Erinnerung an das Ende des 2. Weltkrieges in
Stegen
Aus: Badische Zeitung am Donnerstag, 08. Mai 2025
Ursula
Giessler, 89 Jahre
Am 8. Mai 1945 endete in Europa mit der Kapitulation der
Wehrmacht der Zweite Weltkrieg. In Südbaden fand die Befreiung von
Krieg und Nationalsozialismus schon einige Wochen zuvor statt.
Fünf Menschen aus der Region erinnern sich.
Das Versteck im Kloster Stegen bei Pater Mittendorf hatte meine
Mutter – sie war Jüdin, hatte sich aber vor ihrer Hochzeit in den
20er-Jahren freiwillig katholisch taufen lassen – durch Freunde
gefunden. Für mich war das eine ganz schreckliche Situation, als
Gretel Borgmann, die Freundin meiner Eltern, mich am 4. September
1944 mit dem Fahrrad – ich saß auf dem Gepäckträger – nach Stegen
brachte, denn ich wusste nicht, wo meine Mutter war. Ich habe nur
geheult. Meine Eltern waren untergetaucht, sie hatten den ersten
Zug am Morgen ins Elsass genommen, aber das wusste ich nicht. Sie
haben in meiner Anwesenheit über brisante Themen immer Französisch
gesprochen, damit ich nichts verstand und auf der Straße nichts
ausplaudern konnte. Der Blockwart hatte am Abend zuvor die Männer
aus der Freiburger Erwinstraße zum Schanzen am Westwall geholt und
meinem Vater gesagt, dass für ihn etwas anderes vorgesehen sei,
das war höchster Alarm. Und an demselben Abend sagte die Mutter
einer Freundin, die in der NSDAP war, zu meiner Mutter, dass es
ganz gut wäre, wenn wir mal verreisten.
Die Gestapo hat dann wirklich nach meiner Mutter gesucht, die
standen bei unseren Nachbarn vor der Tür und behaupteten, sie
seien Freunde und wollten wissen, wo sie sei. Aber unsere Nachbarn
wussten, dass das nicht stimmte, sie haben die Gestapo in die Irre
geführt. Mein Vater hatte bis dahin illegal als Cheflektor in
Colmar gearbeitet, er hatte seit Juni 1939 Berufsverbot, da er mit
einer Jüdin verheiratet war und sich nicht scheiden lassen wollte.
Zunächst war es ohne Eltern im Kloster in Stegen, für mich
fürchterlich. Dort war ein Waisenhaus untergebracht, Schwester
Emma aber hat mich rührend betreut. Pater Mittendorf war auch
fabelhaft, er hat mit uns Kindern Schneeballschlachten gemacht.
Das Gefährliche um uns herum hat man von uns ferngehalten, unser
Nichtwissen war ein Vorteil, es wäre zu gefährlich gewesen, uns
etwas zu sagen. Nach etwa zehn Tagen kam meine Mutter nach Stegen.
Insgesamt versteckten sich dort neun Menschen, darunter fünf oder
sechs jüdische Kinder. Wenn ich heute an Stegen denke, geht mir
das Herz auf, Stegen ist wie ein Zuhause.
Wir waren bis zum 23. April 1945 in Stegen – bis die Franzosen
dorthin kamen, die seit 21. April in Freiburg waren. Das war
einfach wunderbar, eine einzige Freude, wir kletterten auf den
Panzern der Franzosen rum, bekamen von ihnen Schokolade, sie waren
freundlich und liebevoll zu uns Kindern. Einer der französischen
Soldaten war katholischer Priester und sagte uns, dass die
schwarzen Männer in Uniform drüben unter der Kastanie Marokkaner
seien, wenn sie beten, dürften wir sie nicht stören, sie seien
Muslime.