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Hachschara im Markenhof bei Freiburg. Eine Spurensuche
von Ruben Frankenstein

 in: Manfred BOSCH (Hrsg.): Alemannisches Judentum. Spuren einer verlorenen Kultur, Baden- Baden 2001, S. 123-139.


"Wir schütten das alte Leben ab, das an uns
ranzig wurde und beginnen von neuem.
Wir wollen weder Änderungen noch Verbesserungen,
wir wollen von neuem beginnen.«
(Aharon David Gordon, 1856 Trojano – 1922 Degania)

Kibbuz und Hachschara
Eine der faszinierendsten Erscheinungen des eben verflossenen 20. Jahrhunderts war zwelfellos der Kibbuz. Es war der verwirklichte Traum einer gerechten Solidargemeinschaft, frei von jenen Zwängen der kapitalistischen freien Marktwirtschaft, die durch Ausbeutung und Unterdrückung gekennzeichnet sind. Die Idee war: ein kollektives Dorf zu errichten, in dem jeder gleichberechtigt für die Gemeinschaft arbeitet und von dieser erhält, was er zum Leben braucht. Lohnarbeit und Privatbesitz sollten grundsätzlich vermieden werden.

Auf dieser Grundlage wurde 1909/10 Degania A, der erste Kibbuz, errichtet und anschließend nach dessen Muster mit großem Elan eine ganze Anzahl kollektiver Siedlungen gegründet: Merhavia 1911, Kinneret 1913, Degania B 1914, Ayelet Haschachar 1916, Kfar Giladi 1916, Beth Alpha, Ginegar und Misra 1920, Ejn Harod, Gan Shmuel, Geva und Tel Yosef 1921, Gvat, Hefziba, Mischmar HaEmeq, Ramat David und Yagur 1922 und viele mehr sollten in den kommenden Jahren entstehen.1

Wenn der Kommunismus auf ganze Länder bezogen kläglich gescheitert ist und sich als “Ein Gott der keiner war”2 entpuppte, erwies sich diese Utopie in kleinen überschaubaren Gruppen als machbar. Gewiß, seit den achtziger Jahren befindet sich die Kibbuz-Bewegung in einer schweren Krise, der Glanz der frühen Pioniertage ist erloschen. Aber noch immer bestehen etwa 280 Kibbuzim in Israel und strahlen in die ganze Welt hinaus als ein gültiger Versuch einer gerechteren Gesellschaft.

Diese sozialistische Utopie war an die Überzeugung eines notwendigen gesellschaftlichen Umbaus gekoppelt, der Bildung einer breiten Schicht von Bauern, Handwerkern und Arbeitern anstelle von Kaufleuten, Mittelsmännern, Angestellten und Freiberuflern. Eine Umkehrung der sozialen Pyramide galt als Voraussetzung einer nationalen Wiedergeburt und Etablierung einer eigenständigen Staatlichkeit. Zur Ausbildung bzw. Umschulung junger Leute zu Bauern und Handwerkern waren Ausbildungsstätten “Hachscharoth” (von Hachschara = Befähigung) in Form landwirtschaftlicher Güter und Werkstätten notwendig. Einige wenige - wie die Gartenbauschule in Ahlem; 1893 von Moritz A. Simon gegründet - bestanden schon zu Beginn des Jahrhunderts und konnten sich auf die neue Aufgabe umstellen; die meisten jedoch mußten erst eingerichtet werden.

Zur Einrichtung und Koordinierung der Ausbildungsstätten und Umschulungsgüter wurde im Jahr 1917 die Organisation “Hechaluz” (= Der Pionier) von Josef Trumpeldor ins Leben gerufen zunächst in Rußland und bald danach auch in anderen Ländern. Der deutsche Landesverband wurde am 16. Dezember 1922 in Berlin gegründet. Mitglied konnte jeder werden, der einen landwirtschaftlichen, handwerklichen oder anderen unmittelbar für den Aufbau des Lebens in Palästina wichtigen Beruf ausübte oder erlernte und gewillt war, sich in das neu entstehende Leben in Palästina einzugliedern.

So bescheiden der Anteil deutscher Juden am zionistischen Aufbauwerk Palästinas vor 1933 gewesen ist - es gab doch zumindest drei frühe Vorläufer, die noch vor der Gründung des “Hechaluz” in Deutschland entstanden: das bereits erwähnte Ahlem bei Hannover, Mahapecha in Schlesien und den Markenhof bei Freiburg. Hier soll die Geschichte der Hachschara im Markenhof erzählt werden, einer der ersten, wenn nicht der allerersten auf deutschem Boden. Der Mann, der Initiative und Energie und sein ganzes Vermögen einsetzte, damit ein solches Aufbauwerk bei Freiburg entstehen konnte, hieß Konrad Goldmann.
Konrad (Elchanan) Goldmann wurde in Tukum, Kurland, im Jahr 1872 geboren. Bis 1900 studierte er Ingenieurwesen an der Hochschule in Mönchengladbach, die er mit Diplom abschloß. Danach war er an verschiedenen Stellen als Ingenieur beschäftigt. 1907 siedelte er nach Freiburg über, wo er 1913 in der Wentzingerstraße eine eigene Fabrik gründete die “Draht- und Kabelwerke” (DKP) zur Herstellung von Isolierleitungen und -röhren.

Als leidenschaftlicher Anhänger einer nationalen jüdischen Wiedergeburt begnügte er sich nicht mit der aktiven Mitgliedschaft in der zionistischen Ortsgruppe Freiburg. Er entschloß sich, die gesamten Gewinnerträge seiner Fabrik zur Förderung eines praktischen zionistischen Aufbauwerks zu verwenden. Zu diesem Zweck versammelte er Ende 1918 einen kleinen Kreis gleichgesinnter Personen und gründete einen Verein mit dem Namen “Jüdischer Landwirtschaftsverein >Der Pflug< (Hamachreschah)“

Folgende kleine amtliche Bekanntmachung erschien am 26. Januar 1919 in der “Freiburger Zeitung” und einen Tag später in der “Karlsruher Zeitung“:

In das Vereinsregister Band llI A.Z. 34 wurde eingetragen
Jüdischer Landwirtschaftsverein
»Der Pflug (Hamachreschah)« eingetragener Verein, - mit Sitz in Freiburg i. Breisgau.
Freiburg, den 18. Januar 1919
Amtsgericht II.

Der Markenhof in Kirchzarten-Burg, zwanziger Jahre.

Damit beginnt die bemerkenswerte Geschichte eines nur unzulänglich bekannten Experiments jüdischer Initiative im deutschen Südwesten. Ziel und Gegenstand des Vereins War laut Satzung vom 27.12.1918, “in gemeinnütziger Weise die Erziehung der jüdischen Jugend zur Landwirtschaft zu fördern. Er kann zur Erzielung dieses Zweckes landwirtschaftliche Güter erwerben und bewirtschaften. Gründer und Mitglieder waren neben Konrad Goldmann und seiner Frau Robertine Frau Elise Kaufmann, Witwe des Gründers und ersten Vorsitzenden der zionistischen Ortsgruppe, des Arztes Max Kaufmann, dessen Sohn Ernst Kaufmann, Diplomingenieur Ludwig Friedlaender, cand. med. Julius Fröhlich und Hofrat Richard Brecht-Bergen, Professor in Badem-Baden.


Markenhof-Eleven beim Backen und in einer Erntepause

Schon kurz darauf, Anfang 1919, kaufte der Verein den Markenhof auf der damaligen Gemarkung Burg und Zarten (heute Kirchzarten). Unter Anleitung eines landwirtschaftlichen Verwalters und ein paar lnspektoren wurden die Eleven in die Arbeit im Pferdestall, im Kuhstall mit Milchwirtschaft, in der Schweinezucht, im Hühnerstall, in der Feldarbeit mit Getreide, Kornmühle und Bäckerei, in der Gärtnerei mit Obstbäumen (Äpfel und Kirschen) und im Weingut (im Kaiserstuhl) eingeführt und eingearbeitet.

Die Eleven kamen größtenteils aus bürgerlichen Elternhäusern, waren entweder Abiturienten oder Jungakademiker aus dem süddeutschen Raum, aus Berlin und Köln, aber auch aus Litauen, Galizien, Rußland, Tschechoslowakei und der Bukowina. Darunter waren sowohl Mitglieder des jüdischen Wanderbundes “Blau-Weiß" als auch von “Jung Juda", jenem radikalen Berliner Kreis um Gerhard Scholem, der die “Blau-Weißen" mit Spott übergoß.3

Die Bewerbung für den Markenhof erfolgte aufgrund von Annoncen im Organ der Zionistischen Beuregung für Deutschland, der “Jüdischen Rundschau”, unter der Rubrik “Jüdisches Arbeitsamt:
“Vakante Elevenstellen für das jüdische Lehrgut Markenhof, Post und Station Kirchzarten bei Freiburg, stellt sofort eine beschränkte Anzahl von Eleven und Elevinnen ein. Leistung eines Erziehungsbeitrages von 300,DM monatlich durch Eltern oder Organisationen erforderlich. Ausführliche Bewerbung mit Lebenslauf, Zeugnissen über Schulbildung und praktische Tätigkeit, Gesundheitsattest, wollen eingesandt werden an Inspektor Seligmann, Jüdisches Lehrgut, Markenhof"4

Wie viele junge Leute wurden in Markenhof ausgebildet?
Konrad Goldmann selbst bezifferte ihre Zahl in den sieben Jahren des Bestehens des Markenhofs mit 300 eine erstaunlich hohe Zahl, die etwas überhöht scheint oder zumindest nach oben aufgerundet. Laut Aussagen mehrerer Zeugen befanden sich etwa 30-50 Auszubildende jeweils für die Zeit von etwa einem bis zwei Jahren im Lehrgut. Möglich, daß es auch Eleven gab, die für eine kürzere Zeit oder probeweise da waren oder die ihre Ausbildung vorzeitig abbrachen. Wie viele dann tatsächlich nach Palästina eingewandert sind und in landwirtschaftlichen Siedlungen landeten, ist nicht mehr zu ermitteln. Anzunehmen ist, daß eine ganze Anzahl Markenhof-Absolventen in dem einen oder anderen Kibbuz oder in einer anderen Siedlungsart Aufnahme fand. Namentlich kennen wir nur etwa 30 Personen. Es ist ein großes Verdienst des Lehrers Ulrich Tromm aus Müllheim/Baden, beizeiten die Bedeutung des Markenhofs erkannt und einige der wenigen verbliebenen Zeitzeugen ausfindig gemacht und interviewt zu haben, darunter vor allem Alfred Fränkel.5

Konrad Goldmann stattete den Markenhof großzügig mit jedem Komfort aus und bemühte sich, alle Wünsche der Auszubildenden zu erfüllen. Die Krone setzte er dieser Einrichtung mit dem Bau einer kleinen Synagoge in einem Flügel des Hauptgebäudes auf. Dies war um so erstaunlicher, als die meisten Auszubildenden einem nicht-religiösen Milieu entstammten und ihre Hinwendung zum Zionismus den Vorstellungen orthodoxer Kreise diametral entgegengesetzt war. Auch Konrad Goldmann war nicht von starker religiöser Gesinnung. Nun stellte sich aber heraus, daß eine solche für einige wenige Kandidaten (wie etwa Fränkel) Voraussetzung war, überhaupt mitzumachen. Goldmann wähnte hier - großzügig, wie er war - eine Möglichkeit, nicht allein einem solchen Verlangen entgegenzukommen, sondern sein Lehrgut künstlerisch aufzuwerten. Von seinem Besuch der Werkbund-Ausstellung in Köln 1914 hatte er noch die künstlerisch gelungene Synagoge Friedrich Adlers im Gedächmis - ob dieser nicht einen ähnlichen Entwurf für seine Synagoge liefern konnte? Wie die Kontakte zwischen Goldmann und Adler sich im einzelnen gestalteten, ist nicht mehr zu rekonstruieren; doch es kann als gesichert gelten, daß Friedrich Adler Skizzen für sechs Fenster entwarf, die dann von der renommierten Werkstatt des Freiburger Glasmalers Eduard Stritt ausgeführt wurden.

Einwanderung und erste Ansiedlungsversuche
Die erste Pioniergruppe der MarkenhofiAbsolventen vier junge Frauen und drei junge Männer wanderte nach Palästina im Dezember 192l ein. Kurz zuvor war der Soziologe Arthur Ruppin (1876-1943) zum Markenhof gekommen, der als Leiter des “PalästinaAmtes” seit 1908 die Kolonisation des Landes organisierte und vorantrieb. Er kam auf Einladung einer Gruppe, die aus erster Quelle Auskunft und Rat bezüglich der Möglichkeiten einer Einwanderung und Ansiedlung in Palästina einholen wollte. Ruppin blieb einige Tage und konnte die Gruppe, die sich zur Gründung eines Kibbuz entschlossen hatte, nur ermutigen. In seiner Begleitung befanden sich einige Frauen aus Palästina, die sich bemüßigt sahen, den Mädchen lieber eine leichtere Arbeit als Putzfrau in den städtischen Haushalten anzuraten als die harte Arbeit in einem Kibbuz dies zumindest, bis die Männer alles fertiggestellt hätten. Solche Ratschläge wurden als ganz abwegig bezeichnet, und es wurde ihnen energisch widersprochen waren die Mädchen doch fest entschlossen, mit den Männern gleichzuziehen.“ Arthur Ruppin prägte für sie den Namen “Kewuzat Markenhof” (: Gruppe bzw. Kommune Markenhof), den sie einige Jahre lang in Palästina beibehielten.

Nach der Ankunft in Tel Aviv pachteten sie ein Grundstück in Ejn-Ganim 7 bei Petach Tikwa, auf dem sie nach den auf dem Markenhof erlernten Regeln eine kleine Hilfswirtschaft mit Gemüsegarten sowie Viehund Hühnerzucht betrieben. Währenddessen hielten sie engen Kontakt mit ihren Kameraden im badischen Markenhof und mit dem Berliner “Jung Juda«-Kreis in der Absicht, einen gemeinsamen Kibbuz zu gründen. Aus diesen sollten sich weitere Kandidaten dem Gründungskern des Kibbuz anschließen.

Ein Palästina-Reisebuch aus dem Jahre 1923 liefert uns das erste Zeugnis ihrer Existenz in jenen Tagen in Ejn-Ganim. Die Autoren, Richard A. Bermann (alias Arnold Höllriegel) und Arthur Rundt, richten ihr besonderes Augenmerk auf die voranschreitende Besiedlung des damaligen Palästina durch die jungen Pioniere. Ohne selbst der zionistischen Vision zu verfallen, wie sie im Vorwort betonen, bringen sie ihr doch große Bewunderung und Anerkennung entgegen:
“Ich trete ins erste Haus. Ein Mädchen in weißem Linnen wässert fruchtschwere Bananenstauden; hundert kleine Kücken wimmeln piepsend auf dem Hof umher. Ich spreche das Mädchen an und bekomme eine Antwort im Berliner Dialekt. Eine junge Dame aus der Köpenicker Straße, Berlin O, vor kurzem noch Stenotypistin. Dann hat sie in der Ackerbauschule Markenhof bei Freiburg im Breisgau gelernt, wo junge Juden im Ackerbau unterwiesen werden. Die meisten Genossen in dieser Farm sind Markenhofer, viele aus Deutschland. Vor einigen Monaten haben sie ihre "Kwuzah" gegründet, ihre "Kommuna", die Gruppe zu gemeinsamer Arbeit und zu gemeinsamer Freiheit. Sie sind noch in den Anfängen, das Geld ist sehr knapp, manchmal das Essen. "Aber es ist so ein fruchtbares Land hier", sage ich, "Sie werden es bald behaglich haben." Das Mädchen, Meta geheißen, lacht mich aus. "Hier? Nee, nicht hier. Der Nationalfonds hat uns eigenes Land versprochen. Bald können wir nach Galill..." 8

Bermann ist verblüfft, denn hier, in der Ebene Saron‚ in den alten Baronischen Kolonien, wo die Pioniere die ersten beiden Jahre ausharren, fließen Milch und Honig, in Galill ist erst noch alles urbar zu machen. Und wer dort hingeht, weiß, daß er sich dem Sumpffieber ausliefert.

“Und doch, nach Galill, Galjll, Galill! Da ist die freie Luft der Zukunft, da wird man ganz, ganz anders sein. Mit seinen eigenen Händen wird man sich das Haus der nationalen, der sozialen Freiheit bauen, ein Haus voll Tolstoi und Peter Altenberg; auf hebräisch. Kein Laut des alten Jargon soll dort gehört werden." 8a

Tatsächlich haben die jungen Pioniere ihre erste Zeit im Lande nicht nur zur praktischen Einübung in die landwirtschaftliche Arbeit unter den Bedingungen und dem Klima des Landes genützt, sondern auch, um die hebräische Sprache zu lernen. Sie waren entschlossen, möglichst bald ihre Heimatsprache aufzugeben und ihren Kindern nur noch das Hebräische zu vermitteln. Ebenso haben so gut wie alle ihre alten Namen abgelegt und hebräische angenommen. Schon für die zweite Generation im Kibbuz war Deutsch eine Fremdsprache.

Ebenso fasziniert war Bermann von den scheinbar unkomplizierten, lockeren Beziehungen zwischen Männern und Frauen in der Gruppe ein eher oberflächlicher, wenn nicht ganz trügerischer Eindruck:
“Am Abend, während wir durch die Zypressenallee gehen, die von der Farm ins Dorf führt, erzählt dasselbe Mädel, wiederum sachlich, aber jetzt sehr ernst: >Es ist nirgends so leicht wie hier, >Versorgt< zu sein. Wir sind ja viel weniger Mädels als Burschen. Und wenn einer den richtigen Platz gefunden hat, denkt er doch bald daran, eine Frau zu haben und
dann ein Kind.<« --

Ein deutscher Chaluz, der, bevor er in Markenhof die Landwirtschaft erlernte, in München und Heidelberg Jus und Nationalökonomie studiert hat, spricht von einer besonderen "Wahlsicherheitm".
“Wir leben so eng beieinander, sind einander so nahe, daß wir uns schneller und gründlicher kennenlernen, als in irgendeiner anderen Lebensform. Deshalb gibt es so selten lrrtümer der Wahl. In keinem Fall wird, wo ein Kind da ist, eine Ehe gelöst" 8b
Am Abend erhebt sich, wenn die Mahlzeit beendet ist, einer der Burschen und meldet: >Die Hanna ist von heute an meine Frau< Jubel bei allen, obwohl es alle seit langem erwarten. Dann beginnt der Neeschef, das Fest. Es werden Mandeln zu Tische gebracht, wohl auch ein paar Gläser Wein, es wird gesungen und sehr viel getanzt. Draußen wird aus Holzstäben und Reisig ein Trauhimmel errichtet für eine heiter-formlose Zeremonie, nachher wiederum Tanz und Gesang, bis man beim Bleichen der Sterne ans Umgruppieren der Lagerstätten denkt. lst kein Zimmer frei zu machen, so errichten die Kameraden vor dem Hause oder im Garten ein Zelt für das neue Paar. Der junge Haushalt - wofern das Wort hier Sinn hat - ist Fortsetzung einer erprobten und bewährten Beziehung ohne andere Zäsur als das ausgelassene Fest in der Mondnacht, ohne Rabbi. Der Standesamt ähnliche Akt wird vielleicht später nachgeholt, um dem Kinde in seinen Papieren den Philistervermerk zu ersparen." 8c

Aus dieser Übergangszeit in Ejn-Ganim stammt eine merkwürdige Episode mit erwähnenswertem südwestdeutschem Hintergrund. Noch vor den ersten zionistischen Siedlern kamen seit 1868 nach und nach fromme evangelische Siedler aus Schwaben nach Palästina. Sie gehörten einer kleinen, wenig bekannten Religionsgemeinsehaft an, der Tempelgesellschaft, die 1861 auf dem Kirschenhardthof bei Marbach von Christoph Hoffmann mit dem hehren Ziel der Errichtung des Gottesvolkes im Heiligen Lande ins Leben gerufen worden war. Ihre Mitglieder gründeten städtische und blühende landwirtschaftliche Kolonien und pflegten bis zur Machtübernahme Hitlers gute Nachbarschaft mit den jüdischen Siedlern, mehr als mit den arabischen Einwohnern. Eine dieser Templer-Kolonien, Wilhelma, entstand 1902 südlich von Petach-Tikwa. Die seit 1878 bestehende jüdische Kolonie entwickelte sich allmählich zu einer mittelgroßen Stadt und war ein wichtiger Absatzmarkt für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Templer.

Nun trafen sie im Markt von
Petach-Tikwa aufeinander die schwäbischen Bauern aus Wilhelma und die jungen Pioniere des badischen Markenhofs und konkurrierten miteinander.
“Von Anfang an waren unsere jungen Mädchen gleichberechtigt in Arbeitsangelegenheiten. Der ganze Haushalt war in ihren Händen, selbst das Brot wurde von ihnen gebacken. Zusätzlich kümmerten sie sich um die Hilfswirtschaft, den Viehstall, den Hühnerstall und den Gemüsegarten. Ferner übernahmen sie selbst den Verkauf der Ernte auf dem Markt. >Tenuwa< (die Vermarktungsgenossenschaft) hat es damals noch nicht gegeben. Wir mieteten also einen Verkaufsstand und die jungen Mädchen standen da und verkauften unsere Erzeugnisse, direkt an die Hausfrauen von
Petach-Tikwa. Als unsere vier hochgewachsenen und eindrucksvollen Mädchen auf dem Markt standen, zog das ein großes Aufsehen auf sich. Die jungen Männer von Petach-Tikwa ließen ihre Arbeit in den Zitrushainen liegen und kamen auf Pferden geritten, mit buntem feierlichem Geschirr, wie die Araber, und stellten sich ausgerechnet vor unseren Verkaufsstand... Die Hausfrauen bekamen zusätzlich zur gekauften Ware von den Mädchen eine Lektion über die Bedeutung von hebräischer Arbeit und eigener Produktion des Landes. Diese Werbung hatte ihre Wirkung. Nach einer Zeitlang kamen die Bauern von Petach-Tikwa uns zum Sieg zu gratulieren, den wir mit der Eroberung des lokalen Marktes hatten. Es geschah, daß der deutsche Bauer aus Wilhelma, der bisherige Hauptlieferant, mit beladenem Wagen zurückfahren mußte, ohne seine Erzeugnisse verkauft zu haben, da der ganze Bedarf durch hebräische Produktion gedeckt war.« 9

In den dreißigerJahren, als die Templer in Palästina sich mehrheitlich zum Nationalsozialismus bekannten, trübten sich die Beziehungen zur jüdischen Bevölkerung verständlicherweise. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die schwäbischen Bauern Wilhelmas wie auch anderer landwirtschaftlicher Siedlungen von den englischen Mandatsbehörden in ihren Dörfern hinter Stacheldraht interniert und am 31. Juli 1941 nach Australien deportiert.

Auf dem Weg zur endgültigen Siedlung
Die zweite Station der Odyssee der jungen Siedler begann im November 1923 mit der Ansiedlung von elf Markenhof-Absolventen in Rub-al-Nazra im Tal Jesreel (an der Stelle des heutigen Kibbuz Misra). Am gleichen Ort wurde noch eine zweite Gruppe angesiedelt, und es stellte sich bald heraus, daß der Platz für zwei Gruppen zu eng war. lm Oktober 1926 wichen die inzwischen 23 Markenhofer, jetzt verstärkt durch einige Tschechen aus Leitmeritz, auf einen neuen Siedlungsort aus, das verlassene arabische Dorf Um-Djuni im Jordantal, südlich von Degania. Kurz nach dem Einzug in die mit Mückennetzen ausgestatteten Lehmhütten im Sommer 1927 wurden die Siedler von einem kurzen Erdbeben überrascht, das die Behausungen in einen Ruinenhaufen verwandelte. Hiervon ließen sich die Markenhofer aber nicht entmutigen zwei Monate später, am 20. September 1927, konnten sie sich endgültig am heutigen Standort niederlassen. Nach einigen Namenswechseln einigten sie sich auf Beth Sera - Saathaus.

Kurz zuvor, im April 1926, war ein 20jähriger ungarischer Jüngling namens Arthur Koestler auf der Suche nach einem Kibbuz, dem er sich anschließen konnte. Noch gab es Beth Sera nicht, und so blieb ihm als einzige Wahl Chefziba, der erste Kibbuz deutscher und tschechischer Juden in Palästina, der 1922 am Fuße des Berges Gilboa gegründet worden war. Die Probezeit von einigen Wochen bestand der Kandidat aber nicht: "geurogen und für zu leicht befunden".  So landete er für die nächsten drei Jahre in Jerusalem, ehe er sich für Paris entschied und die Laufbahn des Schriftstellers ergriff. Seinen mißglückten Versuch, sich einem Kibbuz anzuschließen, beschrieb er 1945 in seinem Roman “Diebe in der Nacht«.10

Ein weiterer prominenter Besuch hatte sich schon Anfang 1925 im Kibbuz Chefziba gemeldet: Franz Werfel und seine Frau Alma Mahler-Werfel. Ihre Eindrücke vom jungen Kibbuz sind alles andere als enthusiastisch:
»Man bekam Tee in verrosteten Eierschalen. Dann gingen wir ins Freie und beschauten uns die ganze Anlage. Vor allem das Kinderhaus, das der Stolz der Siedler war. Aber Fliegen und großer Zugwind wehren über die hilflosen mutterlosen Geschöpfe. Im Hof zeigte man uns den Platz, auf dem das Zelt aufgestellt wurde, in dem wir schlafen sollten. In all dem
war wenig Schönheit zu spüren." 11

Noch in derselben Nacht flüchteten die beiden nach Nazareth. Werfel selbst war hin und hergerissen zwischen seinen eher positiven Eindrücken und Almas Haltung:
»Meine seelische Lage ist dadurch erschwert, daß Alma gegen das jüdische hier an sich, weiters (selbstverständlich) gegen das Kommunistisch-jüdische, die furchtbarsten Widerstände hat, und daß ich ununterbrochen in die falsche Rolle des Mttlers, eines Polemikers nach beiden Seiten hin gedrängt bin." 12

Ein ähnlich gemischtes Ehepaar kreuzte vier Jahre später im neu gegründeten Beth Sera auf: Armin T. Wegner und Leonore (Lola) Landau. Hier war die Frau jüdisch. Wegner, 1886 in Elberfeld geboren und 1978 in Rom gestorben, hat sich vor allem mit Reisebeschreibungen und mit flammenden Protesten gegen den Völkermord an den Armeniern hervorgetan; Berühmtheit erlangte er auch durch seinen naiven Protestbrief an die Adresse Adolf Hitlers vom Ostermontag 1933, der gegen den “Judenboykott” vorn 1. April und die antisemitischen Repressalien gerichtet war. Dafür erntete er ein Verbot und die Verbrennung seiner Werke sowie mehrere Monate Haft in Gefängnissen und KZs. Im Winter und Frühjahr 1928/29 unternahm er mit seiner Frau im Auftrage des Volksverbandes der Bücherfreunde eine Reise vom Kaspischen Meer zum Nil. Nachdem er die erste Strecke von Persien mit einem Junkers-Flugzeug erkundet und See Genezareth und Jordan mit einem Klepperfaltboot durchquert hatte, gelangte er um Ostern 1929 mit seinem Beiwagen-Motorrad nach Beth Sera. Ein längeres Kapitel seines Reiseberichts “Am Kreuzweg der Welten« (1930) mit dem Titel “Die Saat der Erde" widmete Wegner den Eindrücken, die er bei seinem Aufenthalt in diesem Kibbuz gewann. Die Odyssee der Siedler bis zu ihrer Niederlassung am heutigen Ort beschrieb er so:
“Die Kolonie >Beth Sera< ist erst vor fünf Jahren gegründet worden. Von den deutschen Juden wird sie auch >Markenhof< genannt nach der deutschen Musterfarm, in der die Siedler ausgebildet wurden. Die Mehrzahl von ihnen stammt aus Galizien und Polen, einige aus Süddeutschland, alle haben ihre landwirtschaftliche Ausbildung in Deutschland erhalten. Die meisten sind aus der Jugendbewegung hervorgegangen; hier fanden sie sich als Gymnasiasten, als Studenten und Studentinnen in Gruppen zusammen, Kinder aus vermögenden Häusern einer wohl behüteten Kinderstube, Söhne von Bankbesitzern und Kaufleuten. Und eines Tages reifte der Plan in ihnen, Bildung, Elternhaus und alle Aussichten eines sicheren Berufes in Europa hinter sich zu lassen, um mit dem Schweiß ihrer gebeugten Rücken die alte hartherzige Heimaterde Palästinas auszureißen.

Schon vor sieben Jahren trafen sie in Jaffa ein. Aber noch lange mußten sie das übliche unstete und mühselige Leben aller Pioniere in Palästina führen, ehe man ihnen Land zur Bearbeitung gab. Zuerst nahmen sie Lohnarbeit in den Orangengärten an; sie wohnten in Zelten und litten furchtbar unter den Fliegen, dieser schlimmsten Plage Palästinas. Dann halfen sie beim Bau der Landstraßen; selbst die Mädchen mußten Steine zerklopfen und tragen. Später hat man die Gruppe in der Ebene bei Afuleh angesiedelt. Endlich glaubten sie sich am Ende ihrer Prüfungszeit, doch zu ihrer Enttäuschung hatten sie kein Wasser, die störrische Erde wollte nichts hergeben. Lange quälten sie sich vergeblich, ohne vorwärts zu kommen. Sie waren so arm, daß sie nicht einmal Zucker für ihren Tee hatten. Aber unter solchen Entbehrungen stahlen sich Körper und Seele des jüdischen Pioniers und bilden jene wunderbaren Menschen aus ihm, dem man auf fast allen Siedlungen begegnet. Alles was schwach und untätig und arm an Liebe ist, muß dabei zugrunde gehen. Manche gaben es auf, gingen in andere Berufe über, andere erkrankten und mußten nach Europa zurück. Aber nur unter solchen Entbehrungen konnten sich jene engen Gruppen von Menschen zusammenschließen, die heute die Gemeinschaftssiedlungen des Emek bilden, und von denen niemand außer den wenigen kleinen Habseligkeiten seines Zimmers ein persönliches Eigentum an Land, Haus, Vieh oder Früchten besitzt.

Endlich, am Ende des zweiten Jahres, gab man ihnen das Land von Beth Sera in Pacht. Aber nun begann erst ihre Arbeit von neuem. Acker und Felder mußten aus einer grünen, undurchdringbaren Wildnis gerodet werden. Kaum hatten sie die alten Lehmhäuser des kleinen Araberdorfes bezogen, das man für sie aufgekauft hatte, als das ganze Dorf unter einem Erdbeben zusammenbrach. Nur mit Not konnten sie im letzten Augenblick die kleinen Kinder retten. Neue Wohnhäuser und Stallungen, Bewässerungsanlagen, Getreideschuppen mußten geschaffen werden. Aber man hatte Daganja in nächster Nachbarschaft, das gleichfalls eine Gemeinschaftssiedlung ist, den großen, schon erfolgreichen Bruder, und man konnte von ihm lernen, ohne die gleichen Fehler zu begehen.

Heute, nach fünf Jahren, findet der Wanderer in Beth Sera schon ein kleines wohlgeordnetes und aufblühendes Gut. Man besitzt sogar einen großen, aus Beton errichteten kühlen Kuhstall mit sauberen Traufen und einer fahrbaren Düngerbahn. Getreideäcker, Orangegärten, Melonenfelder breiten sich rings um den Hof aus." 13

Die seltsamste, feierlichste Stunde, die Armin Wegner in Palästina nach eigenem Bekenntnis erlebte, war der Seder, das Festmahl am Vorabend des Pessachfestes in Beth Sera. Obwohl die Mehrzahl der Siedler sich längst von religiösen Vorstellungen freigernacht hatte, feierten sie das Fest der Erinnerung an den Auszug der Kinder Israels aus Ägypten in der alten Weise. Der traditionell liturgische Teil des Abends ging dann in ein echtes Freudenfest von Tanz und Gesang über, das Wegner mitriß und nicht mehr losließ.

Mit von der Partie war seine damalige Ehefrau, die später ebenfalls als Autorin bekannt gewordene Lola (Leonore) Landau aus Berlin, die Anfang 1990 98jährig in Jerusalem starb. Indem sie persönlichen Kontakt suchte, um die Siedler im Gespräch zu verstehen, beschwört sie jedoch eine heikle Auseinandersetzung herauf:
»Ich war mit Absicht in einer jüdischen Siedlung im Jordantal zurückgeblicben, während Armin eine antike Ausgrabungsstätte in Transjordanien besuchte. lch hatte mit Vorbedacht gerade diesen Platz in einem tropischen Kessel unter dem Meeresspiegel gewählt, weil dort eine Gruppe junger deutscher Juden siedelte. Da ich ihre Sprache verstand, mir ihre Herkunft vertraut war, hatte ich gehofft, tiefer in das Wesen dieser Pioniere einzudringen, die freiwillig wohlhabende und kultivierte Elternhäuser in Deutschland verlassen hatten, um den jüdischen Boden in Palästina zu erwecken... Aber ich wurde enttäuscht, sie hielten mich fern." 14

Und als sie ihre Gastgeberin Heike (Karmel) aufforderte, ihr diese abweisende Haltung zu erklären, bekam sie zur Antwort:
"W'ir verurteilen Sie nicht. Es ist Ihre Privatsache, daß Sie eine Wischehe eingegangen sind. Sie haben gewählt. Nur müssen Sie verstehen, daß Sie durch diese Wahl unsere Gemeinschaft verlassen haben. Sie gehören nicht mehr zu uns.< (...) >Und wie erziehen Sie Ihre Kinder? Ich meine, wohin, in welche Richtung?< (...) >Zu Menschen! Ist das nicht etwas Blasses, Blutloses? Sie geben damit zu, daß Ihre Kinder keine Beziehung mehr zu ihrem jüdischen Ursprung haben, keinen jüdischen Lebensinhalt mehr. Sehen Sie, es kann auch nicht anders sein bei Kindern einer Mischehe. Sie wurzeln selbstverständlich dort, wo sie aufwachsen. Sie wollen ganz sicher sein, nicht halb. Das ist natürlich. Aber deshalb sind Sie auch für uns verloren.<«

Die Begegnung endete etwas versöhnlicher aber der Vorwurf traf Lola Landau hart und wühlte sie noch lange auf. Hier stießen zwei Lebensauffassungen aufeinander: das humanistische Ideal, überall als Weltbürger zu Hause zu sein, sofern nur Menschlichkeit herrscht, und das nationale Bewußtsein, allein im angestammten Land eine Heimat zu haben.

Name und Gedenken
Der Name eines Ortes, mit dem ein Leben verknüpft ist, ist nicht nur Schall und Rauch, er zeugt von der Auseinandersetzung mit seiner Identität. Der von Arthur Ruppin favorisierte Name “Kewuzat Markcnhof” der Ort, aus dem der Gründungskern hervorging haftete dem Kibbuz mehrere Jahre an. Aber schließlich wuchs die Zahl neuer Mitglieder, die den Markenhof nicht durchlaufen hatten. Mehreren der neuen Mitglieder mißfiel der fremde Klang des Namens Markenhof hatten doch auch sämtliche Mitglieder ihre alten Namen abgelegt und sich hebräische zugelegt. So leitete sich der ab 1929 verwendete Name von dem arabischen Dorf Um Djuni ab, das früher an dieser Stelle gestanden hatte “Kefar Gun«. Als dann dem Kibbuz wieder einmal eine kräftige finanzielle Unterstützung zugutekam diesmal von einem Philanthropen namens Nathan Laski aus Manchester - wurde er nach dem honorigen Gönner “Kefar Nathan (Laski)« benannt. Schließlich setzte sich der Name “Be Sera” durch, der auf einen talmudischen Ausdruck zurückgeht und ein Grundstück bezeichnet, das “zum Säen bereit steht«.

Anläßlich des 25. Jahrestags seiner Gründung brachte der Kibbuz ein Gedenkbuch heraus, das auch die Geschichte und Entwicklung der Siedlung seit den Anfängen im Markenhof bis zur Gründung der Möbelfabrik “Sefen” im Jahre 1952 beleuchtet. Von den knapp 70 Beiträgen befassen sich sieben mit der Gründungsgeschichte des Kibbuz, davon drei, die auch dessen Anfänge im Markenhof berühren. 15

Alexander Prag ließ alle Stationen Revue passieren vom Berliner »Jung Juda-Zirkel über den Markenhof, Ejn-Ganim, Rub-el-Nazra, Um-Djuni bis zum Erdbeben 1927 und schließlich zur endgültigen Ansiedlung am heutigen Standort im Winter 1927/28. Zipora Karmel und Sern Siw steuerten persönliche Erinnerungen aus den diversen Stationen von den ersten Jahren im Markenhof bis Beth Sera bei. Dabei fällt das völlige Ausblenden von Erinnerungen an die Markenhofer Synagoge auf ein deutlicher Hinweis darauf, wie entbehrlich und bedeutungslos sie für die meisten Markenhofer gewesen sein muß.

1992 wurde an einer Wand des Luftschutzkellers ein kleines Gemälde angebracht, das das erste Gebäude des Kibbuz darstellt. Zum 70. Gründungsjubiläum wurde 1997 ein Gedenkstein mit den Namen der ersten Siedler aufgestellt, von denen die meisten auch den Markenhof durchlaufen hatten. Der Wortlaut dieses Gedenksteins:
»Und diese sind die Pioniere, die am Ende des Sommers 1927 von Um-Djtini kamen, die beim Erdbeben zerstört wurde, und gründeten an diesem Ort den Kibbuz Bejt-Sera

Resi (Kalischer) und Hillel Oppenheim Georg Eliasberg
Dorale (Goitein) und Zwi (Fröhlich) Efrat Elieser (Goldmann) Gilad
Sem (Silberstein) Siw Bracha Kahana und Theo Golan
Zipora (Deutsch) und Arje Karmel
Heike (Lemmler) und jehuda Karmel
Selig (Ambos) Sadan Schejntlel (Kahana) und Benjamin (Freund) Porat
Margot (Part) und Alexander Peleg und ihr Sohn Immanuel Jehudit (Hanny) und Michael Zimmermann
Jakob Klein Perez (Rothschild) Rotem
Die Pflüger der ersten Furche
 Die Erbauer des ersten Hauses

5758 / 1997
 
Eine weitere Reminiszenz der Gründungsjahre, die dem Besucher auffällt, ist eine Lehmhütte sie wurde jenen Behausungen nachgebaut, die die ersten Siedler vorfanden und zunächst verwendeten. Das von Odeda Efrat, der Tochter eines Gründerehepaars, geführte Archiv enthält noch weitere Dokumente aus der Anfangszeit des Kibbuz.

Konrad Goldmann und die Synagoge in Beth Ha-Emek
Zurück zur badischen Geschichte des Markenhofs. Im Verlauf des Jahres 1925 geriet die Fabrik von Konrad Goldmann in immer größere Finanznöte. Als auch neue Fabrikationszweige und die Vergrößerung der Schlosserei ohne wirtschaftlichen Erfolg blieben, sah sich Goldmann zum Verkauf des Markenhofs gezwungen. Am 18. Juni 1925 veräußerte er als Vorstand des Jüdischen Landwirtschaftsvereins “Der Pflug” (Hamachreschah) die Grundstücke des Markenhofs an das Evangelische Stift in Freiburg.

Von dem Verkauf ausgeschlossen waren laut Vertrag “alle Ritualien, Gebetpult, Gebetsrollen u. dergl.« Vor allem sicherte sich Goldmann vertraglich die “Berechtigung, die Buntglasfenster in der Synagoge entfernen zu lassen. Er kann auch die darunter befindlichen Tafeln mit lnschriften wegnehmen".

1930 mußte Goldmann auch seine Villa in der Mozartstraße 30 (heute Landesveterinäramt) verkaufen und zog in die Konradstraße 34 um. Durch den Übergang zur Fabrikation von Doppelkopfhörern konnte er später wieder Fuß fassen und die Firma unter dem neuen Namen “WEGO-Werke” auf Erfolgskurs bringen.

Sechs Jahre länger als der Markenhof bestand der ihn tragende Landwirtschaftsverein “Der Pflug«, der nun zur Passivität verdammt war, doch in der Hoffnung erhalten wurde, ihm wieder neues Leben einzuhauchen. Daran war unter den sich abzeichnenden politischen Bedingungen indes nicht zu denken. Am 3. Juli 1931 fand die letzte Generalversammlung des Vereins in den Geschäftszimmern der Badischen Treuhandgesellschaft AG Freiburg, Kaiserstr. 89, statt. Auf der Tagesordnung stand der Antrag auf Auflösung des Vereins; begründet wurde er damit, “daß der Verein seinen Zweck durch die Ausbildung von ca. 300 Zöglingen erfüllt hat und nunmehr eine weitere Tätigkeit in dieser Beziehung nicht mehr entfalten kann.”

Da ein Vermögen des Vereins nicht mehr vorhanden war - nach dem Bericht ergab sich eine Unterbilanz von RM 33.950 -, beschlossen die Erschienenen einstimmig, den Verein aufzulösen und beim Register des Amtsgerichts löschen zu lassen. Am 7. Juli 1931 wurde die Auflösung des Vereins beantragt und der Bücherrevisor Karl Sator zum Liquidator bestellt. Am 12. Dezember 1934 wurde der Verein im Vereinsregister gelöscht.16

Zu dem Zeitpunkt war Konrad Goldmann nicht mehr in Deutschland. Die Naz-Presse mit ihren Hetztiraden fand immer mehr Gehör, und es wurde für Juden lebensgefährlich. Anders als die meisten Juden, erkannte Goldmann sehr früh die Schrift an der Wand und nahm die Warnungen nicht auf die leichte Schulter. Sein Beispiel beeindruckte auch die mutige Lcäkaljournalistin Kathe Vordtriede (1891-1964), die in den Aufzeichnungen über ihr Leben unter Hitler schreibt: “Einige nahmen die Warnung ernst. Der jüdische Besitzer der Wego-Werke, Wilhelm (sic!) Goldmann, ging sofort ins Ausland.«17 Vom Boykott des 1. April 1933 blieb er so wenig verschont wie alle anderen jüdischen Geschäfte und Einrichtungen. Der Boykottaufruf des “Alemannen” vom 31.3.1933 nannte sowohl ihn mit Privat- und Fabrikadresse als auch seinen Sohn, der von 1925 bis 1933 Direktor der Fabrik war. Mit blankem Hohn war in dem Aufruf zu lesen: “Goldmann Martin, nach England geflohenl” Konrad Goldmann selbst war kurz darauf in die Schweiz ausgewandert und zog später nach Frankreich. Aus einem Dorf im Elsaß kam noch eine letzte Nachricht von ihm, wonach er einsam und verlassen sein ganzes Vermögen verloren habe; seine Frau und sein Sohn waren vor ihm gestorben. Zuletzt schrieb er an seine ehemaligen Markenhof-Eleven: “ln meinem Alter kann ich nur noch durch Anstrengung aller Kräfte mein Brot verdienen«.18 1940‚ mit der deutschen Besetzung Frankreichs, wurde er von den Nazis verhaftet und im KZ Drancy, nördlich von Paris, inhaftiert. Sein Name findet sich auf den Listen derjenigen Juden, welche in den lnternierungslagern in Frankreich umgekommen sind, bevor sie in die Vernichtungslager in Polen deportiert wurden:
“Conrad Goldmann geb. 20.03.72 Deutschland Todestag: 15.07.42" 19

Ernst Fränkel, einer der Wenigen religiösen Eleven des Markenhofes, der auch für eine koschere (d.h. den jüdischen Ritualyorschriften genügende) Küche sorgte, bemühte sich später auch um die Rettung der letzten Überbleibsel der Synagoge und um ein würdiges Andenken an Konrad Goldmann. Er selbst konnte nicht mit als Siedler nach Palästina gehen, sondern mußte in das Familiengeschäft einsteigen zunächst in Frankfurt, dann in London. Bei einem seiner Besuche auf dem Markenhof nach dem Krieg bekam er die Erlaubnis, drei Säulen aus dem Fensterrahmen der Synagoge zu entnehmen. Später ließ er im Kibbuz seines Sohnes Rafi Fränkel, Beth ha-Emek in West-Galiläa, eine Synagoge bauen und darin die Markenhofer Säulen in den Thoraschrein einbauen. An der Wand der Synagoge brachte er eine Gedenktafel in hebraischer Schrift für Konrad Goldmann an.

Eine weitere, kleinere Gedenktafel erinnert an die Verdienste Ernst Fränkels selbst, der diese Synagoge entstehen ließ und somit zugleich dem Markenhof und seinem Initiator und Förderer ein bleibendes Denkmal setzte:
“Diese Synagoge im Kibbuz Bejt Ha-Emek wurde gebaut
dank der gesegneten Initiative unseres Freundes
ERNST FRÄNKEL
aus England

12. Siwan 5735 (= 22. Mai 1975)
Dieses Haus beherbergt die Überbleibsel der Synagoge im
bahnbrechenden Ausbildungsgut Markenhof (1917—1926)«


Der Markenhof von 1925 bis heute
Das Evangelische Stift, damals unter der Leitung von Pfarrer Wilhelm Bornhäuser, das den Markenhof von Konrad Goldmann erworben hat, gründete bald darauf im Jahre 1926 auf dem Gelände die erste christliche Bauernhochschule Badens. Pikanterweise wurde sie im um- und ausgebauten früheren Schweinestall (unteres Gebäude) untergebracht. Hier sollten badische Jungbauern in dreimonatigen Winterkursen auf bewußt christlicher Grundlage für ihre späteren Aufgaben im häuslichen, beruflichen und öffentlichen Leben gerüstet werden. In der Einrichtung konnten in den acht Jahren ihres Bestehens etwa 100 Jungbauern ausgebildet werden. 20 Doch mußte diese Schule 1934 aus finanziellen Gründen an die Landesbauernschaft abgegeben werden und im Sinne nationalsozialistischer Ideologie neue Aufgaben übernehmen.

In den Jahren ab 1937 diente der Markenhof anstelle eines früheren Geländes im Bereich des Mooswtald- und Rieselfelds dem Arbeitsdienst der NSDAP als Platz für die weibliche Jugend. Dorthin wurden 10-15 Arbeitsmaiden durch das Städtische Wohlfahrtsamt Freiburg und 15-25 Arbeitsmaiden durch die “Nationalsozialistische Volkswohlfahrt” (N.S.V.) verwiesen, die dann als billige Hilfskräfte in Haushalten von Unterstützungsempfängern oder als ländliche Hilfe (Bauernhilfe) Verwendung fanden. Das Arbeitslager Markenhof wurde allgemein als ein Musterbetrieb in Süddeutschland bezeichnet. 21

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte das Evangelische Stift den Markenhof anstelle des beim Luftangriff vom 27.11.1944 zerstörten Gebäudes in der Freiburger Herrenstraße wieder als Waisenhaus und Kinderheim nutzen. Die Kinder konnten zuerst in einem Barackenraum, später in einem zur “Heimschule” umgebauten Hühnerstall untergebracht werden. Diese Übergangslösung dauerte bis 1959, als das neue Waisenhaus-Kinderheim im Burgackerweg in Freiburg eingeweiht wurde. 22

Heutzutage besteht der Markenhof in groben Umrissen noch wie in den Jahren 1919-1925, als er der zionistischen Berufsumschichtung und Ausbildung von Siedlungsaspiranten für Palästina diente. Allerdings sind die Häuser teilweise umgebaut und dienen als Privatwohnungen mit nur bescheidener Nutzung von Obstgärten (besonders Apfelbäume). Der heutige Besitzer, Dr. Rolf Miedtke, Arzt und Maler, ist um die Erhaltung des historischen Charakters des Anwesens, soweit noch vorhanden, bemüht.

Das Hauptgebäude, in dem sich ursprünglich der Speisesaal und die Küche befanden, besteht noch. Im nördlichen Flügel befand sich hinter einer Glastür die Synagoge. ln deren Vorraum befindet sich noch ein mit smaragdfarbenen Kacheln fein gearbeitetes Waschbecken. Im ehemaligen Betsaal sind noch die Wandtäfelung und die Kassettendecke erhalten, ebenso der Einbauschrank, der vormals als Thora-Schrein diente. Ferner ein kleines Rundfenster (Bullauge) in der nördlichen Wand und zumindest die drei Fenster der Westwand, in welchen sich ehedem die Buntglasfenster Friedrich Adlers befanden, sowie die sie umrahmenden vier Säulen. An der gegenüberliegenden östlichen Wand wurden nach dem Krieg die drei Fenster gegen ein großes Kippfenster ausgetauscht (nach Angaben der Einwohner um mehr Licht hereinzulassen). Dadurch waren die Zwischensäulen entbehrlich, so daß Ernst Fränkel sie in die Synagoge in den Kibbuz Beht Ha-Emek transferieren konnte. Die sich anbietende Schlußfolgerung: Die Fensterbilder Adlers waren ursprünglich nicht an einer Wand der Westwand übereinander, sondern an den gegenüberliegenden Wänden angebracht.

Die Synagogenfenster Friedrich Adlers
Das Juwel der Synagoge und des gesamten Markenhofs - die Buntglasfenster Friedrich Adlers -, die Ernst Fränkel am liebsten ebenfalls in der Synagoge von Beit Ha-Emek eingebaut hätte, waren noch von Konrad Goldmann gesichert worden, um sie nach Palästina zu überführen.


Die Synagogenfenster Friedrich Adlers, "12 Stämme Israels", Tel Aviv Museum od Art.


Als der Gründer und erste Bürgermeister von Tel Aviv, Meir Dizengoff (1861-1936), 1931 sein Haus am Rothschild-Boulevard 16 mit dem gesamten Nachlaß dem von ihm initiierten Tel-Aviv-Museum of Art vermachte, kam ihm das Angebot Konrad Goldmanns wie gerufen, dem Museum die Fenster der Markenhof-ßynagoge zu schenken (Brief vom 3.11.1931). Postwendend schrieb Meir Dizengoff an Goldmann:
»...Natürlich sind wir bereit, die Fenster bei uns würdig aufzustehen. Wir wissen, daß es sich um ein hervorragendes Kunstwerk von bleibendem Wert handelt. Auch Herr Professor Struck ist über Ihre Gabe begeistert. Er hält Friedrich Adler für den bedeutendsten Kunstgewerbler für Synagogenkunst in Deutschland. Unser Künstlerkomitee, dem auch Professor Struck angehört, wird nach Eintreffen der Sendung Ihren Wünschen gemäß den passenden Ort für die Fenster finden. Mit mir zusammen wird unser ganzes kunstliebendes Publikum Ihnen sehr zu Dank verpflichtet sein...« 23

Die Korrespondenz Dizengoff-Goldmann aus den Jahren 1931 und 1932, heute im Museum Tel-Aviv; enthält auch die folgende Anekdote: Goldmann äußerte Bedenken, ob es nach dem jüdischen Religionsgesetz zulässig wäre, Fenster einer Synagoge ohne weiteres abzuhängen. Dizengoff, gewitzt und pragmatisch, wie er war, zerstreute Goldmanns Bedenken mit den Worten: “Bringen Sie nur die Fenster her, die halachischen Fragen werden wir schon abklären!« Die Fenster wurden dann an einer Wand des Museums angebracht und blieben, soweit noch festzustellen, permanent ausgestellt, solange das Museum diesen Standort behielt.

Bei seinem letzten Israel-Besuch im Jahre 1936 konnten Friedrich Adler und seine Tochter Ingeborg sie dort sehen. Fatalerweise kehrte der Künstler jedoch nach Nazi-Deutschland zurück und begab sich somit in die tödliche Schlinge der Nazis.24

Als die Bestände des Tel-Aviv-Museums anwuchsen und das Museum an seinen heutigen Standort kam - kurioserweise am Rande einer weiteren ehemaligen Templer-Kolonie namens Sarona -, wurden die Fenster Friedrich Adlers abmontiert und verschwanden. Heute beherbergt das 1909 erbaute Haus Dizengoffs das Museum »Hejchal Ha-Azmaut" (Unabhangigkeits-Palast). Eine Gedenktafel am Eingang besagt: »In diesem Gebäude, dem Haus der Zinna und des Meir Dizengoff, versammelten sich die Mitglieder des Nationarates, die Vertreter des Jischuvs und der Zionisrischen Bewegung, am 5. Ijar 5708, dem 14. Mai 1948, und verkündeten die Schaffung eines jüdischen Staates in Erez-Jsrael mit Namen Israel«.

Vielleicht ist es nicht zu weit hergeholt, sich die symbolische Bedeutung vor Augen zu halten - es war im Angesicht dieser Fenster, daß David Ben-Gurion 1948 die feierliche Proklamation des Staates Israel vorgenommen hat und somit die Rückkehr der (nach der Schoah) verbliebenen Stämme Israels in ihr angestammtes Land besiegelte.

Jahrzehnte hatten die Buntglasfenster in den Kellern des Museums geschlummert, bis sie vor allem dank der konsequenten Bemühungen des engagierten Heimatforschers Ernst Schall aus Laupheim - dem Geburtsort Friedrich Adlers - aus der Vergessenheit gerettet wurden.25  Zum ersten Mal waren die Fenster dann 1994/95 im Kontext des Gesamtwerks in der Ausstellung “Friedrich Adler zwischen Jugendstil und Art Deco« in Laupheim, München, Nürnberg, Leipzig, Hamburg und Chicago zu sehen. Für diese Ausstellung wurden sie von der Münchner Hofglasmalerei Gustav van Treeck restauriert, die auch eine Zweitfertigung für das neu entstandene »Museum zur Geschichte von Christen und Juden” im Schloß Großlaupheim herstellte. Ein Saal dieses Museums ist dem Werk Friedrich Adlers gewidmet, und die Fenster bilden darin einen der Höhepunkte.

Allerdings fehlten sowohl in der Ausstellung als auch im Katalog Informationen zur Entstehungsgeschichte und eine kunsthistorische Auswertung der Fenster. Um so mehr darf man gespannt sein auf die Friedrich-Adler-Ausstellung des Tel-Aviver Kunstmuseums (Tel Aviv Museum of Art), die für das Jahr 2001 geplant ist. Wach geworden durch das allgemeine Interesse an der ersten großen Adler-Ausstellung, erkannte man nun auch in Tel-Aviv, was man bis dahin in den Kellern hatte vergammeln lassen - ähnlich ganzen Straßenzügen im Stil der Bauhaus-Architektur‚ die erst in den letzten Jahren durch eine Stuttgarter Ausstellung entdeckt und aufgewertet wurden. 26

Zur Biographie Friedrich Adlers
Friedrich Adler wurde am 29. April 1878 in Laupheim geboren, das bis zum Jahre 1860 die größte jüdische Gemeinde Württembergs mit fast 23% Bevölkerungsanteil war. Er war der jüngste Sohn des Konditormeistets Isidor Adler und dessen zweiter Ehefrau Karolina Frieda geb. Sommer aus Buchen in Baden. Nach einem Studium an der Königlichen Kunstgewerbeschule und an den Lehr- und Versuchsateliers für angewandte und freie Kunst von Hermann Obrist und Wilhelm von Debschitz in München war er zunächst Lehrer an derselben Schule und seit 1907 an der Kunstgewerbeschule in Hamburg. Sein gestalterisches Werk reicht vom Kaffeelöffel über Fußbodenbeläge und Möbel bis zu Architekturentwürfen. Bis zu Entlassung und Ausstellungsverbot aus rassischen Gründen im Jahre 1933 nahm er regelmäßig an vielen Ausstellungen teil - vor allem an denen des Werkbunds - und schuf zahlreiche originelle und aufsehenerregende Werke. Von 1935 an mußte er sich mit einer Lehr- und Ausstellungstätigkeit im “Jüdischen Kulturbund Hamburg” bis zu seiner Zwangsauflösung im Jahr 1941 begnügen. Am 11. Juli 1942 wurde er in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert und ermordet.


F. Adler als Reformer an der Hamburger Landeskunstschule

Ein nicht unerheblicher Anteil seines immensen Werkes bildete jüdische Sakrale Kunst: Grabmäler zwischen Jugendstil und Expressionismus (die meisten stehen auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim), Kultgeräte für die jüdischen Feiertage wie Sabbath- und Chanukkaleuchter, Sederplatten und Gewürzbehälter oder Synagogenmobiliar wie Thorazeiger, Ewiges Licht, Thoraschild und Krone. Interessant ist vor allem sein Beitrag zur Gestaltung von Synagogen. Hier sind zum einen die 1903 restaurierte Laupheimer Synagoge und zum andern die Synagoge der Deutschen Wlerkbundausstellung in Köln von 1914 zu nennen sowie schließlich die Buntglasfenster der Synagoge vom Markenhof aus dem Jahr 1919 die einzigen, die Krieg und Naziterror überstanden.

Sowohl den Fenstern der Kölner wie auch der Markenhofer Synagoge lag einund dasselbe Thema zugrunde - die Zwölf Stämme Israels. Waren die Fenstergemälde der Kölner Synagoge, von denen lediglich eine Schwarzweiß-Abbildung erhalten geblieben ist, noch geschmeidig-zart und dem Jugendstil verpflichtet, zeichnet sich in den vor 1919 entstandenen Skizzen für die Markenhofer Synagoge der Übergang zu einem neuen Stil ab, geprägt von einfachen, symmetrisch-linearen Formen. Der Titel der ersten großen Adler-Ausstellung von 1994, “Friedrich Adler zwischen Jugendstil und Art Deco«, welcher der gesamten künstlerischen Entwicklung Adlers Rechnung trägt, spiegelt sich durchaus auch im Stilwechsel der Fenstergemälde von Köln und Markenhof.

Marc Chagall hat 1959-61, also vierzig Jahre später, seine unübertroffene Version zum gleichen Thema mit seinen Fenstergemälden für die Synagoge des Hadassa Medical Center in Jerusalem geliefert. Obschon die Werke beider Meister ausdrucksstark und farbintensiv sind und das gleiche Thema behandeln, ist ein Vergleich unmöglich, vermessen, ja unzulässig. Zu unterschiedlich sind die Umstände und Voraussetzungen der Entstehung beider Wierke. Die unermeßliche, alle Grenzen sprengende Phantasie des einen, die schlichte, prägnante Gegenständlichkeit des anderen sind wohl evident. Und dennoch besteht (mit allen notwendigen objektiven Abstrichen) das Werk Adlers neben dem Marc Chagalls als eine ebenso gültige und gelungene Auseinandersetzung mit dem Thema. So dürfen sowohl Tel-Aviv als auch Laupheim stolz darauf sein, diese NIeisterwerke zu beherbergen.

In beiden Museen, aber auch in den zwei Kibbuz-Siedlungen im Norden Israels, lebt also das Erbe einer ungewöhnlichen Privatinitiative fort, die in und vor den Toren Freiburgs begonnen hat, und wird weiter gepflegt. Nur im Ursprungsort Freiburg ist sie so gut wie vergessen. Mt Recht fragen die Nachkommen der Markenhofer, wie Rafi Fränkel vom Kibbuz Beth Ha-Emek, ob es nicht an der Zeit wäre, daß auch auf dem Markenhof ein Zeichen gesetzt wird, zumindest in der Form eines Hinweisschildes. Schließlich hat der Markenhof Geschichte geschrieben und ist ein Mark- und Meilenstein in der Geschichte der jüdischen Pionierbewegung zur Besiedlung Palästinas und zum Aufbau des Staates Israel.

Anmerkungen
1 Hermann Meier-Cronemeyer: Kibbuzim Geschichte, Geist und Gestalt, Hannover 1969
2 So der deutsche Titel von Arthur Koestlers Abrechnung mit dem Kommunismus »The God that failed” 1949. 
3 Gershom Scholem: Von Berlin nach Jerusalem. Jugenderinnerungen. Erw. Fassung. Frankfurt a.M. 1994, S. 48.
4 “Jüdische Rundschau” vom 20.9.1920, zitiert nach Ulrich Tromm in: Andreas Paetz/ Karin Weiss (Hrsg), “Hachschara” die Vorbereitung junger Juden auf die Auswanderung nach                Palästina, Potsdam 1999.
5 Interview Ulrich Tromms mit Ernst Fraenkel, in: “Geschichtwerkstat" Heft 15, Hamburg 1988. 
6 Zipora Karmel in: 25 Jahre Bezh Sera, Beth Sera 1954, S. 52.
7 Ejn—Ganim war als erster Nioschaw (kooperative landwirtschaftliche Siedlung) 1908 gegründet und 1937 in die Stadt Petaeh-Tikwa eingemeindet.
8 Richard A. Bermann (1883 Wien 1939 Saratoga Springs, N.Y.) und Artur Rundt: “Palästina, ein Reisebuch", Leipzig 1923, S. 56.
8a ebda., S. 57
8b ebda., S. 106f.
8c ebda., S. 108f.
9 Sem Siw in: Festschrift 25 Jahre Beth-Sera 1954, S. 261.
10 Arthur Koestler (1905 Budapest 1983 London), “Frühe Empörung. GesammeL te autobiographische Schriften, Erster Band, Wien 1970, S. 141-143.
11 Alma Mahler-Werfel: Mein Leben, Frankfurt 1960, S. 165.
12 Franz Werfel: Tagebuchcintragungcn in: Zwischen oben und unten, München 1975, S. 739.
13 Armin T. Wegner: Am Kreuzweg der Welten, Berlin 1930, S. 301-3.
14 Lola Landau: Vor dem Vergessen, meine drei Leben, Frankfurt 1987, S. 2748.
15 “Beth Sera 25 Jahre des Kibbuz auf seinem Bodem, Beth Sera 1954.
16 Staatsarchiv Freiburg, A7. 0540/6 Amtsgericht Registratur Freiburg am) Band 111/4, Lfd. Nr. 63.
17 Käthe Vordtriede: Es gibt Zeiten, in denen man vrelkt, lengwil 1999, S. 115 (gemeint war Konrad G. als Siedler).
18 Sem Siw in: 25 Jahre Kibbuz Beth Sera, Beth Sera 1954, S. 259.
19 Serge Klarsfeld: Le Memotial de la Deportation des Juifs de France, Paris 1978.
20 Wilhelm Bornhäuser: Desideria specialia et arcana, Freiburg 1935.
21 Stadtarchiv Freiburg, AZ c4/xvii/31/7 (Betr. 2).
22 Otto Meyer: Hundert Jahre Evangelisches Stift Freiburg i.Br. 1859-1959
23 Brief vom 24. Nov. 1931. Wie die gesamte Korrespondenz im Archiv des Tel Aviv Museum of Art.
24 Ernst Schall: Friedrich Adlers Lebensgeschichte im Überblick, in: Friedrich Adler zwischen Jugenstil und Art Deco, Stuttgart 1994.
25 Viele seiner Erkenntnisse sind in diesen Bericht miteingeflossen, wofür sich der Verfasser auch an dieser Stelle bedankt.
26 lrmel Kamp-Baudan: Tel Aviv, neues Bauen 1930-1939, Tübingen 1993.
27 Korrekter müßte das Thema “Die zwölf Söhne Jakobs” heißen, denn die zwei Josef-Stämme Efrajim und Menasche bleiben unberücksichtigt, dafür sind Josef (Sohn, aber kein Stamm)         und Levi (13. Stamm ohne Erbland) erwähnt.