Der Markenhof bei Freiburg
I.
"Jüdisches Lehrgut Markenhof" - das ist das erste, was dem Besucher des
Lehrgutes auffällt: Ein Schild vor dem Eingang. Da steht ein neues,
geschmackvoll gebautes, weißangestrichenes Haus mit Holztäfelung und
einer Veranda. Links von der Eingangstür geht es in den Speise- und
Aufenthaltsraum. Lange Tische und Bänke, ein Schreibtisch, ein kleines
Regal zwischen den Fenstern. Das macht einen sehr gemütlichen,
anheimelnden Eindruck. So habe ich mir recht eigentlich einen Raum
vorgestellt, in dem man nach der Arbeit zum Essen, zum Lesen, zum
Singen und Erzählen zusammenkommt Es gehört zu einem solchen Zimmer die
Vorstellung, daß man hier manchmal laut und lustig sein kann, singen
und tanzen. (Platz genug ist da), und manchmal auch ruhig
zusammensitzen, lesen, nur im Flüsterton sich unterhalten, auch ernste
Gespräche führen kann. All diese Bilder konnte ich mir in diesem Zimmer
vorstellen. - Daran anschließend eine kleine Synagoge, schön
eingerichtet, mit bunten Fenstern. - Das Haus im ganzen ist sehr
sauber, fast zu sauber für seine Insassen; aber schließlich ist es
nicht zum Ansehen sondern zum Wohnen da. Eine wundervolle Einrichtung
sind die Waschräume. Becken mit fließendem Wasser, Duschen so sauber
wie in einem Krankenhaus. Es ist eine fast angenehme Vorstellung sich
hier jeden Morgen waschen zu können. Alles andere, Küche, Schlafräume
usw. ist zweckentsprechend hell und freundlich. Vor dem Hause ist ein
Ziergarten, einfach zum Spazierengehen. Erstaunlich.
Klein- und Großviehställe, Futterscheune, die große Erntescheune, dann eine eigene Elektrizitätskraftanlage, die Kraft und Licht liefert, alles sieht sehr sorgfältig aus. Das sind reine Zweckbauten, aber verständnisvoll angeordnet und praktisch, und darum auch im Anblick schön. Es wird auch schon wieder gebaut auf dem Markenhof. Ein neues StalIgebäude für Federvieh, eine Haushaltungsschule. Es steckt Leben und Unternehmungsgeist darin. Das Gut liegt in dem breiten Tal der Dreisam, das sich in den Schwarzwald hineinzieht. Das Tal ist den Westwinden offen, gegen die andern Himmelsrichtungen durch Berge geschützt. So regnet es viel da und das ist günstig für das Wachstum. Allerdings hat der viele Regen und die Höhenlage auch einen Nachteil: alle landwirtschaftlichen Arbeiten sind spät im Jahre, die Saat nicht vor Mitte März, die Ernte Ende Juli bis Anfang August. Aber der nicht schwere Boden läßt sich bei der regelmäßigen Feuchtigkeit leicht bearbeiten. Solche Umstände wirken außerordentlich stark auf die Arbeitslust ein. - Die Aecker und Wiesen des Gutes liegen ziemlich geschlossen um den Hof herum, so daß wenig Zeit auf dem Wege vom und zum Hofe verloren geht. Der Fruchtanbau ist der im südwestlichen Deutschland übliche: alle Getreidearten, Kartoffeln, Rüben, Klee, Mais, Kohl und anderes mehr. Unten am Bache, gleich neben dem Hofe anfangend, ziehen sich die Wiesen bin, die so von Natur doppelte Feuchtigkeit haben und kräftiges und reichliches Futter liefern. Die Aecker schließen nach oben an. - Besonders interessant ist der Garten des Markenhofes. Und zwar deshalb, weil er noch im Werden begriffen ist. Der Boden selbst ist noch nicht lange in Gartenkultur und darum noch kein richtiger Gartenboden. Und auch für die Kulturen hat man noch kein festes Schema gefunden. Es wird so ziemlich alles, was Gartenkultur verlangt, dort angebaut. Das macht ein bißchen den Eindruck einer Versuchsstation. Aber die Hauptsache ist, daß auch im Garten nichts planlos geschieht. Es wird zielbewußt und nach klarem Plane gearbeitet, und was sich am Schlusse als das Beste erweist wird beibehalten. Das was den Markenhof in landwirtschaftlichen Dingen über andere jüdische Lehrgüter hinaushebt, ist die klare Richtung auf Ausbildung in den landwirtschaftlichen Zweigen Palästinas angenäherten Kulturarten. Gelände und Witterungsverhältnisse machen das Gut hierzu geeigneter als andere, aber auch in Einteilung der Arbeit und der Auswahl der Fruchtarten wird versucht, für Palästina vorzuarbeiten. So wird dem Obst und dem Nutzgarten eine besondere Pflege zugewandt, der Stallbetrieb ist auf rationelle Ausbildung in der Viehzucht, nicht nur in der Ernährung und Pflege, eingestellt, so daß einerseits die Praktikanten einen Begriff von den, in Palästina angebauten Fruchtarten bekommen, andrerseits Kenntnisse hinbringen können, die für das ganze Land von Nutzen sein werden.
II.
Die Bewohner des Markenhofes, Praktikanten und Praktikantinnen sind,
obgleich alles in ihrem täglichen Leben, Arbeit und Ruhe, ihnen
gemeinsam ist, noch nicht zu der Gemeinschaft zusammengewachsen, die
sich andern Stellen schon gebildet haben: und konnten es auch noch
nicht. Die meisten von ihnen sind erst ganz kurze Zeit da, einige
wenige länger; doch das wesentliche ist, daß Keiner da ist, der als,
unbestrittener Führer das Ganze in der Hand hat. So hat sich eben nicht
der gemeinsame Geist entwickelt, der die erste Vorbedingung für
freudige und gute Arbeit ebenso wie für den wahren Genuß der
Arbeitsruhe ist. Hier liegt ein Mangel dem wie ich glaube, nur dadurch
abgeholfen werden kann, daß die Zusammensetzung der
Praktikanten des Markenhofes nach einheitlichen Gesichtspunkten erfolgt
und nicht scheinbar planlos Leute eingestellt werden, weil die Arbeit
drängt. Wieviel mehr geschafft werden kann, wenn das Zusammensein der
Leute mehr ist als ein bloßes Nebeneinanderhinleben, kann jeder
beurteilen, der solche Verhältnisse andernorts kennen gelernt hat.
Hiervon hängt, wie ich glaube, in weitgehendem Maße die Zukunft des
Markenhofes als Ausbildungsgut für unsere zionistischen Praktikanten
ab. Denn sonst sind alle Vorbedingungen
erfülIt. Das Verhältnis der Praktikanten zum Inspektor ist, im
Gegensatz zu den früheren, nun überwundenen Stadien des Markenhofes,
ein solches, das sich auf engste Zusammenarbeit, menschliches
Vertrauen, aber auch Gefühl für Disziplin und für die Unterordnung
unter den erfahreneren, verantwortlichen Leiter gründet.
Der Markenhof ist als zionistisches Lehrgut zweifellos das
aussichtsreichste, das wir gegenwärtig haben. Es hat den ungeheuren
Vorteil vor andern, daß der ganze Iandwirtschaftliche Betrieb
zuverlässig und für unsere Ausbildung auf das beste geeignet ist. Was
zum Teil noch fehlt, sind die Menschen, die durch ihre Arbeit, ihr
ganzes Zusammenleben dort den Geist hervorbringen, der für uns ein ganz
wesentliches Moment der Palästinaerziehung darstellt. Diese Menschen
dorthin zu bringen, auch unsere Menschen alle soweit zu bringen, dass
jeder von ihnen ein zuverlässiges Gemeinschaftsglied an der Stelle ist,
wo er gerade steht, das ist unsere Aufgabe. Hier darf und soll uns
keiner helfen. Und die schönsten und besten Boden- und
Klimaverhältnisse, die sichersten Vorbedingungen bedeuten nichts für
unsere Ausbildung, wenn wir nicht von vornherein die Qualitäten
mitbringen, die uns zur Erziehung zu wahren Palästinapionieren reif
machen.
Berlin, Werner Rosolio.
Aus:
Blau-Weiss-Blätter - Führerzeitung
Herausgegeben von der Bundesleitung der Jüdischen Wanderbünde Blau-Weiss
Dezember 1920, Jahrgang II. des Führerheftes, Heft 3, Seite 52-54