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Die „Sammlung“ der Franziskanerinnen des Dritten Ordens für Weltleute auf dem Lindenberg 
bei St.Peter im Schwarzwald

Aus: Dr. Fridolin Mayer
Maria Lindenberg
Verlag: Erzb. Missionsinstitut Freiburg i.Br.
Seite 52-71

Zu allen Zeiten des Christentums hat es Seelen gegeben, welche sich berufen fühlten, die evangelischen Räte der freiwilligen Armut, der steten Keuschheit und des freiwilligen Gehorsams zu befolgen und sich in höherem Maße für den Dienst Gottes und des Mitmenschen zur Verfügung zu stellen, als dies normalerweise und für den Durchschnitt der Christen nötig ist.

Es haben sich dafür verschiedene nach Veranlagung, Zeitverhältnissen, Umgebung abgestufte Organisationen gebildet: Die Orden und Kongregationen für das männliche und weibliche Geschlecht. Als der Andrang zum „Ersten oder Minderbrüder-Orden“ sowie zum „Zweiten, dem Frauenorden“ (Clarissen) so groß wurde, daß unmöglich alle Bewerber und Bewerberinnen Aufnahme finden konnten, gründete der heilige Franz von Assisi einen „Dritten Orden“ für Weltleute männlichen und weiblichen Geschlechtes, welche nach einer bestimmten Regel (im Ehe- oder jungfräulichen Stande) ein Leben des Gebetes, der Buße und Arbeit führen wollten. Auch dieser „Dritte Orden“ für Weltleute und seine Ordensregel wurde päpstlich bestätigt und fand große Verbreitung in allen Ständen.

Im ehemaligen Großherzogtum Baden, das ja zum Teil aus säkularisierten Klostergebieten zusammengesetzt wurde, waren die Orden direkt verboten. Wer glaubte, die Einladung des Herrn sei an ihn ergangen: „Folge mir nach“, mußte sich „ein Billet ins Ausland lösen.“ Für die Männerorden blieb das so bis anfangs November 1918, als der letzte Großherzog als eine seiner letzten Regierungshandlungen das Dekret für Zulassungen einiger Männerklöster unterschrieb. Für die Krankenpflege konnte Erzbischof Hermann von Vicari nach langwierigen Unterhandlungen mit der Regierung am 27. Dezember 1846 auf Anregung des Hofrats Professor Franz Joseph Buß die ersten Vinzenzschwestern von Straßburg herüberholen. Das Vorbild der „Weißen Schwestern“ und das Wiedererwachen des religiösen Lebens zeitigte nach langer Winterstarre großen Andrang von Jungfrauen zum Ordensstand. Da auch die weiblichen Orden im Lande verboten waren, half man sich zunächst mit dem Dritten Orden des heiligen Franziskus. Daraus entstanden später die heute blühenden Kongregationen der Gengenbacher Franziskanerinnen und der Neusatzecker Dominikanerinnen. Vorbildlich für die erste Gründung dieser beiden Kongregationen war offenbar die schon 1859 auf dem Lindenberg entstandene Sammlung der Franziskanerinnen des Dritten Ordens für Weltleute.

Eine fromme, vermögende Jungfrau aus dem Bauernstande, Veronika B e n i t z , verließ 1853 ihren Geburtsort Breitnau und wohnte zunächst ın St.Peter. Sie diente Gott in wahrer christlicher Religiosität und Jungfräulichkeit nach der Dritten Ordensregel des heiligen Franziskus. Sie war auch eine innige Verehrerin der Mutter Gottes. Darum siedelte sie im folgenden Jahre über in die Nähe der Lindenbergkapelle und erwarb am 16. April 1856 das danebenstehende Wirtshaus, das schon in alter Zeit zur Erfrischung der Pilger erbaut worden war; es war auch Grundbesitz und Ökonomiegebäude damit verbunden und zu dieser Zeit in zwei Hälften abgeteilt. Den größeren und schöneren Teil kaufte sie von Johann Schlegel für 1400 Gulden, gemeinsam mit dem obengenannten Seminardiener Gregor Gremmelsbacher und ihrer Freundin Katharina W a n g l e r. Zusammen mit letzterer allein erwarb sie um 812 Gulden den kleineren Teil. Mit der ihr gleichgesinnten Wangler und einigen anderen Jungfrauen bezog sie die Wohnung und richtete ein gemeinsames Leben als Franziskanerinnen oder Tertiaren für Weltleute nach der Regel des Dritten Ordens des heiligen Franziskus ein. Veronika Benitz war die Vorsteherin und konnte rasch weitere Tertiaren aufnehmen. Das alles war unter Beratung und freudiger Billigung und Förderung der Seminargeistlichkeit in die Wege geleitet worden. Noch im gleichen Jahre 1856 begann die Bautätigkeit. An die Wallfahrtskapelle wurde östlich eine Wohnung für einen Geistlichen - Wallfahrtspriester und Spiritual - mit einem Oratorium (Betsaal) hinter dem Hochaltar für die „Schwestern“ angebaut und durch einen Gang mit der Kapelle verbunden. Es ist das jetzige Kaplaneihaus, das in etwa an das Armutsideal des heiligen Franziskus erinnert; aber bis zur Stunde seinen Dienst tut und schon viele glückliche Bewohner beherbergt hat. Durch Umtausch gegen den eigenen Bauernhof in Breitnau brachte Katharina Wangler 1858 den angrenzenden, auf Gemarkung Eschbach gelegenen Renzenhof an sich. Später konnten noch zwei weitere benachbarte Grundstücke erworben werden. Die Sammlung der Jungfrauen stieg in wenigen Jahren über die Zahl 40. Alle entstammten dem Bauernstande und verschafften sich ihren Lebensunterhalt durch redlichen Betrieb der Landwirtschaft. Dieser gibt reichlich Gelegenheit, auf dem Feld und im Hause im Schweiße des Angesichtes sein Brot zu verdienen und Buße zu tun, wie es Gott schon dem ersten Menschenpaare auferlegt hat, und der heilige Franz in seiner Regel des Dritten Ordens für Weltleute verlangt. Nach dem Grundsatze: Ora et labora, bet' und arbeit', womit in langen Jahrhunderten die christliche Kultur Europas aufgebaut worden war, versäumten die Tertiarinnen auf dem Lindenberg auch das Gebet nicht. Zu den von jedem ordentlichen Christen täglich zu verrichtenden Gebeten, zu den mit Eintritt in den Dritten Orden übernommenen Regelgebeten, zu den die Wallfahrer erbauenden gottesdienstlichen Gesängen und Gebeten fügten sie noch freiwillig „die Ewige Anbetung“ hinzu. Seit dem 8. Oktober 1858 beteten öffentlich in der Wallfahrtskapelle vor ausgesetztem Allerheiligsten abwechslungsweise je zwei Jungfrauen laut Stunde für Stunde, bei Tag und bei Nacht. Erzbischof Hermann von Vicari hatte die   Ewige Anbetung in der Erzdiözese eingeführt und mit dem 1. Januar 1856 beginnen lassen. In den Teilen der Erzdiözese, die früher zu Mainz, Worms, Speyer gehört hatten, war diese noch in Übung und brauchte nur neu eingeteilt zu werden. Für die Pfarreien des alten Bistums Konstanz war dies eine Neuerung. Für die Nacht waren keine Betstunden angesetzt, so daß bei diesem „immerwährenden Gebete“ eine große Lücke klaffte. Es mag für den zweiundachtzigjährigen Bekennerbischof eine große Freude gewesen sein, als schon anderthalb Jahre nach Einführung der Ewigen Anbetung die Schwestern auf dem Lindenberg diese nicht nur für den Tag, sondern auch für die Nacht übernahmen. Es   war damit eine Hilfsquelle wirksamer Art entsprungen für den Kampf um die Freiheit der Kirche, der nur mit übernatürlichen Mitteln und Hilfe vom Himmel gewonnen werden konnte.   Zu den sich Freuenden gehörten auch die Geistlichen von St.Peter, und zwar sowohl als Vorsteher des Priesterseminars als auch als Seelsorger der Pfarrei. Je mehr durch die „Aufklärung“, den freigeistigen, ungläubigen Zeitgeist, das religiöse Leben abnahm, um so mehr stieg die Unmoral und Unsittlichkeit. Für das Ideal der Jungfräulichkeit schwand vielfach jeglicher Sinn. Wie war da das jungfräuliche Leben und das Beten vor dem Allerheiligsten auf dem Lindenberg ein Beispiel und eine eindringliche Predigt über die Tugend der Keuschheit und die aus der Eucharistie entspringenden Kraftquellen, den öfteren Empfang der heiligen Sakramente und die Verehrung der unbefleckt empfangenen Gottesmutter! Das empfand auch das gläubige Volk und pilgerte eifriger denn je auf den Lindenberg. Das Volk wurde auch angezogen durch die Gesänge der Schwestern beim Gottesdienst. Diese selbst Waren dem Getriebe und Getöse der Welt entrückt, arbeiteten still und beteten Tag und Nacht für sich und ihre Mitmenschen. Für diese Opferseelen galt, ohne daß sie es wohl kannten, das tiefe Wahrwort des großen Theologen und Geschichtskenners Adam Möhler: „Wenn dermaleinst die innere Seite der Welt- und Kirchengeschichte wird herausgekehrt und offenbar werden, dann wird sich erst zeigen, wer die wirklich heilenden, erhebenden und belebenden Mächte gewesen sind; nicht wenige geräuschvolle Helden der Zeit, die im Staate, in der Kirche und in der Wissenschaft aufgetreten sind, werden in einer staunenerregenden Unbedeutendheit verschwinden, wogegen manches stille, kleine, vor unsern offenen Augen unnütze und von ihnen gar nicht wahrgenommene Leben als der eigentliche wohltätige Träger der Geschichte sich herausstellen wird.“ 

In der zehnjährigen Periode, die der Einführung der Ewigen Anbetung folgte, erreichte die Wallfahrt die höchste Blüte. Um der Anbetung ungestörter und bequemer obliegen zu können, wünschten die Schwestern einen von der Öffentlichkeit gesonderten größeren Raum. Dazu sollte die Kapelle durch einen Anbau an das schon stehende Langhaus auf den schon 1805 gelegten Fundamenten in der Breite der Kapelle vergrößert Werden. Darum wurde auf beiderseitigen Wunsch zwischen der Gemeinde Unteribental und Veronika Benitz ein Vertrag geschlossen und  in öffentlicher Versammlung am 27. Juli 1866 bestätigt, wodurch die Bau- und Unterhaltungspflicht sowie die Eigentumsrechte an der alten Kapelle und dem neuen Anbau festgelegt wurden. Danach übernahm Veronika Benitz die Kosten des Neubaus sowie dessen ständige Unterhaltung ohne Belastung des Kapellenfonds und der Kirchspielgemeinde Unteribental für jetzt und allezeit, während das Eigentumsrecht am alten und neuen Bau genannter Gemeinde in unbeschränkter Weise zustand. Veronika Benitz wird ermächtigt, in ganzer Breite des Neubaus eine Emporbühne für ausschließlichen Gebrauch der Schwestern, mit Zugang von der Klausur her, zu errichten zur alleinigen Benützung für sich und ihre Hausgenossen. Dieser Zugang wurde außen an der Südwand der Kapelle durchgeführt, ist aber heute abgebrochen. Das bisherige Türmchen wird durch ein neues über dem Anbau ersetzt und erhält drei Glöckchen. Für die Errichtung und Erhaltung übernimmt der Kapellenfond für jetzt und allezeit die Kosten. Ihm verbleiben auch die anfallenden Opfergelder wie bisher. Für die richtige Erfüllung der durch den Vertrag eingegangenen Verpflichtungen leistet Benitz eine Kaution von 8000 Gulden in Liegenschaften. Noch im gleichen Jahre wurde der Neubau ausgeführt. Er ist heute noch leicht kenntlich an vier kreisrunden Fensteröífnungen. Auch der Innenbau der also vergrößerten Kapelle wurde vervollständigt und verschönert, der Altar mit einem neuen Tabernakel geschmückt, eine Orgel auf der neuen Empore aufgestellt und auch das Geläute ergänzt.

Unterdessen war der Zeiger der Weltenuhr weitergerückt. Es schlug eine neue Stunde für den Lindenberg. Die friedlichen Bewohnerinnen sollten sich der Herrlichkeit ihres trauten Heiligtums nicht lange freuen dürfen. Bevor wir ihr trauriges Schicksal erfahren, wollen wir einige Stimmen ihrer nächsten Nachbarn über die Bewohnerinnen des Lindenbergs Vernehmen. Als bekannt geworden war, daß die Jungfrauen vom Lindenberg auf Grund des Badischen Gesetzes von 1860 vertrieben werden sollten, stellte der Gemeinderat von Unteribental als ihre nächste vorgesetzte Behörde folgendes amtliches Zeugnis aus: „Dieselben bebauen ihr Grundeigentum selbst miteinander, und zwar mit solchem Fleiß und solcher Umsicht, mit Vorteil in jeder Hinsicht, daß ein jeder Mann ihnen das Zeugnis als tüchtige Ökonomisten und Beförderer der Landwirtschafl: in vollstem Maße geben muß. Hinsichtlich ihres Betragens gegen ihre Mitbürger und als Gemeindeangehörige sind sämtliche Bewohner des Lindenbergs friedsam, zuvorkommend, uneigennützig und bescheiden, pünktlich und gehorsam in ihren Pflichten gegen die Gemeindeordnung und gegen erteilte obrigkeitliche Befehle. Durch dieses Beträgen haben dieselben die allgemeine Gunst in der Umgebung sich erworben, und hauptsächlich die Gemeinde Unteribental hat durch ihre Gegenwart eine Begünstigung erworben, welche darin liegt, daß in der Nähe der Einwohnerschaft selbst täglich ein Gottesdienst abgehalten wird und somit den Leuten Gelegenheit gegeben ist, in christlicher Beziehung ihre Andacht zu verrichten ...“ Die Gemeinderäte von   St. Peter und Eschbach stellten den Schwestern   ein ähnliches Zeugnis aus und schrieben unter anderem über den Gottesdienst, der dem Volke besonders gefiel: „In der Kapelle beten sie laut, und zwar zu zweien Tag und Nacht. Zuerst haben sie hinter dem Hochaltar und jetzt in der Kapelle auf einer vergitterten Emporbühne gebetet. Von Zeit zu Zeit singen sie auch; das religiöse Leben veredelt Arbeit und Umgang der Menschen.“ Der Gemeinderat von Eschbach  schreibt: „Wegen ihres fleißigen und fröhlichen Arbeitens und beim Verkehren Wegen ihres freundlichen Betragens sowie wegen ihres ganz untadelhaften Lebens sind sie in der ganzen Umgebung beliebt.“ - Das waren für die Tertiaren der Jungfrauen-Sammlung auf dem Lindenberg über ihr Leben, Arbeiten, Beten und Büßen Während der zwölf Jahre ihres Dortseins vorzügliche Zeugnisse.

Die Vertreibung der Schwestern des Dritten Ordens auf dem Lindenberg  

„Die Wahrheit ist in Vergessenheit geraten, und wer sich vor dem Bösen hütet, wird zum Raube. Das sieht der Herr, und es erscheint böse in seinen Augen, daß kein Recht ist.“ (Isaias 59, 15.)  

Ein Teil der Schicksale des Menschen wird bestimmt durch die Umgebung, ein anderer durch die Zeitverhältnisse, in welche er durch die göttliche Vorsehung hineingestellt wird.

Die Umgebung war für die Jungfrauen auf dem Lindenberg die denkbar günstigste: Ein Leben in Gebet und Arbeit, mit lauter Gleichgesinnten, fernab von der großen, unruhigen Welt; aber sie wurden nur zu bald aus ihrem stillen Glück herausgerissen und brutal auf die Straße geworfen; denn es war eine böse Zeit für die Katholiken in Baden überhaupt und vor allem für solche, die sich besonderer Frömmigkeit befleißigten.

Es war die Zeit des Kulturkampfes. Ein schönes Wort zur Bezeichnung einer recht häßlichen Sache. Der Rationalismus und die Aufklärung waren durch die Revolutionen etwas in Mißkredit geraten und hatten dem „Liberalismus“ den Platz räumen müssen. Dieser war sehr unliberal und intolerant gegen die katholische Kirche. Das führte zu schweren Kämpfen, als die Katholiken aus der Betäubung erwachten, in welche die Säkularisation und die Zerschlagung der kirchlichen Ordnung sie versetzt hatte. Man setzte sich zur Wehr gegen die Übergriffe des Staates auf dem religiösen Gebiet. Da die Nationalliberalen den Landtag vollständig beherrschten, wurden Gesetze gemacht gegen die katholische Kirche und ihre Einrichtungen. Sie nannten das Kulturkampf; aber diese Bezeichnung war ein Hohn auf die Kultur. Dieser Kulturkampf nahm teilweise einen höchst dramatischen Verlauf. Im Jahre 1854 wurde der zweiundachtzigjährige Erzbischof von Freiburg, Hermann von Vicari, zwar nicht ins Gefängnis abgeführt, aber in „Schutzhaft“ gehalten, im eigenen Palais, und von Gendarmen sogar während der heiligen Messe in seiner Hauskapelle bewacht. Auch seine ein- und ausgehende Post wurde kontrolliert. Ein zweiter, aufsehenerregender Akt war die Vertreibung der Drittordensschwestern vom Lindenberg. Nach einem im Jahre 1860 in Karlsruhe fabrizierten Gesetze durfte der Erzbischof keine religiösen Orden, auch keine einzelne Anstalt errichten, ohne Genehmigung der Staatsregierung. Als 1868 Julius Jolly zum Ministerpräsidenten berufen worden war, trauten ihm die Nationalliberalen nicht. Ihre Wortführer versammelten sich in Offenburg, um große Töne zu reden und der Regierung heftigsten Widerstand anzudrohen (Offenburgerei). Der neue Ministerpräsident wußte die Herrschaften zu beruhigen und erbrachte den Beweis für seine Befähigung und Tüchtigkeit für den Kulturkampf. Ende des Jahres 1868 wurde beim Ministerium in Karlsruhe vom „zuständigen Bezirksamt Freiburg“ Anzeige erstattet, „daß 46 Ordensschwestern auf dem Lindenberg nach der Regel des Dritten Ordens des heiligen Franziskus zusammenlebten und also ein Kloster im vollsten Sinne des Wortes bildeten“. Am 18. Dezember 1868 fand sich der Großherzogliche Bezirksamtmann in dem Hause auf dem Lindenberg ein; nachdem er zu Ibental die Eigentums- und Heimaturkunden erhoben, erklärte er der Eigentümerin des Hauses und Vorsteherin der Jungfrauen, daß er mit einer Untersuchung beauftragt sei, und zog die ihm nötig erscheinenden Erkundigungen ein. Jede Auskunft wurde ihm bereitwillig gegeben und ihm auf Verlangen alle Räumlichkeiten des Hauses geöffnet. Das war der erste Akt des Trauerspiels. Der zweite folgte sofort. Man sollte nicht glauben, wie rasch der Staatsbürokratismus arbeiten konnte. Am 22. Dezember erfolgte „das Erkenntnis des Großherzoglichen Ministeriums des Innern“. Es wurde am 24. Dezember von oben genanntem Beamten den Jungfrauen auf dem Lindenberg persönlich verkündet. Unter Berufung auf verschiedene Gesetzesparagraphen - wer denkt da nicht an das Wort: „Wir haben ein Gesetz....“ (Joh. 19, 7)! - wird verfügt: „Der auf dem Lindenberg gegründete Verein katholischer Frauen wird als den Staatsgesetzen zuwiderlaufend v e r b o t e n. Der Beamte hat sich sofort nach dem Kloster Lindenberg zu begeben und den Mitgliedern des Vereins zu eröffnen, daß sie, mit Ausnahme der Katharina Wangler und Veronika Benitz, spätestens bis zum 10. Januar die bisher gemeinschaflliche Wohnung zu verlassen haben und bis auf weiteres nicht dahin zurückkehren dürfen.“ Diese Eröffnung geschah auf dem Lindenberg am Heiligen Abend 1868.

Unterm 6. Januar 1869 wandte sich der Rechtsbeistand der Verfolgten, Hofgerichtsadvokat von Waenker, an das Staatsministerium und wies nach, daß das Gesetz vom 9. Oktober 1860 auf den Lindenberg gar nicht könne angewendet werden; denn was dort geschehe, sei gar kein Kloster, sondern nur ein religiöser Verein, der außerdem schon vor dem Gesetze bestanden habe. Die Bildung religiöser Vereine sei aber gestattet. Darum stellte Dr. von Waenker die ehrerbietige Bitte um Aufhebung der Verordnung oder um Genehmigung des religiösen Vereins, der ein unverkennbares Bedürfnis befriedige, niemals zu einer Klage oder Beschwerde Anlaß gegeben habe und von den benachbarten Gemeinden als heilsam und vorteilhaft gewünscht werde. Wenigstens möge angegeben werden, welche Anordnungen einzutreten haben und was zu unterlassen sei, damit der Verein bestehen dürfe. Wenn das abgeschlagen werde, möge höchst eventuell der Eigentümerin des Hauses nicht untersagt werden, in ihrem Hause wohnen zu bleiben. Letzteres wurde zugestanden. Für das andere galt: „Was geschrieben ist, bleibt geschrieben.“ Das angerufene Staatsministerium hielt unterm 28. Januar 1869 seinen Beschluß aufrecht und setzte die Auflösung des Vereins für den 10. Februar als letzten Termin fest. Das war in jenem Jahre der Aschermittwoch: Macht ging vor Recht! Die Breisgauer Zeitung fand den Mut, in zwei von Unrichtigkeiten strotzenden Artikeln ihren nationalliberalen Lesern die Sache mundgerecht zu machen und den verfolgten Jungfrauen „angelernte Frömmelei und beschauliches Nichtstun“ vorzuwerfen. Der Volksschriftsteller Josef Mathias Hägele aber schrieb in seiner 1869 bei Dilger in Freiburg erschienenen Flugschrift mit dem originellen Titel: „Das erste Brandopfer der Offenburgerei oder die Treibjagd auf dem Lindenberg“ den Machthabern in Karlsruhe folgendes ins Stammbuch: „Wenn die Schwestern für gut finden, mehr zu beten als andere Leute, so schadet dieses niemandem. Die Regierung hat in das Gebet nicht hineinzuregieren. Sie schreitet  ja gegen das Nichtbeten und Nichtstun auch nicht ein!“

Die Vertreibung der Jungfrauen war in Karlsruhe beschlossen und mußte vom Bezirksamt in Freiburg vollzogen werden. Im damaligen Freiburger Kirchenblatt 1869 erstattet ein Augenzeuge einen ausführlichen Bericht „Über die bei Beginn dieser heiligen Fastenzeit vollzogene Austreibung der Tertiarierschwestern auf dem Lindenberg“.

Am 11. Februar, am Tag nach der festgesetzten Frist, rückte die polizeiliche Gewalt auf dem Lindenberg an. Auf drei Leiterwagen wurden 41 Schwestern nach St.Peter geführt und dort auf der Straße abgesetzt. Der Sturm heulte und tobte ein vielstimmiges Konzert, dichtes Gewölk trieb von Berg zu Berg, von Tal zu Tal; in Strömen ergoß sich der Regen vom trauernden Himmel herab, so daß die Schwestern ganz durchnäßt in St.Peter mittags zwölf Uhr eintrafen. Nur die zwei Schwestern Benitz und Wangler, auf deren Namen der Hof im Grundbuch eingetragen war, durften bleiben. Selbst gegen Kranke kannte man kein Erbarmen. Gregor Gremmelsbacher hatte am 23. Februar 1869 seinen Anteil am Wohnhaus und sein Bruderhaus um 2000 Gulden an acht der vertriebenen Schwestern verkauft, und ihr Eigentum wurde demgemäß am 2. März ins Grundbuch eingetragen. Doch schon am 4. März wurden sie vom Polizeikommissär genötigt, augenblicklich ihre Wohnung zu verlassen und nach St.Peter zurückzukehren. Dort hatten nämlich wohltätige Familien die Vertriebenen um Gottes Lohn in Obdach und Verköstigung genommen. Der Lindenberg blieb noch lange von Gendarmen besetzt. Die Vertriebenen aber fanden bei den Benediktinerinnen zu Othmarsheim im Elsaß, im Hause Nazareth in Sigmaringen und endlich auf dem Gubel in der Schweiz gastliche Aufnahme. Bald erlagen jedoch die meisten dem Kummer und den ungewohnten Verhältnissen. Zwölf fanden ihre letzte Ruhestätte in Sigmaringen, dreizehn in Othmarsheim im Elsaß. Als die Wogen des Kulturkampfes abgeebbt waren, konnten zwölf von den noch lebenden Schwestern in gewöhnlicher Kleidung auf dem Lindenberg als Mägde Dienste leisten.