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Kirchzarten 1945 - Eine lokalgeschichtliche Studie
Auszug aus einer wissenschaftlichen Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Realschulen - Fach: Geschichte
Pädagosische Hochschule Freiburg - Herbst 1989

vorgelegt von: Wolfgang Riesterer, Im Gässle 12, 7815 Kirchzarten

II. H a u p t t e i l

Bevölkerung und Wahlen in Kirchzarten

1.1 Größe des Dorfes und Bevölkerungsentwicklung
Am 1.
April 1936 wurden die selbständigen Orte Dietenbach‚ Kirchzarten und Neuhäuser durch eine Verfügung des damaligen badischen Innenministers zwangsweise zu einer politischen Gebietskörperschaft zusammengeschlossen. Nach dem ursprünglichen Stand vom 1.1.1924 betrug nun die Gesamtfläche der"neuen Gemeinde Kirchzarten" 1156 Hektar. Bis in die Zeit nach dem II. Weltkrieg vergrößerte sich die Gesamtfläche durch Arrondierungen gegenüber Nachbarorten auf ca. 1166 Hektar.8)

Kirchzarten hatte im Jahr 1933 1394 Einwohner. 9) Bis Kriegsbeginn erhöhte sich diese Zahl, vor allem bedingt durch den Zusammenschluß mit Neuhäuser und Dietenbach‚ auf 1952. Am 26.1.1946 hatte Kirchzarten 2134 Einwohner‚ davon 914 männliche und 1220 weibliche. Am 14.9.1945 befanden sich sogar nur 796 männliche Kirchzartener im Ort 10). Der stärkere Frauenanteil ist vor allem darauf zurückzuführen, daß viele Männer auf den Schlachtfeldern des II. Weltkrieges den Tod gefunden hatten, und daß sich nach dem Kriegsende die Mehrzahl der Männer in Kriegsgefangenschaft befand.

8) G. Haselier: Kirchzarten, S. 709 — Tabelle 32.
9) Die folgenden Zahlen beruhen auf:
Statistik in Baden — Revue Statistique pour les Pays de Bade veröffentlicht vom Service des Statistique et d'Etudes Economique aupres du Gouvernement Militaire de Bade, Fribourg; Freiburg 1946, S. 35.
10) GA V/2 952.

Der Konfessionszugehörigkeit nach gab es in Kirchzarten fast ausschließlich katholische Einwohner. Nach dem Stand der Volkszählung am 26.1.1945 11) waren 87,6% der Kirchzartener Bevölkerung Katholiken. 11,2% waren Protestanten. Der Rest von 1,2% setzte sich aus sonstigen Religionsgemeinschaften bezw. Glaubenslosen zusammen.

1.2 Berufs- und Sozialstruktur 12)
Im Jahre 1946 waren in Kirchzarten 40,9% aller Erwerbspersonen Arbeiter. 21,7%, also knapp ein Fünftel, waren Selbständige und 16‚1% waren mithelfende Familienmitglieder, vor allem auf Bauernhöfen bezw. in kleinen Handwerksbetrieben. Der Rest gliederte sich in 15,6% Angestellte und 5,7% Beamte. Der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung lag bei 42,8%. Kirchzarten war seit jeher ein Ort, in dem das Handwerk und Gewerbe für die Bedarfsdeckung der Bevölkerung der Gemeinde und der ganzen Region Bedeutung hatten. Die Zahl
von 76 Betrieben im Jahr 1939 ging bis 1946 auf 66 zurück, meist, weil die Inhaber gefallen oder in Kriegsgefangenschaft geraten waren oder die Besatzungsmacht die Schließung angeordnet hatte (so z.B. alle Gasthäuser) 13).

Somit waren etwa ein Drittel der Erwerbstätigen in Industrie und Handwerk (34‚4%) und ein weiteres Drittel in der Land- und Forstwirtschaft (32‚0%) beschäftigt. Das letzte Drittel gliederte sich in die Wirtschaftsbereiche Handel und Verkehr (14‚7%)‚ öffentlicher Dienst (11‚1%) und häusliche Dienste (7‚8%). Diese Zahlen entsprechen weitgehend der Berufs- und Sozialstruktur im damaligen Land Südbaden.

11) Revue Statistique‚ S. 35.
12) Nach: Gemeindestatistik des Landes Baden, Ausgabe 1949. Herausgegeben vom Badischen Statistischen Landesamt Freiburg o‚J. (1949), S. 70.
13) G. Haselier: Kirchzarten‚ S. 539.
Da die Zementrohrfabrik Brenzinger & Cie. am 11. Oktober 1944 einem Luftangriff zum Opfer gefallen war, und die erhalten gebliebene Sümöfag mit großen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, konnte am Ende des Krieges in Kirchzarten von Industrie kaum die Rede sein.

1.3 Wahlen in Kirchzarten 14)
Die Statistik der Wahlen in den Jahrzehnten vor 1933 zeigt, daß die betont christlich eingestellte Bevölkerung Kirchzartens schon seit dem Ende 19. Jahrhundert hinter der
katholischen Volkspartei, später hinter der Zentrumspartei stand.
Bei den Reichstagswahlen 1903 entfielen 94,4% der Stimmten auf den Kandidaten des Zentrums. Bei den Landtagswahlen 1929 stimmten noch 74,3% für das Zentrum, und selbst 1933
wählten noch 47,9% der an der Reichstagswahl sich beteiligenden Kirchzartener Bürger die Zentrumspartei.
Zum politischen Klima während der NS-Zeit ist festzustellen, daß sich die NSDAP in Kirchzarten verhältnismäßig spät bemerkbar machte. Erstmals erzielte sie bei der Reichstagswahl 1924 7 Stimmen (1,1 %). Bei der Landtagswahl 1929 vergrößerte sie ihren Anteil nur geringfügig um bekam 11 Stimmen (1,4%).
Nach der Radikalisierung des Parteienkampfes‚ aber auch durch die Weltwirtschaftskrise und die dadurch bedingte politische Unsicherheit, wuchs die Anhängerschaft der NSDAP vor allem durch den Zustrom von jüngeren Wählermassen.
1933, bei der letzten verhältnismäßig freien Reichstagswahl, erreichte die NSDAP schon 39,4%. Dieses Ergebnis verwies die Gemeinde unter den 77 Ortschaften des Landkreises auf den 58. Platz. Im Vergleich zu anderen großen Verwaltungseinheiten lagen die Stimmwerte der NSDAP in Kirchzarten aber stets tiefer als z.B. im Deutschen Reich, in Baden oder im Landkreis, wie folgende Tabelle zeigt 15):
14) Die folgenden statistischen Daten und Zahlenangaben beruhen auf: G: Haselier: Kirchzarten; Tabelle 75 - Seite 732 u. Tabelle 76 - S. 734
15) "Ebenda, Seite 727 — Tabelle 69.

Stimmenanteil der NSDAP bei den Reichstagswahlen (in %):
Wahl
jahr
Deutsches
Reich
Baden
Landkreis
Freiburg
Kirchzarten
1930
18,3
19,2
19,5
6,6
1932 I
37,2
36,9
40,5
21,9
1932 II
33,1
34,1
38,0
17,0
1933
43,9
45,4
54,7
39,4

Nach dem Krieg setzte die neugegründete CDU die Tradition des Zentrums fort, als sei bei den Landtagswahlen am 18.5.1947 70,4% der Stimmen erreichte. Die SPD bekam 20% der Stimmen.

2. Kriegszerstörungen und Kriegsopfer

In Südbaden waren die Zerstörungen durch Bomben und Artilleriebeschuß erheblich geringer als in den meisten anderen Teilen Deutschlands. In den ersten Jahren des Krieges war Südbaden kaum von Kriegshandlungen betroffen. Erst ab Ende 1944, als die Alliierten nach der Invasion in der Normandie und der Landung in der Provence unaufhaltsam auf dem Vormarsch waren, kam auch das Oberrheingebiet mehr und mehr in die Reichweite der alliierten Jagdbomber, da die Anflugwege immer kürzer wurden. Für die Bevölkerung bedeutete dies die Gewöhnung an den Daueralarm bei Tag und Nacht, und schließlich auch die Gefahr des direkten Beschusses durch Jagdbomber bei der Feldarbeit und im Straßen- und Bahnverkehr.

Einen besonderen Schock versetzte der Bevölkerung des Breisgaus der große Bombenangriff auf Freiburg vom 27. November 1944. Bei diesem Angriff starb der in Freiburg verweilende Kirchzartener Bürger Kar Wetzel. Spätestens ab diesem Tag war jedem klar, daß die Furcht vor den feindlichen Fliegern alltäglich werden würde.

Die alliierten Jagdbomber hatten es vor allem auf die Zerstörung des Eisenbahnnetzes mit seinen Bahnhöfen, Brücken und Tunnels abgesehen, Da Kirchzarten die letzte größere Station vor dem Höllental war, wurde der Bahnhof des öfteren zum Ziel von Bombenangriffen.

Für Kirchzarten begann die Reihe von Bombenangriffen am 12. September 1944, als zunächst morgens um 8.45 Uhr 6 Bomben auf einen Bahnübergang und nachmittags um 16.30 Uhr 8 Bomben auf die Bahnlinie und die Freiburgerstraße zwischen Kirchzarten und Kappel fielen. Hierbei kam es vor allem zu Verwüstungen auf Feldern und Wiesen 16).

16) GA IX 1499.

Am 13. Oktober 1944 erfolgte schließlich der erste große Fliegerangriff auf Kirchzarten‚ bei dem das Zementwerk Brenzinger & Cie. in der Stegengrstraße‚ das sich auf Stahl-Skelett-Barackenbau spezialisiert hatte, völlig zerstört wurde. Außerdem wurde die Mechanische Werkstätte Tritschler in der Dietenbacherstraße zerstört. Dabei kam Wilhelmine Birkenmeier ums Leben. Neben diesen erwähnten Zerstörungen waren noch viele weitere Schadensfälle zu verzeichnen, die mit 150 000 Mark
veranschlagt wurden. 17)

Ein ähnlich schwerer Angriff erfolgte am 19. Februar 1945 kurz nach 14.00 Uhr. Bei diesem Angriff war vor allem die Gegend des Bahnhofs betroffen. Die Güterhalle des Bahnhofs brannte total ab. Zwei Gebäude, unter anderem das Notariatsgebäude‚ wurden völlig zerstört, 24 weitere Gebäude wurden zum Teil schwer beschädigt 18). Schwer beschädigt wurden auch die evangelische Kirche und das evangelische Pfarrhaus. Die Kirche war unbenutzbar‚ das Pfarrhaus unbewohnbar geworden. Daraufhin wurde der evangelischen Gemeinde vorübergehend
die Giersbergkapelle für ihre Gottesdienste zur Verfügung gestellt 19).

Bei diesem Angriff vom 19. Februar 1945 starben Katharina Osswald und ein Gefreiter der deutschen Wehrmacht aus Berlin, der durch einen Granatsplitter in den Rücken getötet wurde.

Begründet waren die Angriffe auf den Bahnhof unter anderem durch die Stationierung eines Langrohrgeschützes auf den Gleisen des Bahnhofes 20).

17) G. Haselier: Kirchzarten; S. 503.
18) GA IX 1501.
19) G. Haselier: Kirchzarten; S. 436
Die evangelische Gemeinde richtete in Selbsthilfe ihre Kirche wieder her. In den Wochen und Monaten nach Kriegsende war es jedoch schwer, Material zu bekommen. Um zum Beispiel Glas für die Fenster zu erhalten, mußte eine Naturalien-Sammlung durchgeführt werden. Am Reformationsfest, am 4.11.1945, wurde die Kirche wieder in Gebrauch genommen .
20) Interview Rieder.

Insgesamt entstanden in Kirchzarten durch Bombenangriffe Schäden an 75 Gebäuden. Viele dieser Gebäude wurden sogar mehrmals beschädigt. Die meisten der beschädigten Gebäude lagen im Bereich des Bahnhofes. Hier die Zahlen dieser Gebäude in den den Bahnhof umgebenden Straßen 21) :

Bahnhofstraße                                            = 26
Bismarckstraße (heute Burgerstraße)     = 11
Lindenaustraße                                            = 8
Stegenerstraße                                             = 3.

Wie schon erwähnt, kamen in Kirchzarten mehrere Zivilisten durch Kriegshandlungen ums Leben. Ich möchte aber nicht versäumen, den Tod von Maria Ruh zu erwähnen. Diese Kirchzartener Bürgerin kam bei dem durch deutsche Flieger verursachten Bombenangriff auf Freiburg vom 10. Mai 1940 ums Leben 22) .

In der Gemeinde wurden 432 Männer zum Kriegsdienst eingezogen. Davon fielen 87 auf den Schlachtfeldern des II. Weltkrieges. Allein 60 fielen auf dem Kriegsschauplatz in Rußland, einer
sogar noch 1949 bei einem Unfall in einem russischen Gefangenenlager 23).

Besonders erschütternd sind beim Studium der Akten im Gemeindearchiv die Todesnachrichten der Truppenteile an die Angehöriigen. Nicht selten kam es vor, daß kurz nachdem die Angehörigen ein Gesuch um UK-Stellung eingereicht hatten, die Nachricht vom Tod ihres Sohnes oder Ehemannes eintraf.

Insgesamt kamen 91 Kirchzartener Bürger durch Folgen des II. Weltkriegs ums Leben.

21) GA IX 1507.
22) Gerd R. Ueberschür / Wolfram Wette: Bomben und Legenden; Die schrittweise Aufklärung des Luftangriffes auf Freiburg am 10. Mai 1940 - S. 43.
23) GA IX 1468.

3. Evakuierte‚ Displaced Persons‚ Kriegsgefangene, Flüchtlinge

Evakuierte

Zeitlich am frühesten äußerte sich in Kirchzarten das Evakuiertenproblem. Seit 1943 wurden meist Mütter, Kinder und Alte - d.h. im Produktionsprozeß Entbehrliche - aus bombengefährdeten Gebieten in vornehmlich ländlich-kleinstädtische Gebiete evakuiert. Evakuierung bedeutete meist Trennung der Familien und die Ungewißheit und Angst um die verlassenen Wohnungen. Mit zunehmender Intensivierung des Luftkrieges gegen die deutschen Städte nahmen auch die Evakuierungen zu. Da Südbaden bis fast zum Kriegsende ein relativ sicherer Ort war, lag der Anteil der Evakuierten in Südbaden höher als in anderen Gebieten 24). Da die französische Zone erst spät für die Flüchtlinge geöffnet wurde, waren die vielen Evakuierten in unserem Raum zunächst das eigentliche "Flüchtlingsproblem" 25).

Baden war Aufnahmegau für Evakuierte aus den Gauen Köln- Aachen und Westfalen-Süd. Bis Mitte Mai 1943 hatte es mehrere heftige Angriffe auf das Ruhrgebiet gegeben: 1500 Tonnen Bomben waren jede Nacht auf Städte wie Duisburg und Dortmund abgeworfen worden. Am 23. und 25. Mai 1943 fielen je 2000 Tonnen Bomben in einem Angriff auf Dortmund und Düsseldorf 26).

24) Nach G.W. Harmssen.(Hrsg.): Am Abend der Demontage. Sechs Jahre Reparationspolitik‚ Bremen 1951, betrug der Anteil der Evakuierten an der Bevölkerung in den einzelnen Besatzungszonen:
Französische Zone = 5,9 %
Amerikanische Zone = 5,4 %
Britische Zone = 4,9 %
SBZ = 3,4 %.
25) M. Bosch: Der Neubeginn, S. 223.
26) David Irving: Die Tragödie der Deutschen Luftwaffe; Frankfurt a.M. / Berlin 1970, S. 278 ff.

Aufgrund dieser Verschärfung der Angriffe kam am 23.7.1943 Mädchen und Lehrer aus drei Klassen der Goethe-Oberschule Dortmund nach Kirchzarten. Die meisten der Mädchen wurden im Gasthaus "Löwen" untergebracht. Der größte Teil der Schülerinnen blieb bis zum Spätjahr 1944 in Kirchzarten. Ab diesem Zeitpunkt mußten die älteren Schülerinnen zum Arbeitseinsatz in der Rüstungsindustrie. Daß sich die Mädchen und die Lehrer in Kirchzarten wohlgefühlt haben müssen zeigt ein Brief des Oberstudien-
direktors der Goethe-Oberschule vom 20.12.1944 an Bürgermeister Zimmermann:

"Unsere Umsiedlung hierher ist vollzogen .....
Wieviel lieber wären wir in Kirchzarten geblieben.
Die Monate, die wir dort verlebt haben, werden uns
unvergeßlich sein. ... .Kirchzarten war unseren aus
ihrer Heimat vertriebenen Schülerinnen eine zweite
Heimat geworden. Ich bin überzeugt, daß die Mädel
in den erhofften Friedenszeiten alle Kirchzarten
wieder aufsuchen werden . . . . .. 27).

Im Schnitt waren seit dem Sommer 1943 jeweils ca. 250 Fliegergeschädigte und sonstige Umquartierte in Kirchzarten untergebracht.

Waren es anfangs Evakuierte aus dem Ruhrgebiet, Hannover, Berlin etc.‚ so wurde der südbadische Raum gegen Ende des Krieges selbst von Evakuierungen betroffen.

Am 27.11.1944, in den späten Abendstunden, erlebte Freiburg einen vernichtenden Bombenangriff. In 23 Minuten war die Altstadt mit Wohnviertel und kulturbauten zerstört. Eine To
tenliste in der Tageszeitung "Alemanne" vom 13.2.1945, also fast mit dreimonatiger Verspätung, enthielt knapp 600 Namen. Insgesamt sollen in der Bombennacht 3000 Verluste zu beklagen
gewesen sein. Es handelte sich um 1528 identifizierte Tote, 215 unbekannte Tote und 1403 Vermißte 28). Bei diesem Angriff kam auch der Kirchzartener Bürger Karl Wetzel ums Leben.

In der Bombennacht vom 27. auf 28. November 1944 war Kirchzarten Zufluchtsstätte vieler Freiburger, die vor den Bomben flüchteten. Viele quartierten sich in dieser Nacht auf dem Giersberg ein, von wo sie sehen konnten wie die Innenstadt brannte.

27) GA IX 1490
28) "Der Alemanne" vom 13. Februar 1945.

Da die Freiburger nun in ständiger Angst leben mußten‚ noch einmal Opfer eines Großangriffs zu werden, und viele Freiburger total fliegergeschädigt waren, wurden viele evakuiert. Insgesamt zogen 21 Freiburger direkt oder erst einige Zeit nach dem Angriff aus Freiburg nach Kirchzarten 29). Dies ist eine relativ geringe Zahl, aber "täglich gegen Abend ergoß sich ein
Strom von Gefährten aller Art ins Dreisamtal hinauf, um einem etwaigen erneuten Angriff zu entgehen" 30).

Problematischer wurde es, als die Rheinebene von den französischen Truppen bedroht wurde. Die östlichen Gemeinden des Kreises Freiburg mußten Evakuierte vom Rhein und vom Kaiserstuhl aufnehmen. Diese Evakuierungen in rückwärtige Gebiete stießen zum Teil auf Schwierigkeiten, da diese Gemeinden voller Evakuierter aus den zerbombten Städten waren. Die Wohnungssituation wurde durch diese neuerlichen Umquartierten noch angespannter. Die Rückführung der zahlreichen Evakuierten in ihre Herkunftszone setzte in Baden ab April 1946 ein. Somit war Kirchzarten noch das ganze Jahr 1945 hindurch von Evakuierten belegt. Am 20.12.1945 befanden sich zum Beispiel noch 154 in Kirchzarten‚ wobei allein 83 Personen aus der französisch besetzten Zone Badens stammten 31).

29) GA IX 1558.
30) Thomas Schnabel / Gerd R. Ueberschär: Endlich Frieden! Das Kriegsende in Freiburg 1945; Freiburg i.Br. 1985, S. 47.
31) GA IX 1495.

Displaced Persons

Unter DPs definiert man einen Personenkreis, der auf seine Repatriierung wartete. Es handelte sich dabei um ausländische Zwangsverschleppte‚ die meist als Zivil- und Zwangsarbeiter tätig waren. Mit dem Einmarsch der Alliierten erlangten Millionen von diesen Fremdarbeitern ihre Freiheit zurück. Sie hatten unter zum Teil demütigendsten Bedingungen in der deutschen Rüstungsindustrie und in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Zu diesen Fremdarbeitern gesellten sich die alliierten Kriegsgefangenen, die nun auch befreit waren.

1940 kamen die ersten Zivilarbeiter nach Kirchzarten. Es handelte sich hierbei um Polen und Franzosen, wobei sich unter den Polen auch einige Kriegsgefangene befanden, die zum Teil von 1940-1946 in Kirchzarten blieben. Ab 1942 kamen zusätzlich russische Zivilarbeiter nach Kirchzarten. Am 11.12.1944 befanden sich schließlich 72 ausländische Arbeitskräfte in der
Gemeinde. Es handelte sich hierbei hauptsächlich um Polen und Russen. Frauen waren auch dabei. Nach Kriegsende befanden sich noch 22 Polen und 17 Russen in Kirchzarten.

Insgesamt kamen Zivilarbeiter aus 12 Nationen nach Kirchzarten‚ z.B. Polen, Rußland, Frankreich, Jugoslawien, Tschechoslowakei, Türkei, Griechenland usw. Alles in allem waren es 249
Kriegsgefangene und dienstverpflichtete Arbeiter, die mit und ohne Arbeitsvertrag nach Deutschland verpflichtet wurden und die sich in Kirchzarten aufgehalten haben. Sie arbeiteten vor
allem in der Landwirtschaft sowie in den Kirchzartener Betrieben, wie Brenzinger (dort vor allem die Griechen), Sümöfag‚ den Sägewerken u.a. 32).

32) GA IX 1561.
33) M. Bosch: Der Neubeginn: S. 224.

Nach Kriegsende wurden diese DPs meist in Lagern zusammengefasst. Die Rückführung der Fremdarbeiter erfolgte größtenteils durch die "United Nations Relief and Rehabilitation Administration". Viele Trupps von Fremdarbeitern versuchten aber auch, auf eigene Faust zu Fuß ihre Heimat zu erreichen. Viele dieser ehemaligen Arbeitssklaven waren von einem verständlichen Haß gegen die Deutschen beseelt und sahen jetzt den Augenblick gekommen, mit ihren deutschen Unterdrückern abzurechnen. So kam es vor, daß Banden ausländischer Zwangsverschleppter einsam gelegene Bauernhöfe umstellten und die Bewohner z.T. mit Waffengewalt zur Herausgabe von Lebensmitteln zwangen oder sie ausraubten. Ende Juli 1945 kam es in der Gegend von Freiburg sogar zu Schießereien zwischen polnischen Zwangsarbeitern und französischer Gendarmerie 34). In einem Schreiben des Landrats vom 5.6.1945 an alle Bürgermeister des Landkreises warnt er vor diesen Banden, die meist aus polnischen und russischen Arbeitern bestanden und größtenteils aus den Lagern in Freiburg kamen. Auch auf dem Tannenhof im Ortsteil Neuhäuser kam es zu einem Überfall einer aus Russen bestehenden Bande. Die Täter konnten aber festgenommen werden und kamen in den Gewahrsam der französischen Gendarmerie.

Aufgrund dieser Vorkommnisse mußten die Gemeinden ab dem Sommer 1945 Dorfwachen aufstellen, die bei eventuellen Plünderungen den Ort alarmieren sollten. Angesichts einer waffenlosen und nicht-motorisierten deutschen Polizei wollte man sich auf diese Art besser schützen 35) .

In diesem Zusammenhang sollte man sich jedoch klarmachen‚ was die Gründe für diese Übergriffe waren: Die ausländischen Arbeiter waren zum Teil jahrelang, weitab von ihrer Heimat und Familie, ausgebeutet worden. Viele streunten ziellos umher, da sie ihre Familie verloren hatten, oder weil sie eine Rückkehr in ihre Heimat aus politischen Gründen ablehnten. Man kann natürlich die Aktionen dieser Banden nicht entschuldigen, aber man muß sie unter dem Hintergrund der damaligen Zeit sehen. Der weitaus größte Teil der DPs verhielt sich sowieso anständig.
34) T. Schnabel / G.R. Ueberschär: Endlich Frieden 1 S. 62
35) GA IX 1526.

Die Kriegsgefangenen

Für viele Bürger Deutschlands und natürlich auch Kirchzartens ist die Zeit nach dem Kriegsende mit der Sorge um die Männer verbunden, die in alliierte Kriegsgefangenschaft geraten waren. Nicht jeder hatte das Glück gehabt, von der Deutschen Wehrmacht entlassen worden zu sein - wobei man sagen muß, daß diese Entlassungen meist teuer erkauft waren - oder sich auf eigene Faust in die Heimat durchschlagen zu können. Viele dieser Kriegsgefangenen kamen erst nach Jahren nach Kirchzarten zurück, und meist war auch durch den Gang in die
Gefangenschaft der Leidensweg noch nicht vorbei! So starb noch 1949 ein Bürger der Kirchzartener Gemeinde bei einem Unfall in einem russischen Gefangenenlager.

Für die Angehörigen war in der Anfangszeit vor allen Dingen belastend, daß mit den in Gefangenschaft Geratenen keine Verbindung bestand, da der Postverkehr zusammengebrochen war. Erst Ende 1945 ließen die Alliierten zu, daß in beschränktem Umfang der Postverkehr wieder begann. Vorher lebten die Angehörigen in totaler Unsicherheit, wo ihre Männer, Brüder und
Söhne überhaupt waren, bezw. ob sie überhaupt noch lebten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß sich die Nachricht von zurückgekehrten Kriegsgefangenen in die Gemeinde innerhalb kurzer Zeit wie ein Lauffeuer verbreitete.

Die meisten Kirchzartener kamen schon im Jahre 1945 aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause. Besonders diejenigen, die in amerikanische Gefangenschaft geraten waren. Die Amerikaner schickten schon im Juni / Juli 1945 eine große Zahl nach Hause. Die Franzosen und die Sowjets ließen die deutschen Gefangenen meist erst später frei. Der letzte Kirchzartener Bürger kam 1950 zurück.

Für die meisten Gefangenen aus dieser Gegend war das Durchgangslager in Tuttlingen die letzte Station vor der Heimat. Dort herrschte ein katastrophaler Mangel an Lebensmitteln und Kleidern, 36).
Die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht 1945 bedeutetee somit für Millionen deutscher Soldaten nicht das Ende eines langen, entbehrungsreichen und mörderischen
Kampfes‚ sondern der Beginn eines neuen, ungewissen Leidens in Kriegsgefangenschaft.

36) GA IX 1481.


Flüchtlinge

Zu dieser Gruppe gehören die aus den Ländern Ost- und Mitteleuropas Vertriebenen und die Flüchtlinge aus der sowjetisch-besetzten Zone bezw. aus der DDR. Legitimiert wurde die Flucht
und Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa durch das Potsdamer Abkommen der Siegermächte vom 2.8.1945. Dabei gelangten die Alliierten zu der Ansicht, daß "eine Überführung der deutschen Bevölkerung oder deutscher Bevölkerungselemente, die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn geblieben sind, nach Deutschland vorgenommen werden muß" 37).

Die Potsdamer Konferenz fand jedoch ohne die Mitwirkung Frankreichs statt. Frankreich unterstützte zwar die allgemenen Ziele des Potsdamer Abkommens, aber an die Umsiedlungsmaßnahmen fühlte es sich nicht gebunden. Dies hatte seinen Grund in wirtschaftlichen Überlegungen und in der Angst, dadurch zentralstaatliche Tendenzen zu fördern. Die Franzosen sperrten deshalb ihre Zone für Flüchtlinge, wodurch der Anteil an der Bevölkerung im Vergleich zu den drei anderen Zonen sehr gering war.

Wer zuziehen wollte, braucht eine Genehmigung der Militärregierung. Gute Chancen, diese Genehmigung zu erhalten, hatte man, wenn man nachweisen konnte, daß man in der französisch besetzten Zone nahe Verwandte hatte.

In Kirchzarten war die Situation so, daß zwar schon 1945 einzelne Flüchtlinge nach Kirchzarten kamen, so z.B. eine achtköpfige Familie, die aus Schlesien ausgewiesen wurde ‚ daß aber die meisten Ostflüchtlinge erst ab Mitte 1946 nach Kirchzarten kamen. Akut wurde das Flüchtlingsproblem in Kirchzarten aber erst nach 1949, als die Zahl der Heimatvertriebenen von 109 im Jahre 1950 auf 400 im Jahre 1957 stieg 39).

37) Potsdamer Abkommen, abgedruckt in: Gazette Officielle du Gouvernement Militaire du Pays de Bade No 6 vom 19. August 1945.
38) GA IX 1558.
39) G. Haselier: Kirchzarten, S. 617 f.
 
4. Die Befreiung Kirchzartens
4.1 Exkurs: Das Kriegsende in Südbaden und Freiburg
Die französische Interessenlage

Die folgenden Ausführungen beruhen weitgehend auf Krautkrämer 40) : Nach dem Scheitern der deutschen Ardennenoffensive im Winter 1944/45, sowie nach der Räumung des deutschen Brückenkopfes bei Colmar im Februar 1945 hatten die Alliierten Ende März 1945 ihren Aufmarsch am Rhein beendet. Da General de Gaulle, der Chef der Provisorischen Regierung der französischen Republik, befürchtete, daß seine Soldaten lediglich die rückwärtigen Verbindungen der Amerikaner sichern sollten, ohne selbst am Vormarsch beteiligt zu sein, telegrafierte er am 29.3.1945 an General Jean de Lattre de Tassigny‚ den Befehlshaber der 1. französischen Armee:
"Mon cher general, Sie müssen den Rhein überschreiten, selbst wenn die Amerikaner dabei nicht mitspielen und Sie mit Kähnen übersetzen müßten. Dies ist eine Frage von höchstem nationalem Interesse. Karlsruhe und Stuttgart erwarten Sie !"

40) Elmar Krautkrämer: Das Kriegsende in Südwestdeutschland, in: Schriftenreihe der Pädagogischen Hochschule Freiburg, Band 1, Der Oberrhein in Geschichte und Gegenwart, Freiburg 1986, S. 201-224.
Eine weitere gute Darstellung zur Besetzung Südbadens findet sich in: Hermann Ehmer: Die Besetzung Badens im April 1945, in: Hansmartin Schwarzmaier (Hrsg.): Landesgeschichte und
Zeitgeschichte. Kriegsende 1945 und demokratischer Neubeginn am Oberrhein (Oberrheinische Studien Band V), Karlsruhe 1980 S. 35 — 58.
41)  E. Krautkrämer: Das Kriegsende in Südwestdeutschlang‚ S. 207. In den meisten älteren Darstellungen wird die Meinung vertreten, daß de Lattre ohne die Einwilligung des Generals Devers, der die 6. US-Heeresgruppe kommandierte‚ den Rhein überschritt. Dies trifft jedoch nicht zu. De Lattre wollte das US-Oberkommando nicht vor vollendete Tatsachen stellen.

Nach de Gaulle war die Besetzung eines Teils von Deutschland die einzige Möglichkeit, sich Einfluß im Nachkriegsdeutschland zu sichern. Karlsruhe und Stuttgart sollten als Faustpfand der Forderung nach einer eigenen Besatzungszone eingenommen werden. Nach der Einwilligung des amerikanischen Oberkommandos 4 ‚ die 1. französische Armee unterstand der 6. Heeresgruppe, überschritten am 31.3.1945 die 2. marokkanische Infanterie-Division bei Germersheim und die 3. algerische Infanterie-Division bei Speyer den Rhein. Am 2.4.1945 erwang die 9. Kolonial-Infanterie-Division bei Leimersheim einen weiteren Brückenkopf und stieß auf Karlsruhe vor, das am 4. April 1945 fiel.

Das Ziel de Lattres war es, den Schwarzwald von Norden her aufzurollen. Durch einen überraschenden Durchstoß im Rücken der nach Westen ausgerichteten Schwarzwald-Randstellungen 42) sollten ihm genügend Kräfte für den Vorstoß nach Württemberg bleiben.

Stuttgart fiel am 21.4.1945. Damit hatten die Franzosen eines ihrer Hauptziele erreicht, nämlich die Stadt vor den Amerikanern zu besetzen.

Gegenüber der Einnahme Stuttgarts war die Besetzung von Südbaden nur zweitrangig. Auch die deutsche Führung hatte Südbaden keine größere Bedeutung beigemessen und die 19. Armee, die diesen Raum verteidigen sollte, geschwächt. Sie bestand im wesentlichen aus Einheiten des Ersatzheeres und des Volkssturms. Auf deutscher Seite hoffte man außerdem auf die natürlichen Hindernisse Rhein und Schwarzwald. Hinzu kam der Westwall.

42) Die Schwarzwaldkammstellung, die von 1938 - 1940 erbaut wurde, verlief von Kuppenheim entlang der Schwarzwaldhochstraße über Hausach - ostwärts Kirchzarten - Schönauf bis

Säckingen. Sie war vor allem im nördlichen Abschnitt mit Luftabwehrbatterien und Bunkern ausgerüstet.
Siehe H. Ehmer: Die Besetzung Badens im April 1945, S. 40 - Anm. 17.


Die militärische Besetzung Südbadens


Die Besetzung Südbadens durch französische Truppen vollzog sich im wesentlichen von Norden her. Eine Ausnahme bildete lediglich der am 23.4.1945 erfolgte Übergang über den Rhein
bei Weil.
Am 15.4.1945 wurde Kehl eingenommen. Dort wurde am 17.4. das I. Korps der 1. französischen Armee mit zwei Panzerdivisionen über den Rhein gebracht. Eine dieser Divisionen marschierte gemeinsam mit der 9. Kolonial-Infanterie- Division rheinaufwärts, die andere rückte nach Osten in den Schwarzwald vor. Sie erreichte schon am 17. 4.1945 Freudenstadt.

Am 18.4. wurde Lahr besetzt. Am 21.4. wurde der Kaiserstuhl entlang des Rheins umgangen und den Verteidigern von Freiburg der Rückzug nach Süden abgeschnitten. Am Nachmittag desselben Tages fiel Freiburg.

Nach dem Rheinübergang bei Weil erreichten die französischen Truppen am 24.4. Lörrach‚ am 25.4. zuerst Säckingen‚ dann Waldshut. Nach der Besetzung von Löffingen und Neustadt am
25.4. wurden die deutschen Truppen im mittleren und südlichen Schwarzwald nahezu eingeschlossen. Es handelte sich hierbei um das 18. SS-Armeekorps unter General der Waffen-SS Keppler. Dieser Verband bestand jedoch nicht aus SS-Truppen, sondern aus Einheiten der Wehrmacht und des Volkssturms. General Keppler entschloß sich, südlich von Villingen über Marbach - Bad Dürrheim durchzubrechen. Doch der Ausbruchs-Versuch mißlang und die meisten deutschen Soldaten gerieten in Gefangenschaft. Somit konnten die Franzosen am 24.4. Singen, am 25.4. Radolfzell und am 26.4. Konstanz kampflos besetzen. Mit der Einnahme von Markdorf am 29.4.1945 war ganz Südbaden von der französischen Armee besetzt.

Die Besetzung / Befreiung Freiburgs 43)

43) Das Folgende beruht auf: T. Schnabel / G.R. Ueberschär: Endlich Frieden ! Das Kriegsende in Freiburg 1945. Freiburg 1985.


Am frühen Nachmittag des 21.4.1945, es war ein Samstag, drangen die ersten französischen Truppen von Norden her kommend in Zähringen ein. Es handelte sich hierbei um Soldaten der 9. Kolonial-Infanterie-Division. Es kam zu kurzen Gefechten mit deutschen Volkssturmmännern‚ die das Feuer auf die französischen Truppen eröffnet hatten. Hierbei und bei der späteren Sprengung der Eisenbahnbrücken bei der Pochgasse und Reutebachgasse und am Komturplatz‚ sowie der Sendeanlage des Freiburger Rundfunksenders‚ gab es noch Tote und Verletzte. Dies war jedoch der einzige ernsthafte Versuch, den französischen Einmarsch zu verhindern. Daß die Befreiung Freiburgs unblutig verlief, ist vor allem dem Freiburger Kampf - Kommandanten Generalmajor Bader zu verdanken. Bader‚ der selbst Freiburger war, wollte unnütze Opfer ersparen und gab daher keine Einsatzbefehle heraus. Daß er nur Volkssturmmänner zur Verteidigung zur Verfügung hatte, und daß die Parteibonzen allesamt geflüchtet waren, mag ihn in diesem Entschluß bestärkt haben. Aber auch vielen Freiburger Bürgern, besonders Frau Philomene Steiger, ist es zu verdanken, daß Freiburg fast kampflos eingenommen und damit weiteres Blutvergießen und Zerstörung vermieden wurde.

Auf der Gewerbeschule, wohin die Stadtverwaltung nach dem Bombenangriff vom November 1944 verlegt worden war, wurde die weiße Fahne zum Zeichen der Übergabe gehißt. Somit rollten die französischen Panzer ohne auf Widerstand zu stoßen in die Innenstadt. Um 22 Uhr war ganz Freiburg ohne formelle Übergabe besetzt.

4.2 Die Besetzung Kirchzartens

Anfang April 1945 war klar, daß nicht die erhofften Amerikaner, sondern französische Truppen den südbadischen Raum von der Naziherrschaft befreien würden. Unter der Bevölkerung machte sich Furcht breit, da man an der Disziplin der eilig aufgestellten französischen Verbände zweifelte. Da die 1. französische Armee zum größten Teil aus Kolonialverbänden bestand, fürchtete man sich vor allem vor den “Schwarzen” (Negerhorden), die von der deutschen Propaganda als reine Monster dargestellt wurden. Außerdem fürchtete man sich nach der langen Besetzung Frankreichs durch die Deutschen vor der Rache und Vergeltung der Franzosen.

Die Situation in Kirchzarten kurz vor dem Einmarsch war - wie in fast allen
Orten - verfahren. Flüchtende Wehrmachtsverbände, vor allem von der Kampfgruppe 89. Infanterie-Division, die den Raum um Freiburg verteidigen sollte, zogen durch das Dreisamtal in Richtung Schwarzwald. Auf Befehl eines Generals in Kirchzarten wurden alle Brücken gesprengt. Es handelte sich um die Stegener- und die Zartenerbrücke. Im Höllental wurde die Ravennabrücke und der Hirschsprungtunnel gesprengt.

Kurz vor dem Anrücken der Franzosen wurde in Kirchzarten der Volkssturm 44) gebildet. 40 -
50 Mann aus Kirchzarten marschierten Richtung Sexau, um den französischen Vormarsch aufzuhalten. Dort kam es in einem Kessel zu einem kurzen Schußwechsel mit überlegenen französischen Panzerkräften.

44) Der Volkssturm wurde mit Führererlaß im Herbst 1944 als letztes Aufgebot ins Leben gerufen. Alle waffenfähigen Männer der Jahrgänge 1884 - 1928 wurden, soweit sie nicht bereits zum Heeresdienst eingezogen waren, zum Volkssturm verpflichtet. Die Führung oblag dem Gauleiter. Die Volkssturmmänner waren unzureichend ausgerüstet und ausgebildet und es fehlte
ihnen in der Mehrzahl am Kampfeswillen.
Hansmartin Schwarzmaier (Bearbeiter): Der deutsche Südwesten zur Stunde Null. Zusammenbruch und Neuanfang im Jahr 1945 in Dokumenten und Bildern. Karlsruhe 1975, S. 75.

Bei diesem Gefecht fiel der 50-jährige Max Klingele. Der Versuch‚ mit dem Volkssturm den alliierten Vormarsch zu stoppen, war aussichtslos, kostete aber noch viele unnütze Opfer. Nach
dem Vorfall in Sexau zog der Kirchzartener Volkssturm Richtung Denzlingen, wo er sich dann aber auflöste 45).

Am Montag, dem 23.4.1945, 15 Tage vor der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation durch die deutsche Wehrmacht, wurde Kirchzarten von französischen Truppen besetzt. Es handelte sich dabei um eine Panzereinheit des 1. escadron des Kolonialen
marokkanischen Infanterie-Regiments (RICM) 46). Dieses Regiment gehörte zur 9. Kolonialen Infanterie-Divisionn 47) Bei der Besetzung fanden keine Kampfhandlungen statt, da sich keine deutschen Truppen mehr in Kirchzarten befanden. Einzig in Kappel stoppte der französische Verband und schoß den Berglehof oberhalb vom Gasthaus "Löwen" in Brand. Vermutlich war die französische Einheit vom Wald aus unter Feuer genommen worden. In Kirchzarten hatten jedoch Pfarrer Saur, August Steinhart, der spätere Bürgermeister - sowie andere Bürger die weiße Fahne am Kirchturm aufgehängt.

Natürlich kam es auch in Kirchzarten zu Plünderungen und anderen Repressalien, aber sie hielten sich im Vergleich zu Schilderungen anderer Gemeinden in Grenzen.

45) Interview Rieder.
46) GA IX 1560.
47) Nach den Tagebuchaufzeichnungen der 9. Kolonialen Infanterie-Division vom 15.4. - 6.5.1945, in: Hermann Riedel: Halt! Schweizer Grenze! Das Ende des II. Weltkriegs im Südschwarzwald und am Hochrhein.
Konstanz 1983, S; 139 ff. - gehörte das RICM zur 1. Gruppe Caldairou. Diese Kampfgruppe stieß in der Rheinebene gegen Süden vor. Sie besetzte am 15.4. Offenburg und am 18.4. Lahr. In den folgenden Tagen übernahm das RICM die Deckung für die Ebenenkolonne der Gruppe Caldairoi die am 21.4. Ereiburg besetzte. Das RICM besetzte an diesem
Tag Sexau und marschierte dann das Elztal hinauf. Es ist durchaus möglich, daß ein Verband dieses Regiments in das Gefecht gegen den Kirchzartener Volkssturm verwickelt war. Am 22.4. zog das Regiment über Elzach nach Freiburg hinunter. Es patroullierte auf der Achse Freiburg - Neustadt und erreichteschließlich Zarten, wo es auf Widerstand stieß. Am 23.4.1945 wurden Kirchzarten und Stegen besetzt.


Das RICM blieb am 24. und 25. April im am Vortag erreichten Gebiet Stegen und Kirchzarten. Am 26.4. bekam das Regiment den Marschbefehl‚ in den Schwarzwald vorzurücken.
Ab dem 27.4. bildete das II. Bataillon des 81. Infanterie-Regiments, das auch zur 9. DIC gehörte, die Sicherheitsgarnison von St. Märgen. Dadurch wurde Kirchzarten am 28. April von der 7. Kompanie dieses Bataillons besetzt. Diese Einheit blieb bis am 15. Mai 1945 in Kirchzarten.

Die genaue Aufstellung der französischen Einheiten, die 1945 in Kirchzarten stationiert waren, findet sich im Anhang.

5. Maßnahmen der Militärregierung
5.1 Exkurs: Die Einrichtung der Militärregierung in der französischen Zone
Die französische Besatzungszone

Erst im Februar 1945 wurde Frankreich auf der Konferenz von Jalta eine eigene Zone zugestanden. Insbesondere Churchill hatte sich für eine Aufnahme Frankreichs in den Kreis der Siegermächte stark gemacht. Wie die Zone aussehen sollte wurde jedoch nicht festgelegt. Die französische Führung unter General de Gaulle versuchte daher, einen möglichst großen
Teil des deutschen Südwestens zu besetzen, um so vollendete Tatsachen zu schaffen.

Die Zone sollte nach den französischen Wünschen das linke Rheinufer und einen rechtsrheinischen Landstreifen umfassen, der von der schweizerischen Grenze bis einschließlich Köln verlaufen sollte. Dazu sollten vorübergehend Hessen und das Land Baden besetzt werden. Frankreich forderte außerdem, an der alliierten Kontrolle teilzunehmen, sowie das rheinisch-westfälische Kohlebecken nördlich von Köln und einen Teil Berlins zu besetzen 48). Der Verlauf der militärischen Operationen führte jedoch zu einer Einschränkung der französischen Hoffnungen.

Am 26. Juni war die französische Zone auf der Karte festgelegt. De Gaulle hatte seine Forderung nach einer Kontrolle Deutschlands von Köln bis zum Bodensee nicht durchsetzen können. Das Territorium der französischen Besatzungszone, das nach den Beschlüssen von Jalta aus dem Bestand der USA und Großbritannien genommen werden mußte, umfasste den südlichen Teil der Rheinprovinz‚ die linksrheinischen Gebiete des Landes Hessen, die vier Kreise der Provinz Hessen-Nassau zwischen Westerwald und Taunus, den südlichen Teil der Länder Baden und Württemberg mit der preußischen Enklave Hohenzollern, die bayerische Pfalz, das Saargebiet sowie den bayerischen Kreis Lindal. Somit erhielt Frankreich eine Verbindung zu seinen Truppen in Vorarlberg und Tirol.







Die Französische Besatzungszone
(aus: M. Bosch: Der Neubeginn, S. 11)


48) Raymond Poidevin: Die französische Deutschlandpolitik 1943 - 1949, in: C. Scharf / H;J. Schröder: Die Deutschlandpolitik Frankreichs 1945 - 1949, S. 18.
49) E. Krautkrämer: Das Kriegsende in Südwestdeutschland, S. 221.

Nach Krautkrämer war die französische Zone "das unglücklichste Zonengebilde Deutschlands" 49). Es durchschnitt die Territorien von Württemberg, Baden, Hessen sowie der preußischen Rheinprovinz Hessen-Nassau. Besonders unglücklich war die Grenzziehung quer durch die Länder Baden und Württemberg, deren nördlicher Teil an die USA fiel. Die Amerikaner hatten auf diesen Grenzverlauf bestanden, da sie aus logistischen Gründen die Autobahn Stuttgart - Ulm - München auf ihrem Gebiet brauchten. Zudem bestand die Zone aus zwei nicht miteinander verbundenen Gebieten. Die Zone umfasste eine Fläche von 42 814 qkm, was 12% des Gebietes der vier Besatzungszonen entsprach. Ihre Bevölkerungszahl lag bei 5,9 Millionen, von denen 1,2 Millionen in Südbaden wohnten 50). Mit Ludwigshafen, Saarbrücken, Mainz und Freiburg wies die Zone nur vier größere Städte auf. Die Zone war vor allem von Landwirtschaft und Kleinindustrie geprägt.

Aufbau und Organisation der Militärregierung

In Frankreich begannen schon im Winter 1944/45 die Vorbereitungen für den Aufbau einer Militärregierung. In Paris wurde unter General Koeltz die AMFA (Administration Militaire
Francaise en Allemagne) gebildet. In mehrwöchigen Kursen wurden die für die zukünftige Militärregierung Vorgesehenen von Professoren der Sorbonne und der Hochschule für Politikwissenschaft für ihre Aufgabe trainiert.

Problematisch war, daß sich das Personal zu großen Teilen aus rechtsgerichteten Funktionären zusammensetzte, die schon während der Vichy-Ära hohe Stellungen in Frankreich innegehabt hatten. Um sich zu rehabilitieren‚ führten sich diese
Beamten dann meist besonders prinzipientreu auf 51)

50) G.W. Harmssen: Am Abend der Demontage, S. 7:.
51) J. Thies / K. V. Daak: Südwestdeutschland Stunde Null, S. 36.


In den ersten Monaten nach Kriegsende übernahm jedoch zunächst General de Lattre de Tassigny, der Oberbefehlshaber der 1. Französischen Armee, sowohl den militärischen Oberbefehl als auch die zivile Regierungsverwantwortung im französisch besetzten Gebiet. Aus seinem Hauptquartier in Lindau herrschte er mit einer nahezu unbeschränkten Machtfülle, da aus Paris kaum Direktiven kamen, wie er die Zone
zu verwalten habe. 52)

Ab dem 28.7.1945 wurde das "Commandement en Chef Francais en Allemagne" unter General Koenig in Baden-Baden die oberste Autorität in der französischen.Zone. Koenig‚ ein enger Vertrauter de Gaulles‚ löste somit de Lattre ab. Das "Commandement" umfasste mehrere Bereiche:
Das Oberkommando über die Besatzungstruppen hatte General Monsabert. Im Alliierten Kontrollrat wurde Frankreich von
General Koeltz vertreten.

Der Chef des "Gouvernement Militaire en Zone Francaise d'Occupation“  (G.M.Z.F.O.)‚ also der Militärregierung, war Emile Laffon‚ der aber 1947 we-gen Kompetenzstreitigkeiten mit General Koenig zurücktrat. Im Gegensatz zu den anderen Besatzungsmächten verblieb das französische Hauptquartier und das G.M.Z.F.O. die ganze Besatzungszeit über in ihrer Zone selbst. Die anderen Besatzungsmächte verlegten ihre Militärregierungen nach Berlin, da dort der Alliierte Kontrollrat zusammentrat.

Nach Boch 53) fungierte das G.M.Z.F.O. unter Laffon als Geneneralverwaltung für die gesamte französische Zone. Auf Länderebene unterstanden diesem die "Delegations Superieurs" mit Sitz in den Hauptstädten der Länder. Für Südbaden war dies seit dem 10.7.1945 Freiburg, nachdem die Franzosen aufgrund der endgültigen Festlegung der Zone, Karlsruhe als Sitz einer gesamtbadischen Militärregierung räumen mußten. An der Spitze der Militärregierung für Südbaden stand bis Juni 1946 General Schwartz.

Nächst kleinere Einheit waren die sich aus mehreren Kreisen zusammensetzenden Bezirke mit ihren "Delegations de District“. Auf der untersten Ebene bildeten die den Bezirksverwaltungen unterstellten 19 Land- und 2 Stadtkreisverwaltungen Südbadens
("Delegations de Cercle") sowie die örtlichen Militärregierungen die Verwaltungen vor Ort.

52) Thies / V. Daak: Südwestdeutschland Stunde Null, S. 30 f.
53) M. Bosch: Der Neubeginn,
S. 13 f.

Die Franzosen bedienten sich des Systems des "indirect rule" d.h. sie hatten die alleinige legislative Befugnis, während die deutschen Stellen für die Ausführung der Weisungen zu sorgen hatten.
54) Besonders die untersten Verwaltungseinheiten waren der Rahmen, innerhalb dessen sich eine langsame Reorganisation des öffentlichen Lebens vollzog. Der Landkreis war die wichtigste Kontrollebene in der französischen Zone. Vor allem die zahlenmäßig starke Besetzung der Militärregierung auf Landkreisebene, die "Delegations de Cercle" waren im Schnitt mit 4 - 11 Offizieren besetzt; sicherte der Militärregierung ausgezeichnete Informations- und Interventionsmöglichkeiten 55) Henke 56) zitiert zu diesem Punkt Chaput de Saintonge, den späteren britischen Verbindungsoffizier im Büro der drei Oberbefehlshaber zum Parlamentarischen Rat, der im Sepember eine Woche lang die. französische Zone bereiste:
"Enger Kontakte mit der Entwicklung der Verhältnisse im Landkreis vermittelt der französischen Verwaltung ein klares Bild von den Vorgängen dort und gibt ihnen die Möglichkeit, durch häufigen Kontakt mit dem Landrat eine unbefriedigende Verwaltungsführung zu korrigieren".
Die Militärregierungseinheiten blieben in der französischen Zone bis 1949 voll besetzt, während z.B. die Amerikaner ihre Präsenz auf Landkreisebene schon ab Mitte 1946 stark reduzierten.

54) M. Bosch: Der Neubeginn, S. 173
55) Klaus-Dietmar Henke:‚ Politik der Widersprüche. Zur Charakteristik der französischen Militärregierung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, In: C. Scharf / H.-J. Schröder: Die Deutschlandpolitik Frankreichs 1945 - 1949, S. 64 ff.
56) Visit to French Zone of Germany‚ 19. - 26.9.1947,
PRO, London, FO 371 / 64351, zitiert bei: K.-G. Henke: Politik der Widersprüche, in: C. Scharf / H.—J. Schröder: Die Deutschlandpolitik Frankreichs 1945 _ 1949, S. 65.

Erste Maßnahmen der Franzosen in Kirchzarten

Wie in den meisten größeren Orten, so wurde auch in Kirchzarten eine französische Ortskommandantur eingerichtet. Sie befand sich zunächst in der Bezirkssparkasse.
Da die Besetzung Kirchzartens noch während der Kampfhandlungen erfolgte‚ standen bei den ersten Befehlen des Platzkommandanten militärische Sicherheitsüberlegungen, insbesondere die Sicherung des rückwärigen Frontgebietes‚ im Vordergrund. Die Franzosen hatten große Angst vor dem von der nationalsozialistischen Propaganda aufgebauschten "Werwolf", der hinter den feindlichen Linien Sabotageakte begehen sollte. Die ersten Anordnngen der Franzosen vom 23.4.1945 lauteten: 57).

Bekanntmachung
Es müssen sofort auf dem Rathaus in Kirchzarten‚ 1. Stock, abgegeben werden:
1) Waffen aller Art mit Munition, Munition aller Art (auch wenn hierfür keine Waffen vorhanden sind), Dolche.
2) Photographierapparate.
3) Ferngläser.
4) Kompasse und Karten (Autokarten und militärische Karten).
5) Radiosender-Apparate.
Bei jeder Sache muß der Name durch einen angehängten Zettel angegeben werden. Alle Telephongespräche sind verboten. Wer telephoniert‚ wird erschossen.
Die Ablieferung der obigen Gegenstände muß sofort erfolgen, also heute noch.
Wer dies unterlässt‚ hat sich die etwa hohe Strafe selbst zuzuschreiben.
Der Bürgermeister.

57) GA IX, 1526

Bei Verstößen gegen die französischen Anordnungen wurden zum Teil drastische Strafen angedroht. In der Sprache und Härte
unterschieden sich diese Strafandrohungen kaum von denen, die die Naz-s gebraucht hatten. Dies ließ die französischen Truppen in den Augen der deutschen Bevölkerung nicht unbedingt als Befreier erscheinen und hielt sicherlich etliche Deutsche davon ab, konstruktiv mit der Militärregierung zusammenzuarbeiten. Bosch sagt zu diesem Aspekt: "Es war das Gesicht des Nachkrieges‚ der noch kein Friede war". 58) Besonders bei der Abgabe von Waffen ließen die Franzosen nicht mit sich spassen. Man findet in den amtlichen Blättern der Militärregierung immer wieder Urteile gegen Leute, die
Waffen zurückbehalten hatten. Manche dieser Leute wurden mit bis zu 10 Jahren Haft bestraft.

Nach dem Einmarsch der französsischen Truppen bestand in Kirchzarten eine allgemeine Sperrstunde - von 21.00 Uhr bis 7.30 Uhr. Sie wurde aber schon am 28.4.1945 gelockert und bestand von nun an von 21.00 Uhr bis 6.30 Uhr. Im Oktober 1945 wurde die Sperrstunde auf 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr verkürzt. Die Kommandantur in Kirchzarten ging, was die
Sperrstunde betraf, weniger rigide vor als es in anderen Gemeinden der Fall war. In manchen Orten durfte man sich anfangs schon ab 19.00 Uhr nicht mehr auf der Straße blicken lassen. 59)

58) M. Bosch: Der Neubeginn, S. 24.
59) Mit Wirkung vom 1. Dezember wurde die Sperrstunde für die ganze französische Zone auf 0.00 - 6.00 Uhr festgesetzt. Gazette N0 12 vom 6.12.1945 S. 4.
Erst ab dem 24.12.1946 wurde die allgemeine Sperrstunde aufgehoben. Nur in einer 5 km breiten Zone entlang der französisch-deutschen und der deutschen-schweizerischen
Grenze blieb die Sperrstunde noch einige Zeit von 0.00 - 5.00 bestehen. (GA IX 1526).

In der Anfangszeit der Besatzung war es notwendig, daß die Wohnungen und Häuser immer mit mindestens einer Person besetzt waren. Der Grund hierfür lag darin, daß die Kommandantur gewährleistet haben wollte, daß den französischen Soldaten sofort die Türe geöffnet wurde, wenn sie zum Beispiel Hausdurchsuchungen durchführten. Bei Nichteinhaltung dieses Befehls waren strenge Strafen zu erwarten. Die französische Besatzungsmacht legte großen Wert auf korrekte formale Verhaltensweisen gegenüber ihren Vertretern. So mußten alle männlichen Personen aus Kirchzarten französische Offiziere durch Abnehmen der Kopfbedeckung oder, falls eine solche nicht getragen wurde, durch leichtes Verneigen grüßen. Die kirchzartener Männer scheinen dieser Grußpflicht nicht in dem von den Franzosen geforderten Maße nachgekommen zu sein, da diese Anordnung in den Bekanntmachungen der Gemeinde regelmäßig wiederholt wurde. Neben dem bewußten Ignorieren dieser Anordnung, mag es für den einen oder anderen problematisch gewesen sein, woran man denn einen französischen Offizier erkennen konnte. Auf jeden Fall brachten solche "Kolonialallüren" den französischen Offizieren nicht sehr viel Sympathien ein. 60)

60) E. Krautkrämer: Das Ringen um die territoriale Neugestaltung Südwestdeutschlands‚ in: Schriftenreihe der PH Freiburg‚ Band 1, S. 231.
Die deutsche Bevölkerung hatte unter anderem die Pflicht, den Dienstwagen eines Generals zu grüßen, selbst wenn darin nur der Fahrer saß.
61) GA IX 1526.

Eine weitere Pflicht zur Ehrenbezeigung findet sich in einer Bekanntmachung vom 12. Mai 1945: 61)
"Laut Anordnung der Ortskommandantur haben sich alle Personen, die bei der morgendlichen Flaggenhißung oder bei der abendlichen Flaggeneinziehung beim Rathausplatz stehen oder vorbeigehen, würdig und ruhig zu verhalten. Männliche Personen haben  die Kopfbedeckung abzunehmen.
Der Bürgermeister".
Bei Nichtbeachtung dieser Anordnung gab es Strafen. Deshalb machten die meisten Passanten einen Umweg, um vor dieser größtenteils als schmachvoll empfundenen Demütigung verschont zu bleiben.
Ein Opfer dieser Anordnung, nach der die Trikolore zu grüßen sei, wurde der in Kirchzarten allseits geschätzte katholische
Pfarrer Jakob Saur 62). Dieser Vorfall lebt bei den Kirchzartener Bürgern in den verschiedensten Variationen bis in die heutige Zeit fort: 63)

Pfarrer Saur ging am 13. Juni 1945 abends um 6.oo Uhr bei der Flaggenabnahme vorbei, um in der Kirche zu schauen, ob der Mesner zum Läuten einer evangelischen Beerdigung da sei. Beim Vorbeigehen grüßte er nach seinen eigenen Worten "wie normalerweise gegrüßt wird". Daraufhin erhielt er eine Strafverfügung‚ wonach er bis zum nächsten Mittag 500.- Mark als Strafe an die Ortskommandantur zu zahlen habe. Der Grund dafür sei: Durchgang bei Fahnenhissung am 13.6.1945 abends 6.oo Uhr. Pfarrer Saur gab an, die Bekanntmachung nicht gekannt zu haben. Als er sich über den Inhalt informiert hatte, räumte er zwar ein, daß sein einziges Vergehen darin gelegen habe, daß "ich den Hut, den ich abnahm‚ nicht in den Händen behielt, bis ich vorüber war", aber das Strafmaß schien ihm doch zu hoch. 500.-- Mark waren für ihn eine empfindliche Geldstrafe. Zu allem Überfluß wurde die Strafverfügung - zum Verdruß von Saur - an verschiedenen Plätzen in Kirchzarten angeschlagen:
"Man hat sich aber mit der harten Strafe nicht zufrieden gegeben, man hat das Vergehen auch noch an verschiedenen Plätzen angeschlagen, was besonders die Naziweiber freut, die sich ganz besonders beiden Soldaten anbiedern....... Die harte Strafe dürfte darauf zurückzuführen sein, daß ich ein Mädchen kurz zuvor zurechtgewiesen habe, das abends um 10.00 Uhr mit französischen Soldaten und Offizieren eine Autofahrt nach auswärts machte und erst nach Mitternacht heimkam, was deswegen Ärgernis gab, weil sie eine Kongreganistin ist oder war".

Dieser Vorfall taucht immer wieder in Erzählungen von Kirchzartener Bürgern auf, die diese Zeit miterlebten. Selbst wenn der wahre Vorgang nicht so dramatisch war wie es sich in den Erzählungen darstellt, so wurde Saur doch durch diese Sache zum Symbol des Widerstandes gegen die französische Besatzung.

62) Jakob Saur wurde am 27. Juli 1878 in Impflingen geboren. 1904 wurde er zum Priester geweiht. 1917 wurde Saur Pfarrer in Neckarelz‚ wo er in besonderem Maße die Exerzitienbewegung förderte. 1934 übernahm er die Pfarrei Kirchzarten‚ in der er zur führenden Autorität wurde.
1939 wurde Pfarrer Saur zum Kammerer des Landkapitels Breisach ernannt. In besonderem Gedenken bleibt die Hilfsbereitschaft, mit der er sich der Freiburger annahm, die nach dem Bombenangriff am 27.11.1944 in das Dreisamtal flüchteten. 1947 ernannte ihn der damalige Erzbischof Gröber zum Geistlichen Rat. Im Jahr 1950 bezeugte die Gemeinde Kirchzarten ihre Dankbarkeit, indem sie den allseits angesehenen Seelsorger bei seinem Eintritt in den Ruhestand zum Ehrenbürger ernannte. Saur starb am 18.12.1952 in Kirchzarten. aus: Diözisanarchiv 77 (1957) S. 206.
63) Der Schriftwechsel zwischen Pfarrer Saur und dem Erzbischöflichen Ordinariat zu diesem Vorfall findet sich in der Personalakte von Jakob Saur im Diözesanarchiv. Die folgenden Ausführungen beruhen auf diesem Schriftwechsel.

Eine der ersten Maßnahmen der französischen Militärregierung war, daß sie die Mannschaftsstärke der Freiwilligen Feuerwehr begrenzte, 64) um der eventuellen Zellenbildung von halbmilitärischen Gruppen vorzubeugen. Am 1.5.1945 bestand die Kirchzartener Feuerwehr aus 21 Mann unter der Führung von August Steinhart, der von 1939 bis 1959 Kommandant war. Nach dem Einmarsch vermutete die französische Besatzungsmacht hinter der Feuerwehr ähnliche Widerstandskräfte, wie sie sich in Frankreich hinter der Organisation
der "Pomaiers" verborgen hatten. Deshalb fiel die Feuerwehr unter die Anordnung, die alle "Vereine" für aufgelöst erklärte.


64) Im II. Weltkrieg fielen der Feuerwehr Teilaufgaben des Luftschutzes zu. Da die meisten Männer im Krieg waren, wurden auch Frauen für den Feuerwehrdienst aufgerufen. Nach dem
Großangriff auf Freiburg am 27.11.1944 wurde die Kirchzartener Feuerwehr beim Landeskommissariat in der Salzstraße, dem ehemaligen Deutschordenshaus, eingesetzt, am 3.2.1945 beim Bahnhof Hirschsprung, der durch die Explosion von Munition in Brand geraten war.
G. Haselier: Kirchzarten‚ S. 424 f.

Daß diese Maßnahme ein Fehler war, zeigte sich beim Brand
der mechanischen Werkstätte Hermann Steinhart am 3. Juli 1945. Bei diesem Brand rächte sich das Fehlen einer geordneten Wehr.

Die Besatzungstruppe hatte in der Werkstatt eine größere Menge Benzin gelagert. Ein französischer Soldat hatte durch eine brennende Zigarette den Brand ausgelöst, wobei die Mechanikerwerkstatt mit Nebenbauten‚ sowie der zwischen der Werkstatt und dem Wohnhaus befindliche Zwischenbau abbrannten. 65) Wenige Tage später begann der Aufbau einer neuen Löschorganisation. Es durften wieder Uniformen getragen werden mit eine Armbinde‚ auf der "Pompier-Feuerwehr" stehen mußte.

Der erste Arbeitseinsatz, den die Besatzungstruppe anordnete‚ betraf die Aufräumungsarbeiten am Tunnel gegenüber dem Hirschsprungfelsen im Höllental. Dieser Tunnel war genauso
wie die Ravennabrücke am 22. oder 23. April 1945 durch zurückgehende deutsche Truppen gesprengt worden. 66) Durch die Sprengung war die Höllentalstraße durch Steinmassen zugeschüttet worden. Um die Straße wieder befahrbar zu machen, wurden von der technischen Besatzungstruppe von den umliegenden Gemeinden, vor allem aber von Kirchzarten‚ Gespanne und Männer angefordert. Die Arbeiten begannen am 28.4.1945 und dauerten bis zum 2.6.1945. Die Zahl der Beschäftigten betrug täglich zwischen 40 und 60 Arbeitern. Diese wurden nach langem Hin und Her vom Straßenbauamt bezahlt 67).

65) GA II/2 112.
66) Lange Zeit fuhr der Zug nur bis Höllsteig. Nach Hinterzarten mußte man durch das Löffeltal zu Fuß gehen.
67) GA IX 1547.

5.3 Die Gemeindeverwaltung
Einsetzung eines Bürgermeisters

Die Einsetzung eines Bürgermeisters in Kirchzarten verlief wie in vielen anderen Gemeinden auch. Wenn der alte Bürgermeister auf seinem Posten geblieben war, dann wurde er vom
ersten Ortskommandanten in seinem Amt bestätigt. Im Gegensatz zu den Ortsgruppenleitern der NSDAP‚ die meist geflohen waren, hatten die Bürgermeister gewöhnlich auf ihren Posten
ausgeharrt und versucht, geordnete Verhältnisse aufrecht zu erhalten.

Die Franzosen beließen in Kirchzarten im Einvernehmen mit dem Landratsamt den Landwirt Josef Zimmermann in seiner Stellung als Bürgermeister.
Zimmermann wurde am 23.3.1885 in Kirchzarten geboren. Am 13.8.1922 wurde er im zweiten Wahlgang bei einer nur 53%-igen Bürgerbeteiligung mit 372 von 376 abgegebenen Stimmen zum Bürgermeister gewählt. Die erste Wahl am 25.6.1922, bei der Zimmermann auch schon die absolute Mehrheit erreicht hatte, war für ungültig erklärt worden, da der Grundsatz der geheimen Wahl verletzt worden war. Die an die Wähler ausgegebenen Umschläge zur Einlegung der Stimmzettel waren aus durchsichtigem Papier gefertigt. Daher konnte man die Stimmabgabe der Wähler am Wahltisch und durch im Wahlraum anwesende Personen kontrollieren 68). 1931 wurde Zimmermann für weitere 9 Jahre gewählt, mit 454 von 661 abgegebenen Stimmen. Am 1.5.1937 wurde Zimmermann, der vor 1933 der badischen Zentrumspartei angehört hatte, Mitglied der NSDAP. Zimmermann begründet diesen Beitritt in einem Schreiben an den Landrat vom 22.5.1945 folgendermaßen:

"Schon 1933 wurde meine Absetzung als Bürgermeister betrieben. Unterm 25.5.1934 wurde ich vom Stützpunktleiter aufgefordert, aus weltanschaulichen Gründen mein Amt als Bürgermeister zur Verfügung
zu stellen. Ich lehnte dies ab, da ich im Jahr 1931 mit großer Stimmenmehrheit das zweitemal zum Bürgermeister von Kirchzarten gewählt wurde. Unter dem
weiter andauernden Druck der Verhältnisse mußte ich mich 1937 entschließen, in die NSDAP einzutreten. Ich tat dies, um größeren Schaden unter der Bevölkerung zu verhüten, insbesondere durch einen etwaigen radikalen Nachfolger". 69)
Diese Erklärung scheint umso glaubhafter‚ als man im Gespräch mit Kirchzartener Bürgern immer wieder hört, daß Zimmermann ein Mensch war, der - wie man so sagt -  "keinem etwas zuleide tun konnte". Er war bei der Bevölkerung gut angesehen. Seine Amtsperiode wurde während des Zweiten Weltkrieges verlängert.

68) GA IV/2 246.
69) GA IV/2 247.

Die Arbeit des Bürgermeisters war zur damaligen Zeit sehr schwierig, bestand sie doch weitgehend in der Weitergabe des Drucks der französischen Besatzung an die Bevölkerung. Sie war auch nicht besonders dankbar, da die Interessen der Bevölkerung und der Besatzungsmacht zu verschieden waren, als daß sich beide hätten immer miteinander vereinbaren lassen. So stand der Bürgermeister oft genug mit einem Bein im Gefängnis. Hier ein Beispiel für die schwierigen Aufgaben des Bürgermeisters zur damaligen Zeit, das auch zeigt, daß Zimmermann mehreren Interessen gerecht werden mußte:
Der Bürgermeister war verantwortlich für die Beschaffung der von den Franzosen angeforderten Arbeiter. So bekam er am 4. Juni 1945 abends um 21.30 Uhr den Auftrag, bis zum nächsten Morgen um 8.oo Uhr 50 Mann für die Arbeit am Exerzierplatz zu stellen. Sollte er dies nicht bewerkstelligen, wurde ihm selbst eine Strafe angedroht. Um die Leute zusammenzubringen‚ mußten diese kurzfristig von anderen Betrieben, wie Bergwerk, Firma Sümöfag‚ Reichsbahn und von Landwirten genommen werden. Diese Betriebe reklamierten daraufhin wegen der Wegnahme. Da der Bürgermeister Auftraggeber ohne Recht war, mußte er sich manche Beschwerde anhören. Gegenüber den Arbeitern mußte er dafür sorgen, daß diese auch entsprechend entlohnt wurden und Versicherungsschutz hatten 70).

Dies alles und sein fortgeschrittenes Alter überanspruchten seine Kräfte, so daß er sich am 1.2.1946 aus gesundheitlichen Gründen beurlauben ließ. So wurde Zimmermann, der in drei Epochen - der Weimarer Republik, der Zeit des Nationalsozialismus und der ersten Zeit der Besatzung - Bürgermeister gewesen war, um 31.12.1946 pensioniert. Sein Nachfolger wurde Zimmermeister und Landwirt August Steinhart‚ der seit Oktober 1945 den Posten des Bürgermeister-Stellvertreters versehen hatte.

70) GA IX 1546

Der Gemeinderat und die Gemeindedienste

In den ersten Monaten des Jahres 1945 hatte der Bürgermeister die schwere Last einmal des Repräsentanten der deutschen Bevölkerung, zum anderen des Vollzugsorgans der Franzosen gegenüber den Ortseinwohnern allein zu tragen. Die bisherigen Gemeinderäte hatten nach einer Verfügung der Militärregierung zu bestehen aufgehört.

Erst im Spätjahr 1945 durfte der Bürgermeister "urteilsfähige, charakterlich und politisch einwandfreie Persönlichkeiten, die der NSDAP nicht angehörten und ihr in keiner Weise nahegestanden hatten“, zu seiner Unterrichtung und Beratung in wichtigen Angelegenheiten heranziehen und mit der Erledigung einzelner Geschäfte beauftragen 71). Es sollte sich um einen beratenden Ausschuß zur Erweiterung der Gemeindeverwaltung handeln. So kam nach und nach wieder Ordnung und Stabilität in den kommunalen Bereich. Der Bürgermeister teilte sich jetzt mit der Vertretung der Bürgerschaft die Verantwortung für die Gemeinde. Das provisorische “Gemeinderatskomitee" hatte im Oktober 1945 folgende Mitglieder:
August Steinhart‚ Josef Saier, Adolf Schneckenburger, Franz Glanzmann‚ Franz Pfaff und Karl Kromer.
Hinzu kamen sechs Ersatzleute:
Josef Ernst, Wilhelm Weiß, Rudolf Lauer, Emil Bank, Josef Kromer und Karl Binz.
Die Übergangszeit dieses Komitees dauerte 15 Monate. Erst am 15.9.1946 fanden die ersten demokratischen Gemeinderatswahlen nach dem Kriege statt.

Die Gemeindeverwaltungen waren beim Zusammenbruch einigermaßen funktionsfähig geblieben. Die zuständige Verwaltungsinstanz für die örtliche Bevölkerung blieb das Rathaus,
dessen sich die Besatzungstruppe als Durchführungsbehörde für ihre Weisungen und Anordnungen bediente. Bei der administrativen Bewältigung der Besatzungsanforderungen einerseits und der Versorgungspflichten gegenüber der deutschen Bevölkerung andererseits stützten sich der Bürgermeister und das Gemeindekomitee auf einen Mitarbeiterstab‚ der, weil kaum parteipolitisch vorbelastet‚ größtenteils seinen Dienst im Rathaus weiter versehen oder wieder aufnehmen
konnte. Ratschreiber blieb Emil Gremmelsbacher. Als Verwaltungsangestellte arbeiteten Hermann Waldvogel, August Hauser und Willi Schuler. Ortsdiener blieb Franz Wiestler‚ dem gemeinsam mit seiner Frau auch die Schuldienerfunktion
übertragen wurde. Die Gemeindekasse wurde von Ottomar Clement als Verwalter und Luise Dreher als Kassenangestellte geführt.

71) Schreiben von Landrat Dr. Pfister an die Bürgermeister des Landkreises vom 10.7.1945, In: GA IV/2 256.

Als Dolmetscher und Urlaubsvertretung fungierte Julius Leinz. Das Elektrizitätswerk stand unter der Regie des selbständigen Elektromeisters Hermann Riesterer‚ dessen Sohn Rudolf seit
1945 als Technischer Angestellter arbeitete. Josef Zängerle arbeitete als Maschinist und Albert Kienzler als Maschinist-Monteur. Brunnenmeister war Josef Saier.

Die Strom-und Wasserversorgung konnte anfangs nur unter erheblichen Schwierigkeiten aufrecht erhalten werden. Zum Teil waren übermütige‚ gelangweilte französische Soldaten daran
schuld, wie Hermann Riesterer‚ der Betriebsleiter des Elektrizitätswerks in einem Schreiben an den Ortskommandanten berichtet:
"Die Türe und das Dach von der Trafo-Station an der Stegenerstraße wird vermutlich von den Posten beim Bahnübergang weiter beschossen. Wenn nicht Abhilfe geschaffen wird, ist zu befürchten, daß die Anlage unbrauchbar wird und ein Teil des Dorfes ohne Licht ist. Wenn ein Trafo getroffen wird, besteht auch die Möglichkeit eines Brandes. Unbrauchbare Maschinen lassen sich zur Zeit nicht ersetzen" 72).

Insgesamt kann man sagen, daß die Franzosen in den ersten Wochen der Besatzung mehr zur Desorganisation der intakt gebliebenen deutschen Lokalverwaltung als zu.ihrer Festigung und ihrer Anpassung an die veränderten Verhältnisse beitrugen. Dies lag vor allem daran, daß die Besatzungstruppen, da es sich um Kampftruppen handelte, rasch wechselten. Es kam oft vor‚ daß die Anordnung eines Kommandeurs schon ein paar Tage später vom nächsten wieder aufgehoben wurde. Außerdem hatten die mit Besatzungsaufgaben betrauten Offiziere oftmals sehr mangelhafte Kenntnisse über die deutschen Verhältnisse 73).

Nach dem Ende der Feindseligkeiten stabilisierte sich die Militärverwaltung auf lokaler Ebene nach und nach.

Ein Ereignis muß besonders ältere Kirchzartener Bürger, die noch voll und ganz in dem Glauben erzogen worden waren, daß die Franzosen der Erbfeind des Deutschen seien, in ihrem Weltbild erschüttert haben. Nach einer Verordnung der französischen Militärregierung wurde auch in der deutschen Zone der 14. Juli zum Feiertag proklamiert. Alle Geschäfte und Büros wurden an diesem Tag geschlossen 74).

72) Schreiben vom 5.5.1945, in: GA IX 1526..
73) Paul Sauer: Demokratischer Neubeginn in Not und Elend. Das Land Württemberg-Baden von 1945 bis 1952; Ulm 1978, S. 18.
74) Informations du Gouvernement Militaire de Fribourg ville et campagne No 6 vom 11.7.1945.

6. Alltag unter französischer Besatzung
6.1 Versorgungslage und Arbeitseinsätze

Als eines der Hauptprobleme der Nachkriegszeit ist sicherlich die Versorgung mit Lebensmitteln zu nennen. War sie während des Krieges noch als einigermaßen erträglich empfunden worden‚ so wurde sie in der ersten Zeit der Besatzung immer angespannter. Dies hatte im wesentlichen zwei Gründe. Der erste war die Ernährungspolitik der nationalsozialistischen Führung, die darauf bedacht war‚ eine Ernährungskrise wie sie 1917/18 geherrscht hatte, zu vermeiden. So wurde vor allem durch eine Ausbeutung der besetzten Gebiete eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung aufrechterhalten, um aus Hunger resultierende Unzufriedenheit oder sogar Widerstand zu verhindern. Der zweite Grund war, daß die nach dem Zweiten Weltkrieg auftretende Ernährungskatastrophe kein rein deutsches Phänomen war, son
dern weltweit auftrat. 1945 war die Nahrungsproduktion fast überall auf der Welt unter den Bedarf gesunken 75). In der französischen Zone wurde die Lebensmittelversorgung dadurch erschwert, daß sich die Franzosen aufgrund
ihrer eigenen schlechten Versorgungslage aus ihrer Besatzungszone versorgten.

In Deutschland wurde nach dem Zusammenbruch das System der Ausgabe von Lebensmitteln auf Lebensmittelkarten beibehalten. Diese hatten eine vierwöchige Geltungsdauer. Die Abschnitte dieser Karten konnten gegen eine bestimmte Menge eines Artikels eingetauscht werden. Voraussetzung war jedoch, daß es diesen Artikel überhaupt gab.

Insgesamt stellte sich die Ernährungssituation in Kirchzarten aufgrund des ländlichen Charakters nicht so dramatisch dar wie zum Beispiel in Freiburg. In Kirchzarten gab es einige bäuerliche Selbst- und Teilselbstversorger‚ die keiner Zuteilung bedurften‚ sondern ihren Anteil von hrem Ablieferungs-Soll abgezogen bekamen. Dieser Teil der Bevölkerung war somit nicht von den Zuteilungen abhängig und damit im Vergleich zu den sogenannten Normal-Verbrauchern im Vorteil. Gerade im bäuerlichen Bereich wurde zu dieser Zeit viel improvisiert. Brot wurde zum Beispiel aus Mais gebacken und man pflanzte Zuckerrüben an und machte daraus Marmelade.

Die Versorgung spitzte sich eigentlich erst im Winter 1945/46 zu. In der ersten Zeit nach dem Krieg waren noch Vorräte aus Heeresbeständen und bäuerlichen Lieferungen vorhanden, mit denen sich die Bevölkerung im allgemeinen Chaos eindeckte. So wurde zum Beispiel das Verpflegungsdepot der deutschen Wehrmacht auf dem Gelände der Firma Brenziger -heute Bundeswehrdepot- wenige Tage vor dem Einmarsch der französischen Truppen durch die Kirchzartener Bevölkerung ausgeräumt. Die Kirchzartener fuhren mit
allem was Räder hatte zum Verpflegungslager und deckten sich mit Fischkonserven‚ Käse und anderen Lebensmitteln ein.

Die Gemeinde wurde verpflichtet, für die Versorgung der Besatzungstruppe regelmäßig bestimmte Lebensmittel abzuliefern. Im Auftrag der Ortskommandantur mußten besonders häufig Kartoffeln an die Besatzungstruppe geliefert wer-wwmwden. Da der Bestand an Kartoffeln in Kirchzarten nach kurzer Zeit verbraucht war, bekamen die Nachbarorte den Befehl, Kartoffeln zu liefern. Stegen und Wittental mußten am 27. Juni 1945 zusammen 2000 kg liefern, was sich als unmöglich darstellte‚ da Wittental nur 350 kg liefern konnte 76). Überhaupt waren die Kartoffeln neben dem Brot das tragende Element der Lebensmittelversorgung. Ihre Verfügbarkeit wurde zum Index der Nachkriegsernährung. Ein Nor-
malverbraucher bekam pro vierwöchiger Zuteilungsperiode 12 kg Kartoffeln. Kinder, je nach Alter, zwischen 6 und 10 kg.

76) GA IX 1526

Aber nicht nur in punkto Nahrung litten die Menschen an der Versorgungskrise. Täglich mußte man damit rechnen, daß man aufgrund einer amtlichen Verfügung einen Teil seines sowieso spärlichen Hab und Guts abgeben mußte. So befahl die Militärregierung zur Versorgung ehemaliger alliierter Kriegsgefangener, daß “jede deutsche Familie, einschließlich der Flüchtlinge, eine vollständige Kleidungsausrüstung (Männerkleidung) in tadellosem Zustand zu liefern habe" 77). Ausgenommen waren nur Totalbombengeschädigte, die völlig mittellos waren. Heimkehrern aus der Kriegsgefangenschaft passierte es deshalb, daß sie nach ihrer Rückkehr keine passende Zivilkleidung mehr hatten, da ihre Angehörigen genötigt waren, ihren oft einzigen Anzug abzuliefern. Auch hier war man genötigt zu improvisieren, wie uns die folgende Erzählung zeigt:
“Eine Schulkameradin von mir hat meine Kommißjacke als Trachtenjanker umfunktioniert. Wir haben sie unten abgeschnitten, oben den Kragen auch. Oben hat man ein Stehbündchen gemacht und innen rot ausgefüttert. Die Aufsatztaschen kamen natürlich weg, der Adler auch . . . . .. Den Adler hat man später noch ein bißchen gesehen, da er abgeblaßt war". 78)‘

Folgende Kleidungsstücke wurden bis zum 6.8.1945 in Kirchzarten gesammelt: 79)
243 Hüte und Mützen 197 Paar Schuhe
343 Jacken  375 Hemden
345 Hosen  307 Unterhosen
239 Westen 646 Taschentücher
24 Pullover 351 Paar Socken.


77) Informations du Gouvcrnement Militaire de Fribourg ville et campagne No 5 vom 4. Juli 1945.
78) Interview Hekel.
79) GA IX 1551. 50

Hier noch ein Beispiel, wie sehr das Fehlen geeigneter Kleidung zur Eigeninitiative zwang:

“Das Schlimmste für die Kinder war die Kleidung. Man hat unheimlich zusammengeflickt und zusammengestückelt. Ich weiß noch, mein Schulentlassungskleid war aus ich weiß nicht wievielen Sorten Stoff. Mein Vater hat uns immer Holzschuhe gemacht‚ oder Holzklepperle. Die bestanden aus Holzsohlen und Riemen von Autoreifen, oder sie waren sogar mit alten Autoreifen besohlt. Strohschuhe hat man auch gehabt. Dann gab es auch eine Zeit, da hat man aus Welschkorn‚ also den getrockneten
Blättern vom Mais, Schuhe gemacht für die Kinder. Wenn es jemand gekonnt hat, waren die sogar relativ schön" 80).

Viele Kirchzartener Bürger wurden von der französischen Besatzungstruppe als Arbeitskräfte eingesetzt. In den Mannschafts- .und Unteroffizierskasinos wurde eine Menge Bedienungs- und Küchenpersonal gebraucht. Die "Herren" Offiziere hatten ihr eigenes Hauspersonal. Die Kirchzartener Handwerker führten Reparaturen aus und waren froh, auf diese Weise etwas zu verdienen bezw. Naturalien für ihre Arbeit zu bekommen. Wer Pech hatte, bekam die undankbare Aufgabe, Munition zu zählen und zu entschärfen. Am umfangreichsten waren jedoch die von der Besatzungstruppe befohlenen Bauarbeiten. Unter anderem waren vom 4. Juni bis zum 6. Juli täglich ca. 40 - 60 Mann damit beschäftigt, auf dem Anwesen der Firma Brenzinger beim Bahnhof einen Übungsplatz für die französischen Truppen zu bauen. Dies geschah im Auftrag der Rekrutenkompanie Zème R.I. Außerdem wurde jeweils im Strandbad und bei der Lindenaustraße ein Sportplatz für die französischen Truppen gebaut. 81)

80) Interview Birkenmeier.
81) Staatsarchiv LRA Freiburg 1972/7 Nr. 128 IIID

6.2 Die Wohnungssituation

Anhand der Wohnungssituation läßt sich sehr gut verdeutlichen, warum viele Mengen, die die damalige Zeit erlebten‚ ihre Erfahrung folgendermaßen umschreiben: "Schlimm wurde es eigentlich erst nach dem Krieg".

In vielen Orten spitzte sich die Wohnungsnot im Laufe des Jahres 1945 zu. Starke Kontingente von Besatzungstruppen sowie - gerade im südbadischen Raum, der zu den von Kriegszerstörungen am meisten verschonten Gebieten Deutschlands gehörte - eine Anballung von Evakuierten erforderten ein Zusammenrücken auf engsten Raum.

Wie schon an anderer Stelle erwähnt, waren in Kirchzarten an 75 Gebäuden Schäden durch Kriegshandlungen entstanden 82). Aufgrund der schlechten Versorgungslage war es in den meisten Fällen nur möglich, die Zerstörungen provisorisch zu reparieren. Bei dem Bombenangriff am 19. Februar 1945 wurden zum Beispiel 18 Familien obdachlos und mußten in anderen Häusern untergebracht werden 83). Insgesamt kann man sagen, daß im gesamten Verlauf des Jahres 1945 nur ein Teil der im Krieg beschädigten Wohnungen bewohnbar war.

Hinzu kamen ab dem Tag des Einmarsches der französischen Truppen am 23. April die Einquartierungen der französischen Soldaten. Die Gemeinde wurde verpflichtet, die hier stationierten Soldaten angemessen unterzubringen. Zu diesem Zweck wurden die erforderlichen Wohnräume sowie Möbel und Einrichtungsgegenstände requiriert.

Die Einquartierungen betrafen praktisch nur den Ortsteil Kirchzarten‚ da die Ortsteile Neuhäuser und Dietenbach für eine Belegung nicht infrage kamen. Der Grund dafür lag darin, daß diese Ortsteile am Berg und die Häuser zerstreut lagen. Die ganze Einquartierungslast war daher vom Ortsteil
Kirchzarten zu tragen. Zeitweise hatte Kirchzarten eine Besatzung von 500 Mann. Bedenkt man, daß der Ortsteil Kirchzarten ca. 1500 Einwohner hatte, so kam auf drei Kirchzartener Bürger ein französischer Soldat.

82) Siehe Kapitel "Kriegszerstörungen" Seite 12.
83) GA XI/2 1634

Beispielhaft für die Last der französischen Einquartierungen möchte ich an dieser Stelle die Zeit vom 8. Juli bis zum 28. September 1945 anführen. Damals war Kirchzarten von Teilen des 63. Regiments der Artillerie d'Afrique besetzt, wobei jedoch die 12. Batterie dieses Regiments nur bis zum 28. Juli blieb und dann nach Kappel abzog.

In diesem angesprochenen Zeitraum waren in Kirchzarten 66 Haushaltungen, sämtliche Gastwirtschaften‚ das Schulhaus und das Postamt mit französischen Soldaten belegt. Außerdem waren verschiedene Büro- und Geschäftsräume, eine Autoreparaturwerkstatt sowie das Gelände der Firma Brenzinger beschlagnahmt. Die Ortskommandantur befand sich im Hause der Frau Malter in der Schulhausstraße 5. Insgesamt waren 174 Räume und 192 Betten beschlagnahmt. Im Schulhaus und im Postamt, das sich zur damaligen Zeit in dem Gebäude befand, wo heute der Polizeiposten Kirchzarten ist, waren Massenquartiere für die französischen Mannschaften eingerichtet 84).

Gegen Ende des Jahres 1945 mußte die Gemeinde auch Räumlichkeiten für Angehörige der Besatzungstruppe zur Verfügung stellen. Es befanden sich zum Beispiel im Dezember 21 dieser Angehörigen in Kirchzarten 85).

Die Einquartierungen dauerten von wenigen Tagen bis zu mehreren Monaten. Als das 63. Artillerieregiment am 28. September nach Ludwigshafen abrückte‚ quartierte sich wenige Tage später, am 3. Oktober, das 4. Artillerieregiment mit sieben Batterien ein. Dieser Truppenteil blieb jedoch nur zwei Tage in Kirchzarten, da das Regiment nur 
an der Parade aus Anlaß des Besuchs General de Gaulles Oktober in Freiburg teilnahm 88). So herrschte ein ständiges Kommen und Gehen verschiedener-Truppenteile‚ was immer neue Einquartierungen und Belastungen für die Bevölkerung mit sich brachte.

84) GA IX 1557.
85) GA IX 1495.
86) GA IX 1518


Dies alles wäre schon Belastung genug gewesen, doch die Gemeinde mußte sich auch noch um ganz andere Personengruppen kümmern und Wohnraum zur Verfügung stellen. Zu der durch Einquartierungen und Zerstörungen bedingten Wohnungsnot kam ab August, daß Kirchzarten Platz für ca. 200 Kriegsgefangene aufbringen mußte. Am 26. August 1945 trafen 600 deutsche Kriegsgefangene im Landkreis Freiburg ein. Da eine Unterverteilung an alle 77 Gemeinden des Landkreises kurzfristig nicht möglich war, mußte auf Anordnung der Militärregierung auf kurze Zeit eine Verteilung in Großgruppen erfolgen. Daraufhin kamen 200 Gefangene nach Kirchzarten‚ die bis zum 7. September im Anwesen der Firma Brenzinger untergebracht wurden. Endgültig wurden der Gemeinde 30 Gefangene zugewiesen. Der Rest der 200 wurde auf andere Gemeinden des Dreisamtales bezw. des Landkreises verteilt. Die Gefangenen, die in Kirchzarten blieben, wurden Landwirten und Handwerksbetrieben zugewiesen. Waren es früher Fremdarbeiter gewesen, die den deutschen Landwirten zur Hand gegangen waren, so waren es nun deutsche Kriegsgefangene, die diese Aufgabe erfüllen mußten. Diese kamen aber schon Ende September wieder in das Gefangenenlager auf dem Flugplatz in Freiburg 87) .

Ferner wohnten in Kirchzarten viele Evakuierte sowie Fliegergeschädigte aus Freiburg und dem norddeutschen Raum. Kirchzarten war auch Evakuierungsort für mehrere Familien aus Breisach. Breisach war aufgrund seiner Lage besonders dem direkten Beschuß von französischer Seite ausgesetzt gewesen. Von 850 Wohnungen waren 635 durch
Kriegszerstörungen beschädigt worden. Im Juni 1945 befand sich sogar die Bezirkssparkasse Breisach in Kirchzarten. 88)

Angesichts der beschriebenen Situation ist es verständlich, daß Bürgermeister Steinhart am 27. März 1946 einen Brief an die Militärregierung in Freiburg schrieb, in dem er darlegte, daß die Gemeinde bis an die Grenze ihrer Kapazität belastet war. Hier einige Auszüge:
"Seit dem Einmarsch der Besatzungstruppen in Kirchzarten war die Gemeinde fast dauernd mit Truppen belegt..... Bei der immer bestandenen starken Belegung waren natürlich die Anforderungen an die Gemeinde selbst und vor allem an deren Bewohner sehr groß, sowohl bezüglich der Überlassung aller möglichen Gebrauchsgegenstände für die Truppen und deren Verpflegung als auch bezüglich der Quartiere oder Unterbringung der Truppen selbst..... Die gutmütigen Bewohner der Gemeinde richten immer wieder an die Gemeindeverwaltung die Frage, warum nun ausgesprochen die Gemeinde Kirchzarten‚ die ja nur ein einfaches Dorf oder eine kleine Landgemeinde ist, dauernd mit Truppen belegt ist, während die gesamte Umgebung sowie auch größere Gemeinden kaum etwas von der Einquartierung spüren....Ich bitte daher, mir es nicht zu verargen, wenn ich als Vertreter der Bürgerschaft die höfliche Bitte vortrage..... erhebliche Erleichterungen zu verschaffen und dieselbe (die Gemeinde, d.Verf.)‚ auch im Hinblick auf die noch hier wohnenden Evakuierten und die bevorstehende Aktion der Ostflüchtlinge‚ von der künftigen Einquartierung nach Möglichkeit befreien zu wollen" 89).

88) GA XI/2 1634.
899 GA IX 1560.

Unterstützt wurde diese Eingang Bürgermeister Steinharts  durch den in Kirchzarten wohnenden Bildhauer Professor Richard Engelmann. Engelmann, der aufgrund seiner jüdischen Abstammung von den Nazis verfolgt wurde, schrieb am 28. März 1946 an General Schwarz in Freiburg:
"Ich bin 1937 nach Kirchzarten übergesiedelt und kenne die größtenteils ländliche Bevölkerung als ruhige, friedliebende, katholische,_antinazistische Menschen, welche die schweren Lasten der Einquartierungen und Beschlagnahmungen ruhig getragen haben, aber jetzt am Ende der Leistungsfähigkeit angelangt sind . . . . . .. Die Bevölkerung ist durch die sehr starke Besatzung des kleinen Ortes übermäßig in Anspruch genommen worden und wäre Ihnen, sehr geschätzter Herr General, zu größtem Dank verpflichtet, wenn Sie die drohende, schwere neuerliche Einquartierung mit 30 Familien und Kindern abwenden wollten und den Einwohnern von Kirchzarten eine Zeit der Ruhe für die kommende Frühjahrsarbeit gewähren könnten" 91).
Diese zwei Briefe wurden von der französischen Militärregierung zwar zur Kenntnis genommen, es dauerte aber noch längere Zeit, bis sich die Situation wieder normalisierte.

90) Im Geburtenbuch der israelitischen Gemeinde in Bayreuth ist im Jahre 1868 die Geburt von Richard Engelmann vermerkt. Nach Studien in München, Florenz und Paris, wo er unter anderem Rodin und Barlach begegnete, und einer 14-jährigen Tätigkeit als freischaffender Künstler in Berlin, wurde Engelmann 1913 an die Kunsthochschule in Weimar berufen.
Im selben Jahr empfing er - vermutlich auf Wunsch seiner zweiten Ehefrau, einer evangelischen, baltischen Adligen - die Weihe der Heiligen Taufe.
1935 wurde gegen Engelmann ein Berufsverbot verhängt, da er als Nichtarier galt. Im Jahre 1937 übersiedelte er nach Kirchzarten in die Lindenaustraße 21, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1966 lebte. 1955 erhielt der Künstler das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
91) GA IX 1560.

Das Zusammenleben der Deutschen und Franzosen wurde dadurch erschwert, daß fast keiner die Sprache des anderen sprechen konnte. Ein erster Schritt auf dem Weg zu einer besseren Verständigung zwischen der deutschen Bevölkerung und der französischen Besatzungstruppe waren die landauf-landab angebotenen Französischkurse. Französisch war laut einer Verordnung der Militärregierung Amtssprache "und in allen amtlichen Angelegenheiten, über die mit den französischen Militärbehörden verhandelt wird, anzuwenden, sofern keine andere Anordnung ergeht" 92).

Nach einiger Zeit der Besetzung bestand in vielen Kreisen der Bevölkerung der Wunsch, die französische Sprache zu erlernen, bezw. schon erlernte Kenntnisse zu verbessern. Ende 1945 wurde Kirchzarten dank der regen Anfrage als einer der Orte bestimmt, in dem Französischkurse angeboten werden sollten. Das einzige Problem war, geeignete Lehrkräfte zu finden. Die französische Militärregierung entschied schließlich, daß Frau Gretel Junghans und Frau Marie Luise Maier den Unterricht halten sollten.

Die Kurse begannen im Februar 1946. Insgesamt nahmen 57 Einwohner der Gemeinden Kirchzarten und Zarten an dem ersten halbjährigen Kursus teil. Am ersten Kurstag wurde der Unterricht von Oberleutnant Greciano‚ dem Adjudanten beim Gouvernement Militaire für den Landkreis Freiburg gehalten. Dieser Offizier interessierte sich besonders für die französischen Sprachunterrichtskurse 93).

92) Gazette Officielle du Gouvernement Militaire du Pays de Bade No 2 vom 2. Juni 1945.
93) GA IX 1526.

6.3 Requisitionen

Frankreichs Wunsch nach einer eigenen Besatzungszone hatte unter anderem finanzielle und ökonomische Gründe. Durch diese Zone wollte man die durch die Deutschen erlittenen Kriegs- und Besatzungsschäden bezw. -kosten ausgleichen. In der Praxis sah dies so aus, daß sich die Franzosen, anders als die Amerikaner und Briten, aus ihrer Zone Versorgten, und daß die eigenen während der deutschen Besatzung erlittenen Verluste durch hohe Reparationen wieder wettgemacht werden sollten.

So war das Requisitionswesen in der französisch besetzten Zone besonders ausgeprägt. Direkt nach dem Einmarsch der französischen Truppen waren wilde Requisitionen - also ohne
Anrechung auf ein Leistungskonto - an der Tagesordnung. Diese wilden Requisitionen kamen praktsich Plünderungen bezw. Diebstählen gleich. Die Soldaten, die Kirchzarten besetzten,
nahmen bei Hausdurchsuchungen vorzugsweise Uhren, Schmuckvund andere wertvolle Dinge mit.

Hier der Bericht einer Kirchzartener Bürgerin:
"An dem Montag, an dem sie gekommen sind, ist meine Mutter zufällig hier am Fenster gestanden und hat rausgeschaut. Sie wollte den Kerl nur anschauen, es war ein Schwarzer. Dann ist er reingekommen und hat alle Schubladen aufgezogen. Oben im 2. Stock bei meiner Mutter im Schlafzimmer hat er Vaters Taschenuhr mitgenommen. Sonst hat er nichts mit uns gehabt“ 94).

Fahrzeuge wurden von der Straße weg beschlagnahmt. Auch die Fotoapparate und Radios, die auf Anordnung der Besatzungstruppe am 23.4.1945 abgegeben werden mußten‚ wurden nie mehr an die früheren Besitzer zurückgegeben. Insgesamt gingen später 60 Anträge wegen wilder Requirierungen in den ersten Tagen der Besatzung beim Bürgermeisteramt ein 95).

94) Interview Birkenmeier.
95) GA IX 1508.

Oft  kamen einzelne Soldaten in die Geschäfte und "besorgten" sich die benötigten Sachen, das heißt sie nahmen das, was sie brauchten, ohne Bezahlung mit. Wenn man Glück hatte, bekam man einen Requisitionsschein in die Hand gedrückt, auf Grund dessen eine spätere Entschädigung erfolgen sollte.
Es kam auch vor, daß Leute mehrmals von Plünderungen betroffen waren. Es gab zum Beispiel den Fall, daß einem Freiburger Unternehmer zunächst der reichbestückte Weinkeller leergeräumt wurde und ihm wenige Tage später in Kirchzarten wertvolles Werkzeug und ein Auto gestohlen  wurden. In beiden Fällen waren es französische Soldaten, in einem Fall Verstärkt durch ehemalige Zwangsarbeiter, die die Diebstähle begingen. Ohnmächtig mußte er zusehen, wie die Täter zwar gestellt wurden, ihnen aber nichts geschah. 96)

Aufgrund solcher Vorfälle und um die wilden Requisitionen zu unterbinden, richteten die Bürgermeister und Landräte im Einvernehmen mit den Abteilungsleitern der Militärregierung in jedem Landkreis Requisitionsämter ein. Deren Aufgaben waren in der "Gazette Officielle Nr. 5"
vom 25.7.1945 festgelegt:
"Diesem Amt liegt als erste Aufgabe ob, gegen vorläufige Empfangsbescheinigung und mit dem Ziele weiterer Bearbeitung dieser Sachen alle 'Beschlagnahmescheine', 'Requisitionsbefehle' und ‘Quittungen für requirierte Leistungen‘ zusammenzufassen, die durch alliierte Militärbehörden an Personen gegeben wurden, die in dem Kreis wohnen und die irgendwelche Güter geliefert haben, ohne dafür sofortige Bezahlung zu erhalten".

96)Stadtarchiv Freiburg C 5/ 1421.

Durch dieses Amt wurden somit sämtliche durchgeführten und in der Folge noch vorgenommenen Requisitionen erfaßt. Durch den Übergang der Requisitionsverwaltung in deutsche Hände war es möglich, unbillige Härten durch Verteilung der Requisitionslasten zu vermeiden. Dennoch stellten die Anforderungen der Besatzungsmacht Ämter und Bevölkerung auf eine harte Probe.

Eine weitere Erleichterung und Klarstellung der Verhältnisse für die Bevölkerung bildete die Anordnung No. 705/B des Gouvernement Militaire für den Landkreis Freiburg vom 31.8.1945. 
Darin wurden die militärischen Dienststellen genannt, die befugt waren, "Freigabescheine oder Kaufberechtigungen auszustellen, um die Bedürfnisse an Lebensmitteln und sonstigen Waren für die Truppen, die im Gebiet der Gemeinden untergebracht sind, zu befriedigen". Jeder Versuch einer Beschlagnahmung‚ die nicht durch die in der Anordnung genannten Unterschriften gedeckt war, konnte somit zurückgewiesen werden. Die Militärregierung wollte dadurch die Unterbindung jeder wilden Beschlagnahmung durchsetzen.

In der Zeit vom 23.4. bis 1.9.1945 wurden in Kirchzarten Gegenstände im Wert von 109.008.-- RM von der französischen Truppe requiriert 97). Die Gemeinde mußte fast alles für die Franzosen zur Verfügung stellen. Dies reichte von Lebensmitteln, Wohnraum, Mobiliar, über Geschirr für die Kasinos bis hin zu weißen Handschuhen, Fußbällen und Sporthosen. Zum Teil wurden auch in Burg und anderen Orten um Kirchzarten Gegenstände requiriert, da es in Kirchzarten einfach nichts mehr zu holen gab.

97) GA IX 1508.

Neben den Requisitionen war Kirchzarten vor allem von Exploitations-Hieben‚ das heißt dem massenhaften Abtransport von Nutzholz betroffen. Im holzreichen Baden nahm dieser Zweig der Reparationsforderungen einen größeren Raum ein als die Demontagen 98) . Schon bald nach dem Einmarsch kamen französische Arbeiterrotten und begannen mit ihrer Arbeit. Sie waren vor allem im Gebiet der Birkenreute tätig. Die in Richtung Frankreich fahrenden Langholzwagen wurden für die Kirchzartener zum gewohnten Bild.

98) Die Reparationsforderungen‚ die Frankreich in Jalta zugestanden bekam gliederten sich in mehrere Bereiche:
- Restitutionen‚ das heißt die Rückführung von Gütern, die während der Besatzung von Deutschen aus dem Land geholt wurden.
- Requisitionen.
- Demontagen, das heißt die Entnahme von industriellen Maschinen und Maschinenparks bezw. den Abtransport kompletter Fabrikinventare.
- Entnahme von landwirtschaftlichen Produkten.
- Exploitationshiebe.
Nach M.Bosch: Der Neubeginn, S. 151.

6.4 Die Schulsituation

Der Schulbetrieb in Kirchzarten wurde während des Zweiten Weltkrieges Anfang November 1944 eingestellt. Der Unterricht war in der Endphase sowieso größtenteils ausgefallen, da die Schüler auch im außerschulischen Bereich eingesetzt wurden. Sie mußten zum Beispiel während der Schulzeit Kartoffelkäfer suchen oder Altmaterial bezw. Blätter für Tee sammeln.

Nach der Besetzung Kirchzartens durch die französischen Truppen war die Schule monatelang von französischen Truppen belegt. Offiziell wurde die Wiedereröffnung der Volks- und höheren Schulen in der ganzen Besatzungszone zum 17. September 1945 verfügt 99). Da das Schulhaus mit Militär belegt war, erklärte sich der Ortskommandant bereit, für Unterrichtszwecke drei Säle freizugeben. Dem Wiederbeginn des Unterrichts an der Schule in Dietenbach stand nichts im Wege.

99)
Journal Officiel du Gouvernement Militaire Francaise en Allemagne, Verfügung Nr. 1 vom 22. August 1945.

Der Unterrichtsbeginn verzögerte sich jedoch, da die Überprüfung des Lehrerpersonals viel Zeit in Anspruch nahm. Da die Lehrer, wie alle deutschen Erwachsenen, unter das Verdikt der Entnazifizierung fielen, waren nur Unbelastete zugelassen. Letztendlich wurde in Kirchzarten jedoch nur ein Lehrer vom Dienst suspendiert.

Ein weiterer Grund für die Verzögerung war, daß zunächst die Voraussetzungen geschaffen werden mußten, daß der Unterricht den ganzen Winter über aufrecht erhalten werden konnte. Es war vor allem nötig, daß Öfen und Heizmaterial beschafft wurden. Schließlich kam hinzu, daß in einem Schulsaal‚ der für die bevorstehende Eröffnung der Schule benötigt wurde, immer noch Panzerfäuste, Gewehre, Munition und Pulver lagerten. Das Pulver stellte eine Gefahr für das Schulhaus und die Umgebung dar. Außerdem bestand
die Gefahr, daß die Waffen und Munition von Kindern verschleppt werden würden. Das Material wurde am 8. Oktober von einem Sprengmeister aus Freiburg abgeholt. 100) Nach dieser Verzögerung lief der Unterrichtsbetrieb im Herbst 1945 mit überfüllten Klassenräumen wieder an. Die Schülerzahl für das Schuljahr 1945/46 betrug allein für die Volksschule über 250. 101) Hinzu kam, daß der Unterricht alsbald auch an der Landwirtschaftlichen Berufsschule für Knaben und Mädchen wieder aufgenommen wurde. Somit kamen noch einmal 150 Schüler und Schülerinnen hinzu 102).
Rektor der Volksschule war Oberlehrer Emil Heizmann‚ der aber aus Krankheitsgründen im Januar 1946 von Hauptlehrer Albert Meyer abgelöst wurde. Die Dietenbacher Schule wurde von Hauptlehrer Heinrich Schanzenbach geleitet.

Der Unterricht lief zwar wieder normal an, wurde jedoch durch die Beengtheit der Räumlichkeiten beschränkt. Hinzu kam, daß es im Lehrerkollegium durch viele Krankheitsfällte zu Engpässen kam 103). Auch im schulischen Bereich mußte wie überall improvisiert werden. Im Hinblick auf Lehrpläne und Unterrichtsmaterial war dies besonders schwer. Die Militärregierung hatte alles durch den Nationalsozialismus Belastete verboten, zum Beispiel den Geschichtsunterricht und alle nach 1933 erschienenen Ausgaben der Schulbücher.

Die Schüler an der Kirchzartener Schule litten, wie an anderen Orten auch, an einem sehr schlechten Ernährungszustand. Besonders die Kinder, die nach dem Kartensystem zu den Normalverbrauchern zählten, hatten darunter zu leiden. Die Kinder aus bäuerlichen Familien hatten es dagegen besser 104).

100) GA IX 1553
101 G. Haselier: Kirchzarten‚ S. 705 Tabelle 23a.
102) ebenda S. 707 Tabelle 26.
103) Staatsarchiv Freiburg Schulamt 1970/3 Nr.
37 P. 8 Kirchzarten Faszikel 1.
104) GAV VI/2 1113.
105) GA VI/2 1141.

Im folgenden möchte ich bezüglich der Wiedereröffnung der Kirchzartener Schule einen kleinen Streitfall schildern, der die Beziehungen zwischen Kirchzarten und Kappel strapazierte und bei der Bevölkerung des Ortsteiles Fischbach-Neuhäuser für einige Verwirrung sorgte. Die Akte, in der der gesamte Schriftverkehr bezüglich dieses Falles gesammelt ist, ist mit dem Titel “Schulverband Neuhäuser-Fisch
bach" überschrieben 105). Neuhäuser war 1936 zu Kirchzarten eingemeindet worden (siehe a.a.O.). Die Schüler dieses Ortsteils besuchten die Volksschule in Kappel. Dies war unproblematisch, da die Bewohner von Neuhäuser-Fischbach zum Kirchspiel Kappel gehörten. Im Jahr 1943 trat aber die Situation ein, daß die Schule in Kappel 153 Schüler hatte, aber nur 2 Lehrkräfte und 2 Klassenzimmer. Auf Antrag des Bürgermeisters von Kappel sollten aus diesem Grunde die 18 Schüler aus dem Kirchzartener Ortsteil Neuhäuser-Fischbach die Schule in Kirchzarten besuchen. Das Kreisschulamt schloß sich diesem Antrag an‚und so mußten die Kinder aus Neuhäuser ab Ostern 1943 bis zur Schließung
der Schule am Ende des II. Weltkrieges die Kirchzartener Volksschule besuchen.

Die Verwirrung entstand nach dem Krieg dadurch, daß Kappel wieder bereit war, die Schüler aus Neuhäuser aufzunehmen. Es stand ein dritter Schulsaal zur Verfügung und außerdem
wollte Pfarrer Vitt von Kappel, daß die Kinder von Neuhäuser-Fischbach den Schulunterricht in Kappel besuchen sollten, da sie zur Pfarrei Kappel gehörten.

Die Gründe, die die Kirchzartener für den Besuch der hiesigen Schule anführten‚ finden sich in einem Schreiben des Kirchzartener Bürgermeisters Zimmermann an das Kreisschulamt vom 7. November 1945:

"Das Bestreben unserer Gemeindeverwaltung geht dahin und muß darauf gerichtet sein, die Gesamteinwohnerschaft als geschlossene kulturelle und religiöse, schulische und wirtschaftliche Einheit zusammenzufassen und als solche zu erhalten". 106)

So kam es zu der Situation, daß ein Teil der Bewohner von Neuhäuser-Fischbach ihre Kinder in die Kappeler Schule schickte und die anderen nicht. Zur endgültigen Entscheidung kam es erst im März 1946, als der Gemeinderat von Kirchzarten den dargelegten Gründen des Kappler Pfarrers Vitt über die Vorteile des Schulbesuchs in Kappel zustimmte. Außerdem wurde die Entscheidung des Gemeinderates dadurch beeinflußt‚ daß sich die meisten Eltern der Kinder aus Neuhäuser-Fischbach für einen Schulbesuch ihrer Kinder in Kappel aussprachen.

Offiziell wurde der alte Zustand von vor 1943 durch eine Verfügung des Kreisschulamtes Freiburg vom 2. April 1946 bestätigt.

106) GA VI/2 5141.

7. Entnazifizierung

Auf der Konferenz von Potsdam wurde die Entnazifizierung 107) als ein besonderes Ziel der Besatzungspolitik festgelegt. Wie sie konkret aussehen sollte, wurde aber nicht geklärt. So fiel
die Entnazifizierung in den einzelnen Besatzungszonen unterschiedlich aus.

Parallel und im Anschluß an den Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß fanden eine Reihe weiterer Kriegsverbrecherprozesse in den einzelnen Zonen statt. Für die französische Zone fanden diese Prozesse in Rastatt statt. Für die ca. 19.000 Personen, die in der französischen Zone während des Jahres 1945 als nazistische Funktionäre und Aktivisten verhaftet wurden, richtete die Militärregierung Internierungslager ein. Diese erhielten die offizielle Bezeichnung "Konzentrationslager", auf französisch “Camp de Concentration". Sie hatten aber keine Ähnlichkeit mit den ehemaligen deutschen KZs. In Südbaden gab es in Freiburg, Lahr-Dinglingen‚ Villingen‚ Emmendingen und Brombach Internierungslager.

Die Durchführung der Entnazifizierung lag in deutscher Hand. Im Herbst 1945 wurden in jedem Stadt- und Landkreis Untersuchungsausschüsse gebildet, die mit der Voruntersuchung, der Überprüfung der Fragebögen und der Ausarbeitung von Sühnevorschlägen betraut waren. Diese Unterlagen gingen dann an den für das ganze Land Baden zuständigen Landesreinigungsausschuß in Freiburg. Diese Behörde wiederum leitete die Unterlagen und Vorschläge an die Entnazifizierungsstellen der Militärregierung weiter. Die Franzosen hatten sich also die letztinstanzliche Entscheidungskompetenz vorbehalten.

107) Die folgenden allgemeinen Ausführungen zur Entnazifizierung beruhen auf: M. Bosch: Der Neubeginn, S. 304 ff. 66

In der französischen Zone war der Anteil der zu entnazifizierenden Personen wesentlich geringer als in den drei anderen Besatzungszonen. Trotzdem ergab sich eine Gefahr durch die oben beschriebene verwaltungsmäßige Vorgehensweise:
Bagatellfälle wurden vorgezogen, um mit der Flut von Akten fertig zu werden, und um den Betroffenen schnell Bescheid zu geben. Somit kam es unter dem noch frischen Eindruck der zurückliegenden Ereignisse zu relativ harten Urteilen. Die schwerer Belasteten‚ die interniert waren, kamen aufgrund des größeren zeitlichen Abstandes und immer offenkundiger werdender Mängel und Widersprüche des Verfahrens zu relativ milderen Urteilen.
Erst mit den Kontrollratsdirektiven (Nr. 24 und 38) vom Januar bezw. Oktober 1946 wurde das Entnazifizierungsverfahren zonenübergreifend vereinheitlicht.

Die Entnazifizierung richtete sich zunächst vor allem gegen die Verwaltungen, Lehrer und ehemaligen NSDAP-Parteimitglieder. Am 13.8.1945 befanden sich 13 Kirchzartener Bürger im
Internierungslager in Freiburg in Haft. Es handelte sich dabei vor allem um Amtsträger der ehemaligen NSDAP-Ortsgruppe Kirchzarten, so zum Beispiel den Ortsgruppenleiter‚ seinen Stellvertreter, den HJ-Führer, die Frauenschaftsleiterin u.a. 108). Letztendlich fielen bei der Entnazifizierung nur zwei Kirchzartener Bürger unter die Kategorie "schuldig" 109). Es handelte sich dabei um zwei ehemalige Ortsgruppenleiter. Der eine, ein Postassistent‚ zog jedoch schon im September 1941 von der Gemeinde weg. Er war von 1939 — 1941 Ortsgruppenleiter und galt unter der Bevölkerung als der übelste Ortsgruppenleiter‚ den die Gemeinde hatte. Der andere war ein Gastwirt aus Kirchzarten, der die Ortsgruppe von 1941 bis zum Zusammenbruch leitete. Er zog 1948 von Kirchzarten weg 110).

108) GA IX 1526.
109) Es gab fünf Belastungskategorien:
Kategorie 1 Hauptverantwortliche
Kategorie 2
Schuldige
Kategorie 3
Minderbelastete
Kategorie 4
Mitläufer
Kategorie 5
Unbelastete bezw. vom Gesetz nicht Betroffene.

110)  GA IX 1537.

Bei der Gemeindeverwaltung gab es nur eine Entlassung, die aber später wieder rückgängig gemacht wurde. Von den Lehrern an der Kirchzartener Schule wurde einer vom Dienst suspendiert. Neben den Wahlergebnissen 5 (siehe S. 11) zeigt dies deutlich, daß der Nationalsozialismus in Kirchzarten nicht viel an Boden gewonnen hatte.

Neben der Überprüfung von Personen umfasste die Entnazifizierung aber noch andere Maßnahmen. So mußten in ganz Deutschland kurz nach dem Krieg aufgrund der Initiative der Alliierten alle Straßen, die nach faschistischen Führern benannt waren‚ umbenannt werden. Aufgrund einer entsprechenden Verfügung des Landrates des Kreises Freiburg vom 21.6.1945 meldete das Bürgermeisteramt drei Straßen, die für eine Umbenennung infrage kamen: 111)
1. Die Schlageterstraße‚ die in Sonneckstraße umbenannt werden'sollte‚
2. die Hindenburgstraße, die in Höfenerstraße umgetauft werden sollte und
3. die Bismarckstraße, die Burgerstraße heißen sollte.

Da die Kirchzartener bei den Ziffern 2. und 3. nicht sicher, ob eine Umbenennung nötig wäre, wurde vom Landratsamt in einem Schreiben vom 28.6.1945 empfohlen, sich "nach dem Freiburger Vorgehen zu richten". Dort wurde der Hindenburgplatz in "Holzmarkt" umbenannt, während die Bezeichnung "Bismarckstraße" belassen wurde, "da dieser Namensträger
außer aller zeitlichen oder sonstigen Beziehung zum Naziregime stand". Dieser Empfehlung wurde von Seiten der Gemeinde Kirchzarten entsprochen. Die Hindenburgstraße wurde in "Höfenerstraße"
umbenannt, während die Bismarckstraße zunächst weiterbestand. 1947 wurde in einer Gemeinderatssitzung jedoch beschlossen, die Bismarckstraße in "Burgerstraße" umzubenennen, da sie schon vor dem III. Reich Burger-Weg geheißen hatte und.die Umbenennung von der Bevölkerung ausdrücklich gewünscht wurde.

111) GA XVII 2350. In diesem Faszikel ist der Schriftverkehr zwischen der Gemeinde Kirchzarten und dem Landratsamt bezüglich der Umbenennung von Straßen zu finden.

Sämtliches nationalsozialistisches Schriftgut mußte abgeliefert werden. Dazu gehörten auch "Der Alemanne" sowie alle Schulbücher, soweit sie nationalsozialistisches Schrifttum enthielten. Außerdem mußten alle Bibliotheken gesäubert werden. In Kirchzarten wurde die Säuberung in allen vier Bibliotheken durchgeführt. Es handelte sich dabei um die Volksbibliothek im Schulhaus, die Schulbibliotheken von Kirchzarten und Dietenbach sowie die Borromäus-Bibliothek 112).

112) GA V/3 985

4.. A n l a g e

a) Französische Truppeneinheiten‚ die 1945 in Kirchzarten stationiert waren:
Truppe
von bis Stärke ca. nach
RICM 1. escadron 23.4. 26.4. 150 Wiesental
81. Reg. der Inf. - 2. Batl. (Allaux) 7. Komp. 28.4. 15.5. 150 Todtnau
81. Reg. der Inf. - 2. Batl. 8. Komp. 10.5. 9.7. 150 Colmar
81. Reg. der Inf. - (Batt Min ervois) Ortskommandantur 10.5. 9.7.
Colmar
81. Reg. der Inf. - (Unteroffizierschule) 23.5. 9.7. 130 Colmar
81. Reg. der Inf. - (Rekrutenkompanie) 1.6. 9.7. 160 Colmar
63. Reg. der Artl.d'Afrique - 4. Gruppe (Ortskommandantur)
8.7. 28.9. 160 Ludwigshafen
63. Reg. der Artl. - 12. Battr. 
8.7. 28.7.
Kappel
63. Reg. der Artl. - La Capitain Commandant - Batterie de Servise 
8.7. 28.9.
Ludwigshafen
63. Reg. der Artl. - Bat. Etat Major 
8.7. 28.9.
Ludwigshafen
63. Reg, der Artl. - Bat. Servise (Soldatenheim) 
8.7. 28.9.
Ludwigshafen
Artl. Reg. 4 (7 Batterien)   
3.10. 5.10. 600 Parade Frbg.
57. Inf. Reg. 3. Batl. 
13.10. 19.10.
Freiburg
36. Division der Inf.
26.10. 8.12.
Ebnet
Le Commandant des FTA - 136. Gruppe FTA Battr. 36. Div.  
7.11. 2.3.46 200
35. Gruppe FTA 
8.12. 22.3.46


(aus GA IX 1518)

Veröffentlicht mit der freundlichen Genehmigung des Autors