Die Burg Wiesneck unter dem
            Hochadel der Frühzeit
          
          Die Geschichte der Burg Wiesneck beginnt mit einem Verhängnis,
          nämlich mit der Nachricht ihrer Zerstörung; geschehen im Jahr
          1079. Soweit es Urkunden bis heute offen werden lassen, ist
          das die früheste Nennung der Burg — aber eben in dem
          tragischen Zusammenhang, daß sie dem eroberungsdurstigen
          Markgrafen Bertold von Zähringen ein Hindernis war, von ihm
          berannt und zerstört wurde, als er, über den Schwarzwald
          herüber in den Breisgau herein-brach. Bertold stammte aus dem
          Schwäbischen, doch hatte seine Familie auch im schweizerischen
          Thurgau Besitz, und daraus war er in Händeln mit königstreuen
          und dem Kloster St. Gallen ergebenen Landesherren vertrieben
          worden. Auch Händel im Schwäbischen machten ihm den Boden
          heiß. War es nun ein Racheakt, daß Bertold, dort vertrieben,
          sich dafür an den Gütern des Klosters St. Gallen im Breisgau
          schadlos halten wollte? Tatsächlich waren weite Gebiete im
          vorderen Breisgau und im Dreisamtal — so Kirchzarten, das eine
          St. Gallus geweihte Kirche besitzt - im Eigentum des St.
          Galler Klosters. Es ist nicht auszuschließen, daß selbst die
          Burg Wiesneck ursprünglich im Landbesitz des Klosters St.
          Gallen war, und daß sie zu Lehen den Grafen von Haigerloch als
          Burgherren übertragen ward.(2) Auch dieses Grafengeschlecht
          stammte, wie das zähringische, aus dem Schwäbischen. Von ihm
          zweigten sich alsbald die Grafen von Hohenberg ab. Wichtig als
          Ausgangslage ist festzuhalten, daß Wiesneck mit dem Kloster
          St. Gallen auf eine nicht näher beschriebene Weise verknüpft
          war (wohl durch Vogteirechte über hiesige Klostergüter). Für
          Bertold jedenfalls war die Burg eine gegnerische Bastion, und
          er berannte sie.
          
          Der Freiburger Historiker Prof. Karl Schmid zitiert in seiner
          Darstellung des Bertoldschen Feldzugs (3) eine St. Galler
          Annale, die an Bertold nicht viel Gutes läßt. Sie
          charakterisiert ihn „als einen Gegner, der aus Haß gegen König
          Heinrich (Heinrich IV., von dem noch zu reden sein wird) den
          ganzen Breisgau durch Raub und Brand verwüstete und aus den
          dort gelegenen Besitzungen des Gallusklosters so sehr Nutzen
          gezogen habe, daß die Brüder viele Jahre weder vom Wein, noch
          vom Getreide, noch von anderen Abgaben irgend etwas zum
          Unterhalt erhielten. Bertold soll nach diesem Bericht
          schrecklich gehaust haben.“
          
          Eine parallele Überlieferung dieser Vorgänge, wenn auch viel
          später aufgezeichnet, jedoch verlässig aus St. Galler
          Unterlagen übernommen (durch den Gallus Öhems aus Radolfzell)
          bringt ergänzend hinzu, was gerade uns interessiert. Diese
          Stelle aus des Gallus Öhems Chronik sei, auch wenn sie das
          Wesentliche der Tatsachen wiederholt, schon ihrer schönen
          Sprache wegen, hereingenommen: „Markgraf Berchtoldus von
          Zeringen, ain offner vind küng Hainrichs ...gewan die edlen
          schloss Zimbre und Wisneg und zwang alle die von dem Brisgöw
          und den Schwartzwald sitzende under sin herschafft,und die
          gütter und zins Sant Gallen, an denen örtren am maisten tail
          ligende,nam er in und brucht sy zü sinem nutz, also das er in
          vil jaren weder von korn, win und anderen früchten den brüdern
          zu Sant Gallen nit aines hallers wertvolgen ließ.”
          
          Hier haben wir es schwarz auf weiß. Mit Schloß Zimbre ist
          Herrenzimmern am oberen Neckar in der Nachbarschaft des St.
          Gallischen Thalhausen gemeint. Daneben aber wird Wiesneck
          eindeutig benannt. Schmid versichert, es bestehe keine
          Veranlassung, die Glaubwürdigkeit dieser Überlieferung in
          Frage zu stellen, und er faßt zusammen: Für die Erschliessung
          des Schwarzwaldes spielte die Burg Wiesneck eine nicht
          unwichtige Rolle; Bertold hat seine Mannschaft vom oberen
          Neckargebiet her über den Schwarzwald hinweg offenbar dort in
          den Breisgau hineingeführt, wo an exponierter Stelle im
          Zartener Becken die Burg Wiesneck stand. Sie mußte Bertold
          nehmen, wollte er erfolgreich durch das Dreisamtal in die
          Rheinebene vorstoßen.
          
          Die Burg Wiesneck hat also schon vor dem Eindringen der
          Zähringer in den Breisgau existiert. Wann aber wurde sie
          erbaut? Die Gründung dürfte in die Mitte oder zu Beginn der
          zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts zu setzen sein. Zwar
          spricht eine versprengte Buchenbacher Notiz davon, sie habe
          schon um das Jahr 1000 bestanden, das ist aber wenig
          wahrscheinlich, bis jetzt auch von keiner Seite bestätigt.
          Träfe es zu, würde es einer Vorrangstellung gleichkommen.
          Denn, wie Joseph Schlippe, ein Experte für die Burgen im
          Breisgau ausführt, (4) begann, um das Jahr 1000 einsetzend,
          erst nach und nach ein Netz von Burgen sich über das Land
          auszubreiten. Vorher saßen die Fürsten in Talresidenzen.
          Schlippe gibt als Beispiel: „Während Karl der Dicke noch in
          Neudingen (Baar), also auf einem Königssitz im Tal residierte,
          entstand um 1000 die Burg Fürstenberg, der neue Sitz der
          Herren von Neudingen, als Burg auf dem Berggipfel. Und als
          Antwort darauf zogen die Herren von Geisingen aus ihrem
          Stammsitz im Dorf Geisingen a. d. Donau alsbald hinauf auf den
          Wartenberg und bauten sich hier ihren burglichen Sitz. Seit
          etwa um 1000 n. Chr. zieht also die politische Führerschicht,
          der Hochadel, von den Höfen in der Ebene hinauf in die festen
          Häuser auf Bergeshöhen, wie es die veränderte ritterliche
          Kampfesweise und Verteidigungskunst erforderte. Daneben
          bewahrt die Wasserburg den Typ des ehemaligen Herrenhofes der
          Ebene, freilich jetzt in wehrhafter Form. In der ersten Epoche
          der Burgengründungen, im 11. Jahrhundert, war nur der Hochadel
          als die eigentliche Reichsaristokratie von den Königen mit dem
          Burgenbau als Regal (nutzbarem Hoheitsrecht) bedacht.“Das
          Erstaunliche an dieser Darstellung ist doch, daß Schlippe
          betont, nur der Hocharistokratie sei das Recht der
          Burgengründung erteilt worden. Demnach befand sich die Burg
          Wiesneck, auch wenn sie erst in der zweiten Hälfte
          des„Burgenjahrhunderts“ errichtet wurde, durchaus in vornehmer
          Gesellschaft. Für die Wiesnecker Burgherrn bestanden sogar
          verwandschaftliche Beziehungen zum Königshaus, und so waren
          sie auch gesinnungsmäßig mit dem Königshaus verbunden.
          
          Um die Situation der Zeit, man kann auch sagen, den Zwiespalt
          der Zeit besser zu verstehen, verlassen wir für eine kurze
          Spanne unseren engen Dreisamtäler Bezirk und versuchen zu
          überblicken, wie es denn „draußen“ aussah, im Großen, im
          Reich, das ja immer noch war und hieß „Das Heilige Römische
          Reich Deutscher Nation“.
          
          Versetzen wir uns in die Zeit zwischen 1050 und 1100. 1050
          wird Heinrich IV.geboren, der vorletzte der fränkischen
          Kaiser. Innerhalb der deutschen Lande mit 4 Jahren zum
          deutschen König erhoben, wird er mit 12 Jahren entführt, dann
          von seinen Anhängern wieder befreit. Wo ein Kind (vertreten
          durch seine Mutter) regiert oder regieren möchte, haben die
          Reichsfürsten leichtes Spiel. Sie sind in Wahrheit die
          Mächtigen, die unternehmen, was ihnen beliebt und dient. Ihr
          Wortführer ist zu der Zeit Welf, der Herzog von Baiern.
          Heinrich, der junge König, die ihm verliehene Macht sich
          anerobernd, stützt sich auf die ihm ergebenen Ministerialen,
          besonders solche aus Franken und Schwaben. So entsteht der
          Gegensatz der Losungen „Hie Welf“ (die Fürsten) - „Hie
          Waiblinger!”(die Königstreuen). Zu den internen Bedrängnissen
          im Reich kommt für Heinrich IV. noch hinzu seine hart auf hart
          gehende Auseinandersetzung mit Papst Gregor VII. um die
          Investitur-, die Einsetzungsrechte, wobei die Fürsten auf
          Papstseite stehen. Heinrich unterliegt in diesem Streit, wird
          mit dem Bannbelegt und beugt sich schließlich der päpstlichen
          Macht und Hoheit in dem denkwürdigen Kniefall zu Canossa
          (1077). Es ist eine Zeit dramatischer Kämpfe der Dynastien um
          Macht und Vorherrschaft - und in diese Kämpfe sind die
          Anfangsschicksale der Burg Wiesneck eng verflochten. Ihre
          Herren waren eben, genau wie die Äbte des Klosters St. Gallen,
          auf der „Waiblinger“-Seite; die Zähringer hingegen gestandene
          „Welfen“.
          
          Die Einnahme der Burg Wiesneck im Jahre 1079 durch Bertold Il.
          scheint ausser allem Zweifel zu stehen. (5)
          Demnach war ihr Widerstand gebrochen; aber war sie damit auch
          bereits unbewohnbar verwüstet und entvölkert ? Anders gesagt:
          Hatte Bertold mit der Bezwingung der Burg die Grafen von
          Haigerloch zugleich auch aus ihrer Herrschaft vertrieben?
          Keineswegs. Diese Herrschaft umfasste einen reichen
          Besitzstand. War die hochgelegene Burg Wiesneck ihr
          Mittelpunkt, so gehörten im Dreisamtal dazu die Siedlungen
          Bickenreute, Geroldstal, Zarten, Burg, Ebnet und Attental;
          weiter in der Rheinebene Güter zu Merdingen, Endingen, Tiengen
          und Herdern bei Freiburg.(6) Wie das Leben auf der Burg und um
          sie herum weiterging, bleibt dunkel, wir wissen es nicht. Und
          doch gibt es da einen Leuchtpunkt. Plötzlich erscheint in
          einer Schaffhausener Urkunde aus dem Jahre 1096 (es handelt
          sich um einen Gütertausch) ein Adelbertus comes de Wisenseggi
          und Brono frater eius, also ein Graf Adalbert, der sich
          unverstellt Graf von Wiesneck benennt. Das wäre sinnlos, wenn
          ihm dort der Boden unter den Füßen entzogen gewesen wäre. Und
          es gibt noch ein weiteres markantes Zeugnis, daß das
          Geschlecht derer von Haigerloch in der Gegend lebendig
          anwesend war und zu bleiben gedachte: Die Gründung des
          Klosters St. Märgen im Jahre 1118 durch den Bruder des Grafen
          Adalbert, den zuvor schon genannten frater eius, Bruno. Bruno
          von Haigerloch war Domprobst am Münster in Straßburg, aber in
          dieser Zeit auch als Staatsmann engagiert, nämlich von 1112
          bis 1122 Kanzler Heinrich V., hatte also eine beachtliche
          Stellung am Hof. Man hat, sagt Prof. Schmid (S. 127), davon
          auszugehen, daß der Straßburger Domprobst und Reichskanzler
          die geistliche Stiftung um des Heiles seiner Seele willen
          vornahm und zwar auf Grund und Boden, der aus dem Besitz
          seiner Familie stammte. Im Hintergrund mögen auch dynastische
          Gründe (Verstärkung der Herrschaft) hereingewirkt haben.
          Jedenfalls wurde mit der Gründung zugleich den Herren auf der
          Burg Wiesneck die Schutzvogtei über das Kloster übertragen.
          Das wirkte sich, solange die Grafen von Haigerloch und
          anschließend die von Hohenberg auf der Burg zu sagen hatten,
          für das Kloster gewiß zum Guten aus. Später jedoch, etwa ab
          1300, als der Niederadel die Burg übernahm, die Geschlechter
          von Blumeneck und Snewelin ans Ruder kamen, hatte dieses mit
          der Burg verknüpfte Vogteirecht für das Kloster böse Folgen;
          es wuchs sich zu einer Art Oberherrschaft aus oder wurde von
          den Wiesnecker Machthabern so ausgelegt. Da wurden die
          Beschirmer zu Bedrohern. Davon wird im folgenden Kapitel zu
          berichten sein.
          
          Bleiben wir in der Frühzeit. Weit geschäftiger als die
          Wiesnecker Grafen waren die Zähringer Herzöge gewesen. Bertold
          Il. verlegte bereits 1091 sein bis dahin in Weilheim/Teck
          beheimatetes Hauskloster nach St. Peter, und er stattete es
          offenbar auch gut aus, besorgte ihm ansehnliche Güter. Nie
          hören wir bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein bei ihm von
          Leiden. Dieses Kloster, St. Peter und Paul geweiht, bestand
          also schon 17 Jahre vor dem in St. Märgen. Am Rand des
          Schwarzwaldes, zur Rheinebene hin, nicht gar weit von St.
          Peter entfernt, hatten die Zähringer indessen sich auch einen
          Stammsitz geschaffen, die Burg Zähringen, ebenso in Freiburg
          auf dem Schloßberg eine Burg, die heute völlig eingeebnete
          „Burghalde“, und nicht zu vergessen, eines der Zähringer
          Hauptwerke: Sie gründeten 1121 die Stadt Freiburg.
          Nun liegen die beiden Klöster St. Peter und St. Märgen (dieses
          Maria geweiht, auch Marienzelle genannt) nur eine gute Stunde
          Fußweg von einander entfernt, und es war vielleicht doch auch
          ein Herausforderung des Domherrn Bruno, sich den St. Peterner
          Benediktinern mit seinen Augustiner Chorherrn so dicht an die
          Seite zu setzen. Geistliche Orte wollen friedlichen Zwecken
          dienen, doch waren mit den Klöstern in den schwach
          besiedelten, entlegenen Höhen des Schwarzwalds auch
          Rodungsaufgaben in die Wälder hinein verknüpft. So konnte es
          nicht ausbleiben, daß in Kürze die Klöster miteinander
          stritten um Grenzrechte. Es mischten sich die Oberherren ein,
          die Zähringer und die Wiesnecker, und in diesen
          Auseinandersetzungen taucht nun abermals die Burg Wiesneck auf
          als zerstört. In der Akte des Konstanzer Bischofs Ulrich von
          1121, der den Grenzkonflikt zwischen den streitenden Parteien
          beilegte, heißt es, die Grenze zwischen den Gebieten der
          Klöster verlaufe „per crepidinem montis a diruto castro
          Wisenecge”, über den Rücken des Berges von der zerstörten Burg
          Wiesneck aus usw..
          
          Man fragt sich: Ist das nun tatsächlich in so kurzem Abstand
          von 42 Jahren eine zweite Vernichtung? Die Urkunde sagt nichts
          vom Hergang der Zerstörung, nennt kein Wann; es wird nur
          konstatiert, sie sei zerstört. Die Historiker sind vorsichtig,
          um nicht zu sagen ratlos, wann die Zerstörung nun wirklich
          geschah. Es gibt nämlich bereits aus dem Jahr 1111 eine St.
          Peterner Urkunde (Rotulus Sanpetrinus), in der vom castrum
          dirutum Wisenegga, vom zerstörten Kastell Wiesneck die Rede
          ist, und zu allem Überfluß auch noch eine Grenzstreitakte vom
          Jahre 1136, in der zum dritten Mal der Burg Wiesneck der
          Zustand der Zerstörung bestätigt wird. Lassen wir es, es muß
          offen bleiben. Tatsache bleibt indessen, daß die Zähringer,
          wann auch immer, der Burg den Dämpfer versetzt haben. Die
          Zähringer hatten offenbar etwas gewaltsam Unwiderstehliches an
          sich. Sie wirkten konsequent und erfolgreich um die Mehrung
          ihrer Macht — auch im Guten. Sie gründeten und förderten. So
          nennen sich die Städte Villingen, Neuenburg a. Rh., Offenburg,
          Rheinfelden, aber auch Freiburg in der Schweiz und Bern, und
          eben, wie schon erwähnt, Freiburg i. Br. Zähringerstädte ! Auf
          der anderen Seite ist aber festzuhalten, daß sich die Herren
          der Burg Wiesneck bei allem Mißliebig-Widrigen in ihrem Besitz
          durchaus behauptet haben - ja, sie überlebten die Zähringer,
          denn deren Geschlecht starb schon 1218 aus.
          
          Da das Kloster St. Märgen mit Wiesneck eng verknüpft ist, sei
          dorthin noch einmal der Blick gelenkt. War die Gründung des
          Domprobstes Bruno 1118 an sich schon mit dem Risiko der
          Rivalität verbunden, so hatte Bruno zudem in der Besetzung des
          Klosters mit Geistlichkeit keine glückliche Hand. Bertold
          Il.war für sein Kloster St. Peter gewiß gut beraten, zum
          Großteil landvertraute Mönche, die auch einfachen
          Verhältnissen standhalten konnten, darin zu behausen. Bruno
          hingegen ließ für seine Marienzelle - aus welch einer höheren
          Sicht heraus ? — Kanoniker aus Toul in Frankreich kommen. Es
          zeigte sich alsbald, daß die fremden Chorherren mit den rauhen
          Bedingungen des Schwarzwaldes überhaupt nicht zurechtkamen.
          Krankheiten stellten sich ein, Sprachschwierigkeiten im Umgang
          mit den Einheimischen erschwerten das Leben - das Kloster
          geriet schnell in eine Existenzkrise, so daß (nach Schmid
          S.126) „der Konstanzer Bischof eingreifen und die aus dem
          Westen gekommenen Kleriker nach Hause schicken mußte, um den
          Bestand der Gemeinschaft zu retten“. Es waren also zunächst in
          der Eigenstruktur veranlagte Mängel, die dem Kloster zu
          schaffen machten. In der abgelegenen Höhe bestand das
          Klosterleben nicht nur in einem kontemplativen Einhalten der
          Regeln, sondern war an einen harten Tageslauf gebunden, an
          Arbeit, auch mit Hacke und Spaten. Schließlich festigte sich
          das Kloster durch den regenierten Mönchsbestand, und so lange
          die Grafen der Burg Wiesneck es beschirmten, hatten die Mönche
          eine gute Zeit.
          
          Um die Mitte des 12. Jahrhunderts übertrugen die Grafen von
          Haigerloch den gesamten Wiesnecker Besitz an die Grafen von
          Hohenberg, und deren Herrschaftszeit auf der Burg währte bis
          zum Jahre 1293. Aus dieser fast anderthalb Jahrhunderte
          dauernden Regentschaft der Hohenberger über unser Tal wissen
          wir so gut wie nichts. Nur von dem allerletzten Grafen von
          Hohenberg auf Wiesneck, dem Grafen Albrecht Il., wissen wir
          plötzlich noch einmal erstaunlich viel. Seine Gestalt wird
          plastisch sichtbar. Mit Dank folge ich hier Max Weber.(7) Wir
          sehen einen Fürsten von Format, durch den für eine kurze
          Spanne Zeit Atem der Welt in die Wiesnecker Gefilde kam. Graf
          Albrecht Il. war der Schwager des Königs Rudolf von Habsburg
          und durch dieses enge Band mit der Reichspolitik verflochten.
          Die zeitgenössischen Geschichtsschreiber berichten seitenweise
          über ihn und seine vielseitige Tätigkeit, ganz besonders
          Ottokar von Steiermark in seiner berühmten Reichschronik.
          „Es war aber“ (und nun Max Weber wörtlich) „seine eigene viel
          gepriesene Persönlichkeit, die ihn dazu befähigte, 'die Stütze
          des Reichs und ganz Schwabens zu sein' (Kumier). Durch seine
          Tapferkeit und seinen Mut bewährte er sich in sieben Feldzügen
          seines Schwagers Rudolf. Nicht minder begabt für Politik
          zeigte er sich als fast ständiger Begleiter des Königs, dem er
          beim Zurückgewinnen verlorenen Reichsguts so wichtige Dienste
          leistete, daß dieser ihn zum Landfriedensrichter in Schwaben
          und Elsaß bestellte. Und so ist es auch nicht erstaunlich, daß
          König Rudolf diesen 'berühmten, überragenden Mann!' (vir
          famosus et mirificus. Johannes von Viktring) am Ende seines
          Lebens den Kurfürsten zu seinem Nachfolger vorschlug. Sie
          wählten ihn nicht, wohl weil er ihnen zu "stark, mächtig und
          tapfer! war (Ottokar). Er aber setzte sich mit gleichem Eifer
          für Rudolfs Sohn, Herzog Albrecht, ein; im Kampf für dessen
          Krone opferte er in heldenhaftem Einzelkampf sein Leben. So
          beliebt war der Hohenberger, daß nach dieser Schlacht bei
          Oberndorf 1298 die Bauern seinen Tod rächten.
          
          Gewiß haben die Bauern im Dreisamtal mit der gleichen
          Begeisterung zu ihrem 'Landesvater' aufgeblickt, wenn er auf
          der Burg zu Wiesneck einritt. Dort mag er sich von einer
          anderen Seite gezeigt haben, nämlich als vollendeter Ritter
          seiner Zeit. Als hervorragender Reiter in Turnieren wird er
          bezeichnet, den geistigen Anforderungen, die an die Besten
          dieses Standes gestellt wurden, entsprach er durch seine Milde
          und Wohltätigkeit und seine hohe Verehrung gegen die Frauen.
          Mit den berühmten Helden im „Rosengarten“ (dem Heldenepos aus
          dem Sagenkreis um Dietrich von Bern) vergleicht ihn Mathias
          von Neuenburg, wenn er bei der Geschichte Rudolfs von Habsburg
          ein eigenes Kapitel einfügt "Von dem tapferen und milden
          Grafen Albrecht von Haigerloch und Hohenberg, dem ersten der
          zwölf Recken'. Und wer nur ein wenig Phantasie hat, der kann
          sich Graf Albrecht vorstellen, wie er auf Wiesneck im trauten
          Kreis der edelsten Kunst der Ritter diente, dem Minnesang.
          Zwei Minnelieder, die er gedichtet hat, sind uns in der
          berühmten Manesseschen Liederhandschrift erhalten. (Sie sind
          im Anschluß an dieses Kapitel wiedergegeben.) Die Heidelberger
          Liederhandschrift enthält auch eine Miniatur: Graf Albrecht
          Il. von Hohenberg im Gefecht von Leinstetten-Oberndorf am
          17.April 1298, in dem er den Tod fand. Mit dieser glanzvollen
          Persönlichkeit endet die Herrschaft der Hohenberger im
          Kirchzartener Tal. Der ursprüngliche Plan, einen großen
          Flächenstaat hier im Südwesten zu errichten, war den
          Hohenbergern ebensowenig geglückt wie den Zähringern ... Die
          vielen Feldzüge Albrechts und seine ständigen Reisen in
          königlichem Dienst verschlangen große Summen, nicht weniger
          die Hofhaltung des heiteren geselligen Ritters, am meisten
          wohl die standesgemäße Ausstattung von sechs Töchtern, die
          alle in die ersten Familien einheirateten. So war Graf
          Albrecht genötigt, die Herrschaft Wiesneck und die mit ihr
          verbundene Vogtei über St. Märgen im Jahre 1293 zu
          veräussern... 1020 Mark Silber bezahlte der Freiburger
          Patrizier Burkard Turner“
          
          So weit die Ausführungen von Max Weber über das Ende der
          goldenen Zeit in Wiesneck.
          
          Die Herrschaft der Snewelin und Blumeneck auf Wiesneck
          
          Mit dem Verkauf der Burg mit allem umliegenden Besitz und
          allen Rechten an den Freiburger Burkard Turner 1293 begann
          eine neue Zeit. Die Ära des Niederadels setzte ein. In ihm
          waren tüchtige Unternehmer herangewachsen, wahre Praktiker.
          Sie waren zunächst als Ministerialen den hohen Herrn
          dienstbar, bekamen aber ihr Lehen zu eigen und unterliefen
          alsbald durch ihre finanzielle Überlegenheit die, denen sie
          vormals dienten und die sie nun ablösten.Sie wurden Patrizier
          geheißen. Auch Burkard Turner war ein Patrizier. Er hatte den
          Hauptanteil an den um diese Zeit hochergiebigen Silberminen im
          Suggental, etwas nordwärts von Freiburg im Vorland des
          Glottertals gelegen. Burkard Turner besaß (nach Ott) „ein
          riesiges Vermögen“ und kaufte vermutlich Wiesneck seiner
          Wälder wegen, denn er brauchte für die Silbererzverhüttung
          viel, viel Holz.(9) Doch währte die Herrschaft der Turner auf
          Wiesneck nur kurze 25Jahre.
          
          Schon 1318 finden wir neue Herren, und abermals ein Freiburger
          Patriziergeschlecht: die Snewelins. Ob diese Familie bei den
          Turnern eingeheiratet oder die Burg käuflich erworben hat,
          blieb bisher ungeklärt. Die Snewelins erwiesen sich in der
          Folgezeit als Eigner, die mit allen Mitteln, bis hin zurGewalt
          und dabei den päpstlichen Bann nicht scheuend, ihre Rechte und
          das, was sie dafür hielten, ausnützten. Dies vor allem dem
          Kloster St. Märgen gegenüber. Es ging dabei um die
          Vogteirechte, genauer um die Natural- und Geldsteuern, die das
          Kloster als Schutzzoll an seine Beschützer in Wiesneck zu
          zahlen hatte. Durch eine radikale Auslegung der „Gerechtsame“
          seitens der Herren von Wiesneck über das Kloster, geriet
          dieses in eine völlige Abhängigkeit von ihnen und in
          demütigende Zustände. Welch ein Wandel seit der Frühzeit des
          Klosters sich da vollzogen hat, wird deutlich, wenn man die
          freie Entscheidung bedenkt, die Papst Honorius Il. in seinem
          Schutzprivileg von 1125 (also gleich nach der Gründung), einer
          Art Verfassungsurkunde, dem Kloster zugestanden und verbrieft
          hat.
          
          Darin heißt es (in edlem Latein, hier übertragen): „Bei der
          Wahl eueres Vogtes aber soll der Abt mit der Beratung seiner
          Konventualen die freie Verfügung haben, jemanden zu wählen,
          den er für die Verteidigung der klösterlichen Freiheit als gut
          und nützlich erkannt hat. Sollte sich dieser freilich eher als
          Ränkeschmied denn als Vogt erweisen, die klösterlichen Güter
          verschleudern denn verteidigen, dann soll der Abt mit dem Rat
          der Brüder die Möglichkeit haben einen besseren Vogt zu
          setzen”. (10) Aber diese „freie Verfügung, jemand zu wählen“,
          falls „ein Ränkeschmied“ dem Kloster schade, wurde nie
          praktizierte Wirklichkeit. Denn die Vogtei des Klosters
          scheint doch von vorneherein in einer festen, bindenden Art
          mit der Herrschaft Wiesneck gekoppelt gewesen zu sein - aus
          naheliegendem Grund, es stand ja auf Boden im Familienbesitz
          der Wiesnecker Grafen. Diese Verbindung wurde nie gelöst.
          
          Und doch bestand im Vogteibereich für das Kloster eine wohl zu
          unterscheidende Gliederung. Es gab nämlich im Kloster neben
          dem bevogteten, also abgabepflichtigen Besitz Güter, die
          Vogtfreiheit genossen, die sogenannten Seel- oder Sal-Güter,
          die in der vollen Verfügungs- und Vogtgewalt des Klosters
          selbst standen, auf die also der Wiesnecker Vogt keinen
          Zehntanspruch hatte. Ott (S. 149) zählt mit Namen 16 solcher
          Höfe und Güter im Dreisamtal, an der Wagensteige und in der
          Spirzen auf, einen umfänglichen Bereich. In einem 1267 von dem
          Klostervogt Albert von Hohenberg für das Kloster ausgestellten
          Freiheitsbrief (also wenige Jahre vor dem Verkauf von Wiesneck
          an Burkard Turner), wird dem Kloster die freie Vogtwahl
          bestätigt und erstmals auch die Vogtfreiheit der St.
          märgischen Salleute („selle lute”) und Salgüter ausdrücklich
          betont: „... wir versprechen mit dieser Urkunde, daß das
          Kloster St. Märgen im Schwarzwald, Abt und Konvent des
          Klosters sowie die Hintersaßen samt Gütern in Ruhe leben
          können wie bisher unter unseren Vorgängern. Nichtsdestoweniger
          soll man wissen, daß die Klosterleute, die auf deutsch „selle
          lute“ genannt werden, weder uns noch irgendjemand sonst zu
          einer Dienstleistung, die aus dem Besitz oder aus der Person
          rührt, verpflichtet sind ...” (11)
          
          Der Leser wird sich fragen, warum denn so zäh bei diesen
          Vogteirechten, wo sie gelten und nicht gelten, verweilt werden
          muß. Aber sie waren der Zankapfel in den endlosen
          Auseinandersetzungen zwischen Kloster und Herrn der Burg.
          Vielleicht ist die Verkaufsurkunde von 1293, als Albrecht Il.
          von Hohenberg Wiesneck an Burkard Turner abtrat, nicht ganz
          unschuldig an der Kette von Unheil, denn gerade dort vermißt
          man, was in dem Freiheitsbrief von1279 noch ausgesprochen ist,
          eine klare Benennung der zweigeteilten Vogteirechte über St.
          Märgen. Die Urkunde besagt: „... kunden wir grave Albreht von
          Hohenberg, das wir die burg und die herschaft zu Wisenegge, du
          da lit in Tart-untal in Brisgowe und die vogeteie uber das
          kloster ze Sante Mariencelle indem Swarzwalde ... mit luten
          und gute unde mit namen uber lute ze Frolenbach, ze Zarton, ze
          Merdingen und swa es anderswa lit in Brisgowe unde mit
          gerihten und allen rehten und gewonheiten, so zu serselben
          burg und der herrschaft und der vogeteie horent in Brisgowe
          ... haben verkofet friliche und willecliche ... vur lidig
          eigen ...” (12)
          
          Die Klippe der Auslegung mag in dem Passus liegen, der summa
          summarum lautet: „mit gerihten und allen rehten und
          gewonheiten”.
          
          Für den Historiker Hermann Nehlsen, der in einer speziellen
          Arbeit die Entwicklung der Familie Snewelin erforscht hat,
          bedeutet die Vogtei so etwas wie ein Absolutum. Er hält fest,
          „daß die Vogtei ein Herrschaftsrecht ist, und der Vogt nicht
          nur „defensor“ des Klosters, sondern auch dessen Herr ist. So
          geloben Abt und Konvent dieses Klosters dem Vogt ausdrücklich
          Gehorsam“. Und so verschiebt sich für Nehlsen auch der Akzent:
          Die Schuld an den Querelen liegt bei den Äbten; sie sind die
          Widerspenstigen und verweigern. Er zieht den Konflikt zusammen
          in die Sätze: „In erster Linie ging es in diesem Streit um die
          Rechte des Vogts auf den Salgüten des Klosters. Zwar
          bestritten die Äbte von St. Märgen den Snewlin von Wiesneck
          nie das Recht, auf allen Gütern des Klosters, also auch auf
          den Salgütern, ‘umb morde und dieb’ zu richten, im übrigen
          versuchten sie aber, Güter, die nach ihrer Ansicht Salgüter
          waren, der Gewalt des Vogtes völlig zu entziehen. Von diesen
          sollten dem Vogt keine 'dienste, sture (Steuer), bette,
          gastung, herbergen' zustehen. Die Niedergerichtsbarkeit sollte
          nur der vom Abt eingesetzte Meier ausüben.” (13) Es sind
          lauter Dinge, die dem Kloster früher brieflich zugesagt waren.
          
          Lassen wir eine Charakterisierung des Geschlechts der Snewelin
          folgen, einmal aus der Sicht des St. Märgen vertretenden Josef
          Bader, dann aus der Sicht von Hermann Nehlsen. Bader gerät
          außer Atem vor Erregung:(14) „Denn das schnewelinsche
          Rittergeschlecht vereinigte in seinen Mitgliedern reiche
          Industrieritter (Sperrungen von Bader), sozusagen die
          Rothschilde des damaligen Breisgaues, mit den schlimmsten
          Junkern und Raufbolden unter dem breisgauischen Adel. Ihr
          Schirmamt über de Marienzelle führte zum Untergange derselben.
          Die unerhört mißhandelten Mönche mußten ihr ruiniertes
          Gotteshaus verlassen... Man lese diese tragische
          Klostergeschichte von1311 bis 1464, und es wird unglaublich
          scheinen, wie eine einzige Oertlichkeit innerhalb eines
          Zeitraumes von kaum anderhalb Hundert Jahren der Schauplatz so
          zahlloser, so empörender und schmachvoller Gewaltthaten sein
          konnte.”
          
          Bei Nehlsen erfahren wir über Herkommen, Fähigkeiten und
          Betätigungen besagten Geschlechts konkrete Einzelheiten - und
          am Ende ergibt sich, daß Bader mit seinen grotesken Ausdrücken
          „Industrieritter“ und „Rothschilde des Breisgaues” gar nicht
          so weit von der Wirklichkeit ablag:'' (15) „Erstmalig
          urkundlich belegt ist der Name Snewlin im Jahre 1215, und 1220
          taucht Konrad Snewlin I. als Schultheiß von Freiburg in den
          Akten auf. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte ist der Name
          etwa 13O mal mit dem Schultheißenamt (der Stadt Freiburg)
          verbunden! Vermutlich sind die Snewlins bereits im 12. Jh. als
          Nach-fahren elsäßischer Ministerialen nach Freiburg
          gekommen... jedenfalls kamen sie nicht als arme Leute, da den
          Ministerialen das im Dienst erworbene Gut verblieb und ihnen
          und ihren Söhnen eine Beteiligung an Handelsgeschäften möglich
          war.
          
          In der Mitte des 13. Jh. kann die Familie schon als sehr
          begütert gelten... und im ersten Drittel des 14. Jh. gehörten
          den Snewlins bereits die Burgen Zähringen (der letzte
          Zähringer war 1218 verstorben), Landeck (bei
          Emmendingen),Wiesneck -.neben vielen Besitzungen. Gegen Ende
          des 14. Jh. hatten sie durch Kauf, Tausch und Heiraten das
          gesamte Falkensteinsche  Erbe an sich gebracht, und sie
          besaßen ungefähr den sechsten Teil des gesamtenBreisgaues...
          Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Snewlins stark am
          Breisgauischen Bergbau interessiert waren, und daß ihre
          Investitionen ihnen erhebliche Gewinne einbrachten...
          
          Die bedeutendste Säule ihres Reichtums gründete sich indessen
          auf ihre umfangreichen Geldgeschäfte. Die Snewlins verliehen
          Geld nicht nur an die Grafen von Freiburg, an die Bischöfe von
          Straßburg und an den gesamten geldbedürftigen Adel. Man
          verpfändete ihnen selbst Ämter und Steuern, was erhebliche,
          aber keineswegs zu jener Zeit unübliche Einnahmen einbrachte.
          Wie ihr Verleihgeschäft florierte, geht daraus hervor, daß ein
          Snewlin in einem einzigen Falle einen Jahreszins von 40
          Silbermark einnahm, während er im gleichen Jahr die Burg bei
          Emmendingen (Landeck) für 55 Silbermark erstehen konnte. Im
          Jahr 1328 hatten die Grafen von Freiburg nicht weniger als
          einDrittel der Stadtsteuern an die Snewlins abzuliefern...“
          
          Daß die Snewelins 130 mal Schultheißen von Freiburg werden
          konnten, zeigt an, daß sie im Stadtgefüge mächtig waren und
          hohes Ansehen genossen. Es ist ein Zeugnis ihrer Tüchtigkeit
          und spricht vom Vertrauen der Bürgerschaft in sie. Aber waren
          alle Snewelins gleich? Wie stand es um die Snewelins, die
          Wiesneck beherrschten?
          
          Da Nehlsen in seinem Snewelin-Buch (S. 86) auf eine weitere
          Darstellung des Streites mit den Mönchen verzichtet, da sie
          den Rahmen seiner Arbeit überschreiten würde, bleibt für den
          Verlauf der Dinge nur übrig, uns an Josef Bader zu halten. Er
          hat also nun weitgehend das Wort.
          
          Vom ersten Snewelin auf Wiesneck, dem Ritter Johann, der 1318
          die Herrschaft antrat, soll beispielhaft ausführlicher
          berichtet werden. Der neue Schirmherr von St. Märgen machte
          sich dort offenbar von vorneherein unbeliebt; er hielt sich
          wenig an den Wortlaut der Urkunden. Sein Vogteirecht wollte er
          auch dorthin ausdehnen, wo es ihm - wie wir zuvor schon hörten
          —nicht zustand: auf die SaIgüter des Klosters, eben auf die im
          Eigenbetrieb derMönche stehenden Ländereien, die von der
          Vogtsteuer befreit waren. Es mussten sich Zerwürfnisse
          einstellen. Ein Schiedsgericht sollte sie beilegen. Und nun
          Bader:
          „Dabei schlug Ritter Johann seine beiden Vettern, den
          freiburgischen Schuldheißen Schnewelin-Bärenlapp und den
          Schnewelin-Gresser, zu Richtern vor. Die Marienzeller ließen
          sich diesen Vorschlag gefallen, da ihnen die Ritterehre der
          Beiden als beste Bürgschaft eines gerechten und billigen
          Spruches galt. Dieses Vertrauen wurde jedoch bitter getäuscht,
          denn die Schiedmänner liessen sich von Familieninteressen
          leiten und fällten ein dem Kloster ungünstiges Urtheil. Abt
          und Convent protestierten feierlich dagegen und wendeten sich
          an den heiligen Stuhl... Der Papst erklärte sofort in einer
          Bulle vom 27.5.1320 die schnewelinsche Entscheidung für
          ungültig, und die Klosterherren suchten ein neues
          Schiedsgericht... zu erlangen. Ritter Johann aber, ein
          leidenschaftlicher...Mann, wies nicht allein jede
          Verständigung zurück, sondern behandelte die Marienzelle mit
          so rücksichtslos gewaltthätiger Bosheit, daß es den Anschein
          gewann, als wolle er sich zum Herrn des Klostergutes machen
          und solches seinem Familienbesitztum einverleiben, wie es
          früher und später viele Klostervögte mit ihren
          Schutzbefohlenen gethan.
          
          Der Schnewelin verwendete von der fahrenden Habe des Klosters
          zu seinemGebrauch, was ihm beliebte. Die sanctmärgischen
          Salgüter, welche er wider-rechtlich besteuerte, wurden deshalb
          verlassen und lagen öde; die (an Bauern) verliehenen Höfe und
          Grundstücke (des Klosters) aber behandelte er als
          seinEigentum, bezog die Zinse und Abgaben davon (statt von
          bestimmten nur ein Drittel) und legte... so schwere Steuern
          und Dienste oder Fronen auf, daß die armen Leute es kaum zu
          ertragen vermochten. Den Abt und die Conventherren behandelte
          der Vogt nicht allein aufs Frechste und Gröblichste, sondern
          verkürzte sie auch in ihrem Einkommen dergestalt, daß es ihnen
          nicht mehr möglich war, der Regelpflicht und dem Gottesdienst
          noch ferner nachzukommen. In dieser 'pharaonischen
          Knechtschaft' mußten sich die Armen endlich zu einem
          verzweifelten Schritt entschließen, das Kloster zu verlassen,
          um nur ihr Leben davon zu tragen. Nachdem dieselben den
          Kirchenschmuck, die Bücher und anderes bei benachbarten
          Gotteshäusern in Sicherheit gebracht, wanderten sie aus, zogen
          im Elende umher und erbettelten sich da und dort Nahrung und
          Unterkunft. Das Klostergebäude blieb leer und verlassen; Alles
          stund offen, die Kirche, der Speise- und Schlafsaal, die Küche
          und der Keller... und am Hochaltar wucherte Unkraut empor, und
          Spinnen, Kröten und Nattern nisteten darin.”
          
          Der schlimme Zustand dauerte zwei Jahre. Da war es der Abt von
          St. Peter, den das erbarmte. Er wandte sich „in lebhaften
          Farben“ an den Papst in Avignon und „beschwor denselben, seine
          mächtige Hand zu reichen wider die snewelinschen Frevel“. Der
          Papst setzte zur Untersuchung zwei Prälaten ein, doch die
          Vorladung an Ritter Johann war vergebens; er erschien nicht.
          ImGegenteil, „mit verstocktem Herzen (animo indurato)” ging er
          nur noch rücksichtsloser gegen die Klosterbrüder vor. Da traf
          ihn der Kirchenbann (mit päpstlicher Bulle vom 5.12.1323).
          Aber auch der Bann machte wenig Eindruck auf den Wiesnecker
          Ritter.
          
          „Erst nachdem der Papst befohlen, den Bann an allen Sonn- und
          Feiertagen unter Glockengeläute und bei brennenden Kerzen in
          sämtlichen Kirchen des Breisgaues öffentlich zu verkünden,
          erst jetzt konnten der verfolgte Abt und Convent, welche
          inzwischen wieder nach Sanctmärgenzurück gekehrt, die
          geforderte Genugthuung erlangen. Der Schnewelin verschwand
          damals vom Schauplatz und es schwebt ein verdächtiges Dunkel
          über dem Ausgange desselben. Starb er eines natürlichen Todes
          oder als Opfer der Kirchenstrafe? Man findet keine Nachricht
          darüber; nur das ist bekannt, daß jener freiburgische
          Schuldheiß Schnewelin, welcher mit seinem Vetter Johann (dem
          Gresser) den parteiischen Schiedspruch von 1320 gethan, der
          Marienzelle das Kirchenpatronat zu Haslach vergabte,
          wahrscheinlich als Ersatz für allen dem Kloster verursachten
          Verlust und Schaden.“
          
          Für eine kurze Zeit setzte sich also, zumindest im Sinne der
          geplagten Klosterleute, die Gerechtigkeit durch. Blieb es nun
          bei dem Frieden? Es blieb nicht dabei. Der minderjährige Sohn
          des ersten „Johann Sneweli des von Wisenegg“, ebenfalls ein
          Johann, stand zunächst unter Vormundschaft, griff aber,
          volljährig geworden, zu noch radikaleren Methoden als sein
          Vater. Da sich das Kloster seinen Forderungen widersetzte,
          überfiel er es 1346 kurzerhand, nahm Abt und Konvent gefangen
          und setzte die geistlichen Brüder monatelang auf der Burg
          Wiesneck fest, um sie für die Unterschrift zur Übertragung
          gewisser Eigentumsrechte gefügig zu machen. Bader schildert
          die Szene wiederum aus der Sicht der Mönche:
          
          „Nach etlichen Monaten sahe sich Ritter Johann genöthigt, die
          standhaft verharrten Marienzeller wieder frei zu geben; nur
          zwang er ihnen zuvor das eidliche Gelöbnis ab, nirgendwo über
          das Geschehene eine Klage zu erheben. Der Abt und seine
          Schicksalsgenossen erlangten aber vom Papste die völlige
          Entbindung von diesem gewaltsam erpreßten Eide und betraten
          sofort den Rechtsweg gegen den Vogt und seine Helfer.
          Dieselben wurden als schuldig erkannt und mit dem Kirchenbanne
          bedroht, bis sie reuig gemacht, den Klägern genug gethan und
          sich um Schuldvergebung an den heiligen Stuhl gewendet. Da
          endlich bedachte sich Herr Johann eines Bessern. Er ließ sich
          zu einem Schiedsgerichte herbei, welches im Sommer 1348
          zusammen trat und einen Friedensvergleich auf ein Jahrsechst
          erzweckte, wornach der Abt bewirkte, daß der Vogtherr und
          seine Helfer des Bannspruches erledigt wurden, er dagegen
          eidlich gelobte, dem Kloster einen bestimmten Theil der
          entrissenen Güter wieder anheim zu stellen. Kaum aber war die
          Frist dieses Vergleiches abgelaufen, so begann Ritter Johann
          in seiner Verbissenheit die Verfolgung gegen Sanctmärgen aufs
          Neue und trieb es noch ärger, als zuvor... Abt Konrad mochte
          ihm der ärgste Dorn im Auge sein; denn bis zu einem Anschlage
          gegen dessen Leben ließ der Verblendete (Johann) sich
          hinreißen. Eines Tages im Jahre 1355, als der unbesorgte
          Prälat mit wenigen Begleitern von Freiburg nach seinem Kloster
          zurückkehrte, wurde Abt Konrad bei Ebnet von den
          schnewelinschen Gesellen hinterlistig überfallen und
          meuchelmörderisch erschlagen.“
          
          Der Rat der Stadt Freiburg suchte zu vermitteln, aber Snewelin
          gab nicht nach.Schließlich mußte der verarmte Konvent von St.
          Märgen seinen Sitz nach Freiburg verlegen, wo er sich mit der
          Augustiner-Probstei Allerheiligen vereinigte, um dem Zugriff
          Snewelins zu entrinnen. Bader - aus den Klosterakten schöpfend
          und damit einseitig klostergebunden - entflammt an dieser
          Stelle zudem Ausruf: „Der Leser wird kaum begreifen, wie das
          alles möglich gewesen, und gleichwohl führt uns die Geschichte
          der Wiesnecker Burgherren noch ganz andere Bilder
          faustrechtlicher Verwilderung vor Augen. Meine Hand ermüdet
          aber, dieselben bis ins Einzelne nieder zu schreiben; ich
          vermag es nur, sie in größeren Zügen darzustellen. Denn den
          Specialhistoriker beschleicht endlich ein Gefühl des
          Widerwillens, des Eckels beim Durchgehen der Acten und
          Urkunden über das unritterliche, kleinliche,
          leidenschaftlicheTreiben in der niedern Adelswelt des 14. und
          folgenden Jahrhunderts, wo die trostlosen Zustände des
          deutschen Reichs den Ausschweifungen des Faustrechtes
          überallhin Thore und Thüren geöffnet.”
          
          Im Jahre 1378 veräußerten die Snewelins die Herrschaft
          Wiesneck, und mit ihr den Anspruch auf die Vogtei über St.
          Märgen. Das Geschlecht derer von Blumeneck, gleichfalls zum
          Freiburger Adel gehörend, übernahm den Wiesnecker Besitz.
          Leider ist von den neuen Herren nicht viel Besseres zu
          berichten. Die Zerwürfnisse wiederholten sich, und die
          Methode, sie auszuräumen, glich in etwa der Snewelinschen:
          Auch die Blumenecker ließen im Jahre 1401den damaligen St.
          Märgener Abt Johann in der Hohlgasse zu Merdingen (Breisgau)
          von Bewaffneten überfallen und erschlagen. Auf Antrag des
          Freiburger Rates kamen auch die Blumenecker in Acht und Bann.
          Bader bemerkt hierzu:„... scheinen sich aber wenig daraus
          gemacht zu haben, da sie sich derselben erst nach neun Jahren
          wieder entledigten, um nun fortan mit der Marienzellein
          thunlichem Frieden zu leben.”
          
          Dies aber nur bis zum Jahre 1450, denn in diesem Jahr kauften
          die Snewelins die Burg zurück - und damit begannen „Händel,
          Intriguen und Vertolgungen“ aufs Neue. Die St. Märgener
          Klosterherren wählten zuletzt den verzweifelten Ausweg, daß
          sie den umstrittenen Klosterbesitz mit kleinenAusnahmen 1462
          an die Stadt Freiburg veräußerten. Erst im Jahre 1725 kehrten
          die Nachfolger der exilierten Chorherren nach St. Märgen
          zurück.
          
          In die Herrschaftszeit der Snewelins auf Wiesneck fällt auch
          die Tatsache, daß der Besitz der benachbarten Ritter von
          Falkenstein von den Snewelins nach und nach kassiert wurde.
          Die Falkensteiner waren nämlich im Gegensatz zu den Snewelins
          (nach Bader) „- ein wirtschaftloses Geschlecht, welches in den
          Tag hinein lebte, Schulden auf Schulden häufte und dadurch den
          größten Theil seiner schönen Besitzungen verlor. Die
          Schnewelinschen Schwäger und Vettern hatten es fein angelegt;
          sie liehen den Falkensteinern auf Unterpfande von Gütern und
          Gerechtsamen eine Summe nach der anderen dar, wol in sicherer
          Voraussicht, daß an eine Rücklösung derselben niemals zudenken
          sei. Sie täuschten sich auch keineswegs, denn was an Land und
          Leuten, Rechten und Gerechtigkeiten von Ebnet bis hinauf zum
          Feldberge im 14ten Jahrhundert noch falkensteinisch gewesen,
          war im folgenden Alles schnewelinisch.”
          
          Sie hatten wirklich eine gewinnträchtige Ader, die Snewelins.
          Zum Abschluß dieses Kapitels sei nun aber doch noch ein
          positives Wort Baders zitiert: „Zur Steuer der geschichtlichen
          Wahrheit muß aber daneben anerkannt werden, daß unter den
          wieseneckischen Rittern und Junkern doch auch manche
          edlereGestalt aufgetreten und sich unläugbare Verdienste
          erworben... Es war eben eine characteristische Eigenschaft des
          mittelalterlichen Ritteradels, daß seinBildnis eine tiefe
          Schattenseite neben glänzenden Lichtseiten zeigte. Man findet
          da eine fromme Ritterlichkeit, dann aber öfters an derselben
          Gestalt wieder ein gewaltthätiges Wesen, ein Getriebe der
          Standeseitelkeit, der Aufregung und Rachesucht, welche als
          wahres Rätsel erscheinen. Der Schlüssel zu dessen Lösung liegt
          aber einfach in den adeligen Prärogativen (Privilegien,
          Vorrechten), im Soldatengeiste, Fehde- und Faustrechte, und in
          der leicht erregbaren und veränderlichen Gemüthsart, der
          damaligen Menschen überhaupt.”
          
          Und noch einmal die Snewelins/
           Die Burg im Bauernkrieg
          
          Wiesneck war ab 1378 für eine Spanne von gut 70 Jahren die
          Snewelin los, aber dann kamen sie doch wieder — diesmal in
          einem anderen Zweig desGeschlechts. In verschiedenen
          Seitenlinien breitete sich die Familie wie ein Netz über das
          ganze Land. Deshalb sei noch einmal ein Gesamtblick erlaubt.
          Daß Bader in der Schilderung der Snewelinschen Geldgeschäfte,
          wie zuletzt in den Falkensteinern, keineswegs übertrieb, kann
          man auch bei Hermann Nehlsen in seiner Snewelin-Chronik
          nachlesen. Was sich da abspielte, d.h.was die Snewelin durch
          ihre Geldleihe erreichten, grenzt ans Unwahrscheinliche, aber
          Nehlsen spricht es sachlich-nüchtern aus, und da er solide
          Forschung treibt, sind es verlässige Tatsachen. (16)
          
          „Gerade diejenigen Snewlin, die die großen Höfe und Burgen
          erwarben, sind auch als Geldverleiher größeren Stils bezeugt.
          ... Zu Beginn des 14. Jahrhunderts sind es die Snewli
          Bernlapp, Johann Snewlin der Gresser, Snewli von Wiesneck und
          Konrad Dietrich Snewlin, die wir als Gläubiger der Grafen von
          Freiburg, des Herzogs von Teck, des Grafen Bertold von Sulz,
          der Edlen von Üsenberg, der Herren vonFalkenstein, der Herren
          von Keppenbach und verschiedener anderer Edelherren und
          Klöster kennenlernen. Oft sind die Beträge, die die Snewlin in
          einer einzigen Gülte anlegen, höher als der Kaufpreis ganzer
          Herrschaften. So gab der Gresser allein den Herren von
          Üsenberg 600 Silbermark, während sein Bruder Snewli Bernlapp
          zur gleichen Zeit für 303 Silbermark die Burg Zähringen mit
          sämtlichen Pertinenzen kaufte. Noch grotesker wird das
          Verhältnis, wenn wir auf die Löhne der Handwerker sehen.
          Erhielt doch im Jahre 1359 der berühmte Münsterbaumeister
          Johannes von Gmünd eine jährliche Rente (Entlöhnung) von
          insgesamt 14 Pfund Pfennig, also etwa 5 Silbermark, während
          Johann Snewlin der Gresser im Jahre 1347 allein über 120
          Silbermark an Zinsen einnahm.“
          So ist es nicht verwunderlich, daß sie rundum über den
          bedeutendsten Burgen-und Hofbesitz verfügten. Neben ihren
          Burgen gehörten ihnen umfangreiche städtische Liegenschaften,
          etwa 30 Dörfer, Hochgerichte, Niedergerichte, Wildbänne,
          Kirchenpatronate, Kirchenzehnten und sonstige ertragreiche
          Einnahmequellen zu Eigen oder Lehen. Manche Glieder der
          Snewelin unterlagen dabei auch den Gefahren ihrer gehobenen
          Landadelstellung - sie verwirtschafteten sich wieder.
          
          Der ursprünglich herrschende Zweig der „Snewli von Wiesneck“
          starb um die Mitte des 15. Jahrhunderts aus, und zwar zu einer
          Zeit, als ihm die Burg schon nicht mehr gehörte. Sie war — wie
          im letzten Abschnitt beschrieben - 1378 an die Blumenecker
          verkauft worden. Doch ein anderer Snewelin, Johannes von
          Landeck, kaufte Wiesneck 1450 von den Blumeneckern zurück.
          Dieser Käufer war hochbegütert, er trug den Zunamen „Hans der
          Reiche“. Fortan nannten sich die neuen Herren der Burg
          Snewelin von Landeck zu Wiesneck. (17)
          
          Unter Hans dem Reichen lebten die Spannungen mit dem Kloster
          St. Märgen sofort wieder auf, so daß sich eben die
          Klosterleute zuletzt nicht anders zu helfen wußten, als den
          Klosterbesitz mit kleinen Ausnahmen im Jahre 1462 an die Stadt
          Freiburg zu verkaufen. Max Weber sagt:
          „Ulm den geringen Preis von 4800 Gulden erhielt die Stadt
          damit ein Areal, das allein 3000 Juchart Wald umfaßte, dazu 80
          Bauernhöfe und 90 weitere Erblehen. Lediglich die Kirche in
          St. Märgen mit ihrem Zehntrecht und einige unbedeutende
          Grundstücke behielt sich das Kloster vor. So war dieses der
          ewigen Streitereien enthoben, die Stadt aber hatte eine
          ansehnliche Grundherrschaft erworben und war so auf ihrem
          zielbewußten Weg zu einem Territorium ein gutes Stück
          vorangekommen. Gleichzeitig bot sich die Möglichkeit, die
          wichtigste Grundlage hierfür zu erlangen: Die Hoheitsrechte
          über den erworbenen Grundbesitz. Wir sahen, daß sie mit der
          Vogtei verbunden waren. Für die Herren von Schnewelin war die
          Vogtei über das Gebiet von St. Märgen von dem Augenblick an
          uninteressant, wo sie nicht mehr zum Angriff auf das
          Klostergut benützt werden konnte, wo also für die Ritter keine
          Aussicht mehr bestand, ein eigenes Territorium zu bekommen.“
          Geschickt wußte Hans der Reiche die neue Situation zu nutzen:
          Er verkaufte die Vogteirechte über das Kloster im Jahr darauf,
          1463, um 1000 gute rheinische Gulden an die Stadt Freiburg,
          ließ sich aber gleichzeitig (Nov. 1463) wieder damit beleihen.
          So waren die Freiburger zwar die Vogtei-Oberherren, aber Hans
          hatte nach wie vor eine Einnahmequelle auf den vormaligen
          Klostergütern.
          
          Die Herrschaft Wiesneck selbst verblieb jedoch 1463
          ausdrücklich ganz zu Eigen der Snewelins: Die „burg mit infang
          und begriff, mit velsen, mit graben, mit muren, mit zwing und
          wasen“. Dazu die Wiesnecker Mühle (an der Stelle vom heutigen
          "Institut für politische Bildung‘), der Meierhof, der Weiher
          und alle Güter am Berg und um das Schloß (worunter u.a. der
          Wanglerhof und der Altenvogtshof zu verstehen sind), ferner
          Wald, auch ein Sechstel des Waldes in der Spirza; ferner der
          zugehörige Teil des Wildbannes. Die Betonung des Wildbannes
          wird wichtig im Bauernkrieg; daran entzündete sich entschieden
          der Groll der Bauern.
          Abermals änderte sich etwas. Im Jahre 1489 geriet Wiesneck
          unter die Landeshoheit des Habsburgischen Hauses Österreich.
          Die Habsburger hatten bereits seit langem die Hoheitsrechte
          für Freiburg, und da Kirchzarten den Freiburgern untertan war,
          auch für das benachbarte Kirchzarten. Die Österreicher schoben
          gezielt den Keil ihrer Landeshoheit durch Schwaben hindurch
          bis ins Elsaß hinein. Was sie hier unter ihren Hut brachten,
          nannte sich „Vorderösterreich“. Wiesneck wurde also nun
          österreichisch. Im genannten Jahr 1489 kaufte Erzherzog
          Sigismund die „unabhängige Allodialherrschaft Wiesneck“ um
          2800 Gulden dazu, übergab sie jedoch gleichzeitig wiederum an
          den um diese Zeit auf Wiesneck herrschenden Junker David von
          Snewelin Landeck zu Wiesneck als Lehen. Aus der Bezeichnung
          „Allodial...” geht eindeutig hervor, daß bis dahin Wiesneck
          ein völlig selbständiges Besitztum und sein Eigentümer aus
          diesem Besitztum heraus nach keiner Seite hin abgabepflichtig
          war.Das änderte sich nun. Indem sich Wiesneck der
          österreichischen Landesherrschaft unterstellte, blieben zwar
          die Snewelins darauf sitzen, hatten aber von da an an den weit
          entfernt in Wien residierenden Erzherzog von Habsburg
          Lehenszins und bei kriegerischen Verwicklungen auch Einsatz zu
          leisten. Den-noch zahlte sich die zum Lehen gewordene
          Herrschaft aus; es blieb immer noch ein gutes Einkommen, und
          im Notfall konnte sich der Wiesnecker Lehensherr auf einen
          mächtigen Vorspann berufen.
          
          Der „Edelvest Junckherr David von Landegk zu Wisnegk“, unter
          dem sich dieser Hoheitswandel vollzog, wird von Max Weber als
          eine der markantestenPersönlichkeiten im Dreisamtal gerühmt.
          Er stand nicht nur im Dienst des Markgrafen Christoph von
          Baden als Rat, Burgvogt von Rötteln und Landvogt, sondern übte
          zugleich als „Römisch-Kaiserlicher Majestät Rat“ die
          Regentschaft für die vorderösterreichischen Lande zu Ensisheim
          im Elsaß aus, demSitz dieser Regierung. Ob Junker David bei so
          vielfältigen Amtsgeschäften oft oder nur gelegentlich auf Burg
          Wiesneck sich aufhielt, vermerken die Chroniken nicht. Doch
          seine Zügel müssen kräftig im Tal spürbar gewesen sein -‚denn
          gerade gegen ihn erhoben die Bauern 1525 die Hand. Es sollte
          sie teuer zu stehen kommen. Sie hatten es mit einem
          einflußreichen Herrn zu tun. Noch1520 hatte Karl V., sein
          kaiserlicher Herr, Junker David die Belehnung mit Wiesneck
          bestätigt; kurz vor dem Bauernkrieg.
          
          Vom Bauernkrieg können hier nur die Vorgänge unmittelbar im
          Dreisamtal skizziert werden. Max Weber widmet ihnen im
          Kirchzartenbuch (S. 297-341) einausführliches Kapitel. Was da
          geschildert wird, ist ergreifend eindringlich und steht für
          Bände Kummers. Es setzt ein mit dem vorausgehenden „Schweizer
          Krieg“ 1499 zwischen den Habsburgern und den Eidgenossen,
          wobei die Bewohner des Dreisamtals wie Freiburgs als
          habsburgische Gefolgsleute auch habsburgisch mitzukämpfen
          hatten — und bei Dornach schwer geschlagen wurden. Weber sagt:
          
          „Vermutlich hat der Nachschub nicht genügt. Denn nach der
          Niederlage bei Dornach kamen die Männer des Freiburger
          Fähnleins nicht nur ohne Waffen, armselig auf einen Stock
          gestützt wieder nach Hause, sondern auch 'barschenkelig, on
          gürtel, on kappen und hüt ... also daß alle mentschen ein sehr
          mitliden und trurigkeit mit inen hetten'. Was die Söhne
          unseres Tals auf diese Weise im Dienst der städtischen Herren
          und der erzherzoglichen Regierung Iernten, suchten manche von
          ihnen bald schon für ihre eigenen bäuerlichen Belange zu
          verwerten. Gerade die Landsknechte und ihre kleinen Führer,
          die im wechselnden Dienst vieler Herrschaften die Welt gesehen
          und die neuen Ideen der unruhigen Zeit um 1500 kennengelernt
          hatten, wirkten wie Funken, die in aufgehäuften Brennstoff
          fallen.” (S. 299)
          
          Aufgehäufter Brennstoff bei den Bauern war eben die Fülle von
          aufgesplitterten Herrschaftsansprüchen und den nie endenden
          daraus abgeleiteten Forderungen, denen der Bauer hilf- und
          verständnislos gegenüberstand, da die meisten der Forderungen
          ihrem Wesen nach den überholten mittelalterlichen
          Wirtschaftsformen angehörten. Es gab den Grundherrn, den
          Leibherrn, den Kirchenherrn, den Gerichtsherrn und den
          Landesherrn - und jedem Herren gesondert war der Bauer
          pflichtig, bis zur totalen Leibeigenschaft: „Gelang einem
          Herrn die Zusammenfassung aller Rechte, so waren ihm die
          "Untertanen' völlig ausgeliefert. .. Im Kirchzartener Tal
          scheint sich Junker David von Landeck auf Burg Wiesneck in der
          Ausübung der Herrschaftsrechte am meisten den Haß der Bauern
          zugezogen zu haben. Es ist anzunehmen, daß dabei auch der
          Wildbann, d.h. das Jagdrecht eine Rolle spielte. Denn
          allerorts klagen die Bauern darüber, daß sie gar viel als
          Treiber in Anspruch genommen werden, selbst jedoch gar nicht
          schießen dürfen, ja tatenlos zusehen müssen, wie das Wild ihre
          Ernten zugrunde richtet.” (Weber.S. 301)
          Führer der Bauern im „Schwarzwälder Haufen“ war Hans Müller
          von Bulgenbach (bei St. Blasien), ein redekundiger („so daß
          man seinesgleichen redner nit mocht befinden“), aber auch von
          tiefer Religiosität erfüllter Mann. 'In christlicher Liebe und
          brüderlicher Treue' fanden sich die Bauern auf dem Schwarzwald
          zusammen, 'dem göttlichen Recht ein Beistand zu tun und Anhang
          dem heiligen Evangelion'. Nur was an Forderungen ihrer Herren
          aus der heiligenSchrift begründet werden kann, wollten sie
          weiterhin entrichten. Mit dieser Grundhaltung stimmt auch die
          Nachricht überein, daß die herumziehenden Scharen zunächst
          keineswegs plünderten, sondern im Gegenteil sogar alles, was
          sie verzehrten, bezahlten. Übergriffe zeigten sich erst, als
          die langwierigen Verhandlungen der Bauernvertreter mit den
          Ausschüssen der Adeligen zu keinen Ergebnissen führten und so
          die Bauern sich enttäuscht sahen. .. Im Frühjahr 1525 begann
          Hans Müller seinen großen Zug, zuerst das Aufrufen und Sammeln
          kreuz und quer durch den Schwarzwald und dann hinunter ins
          Dreisamtal und in die Ebene, um auch den Breisgau zum Anschluß
          an die ‘Christliche Vereinigung' zu zwingen. ...“ (Weber. 5.
          305)
          
          Einmal im Zuge, entglitten dem Führer und seinen Hauptleuten
          an besonderen Brennpunkten die Aufständischen in ihrer
          Empörung. So zerstörten die rabiat gewordenen das Kloster St.
          Blasien in wüster Art und soffen den Weinkeller aus. Was sie
          nicht hinter die Kehle brachten, ließen sie in den Keller
          laufen. Der Wein stand knöcheltief. Ein Gegenstück zu St.
          Blasien gelang dem Abt im Kloster St. Georgen, wo offenbar
          Hans Müller persönlich dabei war und die Masse in Schach
          hielt. Der Abt ging in Begleitung seiner Mönche den
          Anrückenden entgegen, lud sie ins Kloster ein und bewirtete
          sie einige Tage reichlich. Hinterher waren Karpfenteich und
          Weinkeller leer, aber Kloster, Kirche und Kammern
          unangetastet. Was aber danach folgte, berichtet die Villinger
          Chronik in lapidarer Kürze:
          
          Am Freitag den 12ten Mai verließen die Bauern das Kloster
          Sanctgeorgen und zogen gen Furtwangen. Auf diesem Zuge nahmen
          dieselben dem Wachter im Kohrbach etliche Stücke Vieh weg.
          Darnach zogen sie gen Sanctpeter, gen Kirchzarten und Ebnet,
          nahmens ein und ließen sich schwören. Sofort warfen sich
          etliche Haufen dem Junker David von Landeck vor sein Schloß
          Wiesneck, stürmtens, gewannens, plündertens und verbranntens,
          auf Sonntag Cantate, den 14. Mai.”
          Am 14. Mai 1525 wurde also die Burg Wiesneck zum anderen Mal
          gründlich niedergemacht — diesmal von den Bauern. Ob Hans
          Müller diesen Akt hätte verhindern können, bleibt offen; denn
          er schrieb derweil von Kirchzarten aus Bbotschaft an die
          Freiburger, sie sollten sich der „Christlichen Vereinigung“
          anschließen. Hinter dem Sturm auf die Burg standen vermutlich
          Leute aus Davids eigenen Untertanen, die auf diesen Tag lange
          gewartet hatten. Schon einen Monat zuvor, am 10. April, hatte
          Freiburg als Kundschafterergebnis nach oben melden können,
          „daß Davidts von Landecks Unterthanen hefftig daruff dringen,
          den Huffen in das Bryßgow zu bewegen“. Sie konnten also das
          Kommen des Aufständischenhaufens gar nicht schnell genug
          erwarten. Darauf zielt das im Zitat der Chronik enthaltene
          „Sofort“, mit dem der Satz von der Zerstörung beginnt.
          
          Ein radikaler Trupp machte dann weiter einen Abstecher ins
          Elztal, während der Großteil der Bauern in Richtung Freiburg
          vorrückte. Ebnet wurde besetzt, auch die Kartaus übel
          zugerichtet, und alsbald im Zusammengehen mit anderen Haufen
          die Stadt in einem Ring umschlossen und belagert. Von der
          Burghalde aus, dem Schloß über der Stadt, wurde übrigens auch
          in Freiburg das dem Junker David gehörende Haus „Zum Wilden
          Mann“ beschossen. Es lag an der Salzstraße (gegenüber dem
          heutigen Augustinermuseum, wurde vor einigen Jahren nach einem
          Brand abgerissen und modern ersetzt). Die Übergabe Freiburgs
          erfolgte am 23. Mai. Am folgenden Tag schlossen die Stadtväter
          mit den Bauernobristen einen feierlichen Brudervertrag. Die
          Freiburger entzogen sich jedoch kurze Zeit später aufs
          schmählichste wieder diesem Vertrag und trieben „mit der buren
          bruoderschafft große schelmenstuck“. Ja, sie verhielten sich,
          als die Sache der Bauern völlig schiefgegangen war und es ans
          Wiedergutmachen ging, noch rachsüchtiger als die adeligen
          Herrn. Sie züchtigten ihrerseits am 16. August 1525 ihre
          eigene Talvogtei Kirchzarten „mit Raub, Brandt, Todtschlag“,
          und wollten offensichtlich durch übertriebenen Eifer ihre
          Schuld gegenüber dem österreichischen Oberherrn vergessen
          machen.
          
          Bereits im Juli 1525 war der Aufstand restlos
          zusammengebrochen, der Schwarzwälder Haufen zerstreut, die
          Hauptführer gefangen - und in der Fron änderte sich nichts.
          Die Aburteilung der Rädelsführer vollzog sich rasch, Hans
          Müller von Bulgenbach wurde am 12. August in Laufenburg
          hingerichtet. Die Sühneauflagen der Grundherrn an ihre Dörfer
          folgten prompt. Nur die gerichtliche Bereinigung der
          Herrschaftsforderungen gegeneinander (wessen Bauern welchen
          Schaden beim angrenzenden Herrn verursacht hatten) zog sich
          fast zwei Jahre hin — weit länger, als das ganze Unternehmen
          der freiheitsdurstigen Bauern gedauert hatte.
          
          Junker David kam nicht zu kurz. Seine Untertanen ergaben sich
          auf Gnade und Ungnade und mußten ihm von neuem schwören, alles
          zu erfüllen. Als erster holte sich zwar zunächst einmal der
          Erzherzog als Landes-Oberherr aus jeder seiner 152 Gemeinden
          von jeder Herdstatt 6 Gulden Vergeltung, doch gleichzeitig zog
          Junker David innerhalb seiner eigenen Dörfer mit 3 Gulden
          Brandschatzung nach. David unterstanden im Dreisamtal
          Wiesneck, Falkensteig, Dietenbach, Mißwende, Falkenbühl, Teile
          von Ebnet, Littenweiler und Eschbach. Sein Ertrag: 3200 Gulden
          für den Wiederaufbau der Burg und seiner anderen Gebäude, 800
          Gulden Ersatz für die entwendete Habe Davids. Für die
          Geldeintreiber war letzten Endes die Anzahl der Häuser
          maßgebend, nicht Schuld oder Unschuld am Aufstand. Deswegen
          gibt das Ensisheimer Häuserverzeichnis einen interessanten
          Aufschluß über die Größe der verschiedenen Dörfer. Es seien
          einige herausgegriffen:
           
          „Kirchzarten und zun Höfen hat 35 Hüser von gmeynen lütten,
          item 3 pfaffen hüser, item 3 witwe hüser ... Wisneck hat 5
          hüser von gmeynen lütten, item 1 fry hus, item prantschatzung
          ist bezalt; und heist der vogt Heinrich Wirbstein. Buchenbach
          hat 16 hüser von gmeynen lütten; nütz me, item
          prantschatzungist bezalt; und heist der vogt Heinrich
          Heintzler. Wagensteig hat 13 von gmeynen lütten, nütz me, item
          sie sind noch etwas an der prantschatzung schuldig,weisz man
          zu Friburg wol, wie vil; und heist der vogt Martin Schnider.
          Falkenstein hat 7 hüser von gmeynen lütten. Espach under
          Junkher David hat 7 hüservon gmeynen lütten.”
          
          Max Weber schließt das Kapitel Bauernkrieg mit der traurig
          stimmenden Einsicht, „daß alle Einrichtungen beim alten
          geblieben sind, auch jene, deren Reform auch die besten der
          Zeitgenossen für nötig erachtet halten. Von goßem Idealismus
          beseelt, hatten tatkräftige Männer eine Bewegung entfacht,
          deren sie nicht mehr Herr wurden, als jene selbstsüchtigen
          Mitläufer ... den Gegenkräften schließlich recht gaben, bis
          auch diese wieder durch blutige Gausamkeiten ihrer Racheakte
          die innere Berechtigung verspielten.“
          
          Untergang der Burg im Dreißigjährigen Krieg
            
           Es war wohl ein Racheakt gegen den „Edelvest Junckherr
          David von Landegk zu Wisnegk”, daß seine Burg als einzige
          unter den Herrensitzen im Dreisamtal dem wütenden Ansturm der
          Bauern erliegen mußte. Daß sich aber David seinerseits dafür
          wiederum durch die Auferlegung von Bußgeld Haus um Haus seiner
          Hintersaßen zur Genüge schadlos zu halten wußte, hörten wir.
          Merkwürdigerweise scheint er jedoch die „Brandschatzung“ nicht
          in den Wiederaufbau der Burg gesteckt zu haben, denn noch 24
          Jahre nach dem unheilvollen 14. Mai 1525 bestimmt Davids Sohn
          Christoph in seinem Testament dem einen der beiden Söhne zum
          Wohnort das Schlößchen Falkenbühl (oberhalb Ebnet gelegen),
          dem anderen das Freiburger Haus 'Zum wilden Mann’. Die Burg
          Wiesneck als solche wird in Christophs Testament von 1549
          nicht einmal erwähnt. Eine Überlegung muß daraus schließen:
          Als bewohnbar im Sinne eines Herrschaftssitzes kann die Burg
          zu jener Zeit nicht gegolten haben, obwohl sie ihrer weit
          umfänglicheren Anlage nach Falkenbühl den Rang hätte ablaufen
          müßen. Vielleicht zog es aber auch die junge Generation der
          Landeck-Wiesnecker Herren stärker als je zuvor in die
          Stadtnähe - und Falkenbühl lag bereits auf halbem Weg nach
          Freiburg ! Die streitbare Betriebsamkeit der Väter wich dem
          Verlangen nach Genuß und Verzehr im Besitztum.
          
          Das schließt nicht aus, daß die gröbsten Schäden der Burg
          Wiesneck doch ausgebessert und die Zugänge abgeschirmt waren,
          so daß sie immer noch als erwünschtes Einstellquartier beim
          Durchritt und auf der Jagd benützt werden konnte. Vermutlich
          hat sie auch ein Beauftragter der Snewelin versorgt, denn von
          Bedeutung scheint, daß — genau wie es Junker David im Jahre
          1520 getan- sich Christoph von Landeck im Jahre 1538 durch
          Karl V., seinen österreichisch-kaiserlichen Oberherrn, die
          Belehnung mit Wiesneck ausdrücklich bestätigen ließ. Dasselbe
          wiederholte sich nach Christophs Ableben 1553 für den nächsten
          Erben, Christophs Sohn Hanns Jacob von Landeck zu Wiesneck.
          Wenn so nachdrücklich um Brief und Siegel von kaiserlicher
          Hand geworben wird, spricht sich darin Wert und Nutzen eines
          immer noch gewichtigen Herrschaftsgutes aus.
          
          Mit Hanns Jacob stirbt der letzte männliche Vertreter der
          Snewelin von Landeck zu Wiesneck. 1562 ist sein Todesjahr. Er
          hinterläßt zwei Töchter; sie sind die Erben, aber eben nicht
          nur der Burg, sondern der gesamten Dörfer und Güter, die sich
          vom Breisgau, durch das Dreisamtal, über Breitnau bis zum
          Feldberg breiten. Anna von Landeck, die ältere der beiden
          Töchter, heiratet kurze Jahre nach des Vaters Tod, 1568, den
          Freiherrn Friedrich von Sickingen, Herrn zu Hohenburg, den
          Enkel des berühmten Franz von Sickingen. Damit beginnt auf
          Wiesneck eine neue Zeit: Die Herrschaft derer von Sickingen,
          genauer gesagt, eines eigenen breisgauischen Zweiges derer von
          Sickingen. Es verlohnt sich, bei dieser Wende ein wenig zu
          verweilen. Denn wie ganz anders liest sich nun eine
          Charakterisierung dieses Geschlechts gegenüber der, die wir
          durch Hermann Nehlsen über die Sneweli erfahren konnten.
          
          Michael Benz, der Biograph der Sickingen,(18) beschreibt den
          neuen Zweig: Kontrapunktisch zur wie vom Unfrieden behexten
          ebernburgischen Geschichte (einer andern Linie der Sickingen)
          wölbt sich über jener der Breisgauer Sickingen-Linie ein
          weiter Himmel überlegener, grenzenloser Ruhe. En miniature, im
          Rahmen der regierend umspannten Patrimonalgüter, wiederholen
          die Hohenburger, dauerhaft in den Zonen erhabener Erlauchtheit
          beheimatet, die Clementia Austriaca, wenig empfänglich für den
          hypnotischen Reiz großer Politik und lautstarker Extreme.
          Durch Reichtum und Name glänzte man von selbst unter den
          Ersten. Kein Hohenburger Sickingen hat sich je ernstlich um
          diplomatische Dienste an Fürstenhöfen bemüht - die sprudelnden
          Revenüen (Einkünfte) aus Eigenbesitzungen und kirchlichen
          Pfründen enthoben der Notwendigkeit, der immerwährenden
          Herausforderung durch um Ämter buhlende Rivalen sich
          auszusetzen. Eher schon neigte man den Künsten‚ gewogen das
          Haupt, ermöglichte durch verschwenderische Aufträge und
          impulsgebendes Mäzenatentum Malern und Baumeistern die
          Entfaltung ihres Könnens und reagierte als Publikum, als durch
          erlesenen Geschmack und genuine Kennerschaft sich
          auszeichnende Liebhaber auf die Schöpfungen geistgen und
          künstlerischen Lebens. Die erhaltenen Bildniße der Linie, mit
          ihren entzückenden Lichtpunkten doch nur Überreste einst viel
          herrlicherer Schätze,dokumentieren eindrucksvoll die
          überragende Rolle des repräsentationsfreudigen und — wie hier
          - im Überfluß lebenden alten Adels für das Gedeihen
          einerIebhaften Kunstszene.”
          
          Durch die Heirat des Friedrich von Sickingen mit der
          Snewelintochter Anna hatten sich die Sickingen mit dem
          Reichtum des reichsten Grundherrn des Breisgaus verbunden, und
          da die jüngere Schwester unvermählt blieb, fiel schließlich
          der gesamte snewelinsche Besitz dem vermählten Paare zu. Aber
          (die Sickingen gingen mit dem Reichtum nobel um - und das ist
          das Besondere und Erfreuliche an ihnen : Sie liebten die
          Künste. Michael Benz sagt, der neugegründete Breisgauer Zweig
          habe sich zwar nach der Hohenburg benannt,(diese Burg jedoch
          nie zu seinem Sitz gemacht, sondern diesen von vorn herein in
          Ebnet genommen, dem dortigen Gut der Snewelin (einem
          Wasserschloß, das später in das Barockschloß Ebnet umgebaut
          wurde). Wo die Hohenburg liegt wird nicht gesagt. Wiesneck
          gehörte nun zwar auch zum Besitz der Sickingen, aber fest
          steht nach dieser Bemerkung, daß es die Sickingen in der Burg
          selbst zu wohnen nie verlockt hat.
          
          Und doch scheinen sie ihr Aufmerksamkeit gewidmet zu haben.
          Sie holten offenbar das von den Landeckern Versäumte nach und
          bauten sie wieder auf; Zeugnis dafür gibt ein Altargemälde in
          der Schloßkapelle zu Stegen. Die Landschaft im Hintergrund
          eines St. Sebastianbildes zeigt auf einer Bergkuppe eine Burg,
          und auf dem Burgberg steht der Name „Wisneck“. Auch existiert
          eine nichtgesicherte Abbildung der Burg vom Jahre 1620, vom
          Fuß der Steilhanges bei der Wiesnecker Mühle gesehen. Die
          Wiesnecker Mühle - sicher ein uralter Bestandteil der
          Wiesnecker Herrschaft — steht verwandelt heute noch; darin
          befindet sich wie schon gesagt, das „Institut für politische
          Bildung — Studienhaus Wiesneck”. Die Zeichnung von 1620 zeigt
          die „Veste Wisneck” bescheiden, mit einem hochragenden
          Mittelturm, beflankt von einem Wohngebäude, ringsum mit einem
          Mauermantel bewehrt.
          Nur dauerte die Herrlichkeit nicht lang. Die Wirren des
          Dreißigjährigen Krieges hatten inzwischen eingesetzt, wenn sie
          auch erst nach und nach das Freiburger Gebiet erreichten.
          
          Die Einheimischen hatten kurz zuvor noch ihren Lokalkrieg zu
          verkraften, den „Rappenkrieg“, besser gesagt, den Ansatz zu
          einem erneuten Bauernaufstand, der zwischen 1612 und 13 über
          dem Schwarzwald schwelte. Es ging um eine Sonderabgabe von
          einem Rappen auf jede ausgeschenkte Maß Wein. Den Rappen
          empfanden die Bauern als ungerechten „bösen Pfennig“, den sie
          los-sein wollten. Anheizer des Unmuts war ein Bauernsohn
          Martin Haizmann. Und so sammelte der Spirzenbauer Wolf Schwer
          nach einer Verschwörungssitzung im Stüble auf dem nahen Turner
          am Fasnachtssonntag 1613 nach und nach einen Haufen von 400
          Mann um sich, die zu Ostern über St. Peter, Weiler (Stegen),
          Bickenreute und Kirchzarten nach Ebnet ziehen wollten, um die
          Schlösser zu brechen. In Freiburg „war es auf die Studenten
          abgesehen“; warum gerade auf sie und was sie mit dem
          Weinrappen zutun hatten, die ihn doch auch als durstige Kehlen
          zu zahlen hatten, läßt Max Weber (Kirchzartenbuch S. 342)
          offen. Von Haus zu Haus wollte man ziehen, schreibt Weber, und
          alle Bauern, Knechte und Jungen über 15 Jahre zum Anschluß
          zwingen, "damit es einen rechten Bauernkrieg gebe'. Soweit kam
          es nicht. Der Talvogt von Kirchzarten, in Freiburger Diensten
          stehend, erhielt Wind von dem Aufbruch und setzte
          obrigkeitliche Riegel vor. Der Haufen zerstreute sich, Martin
          Haiz-mann ereilte sein Schicksal auf der Flucht in die Schweiz
          bei Waldkirch. Immerhin erreichte der Aufstand, daß es dann
          1614 zu einem Vergleich zwischen den Ständen kam. Wir können
          nur hofien, daß die Bauern von da an Ihren Schoppen ohne
          „bösen Pfennig“ trinken durften.
          
          Die ersten Vorboten des Dreißigjährigen meldeten sich im Tal
          damit, daß 1620 die vorderösterreichische Regierung von
          Ensisheim/Elsaß aus Befehl erließ, die Schwarzwaldübergänge zu
          verwahren. Zu diesen zählte als wichtiger Paß auch das
          Falkensteiner Tal — unser heutiges Höllental. Nun mußten die
          ringsum wohnenden Bauern Schanzarbeiten leisten und Wache
          schieben in einer Art Volkssturm des Mittelalters. Außerdem
          mußten sich laut erzherzoglichem Edikt alle über 16jährigen
          ledigen Männer selbst ausrüsten: Ein langer Spieß, eine
          Muskete und 2 Pfund Pulver sollten immer zur Hand sein, damit
          das Aufgebot sofort bereitstehe.
          
          Erst 1630 zog sich das Gewitter über der Gegend stärker
          zusammen. Mit dem Aufgebot von „1000 ledigen Bauernsöhnen,
          Dienstknechten und Freiwilligen“ wurde es Ernst, und im Jahre
          1631 begann am Oberrhein wirklich die Kriegsnot. Die Schweden
          rückten vom Kinzigtal aus vor Freiburg, nahmen Offenburg und
          die Orte im Breisgau, schließlich erzwangen sie am 29.
          Dezember 1632 den Einzug in Freiburg — und verlangten 30 000
          Gulden Brandschatzung, an der auch die Hintersassen des
          Kirchzartener Tals ihr gemessen Teil zu tragen hatten. Die
          Überfälle der schwedischen Besatzung in der Umgebung von
          Freiburg — 'Razzias' genannt - trieben die Bauern zur
          Verzweiflung und Gegenwehr. Am 18. Oktober 1633 zogen die
          Schweden von Freiburg ab, rückten am 1. April 1634 erneut in
          die Stadt, um sie am 6. September 1634, nachdem ihrHauptheer
          bei Nördlingen geschlagen war, abermals zu verlassen.
          
          Das Hin und Her der Soldatenhorden zermürbte die Gemüter,
          vollends als Frankreich eingriff und sich gegen Kaiser und
          Österreich mit den Schweden verbündete. Die französischen
          Truppen schwärmten aus dem Elsaß herüber und machten die
          Gegend des Oberrheins erst recht zum
          Kriegsschauplatz.(Gewalttaten der requierenden Trupps nahmen
          kein Ende. Im Schwund der Bevölkerungszahlen spiegeln sich die
          Leiden. Als Beispiel seien die Zahlen von Freiburg angeführt.
          Die Stadt hatte nach der frühen Glanzzeit der Zähringer
          Herzöge die stattliche Höhe von 20 000 Einwohnern erklommen,
          war dann im Spätmittelalter, nach dem Versiegen des
          Silberreichtums am „Erzkasten“ (heute Schauinsland) bis auf 8
          - 7 - 6000 abgesunken, erlitt 1564 eine Pestnot, die 2000
          Menschen wegraffte und trat demnach schon beträchtlich
          vermindert in die hier geschilderte Periode ein. Nach dem
          Abzug der Schweden im September 1634 zählte die Stadt alles in
          allem noch etwa 2000 Seelen von vorher 6000 wieder erreichten.
          Wieviele von diesen 2000 tatsächlich das Ende des
          Dreißigjährigen Krieges überlebten und die Glocken des
          Westfälischen Friedens läuten hörten, wissen wir nicht; die
          zermürbende zweite Hälfte des Krieges brach da erst an. Die
          radikale Entvölkerung überwand die Stadt durch zwei
          Jahrhunderte hindurch nur mühsamst, und wir lesen mit Staunen,
          daß dem Freiburger Bürgermeister noch im Jahre 1862 (!) nur 17
          000 Einwohner unterstanden. Heute hat die Stadt über 200 000.
          
          Zurück zu den Franzosen, die am 11. April 1638 die Festung
          Breisach eroberten und damit dem ganzen Gebiet den Stempel
          französischer Herrschaft aufpräglen. Das wirkte sich u.a.
          darin aus, daß die Franzosen unter Mobilisierung der Talbauern
          sofort 2000 Mann einsetzten, damit sie den Weg durchs
          Höllental an der engsten Stelle, den Paß an der Falkensteig
          (beim Hirschsprung) eröffnen. Schlagartig, sagt Weber ( S
          346), beleuchtet dieser Einsatz die Absicht Frankreichs, den
          Vorstoß nach Innerdeutschland. Tatsächlich wurde die Absicht
          auch praktiziert, als im November 1643 die (in französischen
          Interessen stehende) weimarische Armee ihre „Attolarey
          (Artillerie) mit tausend und mehr Packwagen“ durch die
          Höllentalschlucht über den Schwarzwald schleußte, um vor
          Rottweil zu ziehen. Sechs Jahre, ab 1638 bis ins Jahr
          1644dauerte die Fremdherrschaft, lagen hälftig französische
          und schwedische Truppen in Freiburg und hausten im Tal. Zum
          Entsatz rückten kaiserlich-bayerischeTruppen unter General von
          Mercy an, die also zugunsten der Habsburger fochten, aber
          inbezug auf Übergriffe sich keineswegs menschenfreundlicher
          anliessen als die Gegner. Die Erlasse der höheren Offiziere
          nützten nichts. Die verwilderten Soldaten holten sich, wo zu
          holen war. Weber reiht (S. 347) eine Kette von Beispielen auf.
          Darunter litt auch das „Kürchzarther Thaal“.
          
          Den Höhepunkt von Verwirrung und Unheil brachte der Sommer
          1644. Die kaiserlich Mercyschen Truppen hatten Freiburg
          umzingelt. Der französischeGeneral Turenne wiederum hinterging
          Mercy und packte die Bayern vom Rücken her an. Trotzdem gelang
          Mercy „nach hartem Ringen“ der Einbruch in die Stadt, und der
          Schwedenkommandant Kanofski mußte am 27. Juli 1644 die Stadt
          übergeben. Damit befand sie sich wieder in deutschen Händen -
          nur war es inzwischen um die Burg Wiesneck geschehen. Max
          Weber, dem die Darstellung bisher folgt, bringt den
          lakonischen Satz: „Im Zusammenhang mit dieser Truppenhäufung
          in unserem Gebiet wurde auch die Burg Wiesneck am 27. Juni
          1644 ein Opfer landsknechtlicher Zerstörungswut.”
          
          Er läßt offen, wer die Veste zu „accordieren“ zwang; Bader und
          E. Schuster sagen kurzweg, die Schweden waren es. Aber sie
          waren es nicht und die Zerstörung ist auch nicht am 27. Juni
          erfolgt, sondern erst 6 Wochen später. So versichert es uns
          Paul-René Zander, Archivar der Fhr. von Gayling’schen
          Schloßverwaltung in Ebnet. In seinem Artikel „Vor 350 Jahren:
          Die Zerstörung der Burg Wiesneck im Dreisamtal“ (19) gibt er
          eine genaue Darstellung der Ereignisse des verhängnisvollen
          Sommers 1644. In seinen Ausführungen ist nur dlie Rede von
          einem französisch besetzten Freiburg um diese Zeit. Der die
          Bayern führende Generalfeldmarschall von Mercy habe es dabei
          mit zwei franzöischen Armeen zu tun gehabt; die eine unter dem
          (als zäh, kaltblütig und skrupellos beschriebenen) Vicomte de
          Turenne, die andere „Armee de France unter Louis de
          Bourbon-Condé, Herzog von Enghien. Für uns aber wesentlichıst,
          was die Burg Wiesneck betrifft. Danach habe es zwar am 26./27.
          Juni auf der Burg ein Scharmützel, doch keine Zerstörung
          gegeben. Kaisertreue bayerische Soldaten überwältigten nämlich
          auf ihrem Vorstoß nach Freiburg die in der Burg hausende
          kleine Gruppe der (zum Gegner gehörenden) weimarischen
          Besatzer. Das hat als ein sickingen-freundlicher Akt zu
          gelten; die Bayern zerstörten nicht, sie bereinigten nur. Doch
          war das Unheil nur verschoben.
          
          Nach der schweren, beiderseits verlustreichen Schlacht am
          Lorettoberg in Freiburg, vom 3. bis 5. August, zogen sich
          sowohl die Franzosen wie die Bayern in den Schwarzwald zurück
          — und die Truppen beider Seiten wollten einander den Weg
          abschneiden. Wer zuerst auf der Höhe von St. Peter ankam,
          „hielt die entscheidende Trumpfkarte in der Hand“. Die
          Franzosen schoben sich das Glottertal hoch. Die Mercysche
          Vorhut aus Kürassieren und Dragonern unter Obrist von Gayling
          ritt über Ebnet, Stegen und Eschbach zur Höhe, während General
          von Mercy mit dem bayerischen Haupttrupp den Weg übers
          Dreisam-,Iben- und Wagensteigtal nahm. Dies geschah vom 9. auf
          10. August. Da nun, im Vorbeimarsch, ließ Mercy auf der Burg
          Wiesneck sogar eine kleine bayerische Besatzung zurück; aber
          sie konnte die Burg auch nicht vor ihrem Untergang bewahren.
          Den Wettlauf zur Höhe und das Zusammentreffen bei St.Peter nun
          im Zanderschen Wortlaut:
          
          „Als die Franzosen am 10. August den Sattel oberhalb des
          Glotter- und Eschbachtals erreichten, sahen sie bereits die
          mühsam heranrückenden Bayern. Jetzt war es der in der Armee
          Turennes dienende baltische Generalmajor der KavalIerie
          Reinhold von Rosen, der seine Chance erkannte, die noch nicht
          formierte Reichsarmee, insbesondere aber den lebenswichtigen
          Troß in der Flanke zu attackieren. Doch es gelang der Reiterei
          der Gaylingschen Vorhut, die Rosenschen Schwadronen in das
          obere Eschbachtal abzudrängen. Als Mercy jedoch den Reitern
          befahl, Rosens Kavallerie weiter zu verfolgen, meuterten sie !
          Weder durch Stechen, noch durch Hauen gelang es den
          Offizieren, die Reiter wieder auf Trab zu bringen. Die
          Kampfmoral war gebrochen. Das hatte schwerwiegende Folgen. An
          einen Sieg über die Franzosen war nicht mehr zudenken. Die
          durch das Eschbachtal zurückflutende Kavallerie des
          Generalmajors von Rosen war es wohl, die in der Nacht vom 10.
          auf den 11. August 1644 die nichtsahnende kleine Besatzung der
          Burg Wiesneck überrumpelt, die Veste geplündert und beim Abzug
          in Brand gesetzt hat.“
          
          Zerstörung und Brand scheinen diesmal so gründlich das Ihre
          besorgt zuhaben, daß es den Herren von Sickingen die Lust zum
          Wiederaufbau verschlug. Die Zeit der „Höhensitze in
          Adlerhorsten“ war ohnedies vorbei; in den Talbreiten lebte es
          sich bequemer.
          
          Damit trat eine vollkommene Umkehr jener Höhentendenz ein, als
          um dasJahr 1000 die Machthaber aus den Tälern hinaufstrebten,
          um sich selbstherrlich auf Bergkämmen und an Felsennasen
          einzukrusten (wie wir es in Teil IlI für die Entstehung der
          Burg angedeutet haben). Jetzt war die Burg zur Ruine
          geschlagen und blieb es. Die Zeit der Sagenbildung um Wiesneck
          begann. Niemand saß mehr oben, und so nahm seinen Lauf, was
          eine alte Landeskunde des vorigen Jahrhunderts nüchtern
          umschreibt: „... diente den umliegenden Orten als Steinbruch,
          wodurch erklärt wird, daß heute nur noch wenigeReste der alten
          Mauerzüge erhalten sind“. Mit anderen Worten: Wer in der
          Umgegend Baumaterial brauchte, holte es sich aus der Ruine;
          offenbar wehrte es niemand. Es ist zu vermuten, daß auch unser
          Meierhof am Fuß der Ruine von diesem „Steinbruch“ profitiert
          hat. Schaut man die Kapelle der Klinik an, muß einem
          auffallen, daß die Fenster fein gehauene Renaissance-Gewände
          besitzen, die dem jetzigen Charakter des kleinen Bauwerks
          durchaus angemessen sind. Nur darf man nicht vergessen, daß es
          ursprünglich das Kornhaus des Hofes war, also ein
          bescheidenster Profanbau, für den gewiß kein Steinmetz zu
          solch besonderer Zier berufen worden wäre. Darin stecken
          Überbleibsel des Herrschaftssitzes droben. Daraus läßt sich
          auch schließen, daß der kleine Bau erst nach dem
          Dreißigjährigen Krieg errichtet wurde. Ein Tragbalken im
          Kellertrug, wie schon in II gesagt, die Jahrzahl 1740
          eingekerbt.
          
          Als Kuriosum sei noch erwähnt, daß sich beim Holzfällen an der
          Ruine vor etlichen Jahren im Wurzelwerk eines Baumes eine
          Kanonenkugel fand, vermullich aus dem Dreißigjährigen Krieg;
          eine massiv wirkende, aber doch nur dickwandige Eisenkugel von
          2,85 kg. Sie liegt in der Hand, als sei sie für ein
          leichtathletisches Kugelstoßen bestimmt. Nur könnte man sie,
          obschon fastgleich groß, kaum bei einem Wettkampf
          einschmuggeln, denn die Wettkampfkugel wiegt 7,25 kg. Wenn man
          die heutigen kriegerischen Sprengmittel und ihre verheerenden
          Wirkungen bedenkt, kann man nur sagen: Wie harmlos wurden
          damals Festungen beschossen — und doch eingenommen ! Immer
          wieder fragt man sich, wie eine solche „Veste“, vor allem im
          Bauernkrieg, ohne lange belagert und ausgehungert zu sein,
          sozusagen im Handumdrehen erobert werden konnte ? Man sah den
          Feind von weitem, denn der Burgberg lag unbewaldet und hatte
          an der Flachstelle nach hinten einen noch heute erkennbaren,
          tief markierten „Halsgraben“. War bei dem Fall der Burg etwa
          noch ganz anderes im Spiel: Verrat durch eigene Leute,
          heimliche Öffnung des Tores ? Oder spielte jener
          geheimnisvolle unterirdische Gang eine Rolle, der von weither
          zur Burg hinein und herausgeführt haben soll und den nur
          wenige kannten ? Im Wittental wird sogar überliefert, ein
          unterirdischer Gang habe das dortige Schloß Falkenbühl mit der
          Burg Wiesneck verbunden! Aber die Existenz eines solchen
          Ganges konnte nie nachgewiesen werden. Wie dem sei, die Ruine
          zerfiel immer mehr und die Geschichte der Burg Wiesneck fand
          ihr Ende.
          
          Im Tal ging das Leben weiter. Der Ort Wiesneck existierte
          durchaus noch, und mit der Regierung Kaiser Josef Il. kam ein
          frischer Wind von Reformen in die Lande. Davon und von
          mancherlei anderem menschlich und geschichtlichI
          Erinnerswerten im nächsten Abschnitt.
          
          Für die Burg selbst gibt es jedoch noch einen kleinen Nachtrag
          aus unseren Tagen. Seit etwa 100 Jahren umschließt nun Wald
          ringsum die Ruine und den Burgberg, und auch die letzte dicke
          Mauer, die man vor Jahrzehnten, kam man vom Bahnhof
          Himmelreich her, noch durchaus oben aufragen sehen konnte,
          ward inzwischen vom Wald überhöht. Als Friedrich Husemann 1928
          das Gut Meierhof Wiesneck kaufte, kam auch der Burgberg mit
          der Ruine in seinen Besitz, und dieser Besitz währte für die
          Klinik weiter bis 27. Dezember 1989. An diesem Tag fand ein
          Geländetausch statt: Die Klinik übernahm Nutzland (auch
          bebauungsfähig) im Bereich des von Gayling’schen Prägenhofes
          in Buchenbach (beim Gasthaus Adler gelegen) und überließ dafür
          den Burgberg mit der Ruine Wiesneck, soweit er mit Wald
          bepflanzt ist, dem Freiherrn Nikolaus von Gayling-Westphal in
          Schloß Freiburg-Ebnet. In Schloß Ebnet lebt heute noch die
          Sickingensche Tradition. Es war bis 1809 Sitz der Grafen von
          Sickingen-Hohenburg, und diese waren ja — wie gehört — die
          letzten adeligenHerren der Burg und Herrschaft Wiesneck. Von
          da gesehen, nimmt sich der Akt des Geländetausches aus wie
          eine Heimkehr der Burg in den Schoß ihrer eigenen
          Vergangenheit.
          
          Vom Dreißigjährigen Krieg zur Gegenwart
          
          Die Betrachtung geht diesmal stärker auf die umfassenden
          Zeitereignisse ein und eröffnet den etwas weiteren Umkreis.
          Man darf nicht vergessen, daß die wechselnden Belagerungen,
          Besetzungen und wieder Entsatze der Stadt Freiburg ständig
          auch ihre Wellen ins Hinterland schlugen. Im Grunde war
          ringsum Kriegsgebiet und Not. Von dem Fluten der Heere,
          siegend oder geschlagen, hatten immer die Bodensässigen den
          Schaden zu tragen.
          
          Mit dem Westfälischen Frieden waren die gesamten ansehnlichen
          Besitzungen der Habsburger im Elsaß, einschließlich ihres
          bisherigen Regierungssitzes Ensisheim, wie auch die Veste
          Breisach der Krone Frankreichs zugefallen.Damit hatte Habsburg
          allen Halt jenseits des Rheines verloren. Der Grenzschnitt
          europäischer Machtpolitik zwischen Ost und West, zwischen
          Österreich und Frankreich, verlief nun unmittelbar vor den
          Toren von Freiburg. Die vorderösterreichische Regierung,
          gezwungen, ihren Sitz neu zu installieren, wählte dazu das
          exponierte Freiburg (und nicht etwa eine
          schwäbisch-vorderösterreichische Stadt). Freiburg sollte
          zugleich, Breisach gegenüber, zum habsburgischen Brückenkopf
          ausgebaut werden. Dazu kam es aber nicht, denn mit der neuen
          Regierung waren spitzfindige Schwierigkeiten ins Freiburger
          Gehege eingerückt. Die Freiburger Stadtväter waren über die
          Ehrung aus Wien keineswegs beglückt, es waren nämlich alle
          Regierungspersonen von der städtischen Gerichtsbarkeit und
          allen öffentlichen Lasten befreit ! Diese hatten auch bei
          Umzügen und Prozessionen den Vortritt vor den Spitzen der
          Stadt. Die ursprünglich 28 Regierungsmitglieder wuchsen schon
          bald mit allen Bediensteten auf das Vierfache an. Gewisse
          Formalitäten setzten einen Stachel zwischen Regierung und
          Stadt. Der Stadt kam es schwer an, „Euer Gnaden” zusagen statt
          bloß „Herr“. Die Regierungsmitglieder schädigten die Stadt,
          indem sie das Jagdrecht verletzten und alte Stadtrechte nicht
          anerkennen wollten. Der absolutistischen Bürokratie war die
          bürgerliche Freiheit und Selbständigkeit ein Dorn im Auge. Der
          Freiburger Historiker Hefele sagt: „Der Fortifikationsplan und
          seine Ausführung, die militärische Verfügung über Schloß und
          Stadt, die Ordnung der städtischen Miliz, die Einquartierung
          und Verpflegung der Soldaten, alles das und noch vieles andere
          führte zu Streitigkeiten mit dem Stadtkommandanten ... Es
          herrschte ein förmlicher Kriegszustand zwischen Stadt und
          Regierung, während der Wiener Kaiserhof dauernd zu vermitteln
          suchte.”
          
          Solchermaßen im Innern uneins, konnte unmöglich das gedeihen,
          was nötig gewesen wäre, um die Stadt vor dem französischen
          Zugriff zu schützen. Denn Ludwig XIV. brachte mit seinem
          zweiten Eroberungskrieg die ganze Rheinflanke in Unsicherheit.
          Der Oberrhein war bedroht, Freiburg in Gefahr. Die Garnison
          mußte erhöht werden, was neue Streitigkeiten auslöste.
          Ungeachtet dessen blieb die Freiburger Bürgerschaft
          habsburgisch gesinnt, während ein Teil derAdeligen Frankreich
          zuneigte. Überraschend erschienen dann die Franzosen am 9.
          November 1677 mit einer Armee vor der Stadt. Dem Kommandanten
          gebrach es völlig an Entschlußfähigkeit und Tatkraft; auch
          Regierung und Adel versagten, schließlich erlahmte auch die
          Bürgerschaft und kapitulierte. Nach Tagen Belagerung, am 17.
          November 1677, zogen die Franzosen in Freiburg ein - und
          verließen es erst 21 Jahre später wieder, am 11. Juni 1698.
          Freiburg und das Dreisamtal waren französisch geworden. Die
          vorderösterreichische Regierung zog sich derweil nach Waldshut
          zurück. (20)
          
          Erst durch den Frieden von Rijswijk (1697) fiel Freiburg mit
          seinem Hinterland wieder an Österreich zurück. Wie aber hatten
          die Franzosen inzwischen die Stadt verändert ! Kein Geringerer
          als der berühmte Festungsbauer Vauban hatteh unter Aufgebot
          von Riesensummen die Stadt verwandelt in eine Festung ersten
          Ranges. Alle Vorstädte waren niedergelegt und an deren Stelle
          8 Bastionen errichtet worden, von denen heute noch die Hügel
          an der Universitätsmensa, am Stadttheater und am
          Colombischlösschen als Reste zeugen. Die Festungsbauten waren
          offenbar auf höchsten Befehl vorangetrieben worden, denn
          Louis, der Sonnenkönig selbst, hatte sich durch einen Besuch
          in Freiburg mit seiner Gemahlin im Oktober 1681 davon
          überzeugt.
          
          Die Franzosen setzten sich nachher noch zweimal, wenn auch nur
          kürzere Zeit, in Freiburg fest: Von November 1713 bis Januar
          1715 und schließlich von November 1744 bis April 1745.
          Freiburg erobern, hieß für Frankreich das Tor zum Schwarzwald
          aufbrechen und damit den Durchgang nach Süddeutschland
          erzwingen. Die kaiserlich-österreichischen Truppen krallten
          sich am Schwarzwaldrand ein: Überm Höllental hoch schob sich
          quer vom Feldberg herüber zum „Hohlen Graben“ beim Turner ein
          Schanzriegel. Die Namen "Kaiserwacht” und „Piketfelsen“ (über
          Falkensteig) zeugen heute noch von diesen Verschanzungen — zu
          denen die Bauern des Tals die Fronarbeiten leisteten ! Die
          Bauern mußten aber auch wehrbereit sein. Ihr Aufgebot hieß
          (1702):„sobald die Sturmglock geschlagen wird, (soll) ein
          jeder, der sich wehren kann, so Meister als Knecht und Söhn,
          bey Straf Confiscation aller Güeter und ewiges Landesverwisen,
          mit habendem Gewehr, in dessen Ermanglung mit Hauen,
          Schauflen, Gablen oder dergleichen Instrumenten an das
          assignierte Ort oder Sammelplatz laufen.“
          Aus der Belagerung von Freiburg 1744 durch die Franzosen ist
          eine Groteske zu berichten, die schon sehr modern anmutet.
          Ludwig der XV., der Nachfolger des Sonnenkönigs, saß im
          Kageneckschen Schloß in Munzingen (das die Franzosen bereits
          erobert hatten) und ließ seinen Marschall Coigny wissen, daß
          er sich dessen Beschießung der Stadt Freiburg ansehen wolle.
          Dafür schien eingünstiger Aussichtspunkt der Lorettoberg. Also
          traf der französische Marschall mit seinem Gegner, dem
          Freiburger Stadtkommandanten, ein Abkommen, daß an diesem
          schönen Oktobertag die Freiburger Kanonen den Lorettoberg zu
          verschonen hatten, damit dem König nichts passiere; Marschall
          Coigny hingegen versprach, in dieser Zeit den Münsterturm
          nicht zu beschießen. Kriegskunst als Schauspiel ! — Als die
          Franzosen diesmal 1745 die Stadt verliessen, schleiften sie
          sämtliche Festungsbauten wieder und hinterließen die Stadt als
          unbeschreiblich trostloses Trümmerfeld.
          
          Die heftige Rivalität zwischen Habsburg und Frankreich sollte
          zunächst eine Beruhigung finden, als sich die dynastischen
          Häuser entschlossen, die politischen Fäden durch eine Heirat
          in einen gleichen Zopf zu legen: durch die Heirat Marie
          Antoinettes mit dem französischen Dauphin. Diese Tatsache
          spielt für uns insofern eine Rolle, als der Zug Marie
          Antoinettes vom Kaiserhof zu Wien an den Hof von Versailles
          über die Höhen des Schwarzwaldes durchs Höllental nach
          Freiburg führte, von dort über Emmendingen nach Straßburg und
          weiter. Es war dies ein Triumphzug, der offenbar über Jahre
          hinaus die Phantasie der Talbewohner beschäftigte. Aus diesem
          Anlaß wurde die Höllentalsteige zur Straße erschlossen. Der
          frühere Saumpfad war unter Fronhilfe der Bauern bereits 1755
          verbreitert worden. Die letzten eingreifenden Felssprengungen
          wurden jedoch im Frühjahr 1770 durchgeführt, um für diesen
          grandiosenBrautzug Platz zu schaffen.
          Als der Zug dann am 4. Mai 1770 von Donaueschingen her durchs
          Höllental herunterkam, säumte am Himmelreich und das
          Dreisamtal hinab was Füße hatte zu gehen und Augen zu sehen
          den Weg, um einen Blick des vierzehneinhalbjährigen Bräutchens
          zu erhaschen, das wie ein Wesen aus einer anderen Welt
          angestaunt wurde -— und wie ein solches in vergoldeter Kutsche
          vorüber-glitt. Das Bild war wohl des Staunens wert: Es
          entrollte in 21 sechsspännigen Karossen und 36 weiteren
          vornehmen Kutschen seine Pracht; gezogen und getragen von 450
          erlesenen Zug- und Reitpferden, flanierte die Braut ein
          Gefolge von 257 Personen (darunter befanden sich allein 15
          Köche und 2 Zuckerbäcker). Das Ereignis hatte für alle
          berührten Orte die Flammkraft einesFeuerwerks. Aus Freiburg
          wird berichtet, daß dort in der Salzstraße (wo MarieAntoinette
          im Haus „Zum wilden Mann“ für zwei Nächte Quartier bezog) alle
          Häuser neu gestrichen und erstmalig Hausnummern eingeführt
          wurden. Mehrere Triumphbögen wurden errichtet, darunter auch
          ein von Christian Wenzinger entworfener, mit 12 000 Lichtern
          erleuchtet, ja die ganze Stadt erstrahlte nachts auf
          obrigkeitlichen Befehl, einschließlich des Münsterturms bis
          hinauf zur Kreuzblume. Die Ratsherren überreichten „mit
          gebogenem Knie“ bei der Begrüßungsaudienz als Gastgeschenk der
          Stadt und Probe des Freiburger Kunstfleißes der kaiserlichen
          Prinzessin Tausend (!) ausgesuchte Granaten. Denn zur
          Eigentümlichkeit Freiburgs gehörte die Granatschleiferei, die
          später nach dem nahen Waldkirch auswanderte.) In Freiburg
          hatte man weder Kosten noch Mühen gescheut, um die
          Anhänglichkeit der Stadt an das Haus Habsburg zu bekunden. Als
          Kaiserin Maria Theresia später erfuhr, daß die Freiburger
          Feiern 62 800 Gulden verschlungen hatten, war sie entrüstet
          über die Verschwendung. Daß zu Ehren der Braut auch der
          Markgraf und die Markgräfin von Baden aus Karlsruhe
          herbeigeeilt waren, große Empfänge stattfanden und abends
          „Comedie“ gespielt wurde, ist selbstverständlich. Gefiel der
          jungen Braut der pompöse Aufwand, oder wurde ihr auch manchmal
          bang ? Eine seltene Äußerung berichtet Thusnelda von
          Langsdorff von der Donaueschinger Audienz im Fürstlich
          Fürstenbergischen Schloß: „Als sie in Donaueschingen eine
          Jugendfreundin, die sich bescheiden zurückhielt, unter den
          Wartenden erblickte, eilte sie zu ihr hin, fiel ihr um den
          Hals und rief aus: „Ach, Lore, du hier ? Mir ist's als müßte
          ich in den Tod gehen.“
          
          Viel weniger feierlich ging es 1777 bei einem Besuch Joseph I.
          in Freiburg zu, einem Kaiser, nach dem die
          Kaiser-Joseph-Straße benannt ist. Der Kaiser verbat sich alle
          Zeremonien, Paraden und Feuerwerke „als Dinge, die ihm nichts
          nutzten, andern aber Mühe und Kosten machten“. Zwar gaben die
          Studenten und Bürgerstöchter täglich Theatervorstellungen, der
          Kaiser aber sah sich keine an, sondern sagte: „Es wäre besser,
          wenn die Studenten studierten und die Bürgersmägden zu ihren
          Spinnrädern und Hausarbeit gingen.“ Nur an einem Abend zeigte
          sich der Kaiser am Fenster, um das Volk zufriedenzustellen.
          Als der Fürstabt von St. Blasien, der berühmte Martin Gerbert,
          als kaiserlicher Hof-Kaplan sich dem Kaiser für die Festmesse
          im Münster anbot, erklärte der Kaiser: „Es sei ihm eins, ob
          ein Abt oder ein Kapuziner die Messe lese.”
          
          In diesen Äußerungen spüren wir etwas von dem nüchternen
          Reformgeist, aus dem heraus Joseph Il. seine Maßnahmen
          leitete. Zwar hatte schon Maria Theresia ab 1745 mancherlei
          Gutes und Neues eingeführt, z.B. eine Brandversicherung und
          eine einheitliche Grundsteuer, hatte auch das Schulwesen auf
          eine neue Grundlage gestellt, hatte Folter und
          Hexenverbrennung abgeschafft. Sehr viel einschneidender jedoch
          griff Joseph Il. ins soziale und kirchlich-politische Leben
          ein. Durch das Toleranzedikt stellte er die christlichen
          Konfessionen gleich, führte das Staatskirchentum ein, löste
          gleichzeitig zahlreiche Klöster auf und beschränkte die
          Feiertage. 1782 hob er auch in entscheidendem Akt die
          Leibeigenschaft auf. Ab 1784 durfte kein Grundherr mehr
          Frondienst fordern; statt dessen mußten fürderhin Taglöhner
          mit festem Lohn bezahlt werden. Man glaube nicht, daß die
          wohlgemeinten Neuerungen von der Bevölkerung mit Freuden
          aufgenommen worden wären: selbst die Aufhebung der
          Leibeigenschaft erregte Unwillen, denn bisher hatten die
          Bauern nur ihre Zeit zuopfern, jetzt aber mußten sie selber
          Steuern zahlen ! Auch die Einführung der Konskription, einer
          Vorform der allgemeinen Wehrpflicht, im Jahre 1786, führte zu
          einer Erregung der Bauern. Die Neuordnung des Kirchenwesens
          brachte die Gründung von drei neuen Pfarreien im Tal:
          Eschbach, Buchenbach und Oberried. Bisher hingen an der
          Pfarrei Kirchzarten etwa 40 Gemeinden, Weiler und
          Siedlungsgruppen, und da jeder Weiler mit seiner Kapelle
          seinen eigenen Patron hatte, gab es im Tal 40
          Patroziniumsfeiertage, zusätzlich zu den all-gemeinen hohen
          Feiertagen. Dies hörte nun mit einem Mal auf und war nur noch
          beschränkt auf die Patrozinien der jeweiligen Pfarrei. Die
          Pfarrei Buchenbach wurde 1796 errichtet, und ihr Kirchspiel
          umfaßte die Gemeinden Falkensteig, Wagensteig, Unteribental
          und Wiesneck.
          
          Manche der Reformen wurden zwar nur mit Murren aufgenommen,
          insgesamt aber kamen sie doch den Grundforderungen einer neuen
          Zeit soweit entgegen, daß es 1789 der jenseitigen
          „Französischen Revolution“ vergleichbar diesseits des Rheins
          einer „Österreichischen Revolution“ an Zündstoff gebrach. Dem
          französischen Revolutionsheer unter Moreau gelang übrigens ein
          letztes Mal kurzfristig die Eroberung von Freiburg (Juli 1796)
          und sogar der Übergang über den Schwarzwald ins Schwäbische
          hinein; doch wurde Moreau durch Erzherzog Karl zum Rückzug
          gezwungen. Fluchtartig zwängte sich das französische 40
          000-Mann-Heer im Oktober 1796 durchs Höllental zurück an den
          Rhein, um sich ins Elsaß abzusetzen.
          
          Schließlich griff Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht
          entscheidend in die Geschicke am Oberrhein ein. Er diktierte
          durch den Frieden von Pressburg (25. 12. 1805) eine neue
          Landverteilung, derzufolge er den Breisgau dem Kurfürsten
          (späteren Großherzog) Karl Friedrich von Baden-Durlach
          zuschlug. „Mit Schmerz vernahmen die Ständeglieder diese
          Verkündigung; der ... Präsident brach in Tränen aus. Stimmen
          des Erstaunens, der Entrüstung ... erhoben sich.“ Aber
          Proteste wie Bittschriften nützten nichts: mit der 400 Jahre
          währenden Herrlichkeit Österreichs am Oberrhein war es
          endgültig vorbei, Freiburg und sein Gebiet gehörten von da an
          zu Baden! Noch 1814 machten Spitzen der Stadt (der
          Oberbürgermeister, 6 Stadträte, einige Professoren, eine
          Gruppe Adeliger des Breisgaues) einen an Hochverrat grenzenden
          erfolglosen Versuch, die Rückgliederung an Österreich
          durchzusetzen. Man fühlte sich damals in seiner Treue zu
          Österreich durch den Anschluß an Baden genauso verletzt, wie
          sich Mitte unseres Jahrhunderts, in den fünfziger Jahren die
          „Altbadener“ in ihrer Treue zum „angestammten”
          (Großherzogtum-) Baden verletzt fühlten durch den Anschluß an
          Württemberg, d.h. die Zusammenlegung in den Südweststaat.
          
          Der Wiesnecker Grundherr, Graf Wilhelm Josef Xaver von
          Sickingen, zog die Konsequenz daraus, gab seinen
          mehrhundertjährigen Adelssitz Ebnet auf und wanderte nach
          Österreich aus. Er nahm nach kurzem Übergang Sitz in Wien.„Die
          Grundherrlich von Sickingische Verwaltung wurde am 2. 9. 1809
          aufgehoben, die 5 Höfe in Eschbach dem Stabsamt St. Peter, das
          Rittergut Ebnet, das Lehen Wiesneck samt Schwabs und Erlacher
          Hof und die Güter auf dem Falkenbühl beim Meierhof Baldenweg
          dem Oberamt Freiburg zugetheilt“,verkündet das Regierungsblatt
          1809 S. 335.
          
          Von da an begann die Zusammenfassung kleinerer Siedlungsteile
          zu größeren Ortschaften. Im Zuge einer solchen Umbildung
          verfügte der Großherzog Leopold von Baden am 3. August 1837,
          daß die bisher selbständige Gemeinde Wiesneck in die Gemeinde
          Buchenbach aufgelöst wurde. Sie hatte 130 Einwohner. -
          Wiesneck existiert seither nur noch als "Ruine', 'Gemarkung'
          und als Ortsteil von Buchenbach, nicht zuletzt dadurch, daß
          der Name getragen wird von der Siedlung Wiesneck, die als
          „Landhaus-Kolonie“” am Fuß des Burgberges im Bereich der alten
          Wiesnecker Mühle 1911 durch den Unternehmungsgeist dreier
          geschäftstüchtiger Naturfreunde aus Freiburg gegründet ward,
          seither heranwuchs und in sich abgeschlossen das ehemalige
          Wiesentälchen füllt.
        
          Verweise im Text:
          (2) Werner Vogler, Die Wiesneck ein mittelalterliches Lehen
          des Klosters St.Gallen ? In: Kelten und Alemannen im
          Dreisamtal. Beiträge zur Geschichte des Zartener Beckens.
          Konkordia Bühl/Baden 1983
        (3) Die
            Burg Wiesneck und die Eroberung des Breisgaus durch Bertold
            II. im Jahre 1079 Wir zuvor in: Kelten und Alemannen im
            Dreisamtal. 
          (4) Im "Jahresband 1941 der Oberrheinischen
              Heimat", Seite 130
              (5) So sagt es die Schlußfolgerung von Prof. Schmid in
              seinem Wiesneckartikel S. 138
              (6) Max Weber im Kirchzartenbuch S. 187 - Hier der
              vollständige Titel des Buches: Kirchzarten .
              Geographie-Geschichte-Gegenwart. Festbuch zu
              Zwölfhundertjahrfeier, herausgegeben von Günter Haselier.
              1966, Selbstverlag der Gemeinde Kirchzarten. Darin der
              Geschichtsteil bearbeitet von Max Weber.
              (7) Im Kirchzartenbuch S. 188-90
              (9) Hugo Ott, Überlegungen zur Besiedlungsgeschichte des
              Zartener Beckens und des Wagensteigtals. In: Kelten und Alemannen im Dreisamtal. S.
                150
                (10) Hugo Ott, wie (9), S. 148
                      (11) ebenda S.149. Die Urkunde (in Latein)
                      befindet sich im Stadtarchiv Freiburg. SM 4
                      (12) wie (9), S. 148
                                    (13) Hermann Nehlsen, Die Freiburger
                                    Patrizier-Familie Snewliin,
                                    Freiburg/Br. 1967, Wagnersche
                                    Universitätsbuchhandlung Karl
                                    Zimmer, S. 86-87
                                    (14) Nun folgen wiederholt Auszüge
                                    aus Josef Bader, Die Burg Wiesneck,
                                    in "Schauinsland", Blätter für
                                    Geschichte, Sage, Kunst und
                                    Naturschönheiten des Breisgaues,
                                    Jahrgang 1877, S. 49-61
                                    (15) Die reichen Herren Snewlin",
                                    Extrakt einer Dissertation, Badische
                                    Zeitung 24.6.1965
                                    (16) Aus dem Buch wie (13), S. 137
                                    (17) In der Darstellung dieses
                                    Kapitels folge ich weitgehend Max
                                    Weber, Kirchzartenbuch, S. 222-225
                                    (18) Michael Benz, Sickingen
                                    Bildnisse, München 1985. S. 111-114.
                                    (19) in "Dreisamtäler
                                    Wochenspiegel", Kirchzarten, vom
                                    1.9.1994
                                    (20) Bis hierher folgt dieses
                                    Kapitel den Fakten bei Friedrich
                                    Hefele, Freiburg als
                                    vorderösterreichische Stadt, in: Der
                                    Breisgau, Jahresband Oberrheinische
                                    Heimat o.J. (1942) S. 276-78. Bei
                                    Hefele findet sich auch (S. 283) der
                                    Passus vom Besuch Joseph II. in
                                    Freiburg. Der übrige Teil fußt auf
                                    Max Weber im Kirchzartenbuch S. 352,
                                    355-57, 361, 368-69, 386. Den
                                    Brautzug Maria Antoinettes über den
                                    Schwarzwald durch das Höllental nach
                                    Freiburg beschreibt außer M. Weber
                                    S.358 auch, Thusnelda von
                                    Langsdorff, Maria Antoinette in
                                    Baden, Badische Heimat 1952, Heft 4.