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Überlegungen zur Besiedlungsgeschichte des
Zartener Beckens und des Wagensteigtals
Hugo Ott
aus:
Kelten und Alemannen im Dreisamtal
Konkordia Verlag 1983



Die allgemeine politische Konstellation in unserem Untersuchungsgebiet im I1. und beginnenden 12. Jahrhundert ist von Karl SCHMID in seinem Beitrag zur vorliegenden Veröffentlichung (s. o. S. 115 ff.) deutlich herausgearbeitet worden. Die im neuen Zentrum der Zähringer Herrschaft sich abzeichnende Konflikt- und Kompromißsituation im Zusammenhang der jeweils einer bestimmten Interessengruppierung zuzuordnenden klösterlichen Gründungen auf dem Schwarzwald ist ebenso dargestellt worden wie die Implikationen auf die verkehrsgeographische und verkehrsstrategische Entwicklung bei der Überwindung des mittleren und südlichen Schwarzwaldes. Ich kann meine Darlegungen, die sich mit einer Feineinstellung auf das Dreisambecken und das Wagensteigtal besonders auf der Basis von Material des Klosters St.Märgenaus dem 13. und 14. Jahrhundert begnugen wollen, getrost auf diesem Hintergrund vornehmen. Das Material ist, wie bekannt, durch die im Spätmittelalter eingetretene Nachfolge der Stadt Freiburg in den Herrschaftsbereich von St.Märgengut überliefert.1

Von meinen Ausführungen kann keine endgültige Klärung vieler noch offener Probleme erwartet werden, eher tun sich neue Fragen auf; gleichwohl hoffe ich, die Lösung mancher Fragen ein wenig voranzubringen. Überdies scheint mir gerade nach Durchsicht der einschlägigen Stellen in der amtlichen Kreisbeschreibung sowohl des allgemeinen wie des speziellen Teils es angebracht zu sein, das eine oder andere richtigzustellen, dabei durchaus teilweise verschüttete Ergebnisse der fruheren Forschung aufarbeitend.2

Unsere Überlegungen mussen naturlich einsetzen bei den Klärungsvorgängen aus der Frühzeit des Augustiner-Chorherren-Klosters St.Märgen, einmal ausgehend von der Grenzvergleichung zwischen St.Peter und St.Märgen der Jahre 1121 und 1136 3, zum anderen rekurrierend auf die Zehntabgrenzung zwischen der Pfarrkirche Kirchzarten und dem Kloster St.Märgen 1125.4

Mittelalterliche Herrschafts- und Besiedlungsstruktur im Zartener Becken und im Wagensteigtal


Die unterschiedliche Grenzziehung im Bereich des Wagensteigtales und nördlich von St.Märgen dürfte weniger auf zeitlich bedingte Veränderungen im Verlauf der Jahrhunderte, sondern auf eine falsche Identifikation des "Werispaches" durch von Weech (1) zurückzuführen sein. Es handelt sich hierbei nicht um "ein(en) vom Zwerisberg kommenden Bach", sondern, wie Krieger (2) nachweist, um den Zweribach, der im Rotulus Sanpetrinus mehrmals genannt wird. Weitere Hinweise für diese Annahme ergeben sich aus den bei Schoepflin (3) abgedruckten Vergleich von 1121 und dem in der ZGO von 1879 (4) stehenden Vergleich aus dem Jahre 1136, die beide in ihrer Grenzbeschreibung von der Wiesneck ausgehen...... Hierbei wird die Vermutung gestärkt und bestätigt, daß die Grenzen zwischen St.Peter und St.Märgen bereits im 12. Jahrhundert von Bernhaupten/Hohler Graben aus fast direkt nach Norden bis zum Zweribach und Wildgutachgebiet, von dort nach Südwesten auf dem nördlich des Wagensteigtales gelegenen Kamm zur Wiesneck verlief.
1 Der Rotulus Sanpetrinus hrsg.v.Friedrich von Weech, in FDA 15, 1882, S. 180. Vergleiche Urkundenanhang Nr. 1
2. Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden, hrsg. v. Albert Krieger, 2. Bd. zweite durchgesehene und stark vermehrte Auflage Heidelberg 1905, Sp. 1557 f.
3 wie Anm. 3 des Textes. Vergleiche Urkundenanhang Nr. 2
4 ebd. Vergleiche Urkundenanhang Nr. 4

Fixpunkt des 1121 erfolgten, 1136 modifizierten und bestätigten Grenzausgleichs war eine bereits bestehende Nikolauskapelle. Der Streit zwischen St.Märgen und St.Peter entzündete sich, „da einige Leute die Grenzen uber die Tallandschaft um die St. Nikolaus-Kapelle ausdehnen wollten“ — cum quidam terminos per convalles circa capellam s. Nicolai extendere vellent. Gegen Dreingabe zweier Lehen, die nicht näher bezeichnet sind, wird von St.Peter aus dem Kloster St.Märgen zugestanden, „bis zu den Spitzen der Berge, wo auch die Hochebene zu gleichen Teilen unter ihnen geteilt werden sollte, nichtsdestoweniger ihre Grenzen auszudehnen“ — usque ad cacumina montium, ubi etiam planities aequaliter inter eos divideretur, nihilominus suos terminos extendere. Bischof Ulrich I. von Konstanz, der diesen Vergleich beurkundete, präzisierte den Grenzverlauf: „Nun werden, um es zu wiederholen, uber den Vorsprung des Berges von der zerstörten Burg Wiesneck bis zu dem großen Tal, an dessen Auslauf das Kloster St. Margarethen in Waldkirch liegt, unter Teilung der Hochfläche bestimmte Grenzen von beiden Seiten her bestimmt“ — Nuncigitur ut replicem, per crepidinem montis a diruto castro Wisenegge usque ad magnam vallem, in cuius extremo s. Margaritae silvacensis monasterium situm est, planitie per medium divisa certi termini utrinque designantur. Von Karl SCHMID haben wir den Gesamtzusammenhang der Probleme in herrschaftlicher und monastischer Hinsicht schon dargelegt bekommen. Der Streit um die Grenzen mag daher eher vordergründig erscheinen — er war nämlich 1121 noch nicht ausgestanden, bedurfte vielmehr der Bestätigung durch den Kardinallegaten Theodewin, eine Konfirmation, die das Kloster St.Märgen weitere zwei Lehen kostete: Allodialgut in Gottenheim, Besitz, der aus Schenkung eines Adalbero stammte, sehr wahrscheinlich des Adalbert von Wiesneck-Haigerloch, also aus der Stifterfamilie. Damit sind auch schon wichtige Hinweise auf die Erstausstattung St.Märgens gegeben, was uns auch später noch beschäftigen wird.

Alfons SCHÄFER hat in seinem Aufsatz über die Höllentalstraße 5 meiner Meinung nachbereits überzeugend dargetan, daß die Nikolauskapelle an der oben angegebenen Stelle nicht der Seelsorge ihre Entstehung verdankt, sondern mit der Straße oder dem Weg von Villingen über Urach — Kalte Herberge — Turner — St.Märgenin Verbindung stehen müsse. Nikolaus, der Patron der Schiffer und der reisenden Kaufleute, ist als Kapellen-Patron auch an anderen Straßenführungen unseres Raumes nachgewiesen. Nicht auszuschließen ist, daß an wichtigen Stellen und Straßenverzweigungen oder Umspann- bzw. Vorspannstationen eine etwas dichtere Erschließung und Besiedlung vorhanden war und dementsprechend auch eine seelsorgliche Funktion von solchen Kapellen nicht auszuschließen ist. Auf der so angedeuteten mittelalterlichen Wegverbindung sind an der Wagensteige selbst und bei Waldau weitere Nikolaus-Patrozinien überliefert, freilich erst aus späterer Zeit.6

So gehört in unseren Zusammenhang auch der oben berührte zweite Komplex, nämlich die Zehntabgrenzungsprobleme zwischen Kirchzarten und St.Märgen 1125, die wiederum Bischof Ulrich I. von Konstanz gütlich beilegte. St.Märgen, auf Allodialgut des Propstes Bruno von Straßburg aus dem Grafengeschlecht Wiesneck-Haigerloch errichtet, beanspruchte den Zehntbezug bis hinunter „zum Ort, der Waginstat heißt“ — ad locum qui Waginstat vocatur, also bis zur Wagensteige — Metzgerhof, wo der Vorspann geleistet wurde, wo auch später die eben erwähnte zweite Nikolauskapelle nachzuweisen ist und wo eine weitere wichtige Grenze für St.Märgen bestand, wie noch zu zeigen sein wird. Der Anspruch wird ex iustitia abgeleitet. St.Gallen als Eigenkirchherr von Kirchzarten war bemüht, ex antiquitatis auctoritate die Zehntrechte für das Gesamtgebiet zu behalten: „Dieselben Gebiete, seien sie jüngst oder schon länger erschlossen, gehören in der gesamten Zehntpflicht nach Zarten“ — eadem loca, sive noviter sive antiquitus exculta, in omni decimatione ad Zartum pertinere — der Kompromiß, der von St.Märgen die Dreingabe eines praedium in Kirchzarten im Umfang von drei Lehen verlangte, bestand in der Grenzziehung am Fuß der Anhöhe, wo die Klosterscheuer gebaut war (Scheuerhaldenhof) in der Nähe St.Märgens: „Die Scheune aber und alle Gebiete von dort aufwärts, seien sie schon lange besiedelt oder werden sie künftig erst erschlossen, sollen nach meiner Entscheidung für immer nach St.Märgen zehntpflichtig sein“ — horreum autem et omnia loca dehinc sursum, sive pridem inbitata vel quacumque in posterum exculta fwerint, ad monasterium sanctae Mariae secundum debitum decimationis perpetualiter discrevi. Auch dieses praedium stammt aus dem Besitz eines Adalbert, wahrscheinlich wiederum des Adalbert von Wiesneck-Haigerloch. Die Regelung aller Grenzstreitigkeiten hatte St.Märgen immerhin sieben Lehen gekostet, Besitz im Altsiedelland, der aus der Stifterfamilie gekommen war. Diese Einbußen wurden, so kann vorsichtig geschlossen werden, im Interesse der Sicherung des Kernraumes hingenommen.

Betrachtet man zunächst nur den Landschaftssektor, der im Westen durch die Linie Wiesneck — St.Märgen, also das Wagensteigtal umschrieben ist, dann hat es den Anschein, daß St.Märgen die grundherrschaftliche Komponente in diesem Tal innerhalb weniger Jahre voll stabilisiert hatte, kirchlich indes nur eine Minimallösung durchsetzen konnte. Freilich läßt sich die Ost- bzw. Südostflanke für diese Zeit noch nicht ebenso eindeutig markieren — wir werden nachher versuchen, über Rückschlüsse zu
einem Ergebnis zu gelangen.

Von Interesse bleibt auch der Taleingang des Wagensteigtals, dessen mittelalterlicher Name ja ‚Freudenbach‘ lautete.’ Einerseits wurde der Eingang dominiert von der Burg Wiesneck, an deren Fuß sich die bäuerliche Siedlung Wiesneck befand, die später rudimentäre Formen von Gemeindebildung entwickelte. Zu erwähnen ist hier der herrschaftliche Maierhof und die Herrschaftsmühle — etwa der Bereich des heutigen Sanatoriums — Güter, die beispielsweise 1463 anläßlich des Übergangs der Herrschaft St.Märgen an die Stadt Freiburg, die Schnewlin sich vorbehielten: Item Wißnegk die burg, mit infang und begriff, mit velsen, mit graben, mit muren, mit zwing und wasen, gelegen oberthalp der vorgenanten statt Fryburg by dem Swartzwald. Item matten, die mülin, so denn den meygerhoff, die wyger und alle die gütter an dem berg umb das sloß Wißnegk gelegen, unnderthalb den marchsteinen und lachen, so izwüschent der Vringerin und Hans Vogts güttern, von unndenan untz uff die Wißnegker egg überuff gesetzt sind, mit gerichten, eigenschafft und aller gerechttigkeit.8 Angesichts des bekannten hohen Alters und der Kontinuität von Grenzen 9 wird diese späte Umschreibung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf hochmittelalterliche Zeit zurückgeführt werden können. Zudem läßt sich aus einem in der Forschung durchaus bekannten Quellenbeleg des 14. Jahrhunderts die Situation auf der anderen Talseite am Beginn des Wagensteigtals rekonstruieren.10 Im Urbar des Klosters St.Blasien von 1350 findet sich unter dem Breisgauamt die Aufzeichnung von Besitz und Rechten „im Wagensteigtal, das Froidenbach heißt“ — in Steige vallis, quae dieitur Froidenbach — mit einer Grenzbeschreibung, wonach die Lokalisierung versucht wurde.11 Dabei wird erwähnt, daß st.blasianischer Besitz „jenseits des Dreisamufers“ — ultra ripam treiseme — an den Besitz St.Märgens grenzt. Der st.blasianische Besitzkomplex ist in acht Lehen geteilt, wobei der Wald und die Hofmatten ausgenommen sind, welche überdies unvogtbar waren; der Abt von St.Blasien ist Inhaber aller aus der Vogtei rührenden Rechte. Ausdehnung, Lage und Rechtsverhältnisse dieses Klosterbesitzes sind derart, daß auf frühe Zeit und auf hochherrschaftliche Herkunft geschlossen werden darf. Da wir keine weiteren Belege haben, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Wo anders sollte dieser Besitz herkommen als aus der Wiesnecker Sippe? Ich muß das vorerst offen lassen, jedoch möchte ich auf eine mögliche Erklärung hinweisen: Es ist bekannt, daß Adalbert von Wiesneck-Haigerloch im Umkreis der Schenker für Allerheiligen in Schaffhausen zu finden ist. Die Zubenennung nach Wiesneck ist uns 1096 überliefert 13, wo „Graf Adalbert von Wiesneck, sein Bruder Bruno“ — Adalbertus comes de Wiseneggi, Bruno frater eius — unter den Zeugen stehen, als Allerheiligen ein praedium in Bahlingen am Kaiserstuhl kaufte. Zu diesem Kauf hatte Dithelmus, presbiter de Malterdingen, 20 Mark Silber beigesteuert. Übrigens hatte St.Märgen in Malterdingen größere Weingüter — später sind die Weinfuhren von Malterdingen und Merdingen nach St.Märgen in den Frondienstleistungen der grundherrlichen Bauern in den Weistümern genau geregelt.13 Entscheidend ist jedoch die im Güterbeschrieb Allerheiligens von 1150 überlieferte Stelle, die direkt an die Nellenburger Schenkung anschließt: „Ein bestimmter Teil aber desselben Platzes ist eingetauscht worden von Graf Adalbert von Haigerloch gegen ein Gut, das Herdern heißt, das wiederum von St.Blasien eingetauscht worden ist gegen Güter, die Reginbot von Uttenweiler gegeben hat, und viele andere“ — Quedam autem pars eiusdem loci concambita est ab Adelberto comite de Heigirloch cum predio, quod dicitur Hardirin, quod concambitum est de monasterio sancti Blasii cum prediis, que dedit Reginboto de Utinwilare, et alüis quam plurimis.14 Graf Adalbert überträgt sein Allodialgut in Schaffhausen an Allerheiligen gegen Herdern, das St.Blasien gehörte, das mit Besitzungen des Reginboto von Uttenweiler und anderer entschädigt wurde.15 St.Märgen hatte in Herdern Besitz und Rechte, die wohl aus diesem Ringtausch stammen dürften. So kann geschlossen werden, daß St.Blasien in dieser Zeit vor 1100 recht eng mit den Wiesneckern verbunden war. Möglicherweise erklärt sich die st.blasianische Position am Eingang des Wagensteigtales aus diesem Vorgang.

Schwerpunkt der st.märgischen Besitzlandschaft war von Anfang an — und dies blieb im Grunde so — das Dreisamtal und das Wagensteigtal, sonstiger Altsiedelbesitz befand sich hauptsächlich am Tuniberg mit Waltershofen und Merdingen als Zentren sowie in Malterdingen 16: auf den Freiburger Raum mit Herdern wurde schon hingewiesen, ebenfalls auf die Verluste an Besitz im Altsiedelland im Zuge der Konsolidierung des Klosters während der Frühphase. Auf die Ende des 12. Jahrhunderts dem Kloster zur Seelsorge zugewiesene Pfarrei Hüfingen möchte ich nicht näher eingehen, weil hier eher pastorale Gesichtspunkte eine Rolle spielten.17

Wie für das st.petrinische engere Klostergebiet, das erstmals in einer — teilweise vagen — Umschreibung von 1108 vorliegt, ist auch für das angrenzende st.märgische Gebiet gültig: die Konzentration und die größtmögliche territoriale Geschlossenheit der klösterlichen Herrschaft. Das wird noch näher zu erläutern sein.

Ehe ich auf der Grundlage des sehr interessanten St.Märgener Rodels aus der Zeit um 1270 und der etwas späteren Rodel und Weistümer aus dem frühen 14. Jahrhundert die innere Struktur der Klostergrundherrschaft St.Märgen zu erhellen versuche, die auch einige Einsicht in die Besiedlungsgeschichte vermitteln kann, soll die Frage der Klostervogtei St.Märgen erörtert werden. Bekanntlich hat Papst Honorius II. in einem Schutzprivileg von 1125 18, einer Art Verfassungsurkunde, dem Kloster St.Märgen freie Vogtwahl zugestanden — auf die eigentliche Problematik soll hier nicht eingegangen werden, auch nicht auf die Frage der Leitbilder, der Abhängigkeit und dergl. —: „Bei der Wahl eueres Vogtes aber soll der Abt mit der Beratung seiner Konventualen die freie Verfügung haben, jemanden zu wählen, den er für die Verteidigung der klösterlichen Freiheit als gut und nützlich erkannt hat. Sollte sich dieser freilich eher als Ränkeschmied denn als Vogt erweisen, die klösterlichen Güter verschleudern denn verteidigen, dann soll der Abt mit dem Rat der Brüder die Möglichkeit haben, einen besseren Vogt zu setzen In advocati autem vestri electione abbas liberam habeat potestatem cum fratrum suorum consilio talem eligere, quem ad defensionem libertatis monasterii bonum et utilem esse cognoverit. Qui si calumniator potius quam advocatus existens bona monasterii pervaserit et non magis ea defenderit, abbas habeat facultatem cum fratrum consilio alium ibi utiliorem statuere advocatum — also das bekannte Formular. Wie war es jedoch mit der Verfassungswirklichkeit bestellt? Karl SCHMID hat bereits darauf abgehoben, daß die Klostervogtei über St.Märgen offenkundig mit der Herrschaft Wiesneck verbunden war, vielleicht regelrecht auf die Herrschaft Wiesneck radiziert war, würde ich interpretierend sagen. Vor 10 Jahren hat laut Protokoll des Alemannischen Instituts Herr Keller in der Diskussion zum Vortrag von Wolfgang Müller über St.Märgen und Allerheiligen/Freiburg i. Br. auf die zentrale Rolle der Herrschaft Wiesneck und der Klostervogtei besonders für die Grafschaft Hohenberg hingewiesen.19 Auf die hohenbergischen Probleme will ich nicht näher eingehen — die Phase der hohenbergischen Herrschaft in unserem Raum und besonders über St.Märgen bedarf nach wie vor der Klärung 20 —, ich möchte mich vielmehr der Vogteifrage als solcher annehmen. Eine Fixierung der Herrschaftsrechte in Wiesneck erfolgte erstmals beim Verkauf der Herrschaft Wiesneck 1293 durch die Grafen von Hohenberg an den Freiburger Patrizier Burkard Turner: kunden wir grave Albreht von Hohenberg, das wir die burg und die herschaft zu Wisenegge, du da lit in Zartuntal in Brisgowe und die vogeteie uber das kloster ze Sante Mariencelle in dem Swarzwalde ... mit luten und gute unde mit namen uber lute und gut ze Frolenbach, ze Zarton, ze Merdingen und swa es anderswalit in Brisgowe unde mit gerihten und allen rehten und gewonheiten, so zu der selben burg und der herrschaft und der vogeteie horent in Brisgowe ... haben verkofet friliche und willecliche ... vur lidig eigen ...21 Damit ist das Formular auch für die späteren Übereignungen gefunden. In die Verkaufsurkunde ist die Zustimmung des Klosters St.Märgen zum Vogteiverkauf und die Annahme des neuen Vogtes integriert. Das Kloster hat demnach seinen im Papstprivileg von 1125 verbrieften Anspruch aufrecht erhalten können. Das wird auch aus den wenigen Zeugnissen deutlich, die aus dem 13. Jahrhundert überliefert sind: 1267 stellte der Klostervogt Albert von Hohenberg einen Freiheitsbrief aus, in dem die freie Vogtwahl sichergestellt wird und auch erstmals die Vogtfreiheit der st.märgischen Salleute und der Salgüter ausdrücklich betont wird.22 Wolfgang Müller hat in seiner mehrfach erwähnten Studie nach dem Motiv für diese Urkunde gefragt und vermutet, es könnte mit dem geplanten Vogtwechsel in Verbindung gebracht werden.23 Ich halte dafür, daß St.Märgen in dieser Zeit überhaupt an einer schriftlichen Fixierung von Rechten und Besitzungen außerordentlich interessiert war, denn um 1270, wie gesagt, entstand der erste große umfassende Besitzrodel in St.Märgen, der gute Einblicke in die grundherrschaftlichen und auch erste Einblicke in die verwaltungsmäßige Organisation ermöglicht und darüberhinaus die Folie für den aus den späteren urbariellen Aufzeichnungen erhellenden Fortschritt des Landesausbaus bildet. Die wenige Jahrzehnte später aufgezeichneten Weistümer geben dann die dualistische Struktur des St.Märgener Klosterbesitzes wieder; die im Folgenden skizzenhaft umrissenen Ausführungen sind bereits in der leider ungedruckten Dissertation von Fritz ARMBRUSTER, Die Freiburger Talvogtei im Dreisamtal (1950), und in einer Zulassungsarbeit von Geesche BRENNEKE, Studien zur Grundherrschaft und grundherrlichen Verwaltung des Klosters St.Märgen (1965), vorgestellt, haben jedoch, soweit ich sehe, noch keinen vollen Eingang in die Forschung gefunden. Überdies bin ich bemüht, die Dinge unter modifizierten Aspekten zu betrachten.

Nach den Quellen des frühen 14. Jahrhunderts war der st.märgische Rechtsbereich zweigeteilt: a) sogenanntes selde oder sel-Gut, das vogtfrei war und b) bevogtetes Gut.

Zu a): Die Seel- oder Salgüter standen in der vollen Herrschafts- und Vogtgewalt des Klosters selbst: 1) Der Hof zu Zarten, in den Schutz und Bann gehörten, 2) das Gut zu Birkenreute, 3) das Gut zu Dietenbach, 4) das Gut in Attental, 5) der Hof in Burg, 6) der Hof ze Burchartslehen, 7) der Hof an der Wagensteige, 8) der Scheuerhaldenhof, 9) der Hof Zwerisberg mit dem anschließenden Gebiet bis zum Klosterbereich selbst, 10) das Tal im Erlibach, 11) der Alte Schweighof, 12) Glashäuser, 13) das Bantzermoos, 14) die neuen Lehen in der Spirze, 15) der Wald insgesamt, der dem Kloster gehörte mit Ausnahme eines Stückes, das Burkard Turner gekauft hatte zum Zwecke der Abholzung — wir kommen auf diesen Vorgang noch zurück —, 16) der Bach, der in Bernhaupten entspringt und Dreisam genannt ist mitsamt den Zuflüssen bis zur Einmündung des Krummbaches unterhalb von Zarten.

Zu b): Der übrige bevogtete Besitz war in drei Meierämter gegliedert: zwei Meierämter im Wagensteigtal, von denen das erste von Schweigbrunnen bis zur Wagensteige reichte, das zweite von der Wagensteige bis zum Diezenbach — in das zweite Meieramt gehörten auch zwei Lehen aus dem Gemarkungsbereich von Wiesneck und Burg — hier wird das Element des st.blasianischen Besitzes relevant. Das dritte Meieramt lag in Zarten, zu dem das Dorf Zarten selbst, das Gut in Geroldstal und Wittental zählten. Es ist bisher nicht gelungen, eine befriedigende Lösung dieser dualistischen Struktur vorzulegen, in der es Überlagerungen und Verschränkungen gegeben hat, zumal deswegen, weil sich die organisatorischen Umrisse relativ rasch veränderten. Die Meierämter scheinen nicht an einen bestimmten Hof gebunden gewesen zu sein, sondern waren lediglich als Ämter einem Inhaber eines bäuerlichen Lehens übertragen — andererseits gab es auch Verfestigungen, wie dies am Beispiel des sog. Hofes „ze Burchartslehen“ gezeigt werden kann: es handelt sich hier um einen Hof, der bisher noch nicht genau lokalisiert werden konnte, den beispielsweise Martin WELLMER in Burg/Höfen ansiedeln wollte 24, der jedoch meiner Meinung nach näher zu Wiesneck gebracht werden muß. Vermutlich stammt dieser Hof aus Schenkung des Vogtes Burkart von Hohenberg, der Anfang des 13. Jahrhunderts als St.Märgener Vogt belegt ist, und der vermutlich diesen Hof aus dem Wiesnecker Komplex abgezweigt hat.25 Zu diesem Hof gehörte auch eine Kapelle, deren Patrozinium wir leider nicht kennen. 1320 scheint das zweite Meieramt im Wagensteigtal mit diesem Hof verbunden gewesen zu sein.

Ich kann auch keine eindeutige Antwort geben auf die naheligende Frage, ob etwa die vogtfreien Besitzungen mit dem Stiftungsgut zu identifizieren sind, wenn auch der Passus der Vogteiverkaufsurkunde von 1293 das nahelegen könnte.

Im Schlußabschnitt will ich einige Beobachtungen zur Besiedlungsentwicklung vorlegen und dies konkret am Beispiel Spirzen tun: der Landesausbau in diesem Bereich dürfte von St.Märgen aus in Richtung Spirzen vorangetrieben worden sein. 1270 verzeichnet der Rodel 4 1/2 Lehen am Spirzen, die man als alte Lehen werten kann, die vermutlich vogtbar waren, da sie zur Villication Diezenbach gehörten, während in einem Rodel von 1320 17,5 Lehen bezeugt sind — also 13 neue Lehen, die als solche im gleichzeitigen Weistum als unbevogtet eingestuft sind, sicher aus Waldrodung entstanden, denn der Wald war aus der Vogtherrschaft ausgenommen, wie ich oben erwähnt habe. Diese Waldrodungen in unserem Gebiet scheinen im ausgehenden 13. Jahrhundert eine spezifische Ursache zu haben, die auch in Verbindung gebracht werden muß mit dem Wechsel der Vogtei von den Hohenbergern zu dem Freiburger Patrizier Burkard Turner. Dieser Freiburger Patrizier hatte, wie bekanntist, ein riesiges Vermögen aus der Silbergewinnung vor allem im Suggental angesammelt.26 Für den Betrieb der Silbererzverhüttung ergab sich ein gewaltiger Holzbedarf. Beispielsweise kauften Burkard Turner und Heinrich Wohlleb 1289 von der Stadt Freiburg den Mooswald um die gewaltige Summe von 1300 Mark Silber zum Abhieb innerhalb von 10 Jahren mit durchschnittlich 30 Juchart pro Jahr.27 Der Kauf der Herrschaft Wiesneck und der Klostervogtei St. Märgen kann nur verstanden werden, wenn man die Nachricht aus dem St.Märgener Weistum hinzunimmt, daß Burkard der Turner ein Waldstück gekauft habe zum Abhieb innerhalb bestimmter Jahrziele. Das Recht zum Kahlhieb war jedoch mit der Herrschaft Wiesneck verbunden — nach Aussage des Weistums. Damit ist die bisher ungelöste Frage nach dem Übergang der Wiesnecker Herrschaft samt Pertinenz in die Hand des Turner meiner Meinung nach beantwortet. Da die Verkaufsurkunde bisher nicht bekannt ist, kann über den Umfang des gekauften Waldes nichts ausgesagt werden. Für mich steht außer Zweifel, daß die erheblichen Rodungsvorgänge am Spirzen damit in Verbindung stehen.28

1 Vgl. Wolfgang MÜLLER, Studien zur Geschichte der Klöster St.Märgenund Allerheiligen, FDA 89, 1969, S. 5— 129, wo die fruhere Literatur zusammengestellt ist. — Zu verweisen ist besonders auf die ungedruckte juristische Dissertation (Freiburg i. Br.) von F. ARMBRUSTER, Die Freiburger Talvogtei im Dreisamtal, 1950 sowie auf eine ebenfalls unveröffentlichte Freiburger Zulassungsarbeit von Geesche BRENNECKE, Studien zur Grundherrschaft und grundherrlichen Verwaltung des Klosters St. Märgen, 1965.
2 Vgl. die einschlägigen Stellen in der Amtlichen Kreisbeschreibung „Stadtkreis und Landkreis Freiburg i. Br.“ I. 1. 2. 1965 und II. 1. 2. 1972— 1974.
3 Gedruckt J. D. Schoepflin, Historia Zaringo-Badensis V 61 und ZGO 31, 1879, S. 296 — 298.
4 St. Galler Urkundenbuch III 693, Anhang n. 13.
5 Die Höllentalstraße. Ihre Erschließung und ihre Bedeutung für den Handelsverkehr vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, in: Geschichte-Wirtschaft-Gesellschaft. Festschrift für Clemens Bauer, hrsg. v. Erich HASSINGER, J. Heinz MÜLLER und Hugo OTT, 1974,S. 111— 151, hier S. 123.
6 Ebd. SCHÄFER vermutet, daß die erst 1411 urkundlich bezeugte St. Nikolaus-Kapelle in Waldau ein weit höheres Alter habe.
7 Unter dem Stichwort „Buchenbach“ in der in Anm. 2 angeführten Kreisbeschreibung ist diese Namensbezeichnung nicht berücksichtigt. Man muß dann schon unter „Wagensteig* nachschauen.
8 Heinrich SCHREIBER, Urkundenbuch der Stadt Freiburg im Breisgau II n. 554.
9 Vgl. Karl Siegfried BADER, Die Gemarkungsgrenze. Stand und Aufgabe ihrer Erforschung, in: Das Rechtswahrzeichen, 2. Heft, 1941: Grenzrecht und Grenzzeichen, S. 56 — 67.
10 Vgl. Hugo OTT, Studien zur Geschichte des Klosters St. Blasien im hohen und späten Mittelalter, 1963, S. 71.
'11 GLA 66/7213, folio 17....„Das Wagensteigtal, das Froidenbach heißt. Merke, daß die Güter bzw. Rechte dort: nämlich Hofstätten, Häuser, Äcker, Wiesen, Obstgärten unterhalb des Ufers gelegen, das Diezenbach genannt wird, sowie der mittlere Teil des Ufers selbst und unterhalb des Ufers, das Buchenbachheißt, entlang einer direkten Linie der Länge nach und vom Berg Loffensteig längs des Wegs der Breite nach und jenseits des Dreisamufers — es grenzt jenseits des Dreisamufers an die Güter von St.Märgen— und den Buchenbach entlang an den Besitzungen der Johanniter bis auf die Ecke an die Wasserrinne und die Wasserrinne hinauf bis zum Jocheck, dieses Gebiet gehört kraft Eigentumsrecht dem Kloster St. Blasien. Diese Besitzungen sind aufgeteilt in 8 Lehen, von denen jedes 3 Schilling und 2 Pfennige Freiburger Währung sowie 6 Sester Hafer zu leisten hat — ausgenommen der Wald und das Wiesengelände, das Hofmatt heißt. Alle vorgenannten Güter entrichten den Todfall und wer etwas aus diesen Gütern veräußert, gibt dem Kloster den 3. Teil der Kaufsumme...“
12 F. L. BAUMANN,Die ältesten Urkunden von Allerheiligen in Schaffhausen ... 1883 n. 27.
13 Vgl. MÜLLER (wie Anm. 1) S. 18 und ARMBRUSTER (wie Anm. 1).
14 BAUMANN (wie Anm. 12) 126.
15 St. Blasien hat z. B. noch im späten Mittelalter Besitz und kirchliche Rechte in Littenweiler, vgl. OTT (wie Anm. 10) S. 37 ff., 80 f.
16 MÜLLER (wie Anm. 1) S. 18.
17 MÜLLER (wie Anm. 1) S. 16.
18 SCHREIBER, Urkundenbuch I 213— 216.
19 Protokoll über die Fachsitzung des Alemannischen Instituts vom 13. Januar 1969.
20 Die von Hans JÄNICHEN 1964 begonnene Untersuchung, Herrschafts- und Territorialverhältnisse um Tübingen und Rottenburg im 11. und 12. Jahrhundert, 1. Teil: Die freien Herren, bei der die Hohenberger eine wichtige Rolle spielen, sind leider nicht fortgeführt worden. So ist die S. 73 gegebene Ankündigung nicht eingelöst worden.
21 Freiburger Urkundenbuch II n. 134.
22 Stadtarchiv Freiburg SM 4: Wir versprechen mit dieser Urkunde, daß das Kloster St.Märgen im Schwarzwald, Abt und Konvent des Klosters sowie die Hintersassen samt den Gütern in Ruhe leben können wie bisher unter unseren Vorgängern. Nichtsdestoweniger soll man wissen, daß die Klosterleute, die auf deutsch „selle lúte“ genannt werden, weder uns noch irgend jemand sonst zu einer Dienstleistung, die aus dem Besitz oder aus der Person rührt, verpflichtet sind...“
23 MÜLLER (wie Anm. 1) S. 20.
24 Kreisbeschreibung (Freiburg) I. 1, S. 201. Adolf Poisignon, Ödungen und Wüstungen im Breisgau, in: ZGO 41, S. 322— 368, korrigierend, der nach meinem Dafürhalten den Lokalisierungsrahmen richtig ergeben hat, wenn er schreibt: „... scheint zwischen Attental und der Wagensteig gelegen zu sein.“
25 MÜLLER (wie Anm. 1) S. 17.
26 Kreisbeschreibung I. 1. 309.
27 Freiburger Urkundenbuch II 95 f.
28 Diese Frage müßte freilich noch genauer überprüft werden, ehe sie einer endgültigen Beantwortung zugeführt werden könnte.