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Brücke über die Ravenna-Schlucht in der Zahnstangen -Strecke der Höllenthal-Bahn (Baden);
mitgetheilt von Baurath, Prof. Fr. Engesser zu Karlsruhe.
Mit Zeichnungen.


Die in den Jahren 1884-1887 von der Badischen Staatsbahnverwaltung nach dem Entwurfe des inzwischen verstorbenen Baudirektors Gerwig erbaute Höllenthal-Bahn zweigt von der Station Freiburg der Bahnlinie Mannheim-Basel ab, zieht durch das Dreisam-Thal und dessen Seitenthal, das Höllenthal, überschreitet die Wasserscheide von Dreisam und Wutach in einer Höhe von 893,53 m über dem Meere und folgt sodann dem Thale der Wutach (hier Gutach genannt) bis zur Station Neustadt, dem einstweiligen Endziele der Bahn. Die ganze Länge der Bahnlinie beträgt rund 34,9 km, der Höhenunterschied zwischen Freiburg und der Wasserscheide 624,91 m, zwischen Freiburg und Neustadt 536,38 m. Die Bahn ist von Freiburg bis Hirschsprung (18,2 km) und von Hinterzarten bis Neustadt (9,5 km) als Reibungsbahn mit 2 1/2 % stärkster Steigung, von Hirschsprung bis Hinterzarten (7,2 km) als Zahnstangenbahn mit 5 1/2 %, stärkster Steigung angelegt. Der kleinste Halbmesser beträgt bei beiden Bahnarten 240 m.

Während die Reibungs-Strecken in der Hauptsache den Charakter gewöhnlicher Thalbahnen tragen, zeigt die Zahnstangen -Strecke das Bild einer rechten Gebirgsbahn, bei welcher eine große Anzahl bedeutender Bauten nothwendig wurde. Von diesen Bauten verdient die 222 m lange Brücke über die Ravenna-Schlucht ein besonderes Interesse, sowohl ihrer Größe wie ihrer baulichen Eigenthümlichkeiten wegen, welche durch Hinüberführen des Zahnstangen-Oberbaues über die Brücke bedingt wurden.

Beschreibung der Brücke.

Die Bahn überschreitet die Ravenna-Schlucht in 37 m Höhe über der Sohle des Baches; sie liegt in 5% Steigung und am unteren Widerlager, sowie in einem Theile der ersten Oeffnung in der Geraden, im Uebrigen im Bogen von 240 m Halbmesser. Die Brücke hat 4 Oeffnungen von je 35 m mittlerer Stützweite, welche durch eiserne Träger überdeckt sind, und Pfeiler von 27 m, 30,5 m, 27,5 m Höhe über dem Boden. Die Höhe des unteren Widerlagers, in der Stirnfläche gemessen, beträgt 15 m, die des oberen 10 m über Boden
(Fig. 1 u. 2, Bl. 27).

Pfeiler und Widerlager.

Die Pfeiler sind radial gestellt und haben rechteckigen Querschnitt (Fig. 3 und 4, Bl.27). Die Abmessungen sind am Pfeilerkopfe 2,6 m X 5,5 m, am 24 m tieferen Sockelgurte 4,2 m X 7,1 m. Die ganze Pfeilerhöhe beträgt 34,4 m bezw. 35,6 m und 32,8 m, von Fundamentsohle bis Oberkante. Zur besseren Druckvertheilung sind in den Pfeilerschäften auf je 3 m Höhe durchgehende Quaderschichten von 0,65 m Höhe angeordnet.

Der ganze Bau steht auf zerklüftetem Gneisfelsen, mit Ausnahme des 2. Pfeilers, welcher auf dicht gelagertem Gerölle, 2 m unter Bachsohle gegründet ist.

Die an die Widerlager anschließenden Stützmauern, sowie das Fundament-Mauerwerk der beiden ersten Pfeiler.sind aus Gneis und Granit in cyklopischem Verbande ausgeführt. Das Schichten- und Quadermauerwerk der Widerlager und Pfeiler ist aus rothem
Buntsandstein aus den Brüchen von Lahr und Kenzingen hergestellt, mit Ausnahme der 3 obersten Pfeilerschichten und der Auflagerquader der Widerlager, welche aus hellgrauem Granit von Schluchsee bestehen, und mit Ausnahme des größten Theiles des Füllmauerwerkes der Pfeiler, zu welchem Buntsandstein von Röthenbach und Oberbränd verwendet werden konnte.

Nach den Untersuchungen des mechan.-techn. Laboratoriums zu München zeigte das Steinmaterial folgende Eigenschaften:
Sandstein von Lahr: spec. Gewicht 2,2; Druckfestigkeit I Lagerfläche
703 at

   "                     =          "       
636 at
Sandstein von Kenzingen: spec: Gewicht 2,26; 
Druckfestigkeit I Lagerfläche
615 at

   "                      =         "
651 at
Granit von Schluchsee: spec. Gewicht 2,6; 
 Druckfestigkeit   =        
1432 at

Um Verschiebungen des Steinbaues unter Einwirkung des Eisenwerkes zu verhüten, sind jeweils die oberen Quaderschichten durch Eisentheile fest mit einander verbunden und außerdem die Auflagerquader des oberen Widerlagers durch Flacheisen rückwärts
verankert (Fig. 6, Bl. 27).

Der Eisenbau besteht aus frei aufliegenden Parallelträgern doppelten Fachwerksystems, mit oben liegender Fahrbahnkonstruktion. Auf den Widerlagern und dem 2. Pfeiler sind feste Lager, auf dem 1. und 3. Pfeiler Rollenlager angeordnet.

Die Hauptträger haben 4,03 m Höhe innerhalb der Gurtplatten und sind von Mitte zu Mitte 3,5 m entfernt (Fig. I, Bl.28). Die Länge der äußeren Träger ist mit Rücksicht auf die Radialstellung der Pfeiler etwas größer als die der inneren Träger, und zwar beträgt der Unterschied in der 1. Oeffnung 0,398 m, in den übrigen Oeffnungen 0,51 m. Die mittlere Trägerlänge ist in allen 4 Oeffinungen gleich 35,5 m (Fig. 2, Bl. 27).

Die Ständer des Fachwerkes sind des Aussehens wegen vollkommen senkrecht gestellt und nehmen die ebenfalls senkrecht stehenden Querträger auf, welche die polygonal, von Querträger zu Querträger gerade angeordneten Schienenträger durch Vermittelung keilförmiger (1:20) Unterlagsplatten tragen (Fig. 2, 8 und 9, Bl. 28).

Der äußere Schienenträger ist zur Herstellung der Schienenüberhöhung um 18 mm höher ausgeführt als der innere (Fig. 1, Bl. 28).

Die Schienenträger werden durch die, rechtwinklig zur Bahnrichtung (Neigung 1:20) angeordneten Zahnstangen -Querträger verbunden, auf welchen der nach der Bahnachse gekrümmte Zahnstangenträger befestigt ist (Fig. 7, Bl. 27; Fig. 1, 3 u. 10, Bl. 28).

Das Windkreuznetz liegt in der Ebene der Querträgeroberkanten und ist sowohl mit den oberen Gurtungen der Hauptträger, wie mit den Querträgern und Schienenträgern verbunden, so dass eine vollkommen steife Fahrbahnebene gebildet wird (Fig. 1, 3 und 8, Bl. 28).

Die Schienen ruhen durch Vermittelung keilförmiger, die Schienenneigung herstellender Plättchen auf den Schienenträgern und sind mit dem gewöhnlichen Kleineisenzeuge (nach Roth & Schüler) auf denselben befestigt. An den beweglichen Brücken-Enden sind zur Ueberbrückung der daselbst entstehenden größeren Temperatur-Zwischenräume überhöhte Laschen für die Schienenverbindung verwendet (Fig. 12, Bl. 27).

Bei der Zahnstange müssen, der gleichen Zahntheilung wegen, größere Temperatur -Spielräume vermieden werden. Es ist zu diesem Zwecke die Zahnstange jeweils nur an den festen Brücken-Enden fest mit dem Zahnstangenträger verbunden, im Uebrigen mittels federnder Klemmplättchen verschieblich aufgelagert. Die Temperatur-Ausdehnung findet hierbei ähnlich wie auf der freien Strecke statt; jedes einzelne Zahnstangenstück (3 m lang) dehnt sich für sich aus, unter Benutzung der gewöhnlichen Spielräume, während der Zahnstangenträger, welcher an der Bewegung der Hauptträger theilnimmt, darunter hingleitet. Der Bahnkrümmung wegen findet diese gegenseitige Verschiebung von Zahnstange und Zahnstangenträger nicht nur in der Längsrichtung, sondern auch in der Querrichtung statt, so dass die Bolzenlöcher in der Zahnstange nach beiden Richtungen hin erweitert werden mussten; die Erweiterung beträgt in der Längsrichtung 33 mm, in der Querrichtung 2 mm (Fig. 11, Bl. 27).

Da nach Vorstehendem die Zahnstange nur an den festen Brücken-Enden mit dem Zahnstangenträger fest verbunden ist (u. zw. auf 1 Feldlänge = 3,922 m), so muss der auf die Zähne durch die Fahrzeuge ausgeübte Druck in der Zahnstange selbst bis zu diesen Festpunkten fortgeleitet werden. Hierbei nimmt die Zahnstange eine derartige Lage ein, dass ihre einzelnen Stücke (3 m lang) sich in dem, dem unteren Festpunkte benachbarten Theile vollständig berühren, während sie im oberen Theile um das stärkste Maß der Spielräume von einander entfernt sind. Das Längenverhältnis beider Theile ist je nach der herrschenden Temperatur verschieden. Die Kraft der Fahrzeuge wird nun im unteren Zahnstangentheile als Druck auf den unteren Festpunkt, im oberen Theile als Zug durch Vermittelung von Laschen auf den oberen Festpunkt fortgeleitet. Außer den gewöhnlichen
Laschen seitlich der Zargen sind zur Sicherheit noch besondere Laschen an der unteren Seite der Zargen von 20 mm Stärke angebracht; dementsprechend mussten zwischen Zahnstange und Zahnstangenträger durchgehends 20 mm starke Gleitplatten eingeschaltet werden (Fig. 8, 9 u. 11, Bl. 27).





Die von der Zahnstange an den festen Verbindungsstellen auf den Zahnstangenträger ausgeübte Kraft wird mittels 3 Paar schräger Flacheisen auf die Schienenträger übergeführt; letztere geben die Kraft durch Vermittelung der mit ihnen vernieteten Windkreuze an die Hauptträger und sodann an den Steinbau ab (Fig. 10, Bl. 28).

Das Holzgedeck wird innerhalb der Schienen durch die Zahnstangen-Querträger, außerhalb derselben durch besondere Gedeckträger, welche an den Schienenträgern und Hauptträgern befestigt sind, getragen (Fig. 1, Bl. 28).

Das Geländer ist auf den Gedeckträgern befestigt und parallel den Hauptträgern angeordnet, so dass in Folge der Bahnkrümmung der für das Ausweichen der Mannschaft erforderliche Raum theils auf der Außenseite (über den Pfeilern) theils auf der Innenseite (in Brückenmitte) geboten wird (Fig. 1 und 3, Bl. 28)

An den festen Lagern ruhen die Hauptträger auf Unterlagsplatten, an den verschieblichen auf je 4 Rollen, ohne Vermittelung von Kippbolzen, — eine Anordnung, welche auch an den Brücken der Gotthard-Bahn zur Verwendung gelangte und hier, wo es sich nur um eine Nebenbabn handelt, um so mehr für ausreichend erachtet werden durfte. Zur Sicherung gegen seitliche Schwankungen und zur seitlichen Führung der Brücke bei Längsbewegungen wurden besondere Anordnungen getroffen. An den Rückmauern der Widerlager sind in der Höhe der oberen Haupträgergurtungen wagerechte Konsolen angeschraubt, welche die Gurtungen seitlich vollkommen fest halten; auf den Pfeilern sind besondere Führungsständer angebracht, welche die Endständer der Hauptträger in 1,2 m Höhe seitlich fassen, bezw. führen (Fig. 4 u. 5, Bl. 28).

Bei der Berechnung der Brücke wurde als Belastung eine Reihe schwerster Hauptbahn-Lokomotiven vorausgesetzt, damit später, nach erfolgter Durchführung der Bahn bis Donaueschingen und Anschluss an die Bahnstrecke Offenburg-Donaueschingen-Konstanz, auch Lokomotiven der Hauptbahn anstandslos über die Brücke geführt werden können. Die zugehörigen Spannungszahlen durften hierbei, mit Rücksicht auf das nur ausnahmsweise Auftreten solcher großer Lasten, bis zu 25 %, höher als bei Hauptbahnen angenommen werden. Thatsächlich erreichen die Spannungen bei stärkster Belastung nur folgende Beträge: 750 at bei den Gurtungen, 700 at bei den Wandstäben der Hauptträger, 660 at bei den Fahrbahnträgern, u. zw. unter Anwendung der üblichen Berechnungsweise, ohne Berücksichtigung der Nebenspannungen und des Einflusses des Windes. Die Gleismittellinie wurde derart gelegt, dass die stärksten Auflagerdrücke in allen 4 Lagern gleich groß werden; es konnten dann die Wandstäbe in beiden Trägern ohne wesentlichen Mehraufwand gleich stark ausgeführt werden, während dem Unterschiede in den Gurtquerschnitten beider Träger durch verschiedene Stärke der Kopfplatten Rücksicht getragen wurde (beim äußeren Träger d = 12 mm, beim inneren d = 9 mm) (Fig. 1, Bl. 28).

Ausführung.

Mit Herstellung des Steinbaues wurde im Sept. 1884 begonnen, und im Laufe des Jahres (bis 13. Nov.) wurden noch das Fundament und ein Theil des Sockels der Pfeiler (800 cbm Mauerwerk) ausgeführt, sowie die Baugruben der Widerlager theilweise ausgegraben. Mitte Febr. 1885 nahm man die Grabarbeiten, am 25. März die Mauerarbeiten wieder auf; es wurden dann am 1. Juli der erste (untere), am 1. Aug. der zweite Pfeiler und das untere Widerlager, Ende Sept. der 3. Pfeiler und das obere Widerlager, Ende Okt. die Stützmauern vollendet. Durchschnittlich waren 105 Maurer, Steinhauer und Grabarbeiter auf der Baustelle beschäftigt.

Die Auflieferung des Eisenwerkes an der Baustelle begann im Juli 1835, die Aufstellung der ersten (unteren) Oeffnung am 1. August. Als Aufstellungsgerüst benutzte man das entsprechend hergestellte Arbeitsgerüst des Steinbaues, wofür dem Uebernehmer des letzteren 17 000 M vergütet wurden. Am 1. Sept. waren die beiden unteren Oeffnungen, die 4. und 3. im Laufe der Monate Sept. und Okt. aufgestellt. Vollständig fertig gestellt war das Eisenwerk Ende Nov. Beim Aufstellen waren im Durchschnitt täglich 44 Arbeiter beschäftigt. Die Brücke erhielt außer dem Grundanstriche noch zwei weitere Anstriche im Mai 1886. Der letzte derselben ist braunroth und hebt sich in wirkungsvoller Weise von dem tannengrünen Hintergrunde ab.


Baukosten und Gewichte.

Die Herstellung des Steinbaues hatte das Geschäftshaus Eisenhofer & Rödder mit 1%, Abgebot gegenüber dem Kostenvoranschlage übernommen. Die Ueberschlagspreise betrugen:

Für Ausbub und Förderung von 1cbm Geröll und Bauschutt

Mark
1,50
für Lösen und Fördern von 1cbm Gneisfels
2,50
für 1 cbm gewöhnliches Mauerwerk (Rauhmauerwerk) aus Gneis mit Trafsmörtel, in cyklopischem Verbande, bei den Fundamenten
16
bei den Stützmauern 17
für 1 cbm Schichtenmauerwerk, im Sockel
32
im Schaft, je nach der Förderhöhe... ;
35-38
Aufbesserung für 1 qm Sichtfläche des Mauerwerkes in cyklopischem Verband
3,50
Aufbesserung für 1 qm Sichtfläche des Schichtenmauerwerkes 7
für 1 cbm Granitquader, je nach der Bearbeitung.
105-120
für 1 cbm Sandsteinquader
73-90
für 1am Fugenverstrich
0,8
Der Kubikinhalt des Mauerwerkes beträgt im Ganzen 6258 cbm, wovon 3159 cbm Rauhmauerwerk, 2469 cbm Schichtenmauerwerk, 630 cbm Quader

Die Herstellung des Eisenwerkes war zu 40.M für 100 kg fertig aufgestellte Brücke (Schmiedeisen, Gusseisen, Stahl zusammengenommen) veranschlagt. Das Geschäftshaus „Eisenwerk Kaiserslautern“ übernahm die Ausführung mit
7,6 %, Abgebot.

Das Gewicht des Eisenwerkes beträgt:

für die Tragkonstruktion
248 087 kg
für Auflagerkonstruktion
5653 kg,
für Führungskonstruktion
2567 kg
zusaınmen    
256 307 kg,
Auf 1 m Brückenlänge entfällt von der Tragkonstruktion ein Betrag g= 248 087/4.35,5=1747 kg

Die Baukosten belaufen sich: 


für den Steinbau, einschl. aller Nebenarbeiten,
232 680 M
für das Eisenwerk, ausschl. Schienen und Zahnstange
96 000 M
für das Holzgedeck
2 750 M
zusaınmen   
331 430 M
Die Kosten für Schienen und Zahnstange auf der Brücke betragen
7 440 M

Baubeamte

Der Entwurf für das Bauwerk wurde unter Baudirektor Gerwig durch den Verfasser aufgestellt und unter Mitwirkung von Ingenieur Hauger im Einzelnen ausgearbeitet. Die Bauleitung wurde unter Bahnbauinspektor Hof durch Ingenieur Tegeler besorgt. Die Oberleitung des gesammmten Bahnbaues lag nach dem Tode von Baudirektor Gerwig in den Händen von Baudirektor von Würthenau.