Kewuzat
Markenhof |
"Der Sonntag" vom 26. Januar 2020 von Klaus Riexinger
Im Markenhof in Kirchzarten-Burg wohnten die Eleven. Der
Synagogenanbau (rechts), der an den früheren Speisesaal anschließt, ist
ebenfalls noch erhalten.
Fotos: rix, Privat
Der Erste Weltkrieg war gerade einmal sieben Wochen zu Ende, als der Freiburger Fabrikant Konrad Goldmann am Amtsgericht Freiburg den „Jüdischen Landwirtschaftsverein ’Der Pflug’“ eintragen ließ. Goldmann, ein gebürtiger Russe, der seit 1907 in Freiburg lebte, war ein glühender Anhänger des Zionismus, also des Aufrufs zur Gründung eines jüdischen Staates in Palästina. Zu dieser Zeit entstanden in vielen europäischen Ländern Ableger der Organisation Hechaluz, die junge Juden für ein Leben in einem Kibbuz in Palästina begeistern und ausbilden wollte. Goldmann war von dieser Idee fasziniert. Als erfolgreicher Draht- und Kabelfabrikant musste er nicht warten bis es in Deutschland einen solchen Verband gab, er finanzierte sich sein Kibbuz-Lehrgut selbst. Im Januar 1919 kaufte er das landwirtschaftliche Anwesen Markenhof auf der Gemarkung Burg und Zarten bei Freiburg von der Familie von Wogau und investierte einen Teil seines Vermögens und seine Gewinne in den Ausbau. Den jungen Menschen sollte es an nichts fehlen. Obwohl Goldmann nicht streng gläubig war, ließ er sogar eine Synagoge an den Markenhof anbauen und scheute dafür keine Kosten. Die Buntglasfenster mit der Darstellung der zwölf Stämme Israels ließ er von dem renommierten Künstler Friedrich Adler aus Laupheim anfertigen, der auch für die Fenster der Kölner Synagoge verantwortlich zeichnete.
Die ersten Schüler, Eleven genannt, kamen zum überwiegenden Teil aus bürgerlichen Elternhäuser – aus Süddeutschland, aus Berlin, Köln, Litauen, Russland und weiteren osteuropäischen Ländern. Bis zur Aufgabe des Hofes 1925 sollen geschätzte 300 Eleven die ein- bis zweijährige Ausbildung auf dem Markenhof durchlaufen haben. Rubin Frankenstein, Dozent am Institut für Judaistik an der Uni Freiburg, beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit der jüdischen Vergangenheit des Markenhofs. Er geht davon aus, dass das zionistische Auswanderlehrgut von Goldmann das erste seiner Art in Deutschland war. Frankenstein wurde auf die fast vergessene Geschichte des Bauernhofs im Umland von Freiburg durch zwei Interviews des Müllheimer Lehrers Ulrich Tromm mit zwei früheren Schülern der Ausbildungsstätte aufmerksam. Er begann zu recherchieren und dabei wurde ihm immer mehr die Bedeutung des Markenhofs für den deutschen Zionismus bewusst. Der Markenhof hinterließ Spuren in Palästina. Viele der Eleven beteiligten sich später am Aufbau von Kibbuzim. An diese zionistische Lebenswelten in Freiburg vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten erinnert das Kulturamt der Stadt Freiburg in seiner morgigen Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, wo die Nationalsozialisten mehr als eine Million Juden ermordeten.
Die jungen Menschen taten sich anfangs schwer mit der körperlichen Arbeit auf dem Markenhof. Ulrich Tromm besuchte 1987 den früheren Markenhof-Schüler Ernst Fraenkel in Israel und befragte ihn nach seinen Erfahrungen. Fraenkel hatte für die Lehre auf dem Markenhof seine akademische Karriere aufgegeben und hantierte nun unter anderem mit einer Mistgabel. „Erst bekam ich Blasen, dann ging die Haut weg und dann bekam ich die fürchterlichste Blutvergiftung“, berichtete Fraenkel vom Beladen eines Mistwagens. Inspektoren leiteten die Schüler bei der Arbeit an: im Pferdestall, im Kuhstall, bei der Feldarbeit, in der Gärtnerei, in der Bäckerei, in einem dazugehörigen Weingut im Kaiserstuhl und bei vielem mehr, was sie für den Aufbau einer sich selbst versorgenden Siedlung in Palästina benötigen würden.
Nach den Recherchen Frankensteins wanderte die erste Pioniergruppe aus vier Frauen und drei Männern im Dezember 1921 nach Palästina aus. Letzte Anweisungen hatten ihnen der Soziologe Arthur Ruppin vom Palästina-Amt auf dem Markenhof gegeben. Ruppin prägte für sie den Namen „Kewuzat Markenhof“ (Kommune Markenhof). 1923 folgten elf weitere Absolventen. Nach einigen Umzügen ließen sie sich 1927 am endgültigen Standort südlich des See Genezareth nieder. Ihren Kibbuz nannten sie Beth Sera, was sich mit Saathaus übersetzen lässt – Kibbuz Markenhof klang vielen, die nicht aus der Ausbildung in Kirchzarten kamen, zu deutsch.
Zu diesem Zeitpunkt gab es das Auswanderlehrgut bei Freiburg schon nicht mehr. Konrad Goldmann hatte während der Inflation 1923 sein Vermögen und seine Fabrik verloren und hielt den Markenhof, vermutlich durch Zuschüsse, noch zwei Jahre am Leben. Dann musste er ihn verkaufen. Die kunstvoll gefertigten Fenster aber ließ Goldmann noch nach Tel Aviv schicken. Dort blieben sie erstmal für lange Zeit verschollen.
Neuer Eigentümer des Markenhofs wurde ein evangelisches Stift, das eine christliche Bauernschule auf dem Hof einrichtete. 1934 musste auch diese Schule aufgeben. Neuer Eigentümer wurde Georg Miedtke, der ein deutsch-mexikanisches Export-Import-Unternehmen für Eisenwaren und Maschinenteile betrieb. Doch ab 1937 beanspruchten die Nationalsozialisten das Gut erstmal für sich und brachten dort „Arbeitsmaiden“ unter, die in der Landwirtschaft helfen mussten. Aus dieser Zeit steht heute noch eine Baracke des Reichsarbeitsdienstes auf dem Hof.
Konrad Goldmann wurde später nochmal als Unternehmer in Freiburg erfolgreich, er floh dann aber vor den Nazis ins Elsass. Nach dem deutschen Überfall auf Frankreich 1940 konnte der 70-jährige Goldmann nicht mehr entkommen. Die Nazis ergriffen ihn und verschleppten ihn in das KZ Drancy bei Paris. Noch bevor er mit den Deportationszügen in ein Vernichtungslager im Osten gebracht werden sollte, starb er. Seit 2005 erinnert ein Straßenname in Freiburg an Goldmann.
Der Markenhof mit der angebauten Synagoge wirkt heute wie eine Zeitkapsel aus den 1920er Jahren. Die Räume, die heute privat vermietet sind, befinden sich noch im Originalzustand mit holzgetäfelter Wand und Kassettendecke. Sogar der Thoraschrein und drei kunstvoll gearbeitete hölzerne Säulen sind noch erhalten. Vier weitere der Säulen habe Ernst Fraenklin 1965 mit nach Israel genommen, berichtet Benedikt Miedtke, der Enkel von Georg Miedtke. Die Familie Miedtke, die noch heute im Besitz des Markenhofs ist, bemühte sich nicht nur um den Erhalt der historischen Gebäude, sie knüpfte auch freundschaftliche Kontakte zu ehemaligen Markenhof-Eleven. Lydia Miedtke, Schwiegertochter von Georg Miedtke, erinnert sich an Besucher aus Stockholm, Tel Aviv, Zürich, London und New York, die die Stätte ihrer landwirtschaftlichen Pionier-Ausbildung noch einmal besichtigen wollten.
Auch der Künstler Friedrich Adler überlebte die Nazidiktatur nicht. 1936 bereiste er Palästina und sah im Kunstmuseum in Tel Aviv noch einmal seine „Markenhof-Fenster“. Fatalerweise, schreibt Rubin Frankenstein in seinen Aufzeichnungen, kehrte Adler dann nach Deutschland zurück. 1942 wurde er in Auschwitz ermordet.
Die Fenster verschwanden im Depot des Museums und galten bereits als verschollen, bis sie der Laupheimer Heimatforscher Ernst Schall fand. Die Fenster wurden restauriert und 1994 und 1995 in einer Ausstellung über Friedrich Adler in Deutschland und in den USA gezeigt. Für Konrad Goldmann wurde im Kibbuz eine Gedenktafel angebracht, auf der auch auf das noch existierende „Gut Markenhof“ in Deutschland hingewiesen wird.
Konrad Goldmann (Mitte) mit seinen Eleven auf dem Markenhof.