Freiburg, den 5.6.2005
Sehr geehrter Herr Kiesel;
von ganzem Herzen danke ich Ihnen für die lieben Zeilen. Jeder Moment, jede Stunde im Attental ist gegenwärtig. Meine Familie war beim Angriff auf Freiburg am 24.11.1944 vor meinen Augen getötet worden. Danach habe ich 14 Tage bis zum 10.12.1944 auf der Straße gelebt zwischen Bunker und Keller, ein Zuhause gab es nicht mehr, verwahrlost und vollkommen entwurzelt. Es gab niemand der mich aufnehmen wollte. So bin ich am 10.12.1944 beim Bauer Josef Vogt im Attental gelandet. Ich kannte die Fam. Vogt. Sie behielten mich gleich da. Meine Kindheit war vorbei, nach Kräften musste ich hart arbeiten. Es gäbe viel zu berichten. - Alles habe ich ertragen. Die intakte Familie meiner Eltern und uns zwei Kindern hat mit im überleben viel geholfen. Dankbar bin ich jedem im Attental der ein gutes Wort für mich hatte.
Ihre Frage kann ich leider nicht beantworten, bedenken Sie, ich war erst 12 Jahre alt. Haben Sie Verständnis für meine Lage. Die Sorgen der Erwachsenen waren nicht meine Welt. Ich hatte in all meiner Not andere Sorgen. Ich sollte und mußte mich als Erwachsener benehmen und hatte doch noch die Seele eines Kindes.
Nochmals zu Ihrer Frage: In der Villa waren Kinder die Tbc hatten, so viel ich weiß aus Mannheim. Immer wieder andere, in Abständen.
Lehrer Eigeldinger hat sich dort im Wald mit seiner Frau versteckt gehalten vor Angst, was er sich als Nazi hat zu Schulden kommen lassen. Es gab aber Menschen, die ihm in seiner Not zu essen brachten. Mit seiner Frau hat er sich das Leben genommen. Geächtet wurde er an einer Mauer im Kirchzarten-Friedhof verscharrt. So habe ich es als Kind verstanden. Wer war damals nicht ohne Schuld? Ich bin ein Kriegskind, was bedeutet das schon. Es ist modern geworden darüber zu reden. Wir waren und sind die Verlierer von damals. Kinder die nie gehört wurden, mal hat uns alle mit unseren Schmerzen alleine gelassen. - Mit 12 Jahren den Erwachsenen zu spielen war sehr hart.
Anbei überlasse ich Ihnen eine Original Abschrift meiner Aufzeichnungen an die Badische Zeitung vom 7. 2. 2005. Wieder einmal nicht genau abgedruckt.
Mit Grüßen Gerda Hormes
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Sehr geehrte Frau Hormes,
vielen Dank für Ihren schönen Brief. Ich habe mich sehr darüber gefreut.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Sie diese Erinnerungen noch stark beschäftigen, zumal Sie sicher die Artikelserie im Rahmen der Zeitungs-Aktion gelesen haben und fast vergessenes wieder auftauchte.
Ich selbst wurde erst 1947 geboren, im Schwäbischen, habe nur noch Erinnerungen an die Amerikaner. An Tauschgeschäfte Most gegen Kaugummi. Also nichts schlimmes.
Ihren Brief habe ich beim letzten Treffen des „Heimatkundlichen Arbeitskreises Stegen“, am vergangenen Dienstag, dem Herrn Oskar Steinhart aus Wittental gezeigt. Herr Steinhart war gleich ganz aufgeregt. Er erzählte, dass er zu der Zeit als Sie in Attental waren, 1944, 5 Jahre alt war. Der Bauer Josef Vogt mit ihm verwandt sei, er in dieser Zeit oft mit seiner Oma von Wittental ins Attental gegangen sein.
Herr Steinhart sagt, dass es sehr gut möglich sein kann, dass Sie beiden sich damals getroffen hätten. Er erinnert sich auch an einen zweiten Hund des Bauern mit dem Namen „Mohrle“. Herr Steinhart kannte auch die Tochter des Bauern Vogt, Maria,. Sie starb wohl schon mit 40 Jahren.
Ich habe Herrn Steinhart eine Fotokopie Ihres Briefes gegeben und er bat mich seine Adresse an Sie weiterzugeben, damit sie, wenn Sie mögen, vielleicht noch gemeinsame Erinnerungen entdecken können.
Vielleicht haben Sie ja Lust sich bei ihm zu melden
Frau Hormes, hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Ihren Brief und Ihren Bericht in unsere Sammlung im Internet aufnehmen würde. Es ist doch ein wichtiger Zeitabschnitt der Heimatgeschichte, der nicht vergessen werden darf.
Frau Hormes, hätten Sie Lust mal zu uns nach Wittental zu unserem Treffen zu kommen. Sie erzählen uns und wir hören Ihnen zu.
Ich würde Sie in Freiburg abholen und wieder nach Hause bringen. Was denken Sie darüber?
Wir könnten einen Termin vereinbaren, wann immer es Ihnen recht ist.
Für heute ist es genug.
Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen
KK
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Gerda Hormes
An die Badische Zeitung
Zu Hd. Herrn Bernd Serger
Zum Einmarsch der Franzosen in Freiburg 1945.
Am 27.11.1944 habe ich meine ganze Familie durch den Bombenangriff verloren.
Zu lesen in:“ Zeitzeugen berichten“, Wiederkehr 50. Jahrestag, Promo Verlag 1994.
Bomben auf Freiburg: 60. Jahrestag 2004.
Als die Franzosen einmarschierten hat mich der Bauer, welcher mich am 10.12.1944 als Schweinehirt aufgenommen hat mit 5 Schafen ‚die ich immer hüten musste, ohne jeden Schutz eines Erwachsenen hinauf auf den Berg zwischen Attental und Wittental geschickt. Ich musste höllisch aufpassen, dass mir keines verloren ging. Einen Zaun hatte man damals noch nicht für die Tiere. Im Wald war eine Lichtung und ich konnte weit hinunter ins Dreisamtal sehen. Von da sah ich die Panzer, ich hörte das Donnern der Kanonen. Immer wieder schlugen Granaten ein oder was es war. Das Feuer davon spritzte in die Höhe. Wo Mütter mit Kinder und alten Leuten im Keller oder Bunker Schutz fanden, war der Wald mein Zuhause, die Tiere meine einzigen Begleiter. So ist es, wenn man Waisenkind ist, heimatlos, rechtlos, ohne jeglichen Schutz. Ich wusste zu sehr was mir am 27. 11. 1944 angetan wurde. Ein paar Tage später kamen auf einem Lastwagen ca 4 Franzosensoldaten ins Attental gefahren. Ich war mit Kinder aus Freiburg, die der Bauer aufgenommen hatte, gegenüber über dem Weg vom Bauernhaus im Schopf . Der Hund bellte laut. Es war der Fips, wir hatten ihn alle lieb, weil er das Gehöft wachsam beschützte. Die Franzosen fuhren zum nächsten Hof, kehrten zurück, zwei Soldaten sprangen mit Gewehren vom Auto zu uns Kinder, dort sahen sie die Hasen. Sie wollten stehlen oder plündern. Ich stellte mich ihnen in den Weg. Keiner der Kinder traute sich. Ich riss ihm den Hasen weg. Der Hund bellte entsetzlich, er war an der Kette, also keine Gefahr für die Franzosen. Da nahm der zweite Franzose sein Gewehr voll in Anschlag, richtete es gegen mich und in diesem Moment pfiff die Kugel an meinem rechten Ohr eng vorbei. Der wehrlose Hund war bald darauf tot. Wieder war es ein grausames, sinnloses Töten. Den Hund haben wir dort im Berg, wo ich die Schafe hüten musste, begraben. Die Kinder weinten bitterlich, mir war das Weinen vergangen. Besonders die 16-jährige Tochter des Bauern, Maria, war ein verschlossenes Mädchen hing sehr an dem
Hund. Er war in all ihrer persönlichen Not ihr einziger Freund. Die Franzosen habe ich damals als Zwölfjährige für mich nicht als Befreier empfunden.
Es blieb mir verschlossen noch ein Kind zu sein.
Freiburg, 7. Februar 2005 Gerda Hormes
Neujahr 1943/44 | 2005 |
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Gerda Hormes: “Meine
Kindheit war vorbei”
Die
70-jährige Gerda Hormes erinnert sich an den Angriff auf
Freiburg am 27. November 1944.
Ich konnte nicht begreifen, dass er tot war. Wie nach außen hin still hat sich sein Tod vollzogen. Ich schrie und schrie. Mein Bruder irrte im Keller herum. Ich sagte zu ihm, dass Papa und Mama tot seien, er antwortete “Sie stehen neben mir und sprechen zu mir.” Er muss wohl irre geworden sein. Er ist verbrannt, man fand seinen Körper bei Ausgrabungen im Haus 45. Ich war in den Trümmern eingeschlossen, konnte mich selbst nicht befreien. Das Wasser ergoss sich aus den zertrümmerten Rohren. Ich merkte, dass ich nass wurde. Auf meine Schreie hin kam ein Mann in den Keller.
“Mutters Schreie beim Sterben waren furchtbar. Mein Leben lang haben sie mich begleitet.” Gerda Hormes
Es gelang ihm nicht, mich heraus zu ziehen Er ging wieder weg. Wieder war ich alleine. Bei den Toten. Ich merkte, dass ich mich erbrechen musste. Damit ich mich nicht beschmutzte, grub ich neben mir mit den Händen ein Loch und tat es hinein, deckte den Schutt darüber. Meinem Vater schüttelte ich in Verzweiflung den Kopf, ich betastete seine Haare, seinen Mund und die Augen. Alles war leblos, ohne Kraft. Dann habe ich ihm den Ehering ausgezogen. Ich wusste, dass man das bei Toten so macht. Am 10.
Dezember 1944 machte ich mich auf den Weg zu einem Bauern im
Attental bei Ebnet, um Brot und Milch zu betteln. Er behielt
mich gleich da mit dem Vermerk, dass er einen Sauhirt brauche.
Von da an wurde wieder einigermaßen für mich gesorgt. Dafür
musste ich nach Kräften sehr hart arbeiten. Meine Kindheit war
vorbei.
Badische Zeitung BZ Ticket am Mi, 27. November 2002
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Gerda
Hormes (87 Jahre) aus Freiburg-Littenweiler:
"Meine Kindheit war vorbei"
"Der Abend des 27. November 1944 begann. Meine Eltern betrieben in der Nussmannstraße 6 das Blumengeschäft Hundt-Gutsche. Vater war seit dem 1. September 1939 eingezogen; er war nur für zwei Tage zuhause. Flieger warfen Bomben über die Stadt. Mutter war schon voller Angst in den unteren, tiefen Keller gerannt. Wir – mein 15-jähriger Bruder Karl und ich, 12 Jahre alt – hinterher. Mutter rief laut nach meinem Vater. Mein Bruder stand wie versteinert da. Mutter kauerte am Boden, hob die Hände gefaltet zum Gebet und schrie das Vaterunser zum Himmel. Die Seitenwand stürzte ein und begrub meine Mutter. Sie ist unter den Steinen erstickt. Ihre Schreie beim Sterben waren furchtbar. Mein Leben lang haben sie mich begleitet.
Noch immer habe ich das Entsetzen im Gesicht meines Vaters vor Augen, als er mich von den Trümmern befreien wollte, die mir bis über die Schultern reichten. Er sprach kein Wort. Ein letzter Händedruck. Mit seinem Gesicht fiel er an meine Brust. Noch immer habe ich seine Hände gehalten, mit denen er meine festgehalten hatte, um mich aus den Trümmern zu ziehen. Ich konnte nicht begreifen, dass er tot war. Wie nach außen hin still hat sich sein Tod vollzogen. Ich schrie und schrie. Mein Bruder irrte im Keller herum. Er muss wohl irre geworden sein. Er ist später verbrannt. Ich war in den Trümmern eingeschlossen, konnte mich selbst nicht befreien. Ich war völlig nass durch die zertrümmerten Rohre. Auf meine Schreie hin kam ein Mann in den Keller. Es gelang ihm nicht, mich heraus zu ziehen. Wieder war ich alleine bei den Toten. Meinem Vater schüttelte ich in Verzweiflung den Kopf, betastete seine Haare, seinen Mund und die Augen. Alles war leblos, ohne Kraft.
Wieder kam jemand auf meine Schreie hin. Ein junger Soldat zog mich mit letzter Kraft aus den Trümmern. Ich konnte nicht mehr laufen. Ich fiel über die anderen Toten, die da noch waren. Nur langsam kam das Gefühl in den Beinen wieder. Im Garten des zerstörten Kaffeehauses "Zum Kopf" ließ er mich stehen. Überall lagen Trümmer herum und es regnete Feuer vom Himmel. Ich war grenzenlos allein. Eine Frau warf mir ein nasses Tuch zu und rief voll Entsetzen: "Du fängst ja Feuer!" An diesen Wunden musste ich hinterher noch ein Jahr lang tragen. Der Phosphor hatte mir Brandwunden dritten Grades in die Haut gebrannt.
"Es vergeht kein Tag in meinem Leben ohne ein Gedenken an meine Liebsten."
Ich wollte im Münster Zuflucht finden, aber ich wurde nicht hereingelassen. So ging ich über die Schoferstraße in dieser Nacht in den Bunker. Dort traf ich meine Oma, nur mit einem Nachthemd bekleidet. Sie weinte und lachte. Sie begriff nicht mehr, dass Eltern und Bruder tot seien. Ich bettelte für meine Oma beim Roten Kreuz im Bunker um Brot und Tee. Ich selber konnte nichts essen. Oma verlor ich aus den Augen. Ein Jahr später erfuhr ich, dass sie an den Folgen des Angriffs gestorben ist. Die Nacht wollte nicht enden. Für die nächsten zehn Tage fand ich Unterschlupf bei Bekannten zwischen Bunker, Keller und Straße, war verwahrlost, total verwahrlost. Am 10. Dezember 1944 bin ich für ein Jahr als "Sauhirt" bei einem Bauern im Attental untergekommen. Meine Kindheit war vorbei.
Es vergeht kein Tag in meinem Leben ohne ein Gedenken an meine Liebsten. Zu tief sitzt der Schmerz. Nie, in meinem ganzen Leben, habe ich deshalb gehasst. Meinen guten Weg habe ich nicht verloren. Am Jahrestag gedenken wir aller beim Angriff umgekommenen Menschen und ihrer Schicksale. Krieg – das größte Verbrechen der Menschheit, sinnloses Zerstören von Menschenleben."
Badische Zeitung, Mittwoch 27. November 2002