahne, die 1884 Dominik Weber aus St. Peter anfertigte, und ein Rundbild des hl. Sebastian nach Art der Nazarener an der Langhausdecke, das um 1894 der Freiburger Kunstmaler Joseph Schultis malte.

Abschließend sei daraufhingewiesen, dass sich im andernorts gesicherten Pestjahr 1611 die Seuche möglicherweise auch in Stegen bemerkbar gemacht hat. Es gibt einen Berain von 1610, in dem Mathäus Tengler, Besitzer des „Schemberslehen" (heute Räuchlehof), und Hans Hilttin, Inhaber des Bauernhofs „Zum Brunnen" (heute Reckenhof), genannt sind. Beide Namen sind in späteren Dokumenten nicht mehr nachzuweisen. Dass die Familien an der Pest starben, kann nicht ausgeschlossen werden. (
Maximilian Walter: Geschichte der Gemeinde Stegen, Stegen 1920, S. 78-80, 118f. und 130-133; Manfred Müller: Schloßkapelle Stegen-Weiler, Ottobeuren 1987, S. 5.)

Zarten und Kirchzarten

Für Zarten sind lediglich in den Jahren 1627/28 Pestfälle überliefert, wobei über deren Auswirkungen nichts bekannt ist. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang ein in den Jahren 1987
bis 1991 an der St. Johanneskapelle angelegter Kräutergarten mit Heilpflanzen, die in Pestzeiten als Medizin gegen die Krankheit eingesetzt wurden.41

Erstmals belegt ist die Pest in Kirchzarten 1567. Auf dem Weg nach Freiburg, wo Erzherzog Ferdinand in besagtem Jahr einen Landtag halten wollte, nahm er seinen Weg von Villingen
nicht durchs Höllental, sondern über Waldkirch, da im ganzen Kirchzartener Tal die sterbende Läuf, also die Pest wütete. Die nächsten Pestwellen trafen die Gemeinde 1611 und 1629. In
diesen Jahren sind 1200 Menschen der Seuche zum Opfer gefallen. Einen Hinweis, wo die Leichen begraben wurden, gibt es nicht. Der Friedhof bei der St.-Gallus-Kirche hat sie aufgrund
seiner geringen Größe sicher nicht aufnehmen können.

Es ist anzunehmen, dass der hl. Sebastian bereits zu diesen Pestzeiten verehrt und angerufen wurde. Ihm ist der linke Seitenaltar in der Pfarrkirche gewidmet. Aus der alten Kirche wurde
1513 der Altar übernommen, der u.a. dem hl. Sebastian und dem hl. Jodok (Fieber, auch Pest) geweiht war. Dieser Altar wurde 1666 durch einen neuen ersetzt, der von Bischof Sigismund
von Konstanz dem hl. Sebastian konsekriert wurde. Die jetzt dort aufgestellte Figur wurde von Anton Xaver Hauser 1763/65 auf Veranlassung der Sebastiansbruderschaft geschaffen. Der
rechte Seitenaltar war ursprünglich der hl. Katharina von Siena geweiht, die selbst die Pest erlebt und Kranke allein durch ihr Wort geheilt hat. 1737 erhielt die Decke ein Fresko durch den
Maler Johann Michael Saur, auf dem der hl. Sebastian rechts und links mit dem hl. Gallus und dem hl. Magnus dargestellt ist und mit der Inschrift versehen: Sagittae tuae infixae sunt mihi
(Hiob 6,4). „Deine Pfeile" sind Gottes Pfeile - bekanntlich wird die Pest durch Gott mit Hilfe von Pfeilen übertragen, die, wie Hiob klagt, in ihm stecken.

Auch in der bei Kirchzarten liegenden Wallfahrtskapelle auf dem Giersberg sind die beiden Pestheiligen wiederzufinden. Johann Pfunner malte sie in Deckenmedaillons: den hl. Sebastian
mit zwei Pfeilen in der Hand und den hl. Rochus mit Pestbeule und Engel zur Seite.

Das nächste Mal drohte die Pest zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Am 20. Januar 1711 gründete der Talvogt Franz Christoph Hug von Hugenstein des Hayligen Märtyrers Sebastiani
Bruederschaft zu Kirchzarten. In der Einleitung des Bruderschaftsbuchs gab er an, dass eine ansteckende Seuche bevorstehe:... vor einigen Jahren mit größtem Schröcken auß dem Norden vernohmene betrübtiste Post, wie daß nemblich der Orthen unzählbar tausend der Menschen durch die laydige Contagion hingeraffet werden, als auch in unserem Vatterlandt in disem Jahr eingerissene vilerley gefährlich ansteckende pestilentzische Seuch und Kranckheiten unsere Hertzen und Gemüther dergestalten mit Schröcken, Kummer und Ängsten angefillt, daß wir nach dem Allerhöchsten auch zur Mutter Gottes Maria und zu dem allgemeinen Pest - Patronen, dem Hayligen Ertz - Märtyrer Sebastianum unsere Zuflucht nehmen. Die Einwohner sollten als Mitglieder am Sebastiansaltar durch besondere Andachten ihr Heil suchen. Schon im Gründungsjahr ließen sich über hundert Männer und Frauen in das Bruderschaftsbuch eintragen. Das von Lehrer Reber darin auf der letzten Seite niedergeschriebene Sebastiansgebet lautete
wie folgt:
O Heiliger Sebastian,
Vor Pest und sonst vergif'ter Sucht
bey dir klopfen wir Sünder an.
zu dir wir nehmen unser Zuflucht.
Sey uns schutzreiche Stadt,
Gleich wie dir gibt das Ehren-Zweyg,
alwo die Pest kein Herberg hat.
und bleibt dein's Lobs ewiger Zeig.
Behied das ganz Kirchzarter Thal Die Stadt Freyburg, die aus Pestes Noth
und uns zusammen alzu mahl. hast erlöst. - O bitt für uns Gott!


Im Oktober 1784 wurde die Sebastiansbruderschaft durch Kaiser Josef II. aufgehoben. 1812 als Rosenkranzbruderschaft neu gegründet, pflegte diese ebenfalls die Verehrung des hl. Sebastian (
Jakob Saur: Aus der Geschichte der Pfarrei und der Pfarrkirche in Kirchzarten, in: Alemannische Heimat Nr. 8 vom 3. Mai 1936; Manfred Hermann: Die Bildhauersippe Hauser in Kirchzarten, Schlettstatt und Freiburg i.Br., in: Badische Heimat 52 (1972), S. 2-148, hier S. 14; Günther Haselier: Kirchzarten. Geographie-Geschichte-Gegenwart, Kirchzarten 1966; Max Weber: Geschichte der Pfarrei Kirchzarten, Nachtragsband zu Kirchzarten von Günther Haselier, Kirchzarten 1967.)

Oberried

Gibt es in kleinen Gemeinden ein Kloster, kann die Überlieferung zu den wichtigen Ereignissen in der Klostergeschichte mit denen der Ortsgeschichte zusammenfallen. Dies trifft auf das
Wilhelmitenkloster in Oberried zu, dessen Annalen (Historia Monasterii Coronae Mariae) 1348, 1401, 1407 und 1628 von der Pest berichten: Zu alledem kam nun im Jahre 1348 eine
seit Christi Geburt noch nie so fürchterlich aufgetretene Pest. So scharf war der Giftstoff derselben, daß der Atem eines von weitem herkommenden Pestkranken zur Ansteckung genügte.
Man schob die Schuld an diesem grauenvollen Zustand auf die Juden; sie wären Ursache an dem Ausbruche der Pest, weil sie die Quellen und Brunnen vergiftet hätten. Längere Zeit ist
hierauf Ruhe in dieser Hinsicht, bis im Jahre 1401 wiederum eine pestartige ansteckende Krankheit ausbrach, deren Wesen den Aerzten unbekannt war. Zum Jahre 1407 heißt es: Eine
noch nie dagewesene Seuche bricht aus, nämlich in der Nase entstand ein Nießen, mit solcher Heftigkeit, daß sehr viele daran erstickten. Seit dieser Zeit kam die Sitte auf, zu den Nießenden Gesundheit zu sagen. 1628 sind drei aus dem Convent an der Pest gestorben, nämlich P. Jakob Rummel, Organist, Fr. Markus Fetscher, Fr. Andreas, der Koch. In diesem Pestjahr wurde das Wallfahrtskreuz auf dem Kreuzaltar am 20. Mai aufgerichtet.

Nach einer Sage, die mit ähnlichem Inhalt auch aus anderen Orten überliefert ist, soll sich im Goldberg bei Oberried einst eine reiche Goldgrube, St. Martin genannt, befunden haben.
Darin wurde hinter einer silbernen Türe ein goldenes Standbild des Heiligen aufbewahrt. Wegen eines bevorstehenden Krieges wurde der Bergbau nach 1521 eingestellt. Die Bergleute
schlössen die Grube mit einer eisenbeschlagenen Tür und schütteten den Eingang zusätzlich mit Erde und Steinen zu. Hierdurch gelang es ihnen, das Bergwerk den Augen der Feinde zu
entziehen, die sich mit der Plünderung und Verbrennung der Hoch- und Schmelzgebäude begnügen mussten. Kaum war es wieder ruhiger geworden, so kam die Pest und raffte die Bergmänner weg oder trieb sie in entfernte Gegenden. In acht Tagen starben zwölf Mann, Frauen und Kinder. Zwei überlebende Bergarbeiter flohen in das schweizerische Solothurn. Dort
wollte der eine das Ende der Seuche abwarten, traute sich aber nicht zurück. Daher schrieb er nieder, wo der Fund gemacht werden kann: Der diese Schrift nach meinem Tod findet, gehe auf Oberried, neben diesen zwei Linden, allwo St. Wilhelmer und Zastler Tal zusammenfällt gegen Mittag liegt am rechten Ufer am St. Wilhelmer Wasser an dem Kabesspitz rechts, unten auf der Fläche geht die Mündung hinein und zieht sich gegen Mittag in elf Stunden oder Schirm. Solothurn, den 19. März 1527. David Ludau. Gefunden und geöffnet wurde besagte Grube bis heute nicht. (
Ferdinand Giebler: Die Geschichte des Wilhelmitenklosters Oberried, Riegel 1911; Wendelin Duda: Die Sagen des Dreisamtals, Freiburg 2005, S. 45f., aus B. Baader, nach amtlichen Verhandlungen, Volkssagen Nr. 51, 1859; Egon Schwär: Sagen in Oberried, Stegen 32008, S. 36-40.)

Buchenbach, Falkensteig, Unteribental und Wagensteig

In Buchenbach grassierte die Pest in den Jahren 1627/28. Wie viele der Dorfbewohner Buchenbachs daran starben, ist nicht verzeichnet. Nur wenige Zeit später, 1634, muss die Seuche
wiedergekehrt sein, da die Überlebenden ein für alle Zeiten geltendes Gelübde abgelegt haben, wonach sie die Abhaltung einer Sakramentsprozession versprachen. Der Beteiligung an der Prozession schlössen sich auch die Nachbarorte Unteribental, Wagensteig und Falkensteig an. An jedem Pfingstsonntagnachmittag findet die Prozession nach Art der Fronleichnamsprozession ohne Stationen noch heute statt (Abb. 5). Darüber hinaus erinnert in Buchenbach der Sebastiansaltar in der St.-Blasius-Kirche an die Pest. 1765 wurde die Figur des hl. Sebastian, jetzt an der östlichen Langhauswand, von Anton Xaver Hauser geschaffen. (Unsere Heimat Buchenbach. Vom Kirchspiel zur Gemeinde, hg. von Ursula Huggle und Ulrike Rödling, Buchenbach 1996. Zur Pestprozession siehe Badische Zeitung vom 9. Juni 2000.)

Die Bewohner des nur wenige Häuser umfassenden Dorfes Falkensteig scheinen um 1700 von einer pestartigen Seuche heimgesucht worden zu sein, wobei über die Zahl der Toten nichts bekannt ist. Aufgrund eines Gelübdes wurde der geschnitzte „Heiland von Falkensteig" angefertigt . Ein fast lebensgroßer Kruzifixus mit schwarzem Bart, etwas weiten Ohren und der Dornenkrone auf dem Haupt ist an einen breiten Kreuzesstamm genagelt. Seit mindestens 150 Jahren ziert er die Wand am Haus Höllenstr. 15.

Talaufwärts im Höllental steht unter Bäumen die frisch renovierte Pestkapelle beim ehemaligen Wirtshaus „Zum Adler". Die heutige Kapelle stiftete das Ehepaar Johann und Maria
Hensler im Jahre 1816. Der Name „Pestkapelle" könnte einerseits darauf hindeuten, dass es eine Vorgängerkapelle gab, die möglicherweise im Zusammenhang mit der Pestepidemie 1567, als Erzherzog Ferdinand über den Schwarzwald nach Freiburg zog, errichtet wurde. Andererseits ist aufgrund eines Gesuchs von Johann Michael Vogt vom 28. August 1770 an den
zuständigen Dekan von Breisach bekannt, dass die Kapelle der Muttergottes geweiht war. Nur zu besonderen Zeiten wurden eine Figur des hl. Sebastian und der Muttergottes auf den Altar
gestellt