Ulrich Tromm
Der Markenhof bei Freiburg im Breisgau als zionistisches Auswandererlehrgut
1919-1925
Aus der Vielzahl der individuellen Beweggründe, die junge deutsche und
deutsch- sprachige Juden aus Osteuropa veranlaßten, auf bürgerliche
Laufbahnen und akademische Ausbildung zu verzichten, um sich bereits in
Deutschland auf das Siedlerdasein im damals kaum erschlossenen
Palästina vorzubereiten, erscheinen zwei geschichtlich bedeutsame
Ereignisse für diese Entscheidung besonders prägend.
Zum einen bedeutete der erste Weltkrieg mit dem ihn begleitenden
Ausbrüchen überhitzten Nationalgefühls auch ein geschichtliches
Umbrucherlebnis für die Generation der jüdischen Kriegsteilnehmer, die
sich häufig ebenso begeistert wie ihre nichtjüdischen Altersgefährten
»zu den Waffen« gemeldet hatten. Dem sollte nur allzu häufig gerade auf
der Ebene der Unteroffiziere und Feldwebel das ernüchternde Erlebnis
eines oftmals primitiven Antisemitismus folgen. Zudem brachte der erste
Weltkrieg vielen jüdischen Teilnehmern bei Stationierung im Osten die
erste Begegnung mit dem Ostjudentum, in dem Inhalte und Formen
jüdischen Lebens einen vitalen Ausdruck fanden. Der erste Weltkrieg
führte zu einem Erwachen jüdischen Nationalgefüh1s‚ dessen
Blickrichtung schon vor der Balfourerklärung nach Palästina wies.
Nach der Befreiung Palästinas von der osmanischen Herrschaft war die
Gründung eines jüdischen Staates nicht mehr nur ausschließlich ein mit
diplomatischen Mitteln zu verfolgendes zionistisches Ziel. Mit der
Zusicherung einer „nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische
Volk“ durch den englischen Außenminister Lord Balfour nahm der Gedanke
einer jüdischen Erschließung und Besiedelung Palästinas konkretere Form
an.
Getragen von dieser Aufbruchsstimmung begaben sich eine Reihe von
jungen deutschen Juden zu Bauern in Ausbildung; daneben entstanden aber
auch regelrechte Ausbildungslehrgüter. Solche Ausbildungsmöglichkeiten
und Einrichtungen sind unter anderem belegt für Künzelsau, Holstein,
Ludwigshorst in Westpreußen, Halbe in der Nähe von Berlin, Biebrich und
Schierstein am Rhein und eben der Markenhof bei Freiburg.(Quelle: 2.
Rundschreiben des Praklikantenamtes des Blau-Weiss, Berlin, l0. Juli
1924, Central Zionist. Archives Jerusalem.) Auf diese Lehrgüter begab
man sich auf „Hachscharah“‚ wie es ab 1922 hieß. Dieser hebräische
Ausdruck beschreibt die physische und geistig-seelische Vorbereitung
auf das Leben als Pionier (»Chaluz«) in der Siedlergruppe (»Kwuzah«) im
zu erschließenden Palästina. Auf dem Markenhof formierte sich die
„Kwuzah Markenhof“‚ die nach anfänglichen Urbarmachungsarbeiten an
verschiedenen Punkten in Palästina zur festen Ansiedlung im Jordantal
südlich des See Genezareth kam. Der heute bestehende Kibbuz Beth Sera
ging aus der Kwuzah Markenhof hervor. Somit leistete der von Conrad
Goldmann, einem Freiburger Fabrikanten, aus zionistischer Überzeugung
erworbenen Markenhof, der heute zur Gemeinde Kirchzarten im Schwarzwald
gehört, einen deutschen Beitrag zur Entstehungungsgeschichte des Kibuz.
Das folgende Interview wurde mit Ernst Fraenkel, einem ehemaligen
Ausbilder auf dem Markenhof, am 29.12.1987 geführt. Herr Fraenkel lebt
heute in Jerusalem.
Ernst Fraenkel:
Nachdem ich mit Ihnen gesprochen habe, ist mir eingefallen, daß eine
Chawera von mir vom Markenhof, Shoshanna Berlin, die aus Kowno kam -
das war damals freies Litauen, - ich spreche vom Jahre 1921-22,
vielmehr ’22 - sich nachher in Givat Brenner mit einem
Blau-Weiss-Führer aus München, Herrmann Mahler, verheiratet hat. So
viel ich weiß, ist er schon lange nicht mehr am Leben, was aus ihr
geworden ist, weiß ich nicht. Ich habe sie seit dem Markenhof nicht
mehr gesehen. Sie war ein besonders schönes Mädchen. Sie kam mit einer
Kollegin aus Kowno. Diese hieß Lea Quint (?). Über diese will ich im
Moment nicht sprechen. Von ihrer Geschichte weiß ich etwas.
Auf dem Markenhof waren Eleven aus vielen Ländern, denn es war ein sehr
bekanntes Lehrgut. Zum Beispiel war dort ein Junge namens Thon, der von
seinen Eltern aus Palästina geschickt wurde. Seine Mutter, Hanna Thon,
war eine sehr bekannte Zionistin.
Oder wir hatten auch einen Arbeiter aus Polen, Blau-Weisse aus der
Tschechoslowakei und auch einen Eleven aus Rußland. Damals, kurz nach
der Revolution konnte man noch frei aus Rußland herauskommen.
Ulrich Tromm:
Dieses Lehrgut wurde also nicht nur von Mitgliedern des „Jüdischen
Wanderbundes Blau-Weiss“ benutzt, sondern es war eine Einrichtung, die
jedem Palästinaauswanderer offenstand, der sich gezielt für sein
Siedlerleben dort vorbereiten wollte.
Konrad Goldmann, der dieses Lehrgut finanziell trug, war demnach ein Mäzen, der über beträchtliche Mittel verfügt haben muß.
E.F.:
Konrad Goldmann war ein russischer Jude. Er kam aus dem Kurland, ein
kleines Ländchen südlich von Lettland und Litauen. Als ich ihn
kennenlernte‚ hatte er eine Fabrik in Freiburg. Diese hieß „Freiburger
Draht- und Kabelwerke“. Er bewohnte eine sehr schöne Villa in der
Mozart-Straße in Freiburg.
Konrad Goldmann war ein guter Zionist und hat aus seinen Mitteln diese
Hachscharah- oder Ausbildungsfarm ins Leben gerufen. Er hat dieses Gut,
ich weiß nicht genau, in welchem Jahr, ich nehme an ungefähr
...vielleicht 1918/19, nach der Balfour-Deklaration von einem Grafen
gekauft, und zwar nicht nur den Markenhof, sondern auch ein kleines
Weingut, das im Kaiserstuhl lag und ebenfalls dazugehörte.
Konrad Gutmann hat dieses Gut als ein ihn sehr nahe angelegenheit
betrachtet. Er kam fast jeden Sonntag mit Gästen auf den Hof. Ich war
etwas länger als ein Jahr dort Eleve und habe, als ich die Pferde unter
mir hatte, ihn immer Sonntags morgens vom Bahnhof in Kirchzarten im
Höllental abgeholt, wo er mich seinen Gästen vorstellte: „Das ist mein
Eleve Fraenkel“.
Noch aus der gräflichen Zeit war für die Pferde ein sehr wunderbares
Geschirr vorhanden, das aus Silber war, und die Droschke war auch sehr
gräflich. Mit dieser Droschke habe ich dann - oder meine Kollegen in
anderen Zeiten - Herrn Goldmann und seine Gäste auf den Markenhof
gebracht und nachmittags wieder zurückgefahren.
U.T.: Die Ausbildung entsprach tatsächlich der, die ein Eleve sonst auf
einem gewöhnlichen Gut bekommen hätte? Wie war diese Ausbildung im
Vergleich zu derjenigen auf anderen damals bestehenden Lehrgütern?
E.F.: Darüber kann ich leider nichts sagen. Der Markenhof wurde nicht
kooperativ geführt, wie vielleicht die eine oder andere Hachscharoth.
Der Markenhof war der persönliche Besitz von Konrad Goldmann, der
Inspektoren einsetzte‚ die für die Verwaltung verantwortlich waren,
denn es gab dort eine große Anzahl von Eleven, und es war eine sehr
kostspielige Angelegenheit, die er allein finanziert hat. Er hatte also
drei führende Beamte: einen Verwalter, in meiner Zeit ein Herr
Seeligmann (?). Dann hatte er noch einen Herrn Moch, der später hierher
nach Israel kam und hier gestorben ist. Für die Mädchen war ein
Fräulein Falk für die Ausbildung in der Küche zuständig, eine sehr
ordentliche, tüchtige Frau, die leider den Nazis zum Opfer gefallen
ist. Sie ist nach Frankfurt gezogen, und das ist, soviel ich weiß, ihr
Schicksal gewesen.
Übernommen hat Herr Konrad Goldmann den landwirtschaftlichen Verwalter,
einen Herrn Duttlinger (?), der das Haus unten gehabt hat. Sie wissen,
wenn Sie in den Markenhof hineinkommen - ich weiß nicht, ob das Haus
oben noch besteht - führt so ein Weg hinunter...
U.T.: Ich erinnere mich sogar an eine kleine Synagoge,
E.F.: Darüber kann ich Ihnen erzählen. Die kleine Synagoge war oben -
hinter dem Speisesaal. Und dieser Herr Duttlinger hatte das Haus unten,
direkt im Hof. Er hatte seine Familie dort, und auch eine Magd. Er hat
uns in Wirklichkeit ausgebildet. Wir sind jeden Morgen angetreten. Er
hat uns, abgesehen von denjenigen, die feste Arbeit hatten, eingeteilt.
Wir hatten - in Rotation - ein paar Monate im Pferdestall, ein paar
Monate im Kuhstall oder allgemein gearbeitet. Ich habe alle diese
Arbeiten durchlaufen.
Herr Duttlinger hat auf diesem Hof mit seiner Familie gelebt. Er war
ein sehr tüchtiger Mann, der sicher diese Invasion von jungen Juden und
die ganze Führung des Hofes, die dann entstanden war, nicht besonders
geliebt hat, aber es blieb ihm nicht viel anderes übrig. Aber er hat
seine Pflicht hundertprozentig getan und hat wirklich alles dazu getan,
daß die jungen Leute vorzüglich ausgebildet wurden. Ich habe in dem
Sinne nur gute Erinnerungen an ihn. Ich weiß nicht, was aus seiner
Familie geworden ist - sie lebt vielleicht noch in dieser Gegend. Er
hatte Kinder!
Der Markenhof hieß in Wirklichkeit Markenhof-Burg. Burg ist ein kleines
Dorf neben dem Markenhof. Damals war das Dorf die Gemeinde Burg, und
dazu hat der Markenhof gehört! Und natürlich kann sich heute kein
Mensch mehr vorstellen, wie wir damals in der Landwirtschaft gearbeitet
haben.
U.T.: Sie müssen als Kinder aus bürgerlichen und großbürgerlichen Elternhäusern merkwürdige Eleven gewesen sein.
E.F.: Ja, meine Geschichte wollen Sie ja nicht hören, sondern Sie wollen ja die Geschichte von Konrad Goldmann hören.
Von der Universität zu dieser harten Arbeit - also gut, die erste
Arbeit, die man mir gab, als ich auf den Markenhof kam, war Mist zu
schaufeln, und zwar auf einen Wagen. der den Mist aufs Feld fuhr. Alle
10 Minuten, jede Viertel Stunde kam der Wagen leer zurück, und dann
mußte ich feste schaufeln. Erst bekam ich Blasen, dann ging die Haut
weg, und dann, nach einer Stunde war überhaupt nichts mehr da. Dann
bekam ich die fürchterlichste Blutvergiftung in meinem Arm und konnte
sechs Wochen überhaupt nicht arbeiten ... Da war ein sehr netter Arzt
in Kirchzarten... Und danach hatte ich aber Hände, die waren so hart
wie Stein. Dann konnte ich alles machen. Ich habe sehr gut gemäht. Ich
habe die Arbeit geliebt, obwohl ich von der Universität kam.
Außerdem ist es etwas eigenartig, was bei einem im Kopf vorgeht, wenn
man... Ich hatte sehr viel andere Interessen, ich hatte Talmud gelernt,
Hebräisch gelernt und dergleichen. Ich war engagierter Zionist‚ stand
also ziemlich im geistigen Leben. Und plötzlich leistete ich
hundertprozentig physische Arbeit. Zunächst wurde mein Kopf vollkommen
verrückt. Die Umstellung in den ersten Wochen war sehr schwer, in dem
Sinne, daß ich meinen Kopf nicht mehr anwenden konnte. Ich mußte
dauernd körperlich arbeiten, und die Umstellung war schwer. Aber dann
hatte man das Alte und das Neue. Dann war man eben viel mehr
empfänglich für all das Schöne, das es gab. Den Schauinsland zu sehen,
das steht mir heute noch vor Augen. Die herrlichen Wiesen, die wir im
Tal hatten. Der Bach floß durch den Hof. Und jeden freien Tag sind wir
- wir hatten sehr nette Mädchen dort - im Zug hinauf nach Kirchzarten
(meint wohl Hinterzarten) und mit dem Fahrrad herunter. Wir kannten die
Gegend inwendig aus. (Anglizismus: inside out).
Und was es damals auch noch gab, was heute kein Kind mehr weiß: Ich
habe alle paar Wochen die Pferde zur Schmiede genommen. Und ich habe
auch noch das Getreide in einem kleinen Wagen zum Müller genommen, um
unser Getreide zu mahlen. Wir haben dort unser eigenes Brot
gebacken.... Heute gibt es keine solche Landwirtschaft mehr.
Ich war nach dem Krieg zweimal auf dem Markenhof. Als ich das erste mal
dort hinkam, das muß um 1950 herum gewesen sein, ging ich vorne in den
Speisesaal. Dort war ein Schreiner. Der Saal war seine Werkstatt. Ich
bat ihn um Erlaubnis, ob ich mir das ansehen darf. Ich habe ihm gesagt,
daß ich dort einmal Eleve war. Und dann sah ich hinter dem Speisesaal
eine Glastür, und da wußte ich, daß wir dahinten eine Synagoge hatten,
und da bin ich hineingegangen, habe die Türe zugemacht, und da ging
alles hoch in mir. Erstens die Zeiten und die schrecklichen Morde und
all das was passiert war. Der Schreiner hatte keine Ahnung, was das
war, und er hatte in diesem Schrank, eigentlich war es eine
Betoneinbuchtung (?) in der Mauer, dort stand die heilige Lade, seine
Zeichnungen hineingetan. Aber von der Synagoge, die Konrad Goldmann
gebaut hat, obwohl er kein orthodoxer Jude war, war noch die ganze
Holztäfelung an der Decke erhalten. Und es waren Holzsäulen im Schrank.
Ich erhielt die Erlaubnis, diese Holzsäulen herauszunehmen und diese
zum Kibbuz meines Sohnes - nach Beth HaEmeq im Galil bei Naharia - zu
überführen. Und diese Säulen sind heute in einem heiligen Ladenschrank
eingebaut. Ich habe dort eine Synagoge errichtet und diese Säulen aus
dem Markenhof hineingebaut. Diese drei Säulen stehen dort, zur ewigen
Erinnerung, und auch eine Erinnerungsplakette an Konrad Goldmann.
Mein Sohn lebt in Beth HaEmeq. Er hat verwirklicht, was ich nicht
konnte. Er lebt dort schon seit 1950 und ist jetzt dort schon
Großvater. Ich habe Urenkel in diesem Kibbuz.
Und dort haben wir zunächst also nur einen heiligen Schrank gehabt, in
den wir die drei Säulen hineingebaut haben. Und dann, als die Synagoge
gebaut wurde, haben wir die Markenhof-Synagogensäulen da hineingebaut.
Der Inhaber (des Markenhofes) hat mir die Erlaubnis gegeben, sie
heraussägen zu lassen und nach Israel zu überführen. Und so ist heute
in Beth HaEmeq eine Erinnerung an Konrad Goldmann geblieben. Und am
Schrank befindet sich ein Schild, auf dem geschrieben steht, daß Konrad
Goldmann große Verdienste gehabt hat und später in einem
Konzentrationslager in Frankreich umgekommen ist.
In diesem Zusammenhang: Als Konrad Goldmann das Gut nach der Inflation
- er war in finanziellen Schwierigkeiten - nicht mehr aufrecht erhalten
konnte, - hat er die Glasfenster nach Palästina geschickt, und zwar
nach Tel Aviv. Ich konnte diese Fenster nie finden, sonst hätte ich sie
auch in diese kleine Synagoge, die ich im Kibbuz errichtet habe,
eingebaut. So hatte ich nur die drei Säulen, aber die Glasfenster habe
ich trotz eifrigsten Bemühens nicht mehr finden können.
U.T.: Nun sagten Sie, daß die Inflation für Herrn Goldmann und seine
finanziellen Möglichkeiten ein Einschnitt war. Als Auflösungsjahr wird
überliefert...
E.F.: 1925, nehme ich an, ist das Gut verkauft worden, an ein protestantisches Kinderheim.
U.T.: Es scheint auch denkbar, daß Herr Goldmann sich an die
Zionistische Vereinigung für Deutschland gewandt hat und für die
Aufrechterhaltung des Lehrgutes finanzielle Unterstützung erhalten hat.
E.F.: Er hatte nicht viel Geld. Ich weiß nur, daß das Gut ungefähr 1925
verkauft wurde. Ich war (später) noch einmal dort. Inzwischen hatte ich
meine landwirtschaftliche Ausbildung noch fortgesetzt. Ich war noch in
einer landwirtschaftlichen Maschinenwerkstatt. Aber das Gut wurde
ungefähr 1925 an ein protestantisches Kinderheim verkauft. Das weiß
ich.
Konrad Goldmann hat dann, hochbegabt wie er war, eine
Kleinmotorenfabrik aufgebaut, und bis zum Jahre 1933 war er wieder
vollkommen auf der Höhe und hatte eine wunderschöne Fabrik in Freiburg.
Und dann kam Hitler.
Ich weiß nicht, wann Goldmann wegging. Er ging nach Frankreich und hat,
soviel ich weiß, die Fabrik pro forma an seinen leitenden Angestellten
verkauft und die Vertretung (dieser Firma) in Frankreich gehabt und
sein Einkommen aus der Fabrik bezogen. Professor Weizmann‚ der erste
Präsident Israels, - mit ihm war er irgendwie befreundet - hat ihm
gesagt: »Warum gehen Sie nicht nach Palästina?« Konrad Goldmann hatte,
wie so viele andere, geglaubt, er könne wieder zurück und wurde
dann in einem Konzentrationslager in Frankreich umgebracht. Das war das
Ende von ihm. Über seine Frau weiß ich nichts.
Er hatte einen Sohn, und ich habe gehört, daß dieser bei einem
Luftangriff der Deutschen in London umgekommen ist, so daß von der
unmittelbaren Familie niemand mehr da ist.
Hier in Jerusalem wohnen 2 Neffen von Konrad Goldmann. Es war anläßlich
der Veranstaltung zur Einweihung des heiligen Schrankes in Beth HaEmeq‚
lange vor der Errichtung der Synagoge... Benno Goldmann, ein
Neffe von K. Goldmann, hat aktiv auf dem Lehrgut gearbeitet. Er war
auch Eleve dort. Und als ich anfing, die Einweihungsfeier zu
organisieren, wußte ich, wo er war, denn mein Sohn hat hier in der
Bibliothek gearbeitet. Und eines Tages kam der Benno Goldmann zu ihm
und hat gesagt: »Sag' mal, Du mußt ein Sohn von Ernst Fraenkel sein.«
An der Ähnlichkeit hat er ihn erkannt. Mein Sohn ist heute Professor an
der Hebräischen Universität. Mein jüngerer Sohn. Und auf diese Weise
habe ich den Benno Goldmann wieder getroffen. Und wir haben das erste
Treffen der Markenhofer zur Einweihung des Heiligen Schreines - vor der
Errichtung der Synagoge - im Kibbuz meines Sohnes gemeinsam
organisiert. Damals kamen noch viele Leute.
....Zunächst erhielten wir die Thorarolle von einem Herrn Jaffa
(?) in Jerusalem. Dann haben wir den Schrank gebaut. Den hat der
Architekt in Beth HaEmeq gebaut, das war Freddy Kuhana.
Und dann haben wir dieses Fest gefeiert. Das war ein Großereignis.
Benno Goldmanns Bruder kam aus Schweden zu dieser Gedenkfeier. Er lebt
nicht mehr. Ebenso eine Cousine, die jetzt mit dem (vormals erwähnten,
aus Palästina stammenden Markenhöfler) Thon in Haifa verheiratet war;
das war auch jemand von der Goldmann-Seite. Und viele Markenhöfer kamen
zu diesem Fest - hauptsächlich aus Beth Sera. Dort sind noch drei
Leute, die auf dem Markenhof waren, am Leben. Es gibt hier im Lande
auch einen alten Blau-Weißen, der hier ein berühmter Erzieher geworden
ist, der derzeit leider nicht wohlauf ist. Er kommt ursprünglich aus
Frankfurt und hieß mit deutschen Namen Franz Heinebach, heißt jetzt
aber Perez Urieli und wohnt in Beer Sheva. Er ist ein guter Freund von
mir.
U.T.: Aber Perez Urieli war nicht selbst auf dem Markenhof?
E.F.: Doch ja. Absolut. Natürlich. Wir haben zusammen im Stall
gearbeitet, Perez Urieli hat hier im Lande einen großen Namen als
Erzieher. Er hat eine wunderbare Lebensgeschichte hinter sich. Und der
war auch auf dem Markenhof. Er ging mit mir in die Schule. Ich habe ihn
zum Blau-Weiss gebracht. Wir haben das damals »Keilen« genannt. Ich
habe ihn »gekeilt«. Er hat seinen einzigen Bruder im 1. Weltkrieg
verloren.
U.T.: Die »Kwuzah Markenhof« ist in Beth Sera aufgegangen. Ist das richtig?
E.F.: Genau. Richtig. Ja.
U.T.: Ist die Kwuzah Markenhof eine geschlossene Gruppe gewesen, die vom Markenhof nach Palästina ging?
E.F.: Ja, und zwar wurden die Leute noch extra ausgebildet. Ich zum
Beispiel wurde in eine landwirtschaftliche Maschinenfabrik geschickt,
damit ich lernen sollte, landwirtschaftliche Maschinen zu reparieren.
Ich war noch ein halbes Jahr in Frankfurt, nachdem ich vom Markenhof
fort war, und habe dort gearbeitet. Dort habe ich wieder eine andere
Art Antisemitismus kennengelernt. Die Firma hatte einem Juden gehört.
Die Arbeiter dort waren tüchtige deutsche Schlosser, so wie sie heute
sind. Da kam ich dahin und wollte bei ihnen lernen. Die haben gesagt:
»Was will der Jude da bei uns?« bis sie allmählich akzeptiert haben,
daß ich wirklich Maschinen reparieren will.
U.T.: Was wurde auf dem Markenhof produziert?
E.F.: Zu meiner Zeit waren vielleicht 30 Eleven auf dem Markenhof. Die
Wirtschaft war gemischte Landwirtschaft. Sie bestand aus
Milchwirtschaft, einer kleinen Gärtnerei Ich weiß nicht, was mit
dem Wein gemacht wurde. Mein heute in Beer Sheva lebender Freund hat
auf dem Weingut gearbeitet.
Dann hatten wir eine Schweinezucht‚ obwohl das Gut dann orthodox
geführt wurde, denn ich war damals orthodox und habe nur rituell
gegessen.
Als ich auf den Markenhof gehen wollte, wurde dieser nicht rituell
geführt. Und dann bin ich zur Haushaltsdame gegangen, eine sehr
tüchtige Dame, ein Fräulein Falk, und habe gesagt: »Hören Sie, ich
möchte gern hierher kommen. Wären Sie damit einverstanden, diese Küche
rituell zu führen, wenn mein Vater sämtliches Geschirr neu
herbeischaffen würde? Würden Sie die Mädchen dann dazu anhalten,
Fleisch und Milch getrennt zu halten?« Sie hat gesagt: »Herr Fraenkel!
Wenn Sie das machen, verspreche ich das Ihnen!« Da bin ich zu meinem
Vater gegangen, der eigentlich gar kein Zionist war, aber ein
herzensguter Mann, und habe ihn gebeten, alles Geschirr zu ersetzen,
alle Töpfe. Da hat mein Vater etwa zehn Kisten Geschirr auf den
Markenhof geschafft. Von diesem Augenblick an wurde der Markenhof
rituell koscher geführt, ohne daß jemand darunter gelitten hat. Und
Fräulein Falk hat das ganz streng eingehalten.
Trotzdem hatten wir Schweinezucht. Die Schweine waren sehr nützlich zur
Verfütterung all des Abfalls, den es gab - und die Schweinezucht hat
ein Einkommen gebracht. Sonst hatte das Gut ja sehr wenig Einkommen,
denn aus dem bißchen Milch...? Ich kann mir nicht denken, daß wir viel
Getreide verkauft haben. Was wir auf den Feldern hatten, haben wir fast
alles selbst aufgegessen. Eine kleine Hühnerzucht... Ich kann mir auch
nicht denken, daß man viel verkaufen konnte. Das Heu, das wir gemacht
haben, haben wir für die Pferde und Kühe gebraucht. Die wilden
Kirschen, die wir hatten, haben wir gepflückt. Daraus hat sich der
Verwalter seinen eigenen Kirschschnaps gebrannt. Ich kann mir nicht
vorstellen, daß daraus ein Erlös erzielt worden ist.
Aber wir haben Gemüse verkauft, das weiß ich; denn als ich die Pferde
hatte, habe ich in einem kleinen Wagen Gemüse zu einem jüdischen
Beamten in Freiburg gefahren und dort abgeliefert. Wir haben zum
Beispiel auch immer Sachen von Herrn Goldmanns Kabelwerken auf das Gut
geholt, vielleicht Kohle, irgendetwas, und haben auch Sachen gebracht
(und sind) mit 2 Pferden hingefahren. Das war schon schwierig in
Freiburg, denn da verläuft so ein Kanal entlang der Straße...
U.T.: Die Bächle.
E.F.: Und ich bin immer durch das Schwabentor hineingekommen. Daß ich
da nicht dauernd in diese Dinger hineingekommen bin mit meinen beiden
Pferden. Es war eine solche Kunst, da (heil) durchzukommen, das sage
ich Ihnen.
Regelmäßig wurden Sachen zum Werk gebracht, und wir brachten Sachen
zurück. Aber wie gesagt, ich kann mir nicht denken... Die Schweine wird
man verkauft haben, die Milch hat man verkauft. Wir hatten nur 12-14
Kühe. Wir hatten den einzigen Eber in der Umgebung auf dem Hof. Sie
kamen alle mit den Schweinen zu uns. Wir hatten den einzigen Hengst;
die Bauern aus der Umgebung kamen zu uns (mit ihren Stuten) zum Decken.
Es war also der führende Hof in der Gegend.
Wir haben alle Arbeit erlernen können, weil die Landwirtschaft so
variiert war. Das herrliche Heu da unten im Tal, das wir hatten, diese
Wiesen! Was wir an Heu hatten! Ich habe mähen können wie der beste
Bauer, um die Bäume herum, wo man mit der Mähmaschine nicht hinkommt.
Wir haben Dreschmaschinen gehabt. Wir waren halbmotorisiert. Das heißt,
wir hatten noch keine Traktoren, keine Melkmaschinen, aber die
Dreschmaschine wurde mit Benzin betrieben. Wir hatten Mähmaschinen. Es
wurde auch irgendwie schon motorisiert gemäht. Alles andere haben wir
mit der Hand gemacht. Das war wirklich noch alles im alten Stil.
Es ist interessant, wenn man bedenkt, daß wir damals (nicht einmal) 20
Kühe auf dem Markenhof hatten. Da haben wir 2 Leute zum Melken
gebraucht. Jetzt hat der Schwiegersohn meines Sohnes, also zwei
Generationen nach mir, die Milchwirtschaft in Bet Ha Emeq unter sich.
(Dort leben übrigens viele Leute die ursprünglich aus Deutschland
kamen, aber nie auf dem Markenhof waren, sondern im englischen Habonim
waren, als Absolventen der - späteren - englischen Hachscharah.)
Er hat 800 Kühe unter sich und hat vor 14 Tagen im Flugzeug 150
Simmenthaler Kühe nach Israel importiert. Davon hat der Kibbuz 75
bekommen. Jetzt sind also weiter 75 Kühe im Kibbuz‚ und die Arbeit wird
von neun Leuten geleistet. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie das
mechanisiert worden ist; und auch die Computerisierung (der) Futter
(zuteilung) und der Zucht - alles per Computer. Bei Kreuzungen weiß man
jetzt genau, ob Milch- oder Fleischkühe. Sie sind systematisch
ausgesucht worden. Melken tut man diese Hunderte von Kühen mit 4
Leuten. Was das für eine Entwicklung in den 60 Jahren ist. Von
Melkmaschinen ist schon gar nicht mehr die Rede. Die Milchwirtschaft
ist in Israel so modern. Auch die Hühnerzucht. Man sieht überhaupt kein
Huhn mehr!
Oben, bevor man in das Haus kam, wenn man so hereinkam, da war eine
Wiese mit Obstbäumen, und schöne große Kirschbäume, (Kirschen) die wir
gepflückt haben. Das konnte ich nie: Die Leiter anstellen. Die flog immer
’runter. Der hat mich immer einen Pfundidioten genannt, der Duttlinger.
Und oben hatten wir noch eine Gärtnerei. Und da war der Herr Ehrlich,
da oben.
U.T.: Wie sah es in Ihrem Jahrgang auf dem Markenhof aus. Was war der bildungsmäßige Hintergrund der Anderen?
E.F.: Bildungsmäßig hatten sie sicher alle Abitur, fast alle hatten das
Abitur. Nicht die Mädchen, aber die hatten auch eine Vorbildung...
Die meisten (Markenhofer Eleven) aus Deutschland hatten eine höhere Schulbildung.
U.T.: Hat sich aus Ihrem Jahrgang die Kwuzah Markenhof formiert?
E.F.: Auf dem Markenhof waren mehrere Jahrgänge, die Gruppe entstand
aus verschiedenen Jahrgängen. Ich glaube, daß damals 25 zusammen
hinübergingen, 24—25.
U.T.: Und das waren Menschen, die mit Ihnen gemeinsam den Markenhof durchlaufen hatten?
E.F.: Nicht alle. Manche waren schon nicht mehr da. Manche waren schon
gegangen, oder waren woanders, um sich weiter auszubilden.
U.T.: Wieviele Leute sind denn effektiv durch den Markenhof gegangen?
E.F.: Das weiß ich eben nicht.
U.T.: Wieviele Eleven (und Hauswirtschafterinnen) waren zu Ihrer Zeit gleichzeitig plazierbar?
E.F.: Zu meiner Zeit waren vielleicht 30 Leute da, es waren Leute vor
mir da, und es waren Leute nachher da. Denn das Ausbildungslehrgut
bestand 7 Jahre. Die meisten Leute sind 2 Jahre (auf dem Markenhof
ausgebildet worden). Es muß doch eine beträchtliche Anzahl von Menschen
da durchgegangen sein. Es muß hier im Lande viele geben und gegeben
haben, die auf dem Markenhof waren...
U.T.: Wie war denn dann letztendlich Ihr Weg nach Israel oder damals wahrscheinlich noch Palästina?
E.F.: Ich konnte nicht gehen. Ich bin zurück in das Geschäft meines
Vaters gegangen, wohin ich nicht gehen wollte. Aus Familiengründen.
U.T.: War es eine größere Frankfurter Firma?
E.F.: Ja, seit 1865. Mein Großvater hat sie gegründet.
...Warum sind wir in die Jugendbewegung gegangen? Weil wir
geglaubt haben, daß wir unser ganzes Leben ändern müssen, daß wir
lernen müssen, mit der Hand zu arbeiten. Das war die Basis. Das war
absolut die Basis von Blau-Weiss und von alledem.