Aus:
Heimat am Oberrhein
Eine Sammlung heimat- und zeitgeschichtlicher Lesestücke
von Hans Mecking und Josef Weber
Verlag Herder Freiburg 1961
Zum Gebrauch von Volks- und Mittelschulen
Das schönste Breisgauer Schloß
Hohe Pappeln überragen das Ebneter Schloß. Der Eschbach fließt an
seiner Mauer vorbei. Die Dreisam plätschert vorüber. An der
Längsmauer braust der Höllentalverkehr entlang. Doch ist innerhalb
der hohen Mauer eine Welt für sich, eine friedliche Welt wie aus
alten Zeiten. Groß ist der Schloßpark. Groß ist auch das Schloß
selbst. Durch ein schönes Tor gelangt man in den äußeren
Schloßhof. Ein Pavillon behütet das Tor. Der Basler Architekt
Johann Jakob Fechter hat den Plan entworfen. Während der
Bauarbeiten hat man den Freiburger Baumeister und Künstler Johann
Christian Wenzinger herangezogen. Er hat die schöne Gartenfassade
errichten lassen. Von ihm stammen auch die herrlichen
Sandsteinfiguren im Garten. Sie stellen die vier Jahreszeiten dar.
Es war ein Glück, daß Wenzinger mitarbeiten durfte. Nach seinen
Plänen wurde das schönste Treppenhaus, das die Breisgauer
Schlösser haben, gebaut. Und zu allem hin hat der Kunstmaler
Benedikt Gambs, der sonst in großen Kirchen schöne Deckengemälde
gemalt hat, auch hier im Schloß von Ebnet solche geschaffen.
So hat der Freiherr Johann Ferdinand von Sickingen um 1750 das
schönste Schloß des Breisgaus erhalten.
Schon im Jahre 1111 bestand das Dorf Ebnet. Es gehörte der
adeligen Familie der Schnewlin von Landeck. Die einzige Erbin,
Anna von Landeck, heiratete im Jahre 1568 den Freiherrn von
Sickingen. So kam Ebnet an die Sickinger. Mit Ebnet waren
verbunden halb Littenweiler, Breitnau und die Burg Wiesneck. Der
Erbauer des heutigen Schlosses hatte auch in der Salzstraße in
Freiburg ein schönes Haus. Den Sommer aber verbrachte er in seinem
Ebneter Schloß. Heute ist die Freiherrnfamilie von Gayling
Besitzer des Schlosses. Die alte Talvogtei im Dreisamtal
Neben der Höllentalbahn liegt vor der Einfahrt zum Bahnhof
Kirchzarten ein großes Haus, das gar nicht zu den andern Häusern
des Ortes paßt. Man sieht dem Haus sein hohes Alter an. Es ist
eine große, hufeisenförmig angelegte Burg. Der Bahnlinie zu kehrt
der Bau seine große Längswand mit nur wenigen Fenstern. An der
kürzeren Westseite waren früher überhaupt keine Fenster, sondern
nur Schießscharten in vier Stockwerken übereinander. Dagegen zeigt
die Dorfseite des Hauses lange Fensterreihen. In der Ecke zwischen
dem Längsflügel und dem östlichen Seitenflügel steht der
Treppenturm. Er ist nach außen achtseitig und hat schräg
aufsteigende Doppelfenster. Innen ist er rund. Über der
Eingangstüre ist ein Wappen von Freiburg und Österreich mit der
Zahl 1621. Eine Wendeltreppe führt in die oberen Stockwerke.
Wie kommt diese kleine „Veste“ nach Kirchzarten? Was hat uns das
Wappen mit der Jahreszahl zu sagen?
Um das Jahr 1492 besaß die Stadt Freiburg viele Güter im
Dreisamtal, nämlich in Zarten, in Kirchzarten, in Wagensteig, St.
Märgen und Himmelreich und dazu das Gut Birkenreute. Inmitten
dieser Güter wurde eine Wasserburg gebaut. Dahinter fühlte sich
der Talvogt wohlgeborgen. Er mußte im Namen der Stadt Freiburg
Gericht halten. Er erhob auch von den Bauern, die Untertanen der
Stadt Freiburg waren, den Zehnten.
Im Bauernkrieg von 1525 wurde das Wasserschloß zerstört. Nach
jenem Krieg wurde es wieder aufgebaut. Der Wassengraben wurde
zugeschüttet.
Bis zum Jahre 1806 wohnte der Freiburger Talvogt in der
„Talvogtei“. In diesem Jahre wurden die Freiburger Besitzungen
unter die Gemeinden des Dreisamtales verteilt. Allein das Gut
Birkenreute verblieb noch der Stadt.
Was ist „Tarodunum“?
Fast nicht zu glauben ist es, und doch ist es so: vor sechstausend
oder achttausend oder gar schon zehntausend Jahren lebten Menschen
im Dreisamtal. Ihre einfachen Hütten standen an der Dreisam bei
Ebnet, Littenweiler und Zarten. Hier fand man an einigen Stellen
kleine Werkzeuge und Hausgeräte, die sie aus Stein
zurechtschlugen. Es war die mittlere Steinzeit, als diese
Talbewohner in der Dreisam fischten und in den nahen Waldtälern
jagten. Die Funde von steinernen Pfeilspitzen auf dem Stübenwasen
und bei Breitnau sagen uns, daß sie ihre Jagdgänge bis auf die
Schwarzwaldhöhen ausdehnten.
Darauf mag es Jahrtausende still gewesen sein im Dreisamtal. Wir
besitzen erst wieder ein Zeugnis von Menschen, die vor und kurz
nach Christus gelebt haben. In der Rheinebene, am Kaiserstuhl, am
Tuniberg und im Elsaß legten die Kelten ihre Äcker an, trieben
Jagd und Fischfang und benutzten Waffen und Geräte aus Eisen. Sie
wurden öfters durch Volksstämme bedroht, die aus andern Teilen
Europas in die Rheinebene zogen. Das veranlaßte sie, Fliehburgen
anzulegen. So fanden sie auch den Weg ins Dreisamtal. Das Dreieck
zwischen dem Rotbach, dem Wagensteigbach und der heutigen
Landstraße von Station Himmelreich nach Buchenbach schien hierfür
günstig zu sein. Nach zwei Seiten hin fällt das Gelände um mehrere
Meter steil zu den Flußauen hin ab, und auch nach Westen schiebt
sich eine Böschung bis zum Zusammenfluß des Rotbaches und des
Wagensteigbaches vor. So bot sich dieser Teil des Dreisamtals zur
Anlage einer Fliehburg geradezu an. Allein am Ostrand mußten sie
noch einen künstlichen Wall errichten. Aber auch die Steilränder
wurden durch Mauern verstärkt. Noch heute ist diese Verfestigung
des Burgringes an einigen Stellen als erhöhter Geländestreifen zu
erkennen, so längs des Rotbachdammes südlich der Höllentalstraße
von der Bahnschranke beim „Brand“, am Schulhaus von Burg vorbei
bis zum Rainhof und am Wagensteigbach beim Pfisterhof. Beim
Birkenhof liegen die zu einer Mauer aufeinandergeschichteten
Bachwacken stellenweise noch bloß. Östlich des Rainhofes zieht
sich von der Straße aus eine wallartige Erhöhung über die
Bahnlinie hinweg. Es ist der Rest des befestigten Ostrandes der
alten Keltenburg. Die Gesamtlänge des Ringes der Burg betrug sechs
Kilometer. Der Name „Burg“ für die heutige Gemarkung besteht also
zu Recht.
Der Gebirgswall umrahmte wie damals den Platz des alten Tarodunum:
im Norden der Flaunserrücken, der Lindenberg, dahinter der Kandel,
im Osten der Otten und die Nessellache, im Süden der
Hinterwaldkopf mit dem Rotheck, der Hochfahrn und das Rappeneck.
Die Kelten hatten den Bergen und Bächen eigene Namen gegeben, so
Kandel, Belchen, Rhein, Glotter, Elz, Dreisam, die heute noch
bestehen. Auch der Name „Tarodunum“ ist in den Ortsnamen „Zarten,
Kirchzarten und Hinterzarten“ erhalten.
Das Oberrieder Kreuz
Wo sich Brugga- und Zastlertal vereinigen, liegt das Dorf
Oberried. Seine Pfarrkirche gehörte einst zu dem Kloster der
Wilhelmiten. Über dem Portal steht die Jahreszahl 1687. Es zeigt
das Jahr der Instandsetzung an; denn über 200 Jahre stand das
Kloster verwaist, und die Mauern waren eingefallen. Im Chor der
Kirche steht ein Hochaltar mit Figuren aus der Künstlerhand des
Breisgauer Meisters Johann Christian Wenzinger. An der Nordwand
der Kirche hängt ein altes Kruzifix. Sein Alter wird auf rund 500
Jahre geschätzt. Der überlebensgroße Leib des Gekreuzigten scheint
nicht aus Holz geschnitzt zu sein. Er gleicht in seiner blaßgrünen
Färbung und den blauen, hervortretenden Adern einem wirklichen
Leichnam. Die Haupt- und Barthaare sind aus echtem Menschenhaar.
Von diesen erzählen sich die Menschen des Tales, daß sie aus
dieser Holzgestalt gewachsen seien. Auch das Lendentuch ist aus
altem, verblichenem weißgrauem Leinen. Eine seidene Schürze
überdeckt es.
Weil dieser Kruzifixus durch seine naturgetreue Ausführung ein
solch erschreckendes Bild seines Leidens abgibt, hat sich um ihn
eine Legende gewoben, die die Herkunft dieses Kreuzes aufzeigen
soll.
Vor etwa 500 Jahren holten drüben am Rheinufer ein Knecht und eine
Magd auf einem Wagen Futter. Plötzlich sahen sie auf dem Rhein
einen eigentümlichen Gegenstand herabschwimmen, der allmählich ans
Ufer trieb. Sie gewahrten alsbald ein Kreuz von sonderbarem
Aussehen. Der lebensgroße Körper des Heilandes sah wie eine Leiche
aus, die im Wasser gelegen hatte. Die beiden zogen das Kreuz aus
dem Rhein und banden es ihrer Kuh auf den Rücken. Damit gingen sie
in das nächste Dorf, um den Dorfpfarrer zu fragen, was zu tun sei.
Doch dort brachten sie die Kuh gar nicht zum Stillstehen. Der
Pfarrer gab ihnen den Rat, sie sollten das Tier laufen lassen,
wohin es wolle. Die Kuh zog mit ihrer sonderbaren Last durch
Freiburg ins Dreisamtal nach Oberried. Vor dem Kloster machte sie
halt. Darin sahen die Menschen eine Fügung Gottes und brachten das
Kreuz in die Kirche. Von arm und reich, von hoch und niedrig wird
dieses Kreuz seitdem verehrt.
Die wilde Schneeburg
Hoch über dem Tal der Brugga liegen am westlichen Abhange des 1261
Meter hohen Hochfahrns die Trümmer der wilden Schneeburg. Die
Schnewlin, ein Freiburger Rittergeschlecht, haben hier in dieser
wilden Gegend für ihre Vögte und Lehensleute diese Trutzburg
errichten lassen. Sie hat also nichts mit Schnee zu tun, sondern
sie hat den Namen von ihren Erbauern. Wild wird sie genannt, weil
sie in einer felsigen und unwegsamen Gegend steht. Auch wird sie
so genannt zum Unterschied von der anderen Schneeburg auf dem
Schönberg.
Durch die wilde Schneeburg beherrschten die Ritter Kolmann,
Verwandte der Schnewlin, das Oberrieder Tal und den Weg nach
Todtnau. Sie lebten in dauernder Fehde mit den Freiburgern, denen
sie Schaden zufügten, wo immer sie konnten. Die Kolmann lauerten
den Kaufleuten auf, überfielen sie, beschlagnahmten die Waren und
setzten die Kaufleute im Turm ihrer Zwingburg gefangen. Auch die
Mönche von St. Wilhelm sollen viel zu leiden gehabt haben. Diese
griffen daher zu einer List und ließen ihren Pferden die Hufeisen
verkehrt aufnageln. So täuschten sie die Raubritter über ihren Weg
und ihr Reiseziel.
Eines Tages gelang es den Freiburgern, Heinrich Kolmann gefangen
zusetzen und ihn im Turm hinter Schloß und Riegel zu bringen. Der
andere Bruder, Wilhelm, ergriff danach zwei Freiburger Kaufleute
und warf sie in den Turm seiner Trutzburg. In einem Vergleich vor
Gericht beschworen dann die Ritter Kolmann mit einem feierlichen
Eid, in Zukunft der Stadt Freiburg keinen Schaden mehr zuzufügen
und Urfehde zu halten. Kaum war Heinrich freigelassen, so wurde
Wilhelm eidbrüchig, begann seine Raubtaten aufs neue und schädigte
die Stadt auf alle Weise.
Da riß den Freiburgern die Geduld. Mit ihren Verbündeten zogen sie
vor die Burg und nahmen sie nach kurzer Zeit ein. Der letzte
Schneeburger soll, so berichtet die Sage, durch den Verrat seiner
Dienerin den Tod gefunden haben. Durch ein Zeichen tat sie kund,
daß ihr Herr beim Mahle sitze. Die Freiburger schossen nun durch
das bezeichnete Fenster, trafen den Ritter zu Tode und zerstörten
die Burg.
In den folgenden Jahren zogen die Freiburger gegen andere
Raubritternester zu Felde und brachen die Burgen Scharfenstein im
Obermünstertal und Falkenstein im Höllental. Danach hatte Freiburg
Ruhe. Die Mönche von St. Wilhelm
An der Straße, die von Oberried zum Notschrei führt, zweigt an der
Hohen Brücke ein Sträßlein in das St.Wilhelmer-Tal ab. Es ist ein
einsames Schwarzwaldtal. Heute reihen sich doch einige Höfe der
Straße und dem Bach entlang. Vor siebenhundert Jahren aber betrat
außer einem Jäger kaum ein Mensch das Tal.
Und doch suchten in den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts
fromme Klosterfrauen aus dem Frauenkloster Günterstal bei Freiburg
ein Plätzchen, auf dem sie ein Klösterlein erbauen könnten. Sie
führten ihr Vorhaben auch aus und blieben einige Jahre im stillen
Tal. Aber die Sommer waren kurz, dafür die Winter um so länger und
strenger. Die Nonnen kehrten deshalb wieder in das mildere
Günterstal zurück.
Fromme Männer zogen in das verlassene Kloster ein. Es waren Mönche
aus dem Orden der Wilhelmiten. Sie ertrugen die Unbilden des
Schwarzwaldwinters besser als die Nonnen, vergrößerten das Kloster
und bauten eine Kirche. Einige hundert Jahre lebten
Wilhelmitermönche im Tal. Durch sie kam das Tal zu seinem heutigen
Namen. Auch der Name Meierhof, den heute noch ein Hof trägt,
erinnert an das Wirken
der Mönche.
Schließlich siedelten sie nach Oberried über und errichteten dort
ein neues Kloster. Im St.Wilhelmer-Tal aber verfielen Kloster und
Kirche.
Im Höllental stehen die Trümmer der Burg Falkenstein
Hingeschmiegt an die schroffe Felswand des Höllentales liegen die
etwa 40 Häuser des Ortes Falkensteig. Wenige Schritte von der
Bundesstraße 31 entfernt, die durch den Ort zieht, fließt mit
geschwätziger Eile der Rotbach, auch Höllenbach genannt. Über dem
Bach drüben verläuft an den südlichen Berghängen der Jägerpfad.
Dieser Fußpfad gewährt den naturliebenden Menschen ein
ungefährdetes Wandern durch das Höllental.
Über dem Ort erhebt sich auf halber Höhe das efeuumwucherte
Ruinengemäuer eines Wartturms, Bubenstein genannt. Hier hausten
die Waffenknechte der Falkensteiner. Von diesem Turm konnte man
den engen Weg ins Tal leichter übersehen. Kurz vor dem
Hirschsprungfelsen, fast an der engsten Stelle der Schlucht,
steigt die nördliche Felswand steil empor. Auf der Höhe stehen,
von der Straße kaum erkennbar, die Trümmer der Burg Falkenstein.
Die Herren dieser Burg waren ursprünglich Lehensleute der Herzöge
von Zähringen. Neben einem ansehnlichen Eigenbesitz, vornehmlich
in der Gegend von Kirchzarten, hatten die Ritter von Falkenstein
das Gebiet zwischen Breitnau-Hinterstraß-Hinterzarten und
Kirchzarten zu Lehen. Um die Mitte des zwölften Jahrhunderts hören
wir zum erstenmal von einem Ritter Cuono de Falkenstein.
Trotzig stand die Burg auf steiler Höhe, mit ihren engen Fenstern
und hohen Hohlziegeldächern gleichsam wie mit dem Felsen
verwachsen. Als Wappenzeichen wählten sich die Falkensteiner einen
zwischen zwei roten Regenbogen auf grünem Dreiberg schwebenden
Falken.
Über den Falken im Wappen berichtet die Sage:
Ritter Kuno war in seiner Ehe mit der Edelfrau Ida ohne Kinder
geblieben. So beschloß er, an einem Kreuzzug teilzunehmen und am
Heiligen Grabe für die Erhörung seines Wunsches nach Kindern zu
beten.
Beim Abschied hinterließ er seiner Gemahlin die Hälfte seines
Ringes. Sieben Jahre sollte sie auf seine Rückkehr warten, dann
aber frei sein. Durch viele Schlachten wurde bald im Gelobten
Lande das Schwert des Falkensteiners berühmt. Zuletzt aber geriet
er doch in die Hände des Sultans und schmachtete jahrelang im
tiefen Kerker. Endlich wurde er befreit und trat seine Heimreise
an. Unterwegs aber verirrte er sich in den unermeßlichen Wäldern.
Da trat der Versucher an ihn heran und versprach, ihn bis zum
kommenden Morgen in seine Heimat zu bringen; denn die Wartezeit
liefe morgen ab. Kuno willigte unter einer Bedingung ein, daß
seine Seele ungefährdet bleibe, wenn er wachend die Fahrt
überstehe. Sofort verwandelte Satan sich in einen Löwen, den der
Ritter bestieg. Tief unter sich ließen sie Länder und Meere
zurück. Aber trotz aller Anstrengung, sich wach zu halten, fielen
dem erschöpften Ritter immer wieder die Augen zu. Da flog
unversehens ein Falke herbei, setzte sich auf das Haupt des
Ritters und hielt den Schlaftrunkenen mit seinem Schnabel und dem
Schwunge seiner Flügel wach. In Kirchzarten setzte ihn der Böse
auf einem Steine ab, der heute in der Ecke des Gasthauses
„Fortuna“ — damals „Zum Rindsfuß“ genannt — eingemauert sein soll.
Frau Ida hatte getreulich sieben Jahre gewartet. Schließlich gab
sie dem Drängen ihrer Freier nach und erwählte einen unter ihnen.
Gerade kam der Brautzug aus der Kirche, und Kuno mischte sich
unter die Gäste und folgte zur Burg. Er nahm teil an dem
festlichen Mahle und trank auch der Braut zu. Nachher ließ er den
Becher zurückreichen, in den er die Hälfte des Ringes warf. Seine
Gemahlin Ida erkannte die Hälfte und ließ die andere Hälfte in den
Becher fallen. Beide Teile vereinigten sich geheimnisvoll. Jetzt
erkannte sie ihren Gemahl und bat ihn um Verzeihung. Der Freier
und die Hochzeitsgäste aber zogen eilends davon. Seit dieser Zeit
führen die Falkensteiner den Falken mit den geschwungenen Flügeln
im Wappen. Ihre Ehe aber ward mit Kindern gesegnet.
Die späteren Nachkommen waren schlimme Raubritter. Kein Kaufmann,
kein Bauer oder frommer Pilger zog ungefährdet diese Straße. Sie
wurden ihrer Habe beraubt und die Kaufleute in ihrem Turm gefangen
gehalten. Endlich wurden sie vom kaiserlichen Gericht in Rottweil
in die Acht erklärt. Darauf zogen die Freiburger mit ihren
bewaffneten Helfern in das Tal, eroberten die uneinnehmbar
scheinende Felsburg und zerstörten sie. Mehrere Knechte wurden
aufs Rad geflochten, die Falkensteiner selbst schwer bestraft. Die
Burg durfte nie mehr aufgebaut werden. Ihr Geschlecht verfiel von
da an und starb aus.
Durch das Höllental
Jahrtausende war der Schwarzwald unbewohntes Gebiet. Wege gab es
keine. Als die Kelten in Tarodunum-Zarten eine Fliehburg anlegten,
mögen sich einige in das Tal des Höllenbaches vorgewagt haben.
Auch die Alemannen siedelten sich nur am Rande der Vorberge des
Schwarzwaldes an. Wie eine Mauer trennte sie der Schwarzwald von
den Siedlern auf der Baar.
Kurz vor 1100 kamen die Grafen von Weilheim-Teck in den Breisgau.
Als Herzöge von Zähringen hielten sie mit ihrem Heimatland
Schwaben und ihrem Hauskloster St.Peter die Verbindung durch das
Eschbach- oder Glottertal aufrecht. Über den Hohlen Graben, Kalte
Herberge, gelangten sie in das Urachtal. Man darf an die damaligen
„Straßen“ nicht heutige Maßstäbe anlegen. Sie waren weder
gepflastert noch geteert. Die Karrenräder schnitten tief ein, und
bei Regen stand das Wasser in den Rillen.
Zur gleichen Zeit saßen die Falkensteiner im Höllental auf ihrer
Burg gleichen Namens. Durch das enge, schluchtenreiche Tal führte
nur ein bescheidener Saumpfad. Seit dieser Zeit steht auch die
Oswaldkapelle bei Höllsteig. Sie war die Pfarrkirche der wenigen
Bauern Hinterzartens und Breitnaus. Ihre Höfe standen „vor“ und
„hinter der Straß“. Seit denTagen, da die Zähringer mit dem
Augustinerkloster St. Märgen, das die Grafen von Hohenberg um 1200
gründeten, in Fehde lagen, wurde die „neue Straß“ durch das
Wagensteigtal die eigentliche Verbindung des Breisgaus mit der
Baar und Villingen, der Schwesterstadt Freiburgs.
Durch die „Wagensteige“ zogen die Bauernheere im Bauernkrieg in
den Breisgau, marschierten im Dreißigjährigen Krieg
österreichische, bayerische, schwedische und französische Truppen.
Auch später, Ende des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert,
blieb die Wagensteige die große „Heerstraße*.
Der Zustand der Wagensteige wurde immer schlechter. Was Wunder,
daß der Ruf nach einer besseren Straße laut wurde. So wandten sich
die Uhrenhändler und Glasträger des hohen Schwarzwaldes an die
breisgauischen Stände mit der Bitte um eine bessere Straße, und
zwar durch das Höllental. Am 20. März 1753 traten die Stände —
heute würde man Landtag sagen — in Freiburg zusammen, um über die
Ausbesserung der schlechten Höllentalstraße zu beraten. Die
Vertreter des Adels, der hohen Geistlichkeit und der Städte
beschlossen, aus ihr einen „guten und wandelbaren Güter- und
Postweg“ von 24 bis 30 Fuß Breite zu machen. Aber die Arbeiten
gingen nur langsam voran. Da trat ein Ereignis ein, das den
Straßenbau beschleunigte: eine königliche Hochzeit. Die Tochter
der Kaiserin Maria Theresia, Maria Antoinette, sollte französische
Königin werden. Ihre Brautfahrt war eine lange, beschwerliche
Reise von Wien durch Tirol, den Schwarzwald und über den Rhein
nach Paris. Hinter dem Brautwagen folgten noch 51 schön
geschmückte Wagen. Am 4. Mai 1770 kam der lange Zug ins Höllental.
An der Hirschsprungenge waren Felsen weggesprengt worden. Auch
sonst hatte man die Straße ausgebessert. Der Verkehr auf der
Höllentalstraße nahm in den folgenden Jahren rasch zu. Vom
Breisgau her kamen Wein- und Getreidefuhren das Tal herauf. Der
Schwarzwald schickte große Holzfuhrwerke ins „Land“ hinaus. Aber
schwierig wurde es, wenn ihnen die gelbe Postkutsche mit den
goldenen Buchstaben „Paris-Wien“, „Diligence“ genannt, begegnete.
Im Sternenwirtshaus, dessen Wirtshausschild stolz die Aufschrift
„A l’Etoile d’or“ trug, machten die Fuhrleute gerne halt, und die
Postkutscher wechselten ihre Pferde.
Vollständig ausgebaut war die Straße durch das Höllental aber erst
am 22. November 1860, so daß wir mit Recht von einer „hundert-
jährigen Höllentalstraße“ sprechen können. Der Ausbau kostete
140000 Gulden. Viele Italiener waren damals beim Straßenbau
eingesetzt worden.
Heute rasen die Autos über die Asphaltstraße. Vielleicht
verlangsamen ihre Fahrer das Tempo beim Hischsprungfelsen und
schauen kurz zu dem bronzenen Hirsch hinauf oder gönnen der alten
Oswaldkapelle einen kurzen Blick.
Seit dem Jahre 1887 keucht auch ein Zug durch das enge Tal. Der
badische Ingenieur Robert Gerwig, der schon vorher die
Schwarzwaldbahn erbaut hatte, war auch mit dem Bau der
Höllentalbahn beauftragt worden. Am 21. Mai 1887 fuhren die ersten
Reisenden mit dem Zug talaufwärts. Robert Gerwig erlebte diesen
Tag nicht mehr. Er war zwei Jahre vorher gestorben.
Der Bau der Höllentalbahn hatte acht Millionen Mark gekostet. Es
mußten während des Baues viele Felsen gesprengt und teils 20 Meter
hohe Mauern errichtet werden. Sieben Tunnels waren nötig. Der
obere Hirschsprungtunnel ist mit seinen 69 Metern der kürzeste,
der Finsterranktunnel mit 284 Metern der längste Tunnel. 41
größere und kleinere Brücken wurden gebaut. Die gewaltigste und
längste unter ihnen, die Ravennabrücke, überspannt mit ihren auf
hohen Pfeilern ruhenden Betonklötzen die wilde Ravennaschlucht.
Zwischen Hinterzarten und Titisee liegt das Geleise in einem
moorigen Hochtal.
Groß ist der Höhenunterschied für die kurze Strecke mit 27
Kilometern von Freiburg bis Hinterzarten. Der Freiburger
Hauptbahnhof liegt 268 Meter über dem Meere, die Station
Himmelreich 455 Meter, Hirschsprung 559 Meter und Hinterzarten,
der höchste Punkt der Bahnstrecke, 893 Meter. Auf der sieben
Kilometer langen Strecke von Hirschsprung bis Hinterzarten steigt
die Bahn auf jedem Meter fünf bis sechs Zentimeter. Hier half in
früheren Jahren eine zweite Lokomotive schieben. Die Zahnradbahn
fährt seit 1936 nicht mehr. Heute überwindet eine elektrische
Lokomotive mühelos alle Steigungen. Der Bau der Höllentalbahn hat
sich gelohnt. Selbst heute, im Zeitalter des Autos, ist der
„Höllentäler“ voll besetzt. Er bringt die Wanderfreunde an den
Ausgangsort ihrer Wanderungen in den Schwarzwald. Im Winter fährt
er Hunderte und Tausende von Schifahrern auf die verschneiten
Höhen. Ob mit dem Zug oder mit dem Auto, eine Fahrt durch das Tal
der „Hölle“ übt immer einen besonderen Zauber aus. Damit aber die
Wanderer nicht zu kurz kommen, ist für sie — abseits der Straße —
der Jägerpfad angelegt worden, der dem wild strudelnden Wasser des
Rot- oder Höllenbaches folgt.
Ein wilder Schwarzwaldbach
Von der Ravennabrücke blicken die Zugreisenden hinunter auf den
schäumenden Ravennabach. Gerne winken sie den Wanderern zu, die
den Weg in die Ravennaschlucht einschlagen.
Seit alten Zeiten steht am Rotbach, am Beginn der Schlucht, das
Sternenwirtshaus. Als vor 200 Jahren die Kaufleute aus dem
fürstenbergischen Amt Neustadt nach Freiburg fuhren, mußten sie
dem Sternenwirt ihren Zoll entrichten. Am „Sternen“ begann der
gefährliche Aufstieg zur Höhe. In St. Oswald, der ursprünglichen
Pfarrkirche für Breitnau und Hinterzarten, verrichtete der
Fuhrmann sein Gebet. Der heilige Oswald, dessen Kapelle schon seit
vielen hundert Jahren im Höllental steht, sollte sie auf ihrer
beschwerlichen Reise beschützen.
Als unsere Dichter die Schönheit der Natur entdeckten und das
Rauschen der Wälder und das Tosen der Wasserfälle in ihren
Gedichten beschrieben, wollten viele Menschen diese
Naturschönheiten kennenlernen. Schon damals wanderten die
Freiburger gerne ins Höllental. Sie nahmen vielleicht ein
Forellenessen mit feurigem Roten im „Sternen“ ein. Der Postwagen
der Verkehrslinie Paris-Wien machte hier halt. Mancher vornehme
Gast stjeg ab. Adolf Faller, der Besitzer des „Sternen“, und der
Kreuzwirt Josef Rombach von Breitnau erbauten den Wanderweg durch
die Ravennaschlucht. Sie mußten Holztreppen, Galerien und
Holzbrücken anlegen. Ein verheerendes Hochwasser hat am 11. Juni
1895 sämtliche Brücken und Galerien und große Teile des Weges
weg-gerissen. Auch 1910 hat ein Hochwasser dem wiedererstellten
Weg sehr geschadet. Aber immer wieder haben naturliebende Menschen
den Weg ausgebessert. Und wie ehedem wandern die
Schwarzwaldfreunde gerne durch die Ravennaschlucht und kehren ein
im Sternenwirtshaus.
Die Löffelschmiede im Höllental
Beim Sternenwirtshaus im Höllental schwingt sich die Straße in
einer großen Kurve zum Berghang hin. Dort zweigt ein Wanderweg in
die enge Talschlucht des Rotbaches ab. Wenige Häuser nur stehen am
Bach entlang. In diesen Häusern wurden vor langer Zeit Löffel
geschmiedet. Das kam so:
Die frommen Brüder des Klosters St. Blasien beteten nicht nur, sie
mußten auch eine weltliche Arbeit treiben. Sie schnitzten
Holzfiguren und -gegenstände und trugen sie zu den Menschen im
Rheintal. Die Schwarzwaldbauern machten es ihnen im Winter nach.
In der Gegend um Neustadt, um St. Blasien, in Bernau und
Schluchsee saßen die Bauern und ihre Söhne an langen Winterabenden
in der warmen Stube und schnefelten und schnitzten allerlei Gerät,
das man im Haus gebrauchen konnte: Kübel, Zuber und Bottiche,
Holzschachteln, Rechen, Löffel, Gabeln und Sensenstiele,
Holzschuhe, Faßhahnen und Siebe, Sestermaße, Kochlöffel und
Mausefallen, Kraut- und Rübenhobel und Spinnräder. Noch vor 50
Jahren war diese Holzschneflerei eine richtige Hausindustrie,
sogar die älteste des Schwarzwaldes.
Nun brachte einmal ein Hausierer aus dem Erzgebirge einen Löffel
aus Blech mit. Im Jahre 1740 gründeten Anton Weißer aus Schönwald
und Johann Ketterer aus Schonach die erste Schwarzwälder
Löffelschmiede. Die runden Blechlöffel hatten anfangs noch
hölzerne Stiele. Später verstand man es, den ganzen Löffel aus
Eisenblech herzustellen. „Was andere können, kann ich auch“,
dachte Andreas Fäßer. Mit seinen Brüdern richtete er im Löffeltal
eine Löffelschmiede ein. Der Rotbach trieb die Räder und damit die
Hämmer der Schmiede. Die Räder sind heute stumm. Der Betrieb ist
eingegangen. Aber der Name Löffeltal erinnert noch an das alte
Schwarzwaldgewerbe.
Maria in der Zarten
Kaum ist der „Höllentäler“ über der Ravennabrücke drüben, ist
durch die beiden Tunnels der „Steige“ gekrochen, fährt er auch
schon im Bahnhof Hinterzarten ein. Das schöne Schwarzwalddorf
liegt in einem weiten Hochtal. Ein großer Baumeister hat das Tal
geschaffen. Der Herrgott selbst hat den Baumeister bestellt. Das
Eis des großen Feldberggletschers war es. Es kam über den Sattel
bei Erlenbruck aus dem Bärental herüber, überfiel die Wanne von
Hinterzarten und erfüllte das Tal von Breitnau. Auch im Löffeltal
machte es sich zu schaffen.
Als das Eis verschwunden war, sickerte ein Bächlein an seiner
Stelle. Aus dem Mathisleweiher rann der Rotbach, der einmal die
Dreisam mitbilden sollte. Auf dem moorigen Boden gediehen Birken.
Noch zeugt das Hochmoor von Hinterzarten von der Eiszeit.
Nach und nach kamen Bauern. Sie bauten ihre Höfe an diese und jene
Berghalde. Eine Kapelle brauchten sie auch. Sie verehrten ein
Muttergottesbild. Hinterzarten war damals noch ein Teil der Mark
Zarten. Sie nannten die Muttergotteskapelle „Maria in der Zarten“.
Immer mehr Bauern siedelten sich im Hochtal an. Aber noch standen
die Höfe weit auseinander. Um die Höfe war viel Grasland. Einen
Teil pflügten sie um. Sie säten Gerste und Hafer. Nach einigen
Jahren pflügten sie ein neues Graslandstück um. Das alte durfte
ausruhen und wieder einmal für ein paar Jahre Wiese werden. Sie
nannten solches Bauernland Heufeld-Äcker. Am Waldrand oben mähten
sie das Gras nicht. Dorthin trieben sie das Vieh auf die Weide.
Aber auch dort pflügten sie einen Streifen um zu einem Bergacker.
Man erkennt ihn an den zerlegbaren Stangenzäunen. Wo man gerade
einen Zaun um einen Acker herum brauchte, konnte man ihn rasch
zusammensetzen.
Mit der Zeit bekam Hinterzarten mehrere Häusergruppen, einen
Bahnhof, eine Schule und eine Kirche. An den alten Wegen liegen
die einzelnen Weiler, die Höfe „in der Windeck“, „auf der Steig“.
Daran sieht man, wie das Dorf aus einzelnen Häusergruppen
entstanden ist. Vor 200 Jahren bauten die Bauern für ihr Vieh
Berghäusle.
Taglöhner und Waldarbeiter, später auch Uhrmacher, wohnten darin.
Sie waren die „Häusler“. Zuletzt kamen Hotelbauten und Pensionen
hinzu. Und immer noch ist Hinterzarten am Wachsen. Es ist ein
schöner Kurort geworden. Sommers und winters kommen Menschen, die
den Schwarzwald lieben.