Josef Bader
Martin Haizmann - Ein Bild aus dem neuen Bauernkriege
(aus „Badenia oder das badische Land und Volk“, Bd. 5, 1862)
Hinter
Freiburg, am Fuße des breisgauischen Schwarzwaldes, zog sich ehedem die
alte Hehrund Weinstraße, welche aus der Rheinebene nach Schwaben führt,
gegen St. Märgen aufwärts durch ein enges Tal, dessen Namen „die
Wagensteige“ diesen Bergpaß noch heute bezeichnet. Von da läuft die
Straße über den Turner und hohlen Graben, um bei der kalten Herberge
sofort ihre Richtung nach Furtwangen und Villingen zu nehmen. In der
Gegend des Tumers nun befand sich ehedem, neben einer vielbesuchten
Örtlichkeit, das Sogenannte Benediktswäldlein 1, welches im Jahre 1613 zum „Rütle“ eines neuen Bauernkrieges erlesen war.
Unweit davon, gegen die Straße zu, stand eine Schenke, genannt „aufm
Stüble“, ein geringfügiges Ding, dessen Namen jedoch in der ganzen
Landschaft einen guten Klang hatte; denn hier versammelten sich, wenn
im Herbste die Weinmänner aus dem Breisgau durch die Wagensteige
herauffuhren, alle Wirte der Nachbarschaft, um den Neuen zu verkosten 2.
Im Frühlinge aber herrschte daselbst häufig noch ein viel bunteres
Leben. Wenn nach langer Winterzeit der Himmel sein herrliches Blau über
das frische Grün der Heiden und Wälder spannte, während nur noch
einzelne Schneelagen die rauheren Plätze bedeckten; wenn das sanfte
Wallen der Erdwärine von den sonnigen Halden aufstieg und die mild
wehende Luft hinauslockte in Gottes freie Natur, da ging’s an schönen
Sonn- und Feiertagen von den benachbarten Höhen, aus den benachbarten
Tälern (vom Rorberge, von der Hoch- und Hinterstraß, aus der Spirznach
und Glashütte, dem Schweigbrunnen und Holzschlage) gar lustig der
Schenke zu.
Und das Stüblein faßte lang die verschiedenen Scharen nicht, sie
lagerten sich auf der lieblichen Rasenebene daneben, welche recht
bezeichnend der „Trinkwasen“ hieß. Da waren sie bunt versammelt, die
nächsten Umwohner, „jung und alt, Männer und Weibspersonen, die einen,
um ihre Kurzweil zu treiben, die anderen, um ihnen zuzusehen“. Es wurde
getrunken, getanzt, gekegelt, gewürfelt und gekartet, bis der Abend die
Leute wieder nach Hause rief.
So unschuldig munter ging es am Sonntag nach der alten Fastnacht (den
3. März) des Jahres 1613 auf dem Trinkwasen nicht her. Zwischen das
Tanzen und Spielen mischte sich mancherlei politisches Gespräch. Man
erzählte von den Unruhen im oberen Rheinviertel (im Hausenstein und
Fricktal) wegen des neuen Ungeldes; es fiel manch bittere Anspielung
auf die Mächtigen, zumal manch scharfes Wort über die Herren zu
Freiburg und zu St.Peter, unter deren nähere Obrigkeit die ganze
Waldgegend vom Turner bis an den Kandel gelegen war 3.
„Himmelschreiend ist’s“, bemerkten einige Stimmen im Allgemeinen, „wie
die Obrigkeiten täglich mehr den armen Untertan bedrücken, wie sie ihm
immerfort neue Schätzungen und Steuer auflegen und ihn mit immer
schwereren Frondiensten plagen. “ Andere aber rückten näher heraus.
„Wie gegen alle Brief und Siegel“, sagten sie, „haben uns die Pfaffen
von St.Peter die Stocklosung bis auf drei Batzen gesteigert.“ Und zu
seinem Nachbarn gewendet bemerkte hierbei Wolf Schwer von der Spirzen:
„Muß man denn so einen Schelmenmönch Meister lassen, daß er seinen
Bauern das Holz verteuert‘? Wenn der Pfaff derlei neue Bräuch‘
aufbringt, folgen die anderen Herren ihm nach. Und die Vögt‘ werden
dadurch auch Schelmen, sie essen und trinken mit den Herren, lassen
sich schmieren und verbieten hernach den Wald, wie man’s haben will.“
Dabei zeigte sich der Knecht des Spirzenbauem, Martin Haizmann,
besonders aufmerksam, und als der rechte Augenblick gekommen schien,
winkte er einigen anderen und ging mit ihnen dem Wäldlein zu. Es waren
ihrer fünfe — wohl die Zuverlässigsten der Verschworenen‚ welche im
Dunkel der Tannen jetzt ihr Vorhaben näher besprachen.
Sie blieben aber nicht lange allein; es kamen noch andere zu ihnen, was
den Haizmann ermutigte, die entscheidende Frage zu tun: „Wer zum
Bauemkriege helfen und mitziehen wolle?“ Da meldete sich zuerst der
„Schwer-Wolf“ und ihm folgten die meisten. Diese ließ man nun dem
Thoman Martin aus dem Erlenbache, als dem Obersten des Bundes, strengen
Gehorsam schwören und ordnete sodann noch mancherlei an, was für die
nächste Zeit nötig schien.
Auf diese Weise folgten noch zwei Zusammenkünfte im Benediktwäldlein,
die eine am Sonntag Oculi (den 10.), die andere am Sonntag Lätare (den
17. März), wo man die Zahl der Teilnehmer an der Verschwörung von 44
bis auf 400 brachte und die bewaffnete Hauptversammlung auf den
Ostermontag (den 8. April) festsetzte.
Ich höre den Leser hier verwundert fragen, wie es denn gekommen, daß
etliche hundert Schwarzwälder Bauem sich zutrauen konnten, einen neuen
Bauernkrieg zu beginnen? Und da müssen wir freilich bekennen, es
Schwebe noch ein Dunkel über dem Zusammenhange dieses tollkühnen
Unternehmens mit ähnlichen Erscheinungen anderwärts. Jedenfalls standen
die Verschworenen des Benediktwäldchens nicht Vereinzelt da, nicht ohne
geheime Verbindungen nach Süden und Norden.
Der alte Bauernkrieg (1525) war ein Notschrei des deutschen Landmanns
gewesen, ein Schritt der Verzweiflung, nachdem die vielfach veränderten
Rechts- und Lebensverhältnisse den Bauernstand in eine Bedrängnis von
Streuerdruck, von Schuldenlast und Rechtsbeirrung gestürzt, welche
nicht mehr länger erträglich schien.
Alle Zeichen der Zeit, alle Mahnungen tiefer blickender Köpfe hatten
nichts geflüchtet. Da brach’s auf den Schwarzwaldhöhen los und griff
weithin um sich, wie ein gewaltiges Hochgewitter, welches alle Länder
des Reiches zu überziehen und alle Pfaffen-, Fürsten- und Adelssitze zu
vernichten drohte.
Das war ein Fingerzeig des Himmels; aber die Herren und Obrigkeiten
achteten nicht seiner. Sie wollten nichts gelernt haben und
unterdrückten das Übel, anstatt es zu heilen. Sie fuhren fort, die
Volksrechte mit List und Gewalt zu beseitigen, die Steuern und
Frondienste vertragswidrig zu vermehren und den Untertan wie eine
willenlose Sache zu behandeln 4.
Der alte patriarchalische Staat hatte aufgehört; es waren große
Monarchien entstanden mit konzentrierter Regierungsgewalt‚ welche die
ländlichen Einrichtungen und Freiheiten, wie die Eigentümlichkeiten der
verschieden geschichtlich erwachsenen Land- und Herrschaften als lästige
Schranken niederzuhalten oder zu beseitigen suchten. Dieser
nivellierende Geist des neuen Staatswesens aber ging von den großen
Reichen auch auf die kleinen Fürsten über und verhalf namentlich in
Deutschland der gewaltig emporstrebenden Landesherrlichkeit zum
völligen Siege.
Und während der große Handel aus den Händen der deutschen Kaufleute an
andere Nationen überging und das deutsche Münzwesen sich täglich
verschlechterte, nahm gleichwohl der Luxus an Höfen und in Städten
immer zu. Übertriebene Kleiderpracht, schwelgerische Gelage und
sittenlose Ausschweifungen waren gang und gebe. Wo aber sollte das Geld
zu alledem herkommen? Man suchte es durch Schuldenmachen und
Steuervermehrungen zu gewinnen. Hierdurch geriet der Bauernstand in
eine noch gedrücktere Lage als vor 1525, und zu einem neuen
Bauernkriege war Stoff genug vorhanden.
Es zuckte am Schlusse des 17. und zu Anfang des folgenden Jahrhunderts
da und dort - in Thüringen, im Münsterischen, in Schwaben 5, in
Vorderösterreich und selbst in der Schweiz! Die Rappenkriege 6 des
baselschen Landvolkes von 1594 folgte der fricktalische von 1614, und
wäre nicht der große Religionskrieg ausgebrochen, so hätte man wohl
eine blutige Säkularfeier von 1525 erlebt.
Am Verhaßtesten war in den oberrheinischen Gegenden die neue Besteuerung durch den sogenannten Rappenpfennig, welcher neben dem
bereits bestehenden Ungelde fiir die Maß zu verzapfenden Weines
gefordert wurde. Man hatte denselben im Jahre 1474 zum ersten Male
bewilligt — als eine vorübergehende Notsteuer; als er aber wiederholt
zur Sprache kam und sich in eine ständige Steuer zu verwandeln schien,
erhob sich überall großer Widerstand gegen seine fernere Erhebung.
Deswegen war das Jahr 1612 am Oberrheine ein höchst bewegtes. Der
Jänner hatte den vorderösterreichischen Untertanen ein neues
Ungelt-Mandat gebracht und der Februar sah schon den Losbruch des
Volksunwillens. Die Landleute aus dem Rheinund Fricktale 7, aus der
Einung Hauenstein und den zugewandten Tälern Schönau und Todtnau
hielten mehrere Versammlungen und taten mit aufgehobenen Händen
folgenden Schwur:
„Dem Kaiser und dem Erzherzoge, als unseren Herrn und Schirmvater,
wollen wir allen schuldigen Gehorsam leisten; aber gegen den Laut
unserer Freiheiten nichts Altes abtun, nichts Neues aukommen, zumal
uns keine neuen Abgaben und Lasten auferlegen lassen. Schon sind viele
Biederleute unter uns an den Bettelstab gekommen und die meisten tief
verschuldet, sollte es fortgehen wie bisher, so müßten wir alle zu
Bettlem werden. Daher wollen wir vom Rappenpfennige nichts mehr wissen,
was auch daraus entstehen mag.“
Hierauf, am 28. März, gaben die Verschworenen ihre Beschwerdeschrift
bei der Ensisheimer Regierung ein, welche unverweilt einen Ausschußtag
abhielt, wo man die nötigen Vorsichtsmaßregeln besprach, es aber
verschmähte, auf jene Beschwerde eine Antwort zu erteilen. Das Volk
hatte den Weg der
Rechtsverhandlung ergriffen, die Regierungsherren indessen gingen nicht darauf ein.
Es kam zu einer neuen Versammlung der Landleute, welche diesmal, 800 an der Zahl, mit ihrem Seitengewehre erschienen. Da ritten
die drei landständischen Syndike als Abgeordnete der Landespräsentation
dazu, um mit den Haufen zu verhandeln; es führte aber zu keinem Ziele
und man ging in lauter Aufregung auseinander 8.
Es erschien der Herbst, wo der Bauer ruhig sein Feld besorgte, und der
Winter, wo er Zeit hatte, über den begonnenen Handel nachzudenken. In
diesen stillen Tagen sprach man auf dem sanktpeterschen Schwarzwalde
viel von den Hauensteinern und Fricktälern, wie mutig sie seien, wie
standhaft sie ihre Sache verfolgten und sich nicht bewegen ließen, den
bösen Pfennig zu. bezahlen. In diesen Tagen geschah’s denn auch, daß
der Haizmarm durch seinen Meister „die Konspiration erfuhr“.
Wolf Schwer auf der Spirzen 9, freiburgischer Untertan, war ein
schlauer, verwegener Mann, der sich ungescheut eines Todschlages
rühmte, daheim und bei seinen Nachbarn aufrührerische Reden führte,
auf den Abt von St.Peter schimpfte und sich so gebahrte, daß man ihn
mehrfach als „das Haupt der Unzufriedenen“ bezeichnete. Schon seit
Längerem hatte er da und dort davon gesprochen, „wie man’s machen
müßte, um die Last der Herren abzuschütteln.“
Seine nächsten Nachbarn, die Spirzen-Bauern, waren ihm meistens
zugetan, den eifrigsten Förderer der Verschwörung fand er aber in
Martin Haizmann, seinem Knechte, einem österreichischen Untertan aus
Neukirch im Tribergischen. Er scheint diesen entschlossenen Menschen
vorangestellt zu haben, um im Stillen desto sicherer zu wirken oder im
Falle des Mißglückens sich leichter aus der Gefahr zu ziehen.
Haizmann, der Sprößling einer angesehenen Familie dortiger Gegend 10,
gewann nach und nach vierundvierzig Leute, welche „ihm zusagten, um
einen rechten Bauernkrieg zu beginnen“, und im März 1613 zählte er als
Teilnehmer schon die Bauern von Ror, von Waldau und Buchenbach wie
ihre Nachbarn im Ibentale, in der wilden Gutach und auf den Selgütern.
Die fürstenbergischen Untertanen im Jostale versprachen, ihnen
beizuspringen, und eine gleiche Hilfe erwarteten sie von den
Simonswäldern und Glottertälern, „weil ‚dieselben wegen
versuchter Rebellion bei ihrer Obrigkeit noch in Ungnade standen“.
In der Tat herrschte unter der Bevölkerung der österreichischen
Herrschaften Kastel- und Schwarzenberg, wozu der Simonswald und das
Glottertal gehörten, seit dem Schlusse des Jahrhungerts eine höchst
schwierige Stimmung, welche durch das anmaßliche und gewalttatige
Verfahren der dortigen Amtsleute hervorgerufen worden. Namentlich hatte sich der sogenannte Schützenklaus, ein
herrschaftlicher Forstknecht, den Haß der Talleute zugezogen, und es
war nahe daran, daß die allgemeine Erbitterung in „offenen Aufruhr“
ausbrach.11
Eine ahnliche Stimmung verbitterte die Gemüter der Untertanen in
der benachbarten Herrschaft Triberg, welche von dem beliebten General
Schwendi an das Haus Fürstenberg geerbt war dessen tribergischer
Obervogt Fabri das arme Volk abscheulich
mißhandelte. Auch hier drohte eine Empörung, und so hatte sich von der
Schlücht bis an die Dreisam und Elz des bösen Stoffes genug
angesammelt, um beim Gelingen der Spirzenacher Verschwörung sehr schwer
in die Waagschale zu fallen und ihr bedenklichen Nachdruck zu geben.
Bei jenen drei Versammlungen auf dem Trinkwasen und im
Benediktswäldlein aber hatten die Verschworenen, mit merklicher
Umsicht, über ihre Organisation, ihren Plan und ihre Mittel folgende
Beschlüsse gefaßt:
„Oberster“ der 400 Verbündeten soll der Thomann Martin sein, Bauer vorn
Erlenbach, „Hauptmann“ der Georg Martin von der Spirzen 12 im
Dinggericht, „Fähnrich“ der Gallus Lärnblin aus dem Steinbach beim
Turner, „Leutnant“ Martin Haizmann (des Schwers rechte Hand),
„Feldwaibel“ der kleine Thebis von der Spirzen und „Profos“ der Kaspar
Wehrle von da; das „Losungswort“ endlich soll St. Michel heißen.
Das „Laufgeld“ wollen sie im Kloster St. Peter holen, wo der große
Schatz, ein Faß voll Gold, begraben liege; das „Pulver“ habe Andreas
Ketterer zu liefern, welcher vor kurzem vom Abte die Erlaubnis erlangte 13, auf dem Petersberge eine Pulvermühle zu errichten, und das „grobe
Geschütz“ solle vorderhand aus Eichenstämmen und Eisenringen gemacht
werden, worin der Schwer-Wolf bewandert sei.
Am Ostermontag sollen alle Verschworenen sich beim Benediktwäldlein
„bewehrt“ versammeln und in der Nacht von da aufbrechen nach St.Peter,
Weiler, Bickenreute, Kirchzarten und Ebnet, um das Gotteshaus und die
Schlösser daselbst zu überrumpeln und
auszuplündern. Alsdann solle es nach Villingen gehen, um dort schweres
Geschütz zu bekommen, und hierauf gegen Freiburg, um die vielen
Studenten, welche alles verteuern, aus der Stadt zu treiben.
Um nach Villingen hinein zu gelangen, müßte man „Büchsen und Hellbarden
auf zwei Kohlbennen laden und mit Kohl zudecken, sodann tun, als ob man
zu Markte gehe, und sich also in die Stadt einschleichen, sich zu den
Bennen hinstellen, die verborgene "Wehr ergreifen, Lärrnen machen, was
sich widersetzen wolle, niederstoßen, und das Zeughaus einnehmen, wo viel Geschütz vorhanden sei.“
„Wenn man ihnen aber nach der Plünderung des Klosters St.Peter zu Leib
gehen würde, wollen sie fliehen, alsdann von einem "Haus zum anderen
rücken und nicht allein die Bauern und Taglöhner, sondern alle
Untergebenen, Söhne, Knechte und alle Jungen, welche das 15. Jahr
erreicht hätten, zur Hilfleistung mit Gewalt zwingen, damit es einen
rechten Bauernkrieg gebe.“
Der Ostermontag nahte heran, plötzlich aber verschwand der Haizmann und
die Versammlung unterblieb. Der freiburgische Talvogt war der Sache auf
die Spur gekommen, welches jener noch zur rechten Zeit erfuhr, um sich
durch eilige Flucht zu retten. Er hatte die Absicht, „da die Schweizer
Kriegsleut‘ annähmen, ihnen zuzuziehen und sich unter sie zu stellen“,
begab sich also durch das Hauensteinische an den Rhein hinauf 14.
Dort traf Haizmann unterhalb Waldshut mit einem Ortsvogte und einem
Bauern zusammen, welche ihm nach längerem Weggespräche, als sie
merkten, daß derselbe aus dem Breisgau komme, mit den Worten zusetzten: „Was er da oben im Lande herumziehe?
Die Herren von Freiburg werden ihn heraufgeschickt haben, damit er ihr
Ländlein auskundschafte und verrate.“ Der hierdurch sehr Verlegene
entschuldigte sich und gab die Ursache seiner Wanderung an. Es verfing
aber nichts bei den beiden Hauensteinem, er wurde für einen Ausspäher
gehalten und mißtrauisch beobachtet.
Der Verlauf des Gesprächs führte nun auf den neuen Maßpfennig, wobei
Haizmann sich redselig entschuldigte und vernehmen ließ, daß er „nicht
des Pfennigs wegen, sondern eines anderen Händeleins halber, so sich
unten im Land zutrage, herauf an den Rhein gekommen.“
Der Vogt und sein Gespann fuhren fort, vom Maßpfennig zu reden: „Sie
wollten eher ihr Blut lassen, als ihn entrichten.“ Da entfiel ihrem
ungläubigen Begleiter der unvorsichtige Ausdruck: „Ei, so lüg“, was die
beiden veranlaßte, denselben dem hauensteinischen Redmann Schneider
zuzuführen, welcher ihn sofort gefanglich nach Waldshut lieferte 15.
Dort wurde Haizmann nach den ersten Verhören auf das obere Stadttor, wo
der Turrnbläser wohnte, in ein leidlich bürgerlich Gefängnis gebracht,
an welchem der Wächter täglich vorüber mußte. Es kam daher zwischen den
beiden zu mancherlei Zwiegesprächen. Der Gefangene scheint Mitgefühl
erweckt zu haben; denn es wurde ihm das Mittel Verraten, wie er sich
befreien könne.
Haizmann fand ein Brettlein in seinem Gemache, mit welchem derselbe
einen Bodendielen auszuwiegen wußte. Da es nur ein einfacher Boden war,
so gelangte er durch diese Öffnung leicht in das untere Gemach, wo sich
ein Holzstück befand, das ihm dazu diente, neben dem Türpfosten ein
Loch in die Riegelwand zu machen. Durch dieses Loch streckte er nun
seinen Arm und öffnete die Türe, gelangte ungehindert die Stiege hinab
und ebenso ungehindert durch die äußere Türe in den Kirchhof, verbarg
sich dorten ins Beinhäuslein, bis der Meßner läutete und der Kuhhirt
blies, und entkam so durch das Waldtor unbemerkt aus der Stadt.
Es gehörte wohl ein naiver Leichtsinn dazu, nach solchen Vorfällen noch
im Lande zu verbleiben. Haizmann tat dieses, verdingte sich bei dem
Maler-Bauern am Titisee und wagte sich sogar nach Neukirch in seine
Heimat. Er glaubte, im Fürstenbergischen sicher zu sein, wurde aber
erkundschaftet, eingefangen und am 30. August nach St.Peter
ausgeliefert.
Hier wäre es ihm beinahe gelungen, wie in Waldshut auszubrechen; der
Klostergärtner entdeckte jedoch die Gefahr, worauf man den Gefangenen
an drei Ketten schmiedete und in ein dickes Blockhaus steckte.
ln den Verhören erzählte Haizmann seine Teilnahme an der Verschwörung
ganz einfach und gab auch die Namen der übrigen Hauptteilnehmer an,
ohne jedoch etwas Bedeutenderes zu verraten. Die Folter preßte ihm nur
Geständnisse über Verhandlungen mit dem Teufel, über Schatzgräbereien
und dergleichen aus 16. All seine Aussagen lauteten so, daß es den
Angegebenen nicht schwere sein konnte, sich mit wenig Schaden aus der
Affäre zu ziehen.
Als dieselben nach Freiburg erfordert und daselbst verhört wurden,
„damit man besser aus dem Werk kommen und erkundigen möge, was dahinter
stecke“, bekannten sie, daß der Haizmann allerdings zu St.Märgen von
der Einnahme des Klosters St.Peter gesprochen und einen Bauernkrieg
angekündigt; daß man darüber jedoch nur gelacht und sich „schimpfweise“
zur Teilnahme erklärt habe 17.
„Der Haizmann“, hieß es weiter, „sei ein leichtfertiger, boshafter Mensch, ein Fabelhans. Auch der Wolf Schwer, welchen er als
Urheber der Verschwörung angegeben, habe nur Scherz mit ihm getrieben.“
Schwer aber selbst behauptete bei der Konfrontation, daß ihm niemals
eingefallen, solches Zeug mit seinem Knechte zu reden — es müßte denn
in „einer Weinfeuchte“ geschehen sein. Der Haizmann sei ihm eben Feind,
weil er demselben seine Tochter nicht geben wollen; die ganze Sache
laufe auf ein eitel Schimpf- und Fabelwerk hinaus.
Und damit blieb denn Martin Haizmann der alleinig Schuldige. Demnach
wurde derselbe „auf Donnerstag, den 19. Dezember 1613 mit Urtel
lebendig zum Feuer condemniert, welches man aber, auf seine beschehene
Bitt‘, dahin gemildert, daß er erstlich mit dem Schwert vom Leben zum
Tode gebracht, und hierauf sein Leib zu Asche verbrannt worden“ 18.
So mußte auch hier die Schuld empörerischer Gelüste ihr Sühneopfer
finden. Der Traum erhitzter Gemüter war vorüber, die nackte kalte
Wirklichkeit lag spottend und warnend vor den ernüchterten Blicken.
Welch ganz andere Reden mochten jetzt, während der Winterszeit, in den
Bauernhütten der Spirznach und im folgenden Frühlinge auf dem
Trinkwasen bei Marienzell verlauten!
Die Verschworenen vom vorigen März werden den glücklich ins
Verhörprotokoll geschmuggelten „Schimpf“ redselig genug ausgebeutet
haben; aber wie gelinde sie auch davongekommen sein
mögen — die Spirzen, das „Hauptnest der Unzufriedenen“, blieb auf Lange
hin ein anrüchiger Name.
Die Herren zu St.Peter und zu Freiburg hatten sich über den Ausbruch
des Haizmann aus dem Gefangnisturm zu Waldshut „höchlichst verwundert“
und denselben übernatürlichen Mitteln zugeschrieben; wir aber können
uns nur über die Gläubigkeit verwundern, womit man das angebliche
„Schimpf- und Fabelwerk“ hingenommen. Denn unverkennbar hing die
„Trinkwasen-Verschwörung“ an einem Faden, welcher weiter reicht als von
Waldau bis ins Ibental.
Wenn Haizmann das Bekenntnis ablegte, „daß er diese Conspiration bei
Wolf Schwer auf der Spirzen inne worden“; wenn er wußte, wie sich vor
hundert Jahren 7.000 Thüringer Bauern zusammengerottet und aus
Eichenstämmen grobes Geschütz gefertigt, und wiederholt erwähnte, wie
der Schwer mit Herbeischaffen solchen Geschützes immer in Gedanken
beschäftigt gewesen, da „ohne dasselbe kein Bauernkrieg möglich sei“ —
worauf wohl deutet das alles hin?
Und wenn Haizmann ferner angab, er habe „von den Achtmannen verstanden,
wann es unten im Breisgau einen Auflauf gebe, wollten sie am Rheine oben
auch nicht feiern“; wenn er auf die Ausrede der anderen, es sei alles
nur ein schlechter Spaß gewesen, bedeutsam erwiderte: „Wäre nur um
Fastenzeit der Markgraf ins Land gekommen 19,
man würde dann wohl
erfahren haben, ob es Schimpf oder Ernst sei“ — was verraten diese
Andeutungen wohl? Dem Spirzen-Wolf muß es bei allem „Schimpf- und
Fabelwerk“ doch schlecht zumute gewesen sein, sonst würde er, nachdem
die
Sache verraten war, sich gewiß nicht an den Titisee begeben und von dem
Haizmann verlangt haben, er solle ihn „als einen Unschuldigen der Sache
entschlagen“.
Was alsdann bei der Stimmung des oberen Rheinviertels über den
Maßpfennig und die wachsende Steuerlast, der Gegenstand jener Gespräche
zwischen Haizmann und dem Turmwächter zu Waldshut gewesen sein mochte, läßt sich leicht erraten, und die
„wunderbare Befreiung“ des Gefangenen erklärt sich damit von selber.
War nun aber durch das Gerede, „der Herr Talvogt zu Kirchzarten
habe
alles erfahren“, der Ausbruch der Empörung auf dem sanktpeterschen und
freiburgischen Schwarzwalde auch verhindert, so kam es gleichwohl bei
den Hauensteinem und Fricktälern zu sehr emstlichen Auftritten, welche
leicht hätten blutig und verderblich werden können. Denn weder die
Hinrichtung des Haizmann, noch der Abfall vieler der Ihrigen verrnochte
es, die dortigen Unzufriedenen einzuschüchtem. Im Gegenteil, sie
hielten nur desto entschlossener zusammen und sprachen die Todesstrafe
gegen jeden Abtrürmigen aus.
Selbst die bittere Wahrnehmung, sich von den Schweizern, auf welche sie
am meisten gehofft, entschieden verlassen zu sehen, konnte die Betörten
von ihrem Wiederstande nicht abbringen. Sie ergriffen die Waffen und
zogen aus — gegen Waldshut, gegen Laufenburg und Rheinfelden, um sich
die Landfahne und das nötige Geschütz zu verschaffen.
Ihr Zug aber mißglückte völlig, während sie bemerken mußten, wie die
vorderösterreichische Regierung, die Basler und der Markgraf von Baden
sich ernstlichst gegen sie gerüstet hielten. In dieser verzweifelten
Lage kam ihnen die Vermittlung der Eidgenossen 20 noch rechtzeitig zu
Hilfe. Am 15. September 1614 brachten dieselben eine Kapitulation
zustande, wonach die Aufrührer strengen Gehorsam schweren und (nach Bestrafung ihrer Anführer) Verzeihung erhielten 21.
1) Es lag auf dem Gute Weiland des Vogts Benedikt Wehrle, daher wahr scheinlich sein Name.
2) Es scheint, daß ein Teil der Weinfuhrleute mit
ihrer Ladung unterwegs Handel trieben und gewisse Lagerplätze hatten,
wovon der erste „auf dem Stüblein“ bei St.Märgen war.
3) Der sanktmärgische
Abt Johann Fehr hatte 1462 sämtliche Stiflungsgüter seines Klosters (zu
St. Märgen, Wagensteig‚ Zarten usw.) an die Stadt Freiburg verkauft und
seine Mönche waren nach Allerheiligen daselbst übergesiedelt. Erst im
Beginne des 18. Jahrhunderts wurde das Kloster zu St. Märgen wieder
erneuert und bezogen.
4) Ich führe nur ein
Beispiel an. Der Truchsäß Christoph von Waldburg zu Scherr‚ ein Vetter
des bekannten Bauernbändigers Georg, „vergaß das Amt einer
christ-väterlichen Obrigkeit und sich selber mit seinen kriegerischen
Gewalttaten in Auflegung und Abdringung bisher nicht erhörter
Eidespflichten und Huldigungen, ungeziemlicher neuer Auflagen, Zinsen und
Frondiensten, unerhört hoher Geldsstrafen und dergleichen Mißbräuche.“
Dergestalt brachte er seine zuvor vermöglichen Untertanen in Armut und
an den Bettelstab. Da wurden sie 1592 endlich schwierig und berieten
sich über Abhilfe ihrer Not. Der Truchsäß aber betrachtete das als
„Rebellion“, fuhr soldatisch darein, setzte mehrere gefangen, verjagte
die lhrigen aus dem Land und beging eine Reihe der gröbsten
Gewaltstreiche. Nun steckten sich die Bedrängten in die Waffen und
wollten nichts weiter mehr gedulden. Die benachbarten Prälaten aber
nahmen sichjetzt der Sache an, worauf die Untertanen sich dann zur Ruhe erboten. Pfilllendorfer
Akten von 1592 bis 1600.
5) „Große Rebellion der sogenannten vier
Vogteien unter Bischof Heinrich zu Augsburg von 1605 bis 1608.“ Varia
memoranda (Handschrifl des ehem. Klosters St. Peter) I, 193.
6) Ochs, Gesch. v. Basel VI, 327.
7) Die Gegend bei Rheinfelden und Möhlin mit dem Fricktale bildete die
alte Grafschaft Rheinfelden, welche jenseits an die Grafschaft
Laufenburg und diesseits an die Grafschaft Hauenstein grenzte.
8) Walchner, der böse Pfennig, in meinen breisg. Landständ. S. 94.
9)
Die Spirzenach ist das Bergwasser, welches vom Turner nach der
Wagensteige herabfällt. Man unterscheidet die Gegend „in der Spirzen“
(das Spirzental) und die anstoßende „auf der Spirzen“ (die Höhen und
Halden am Spirzenkopf).
10) Sein Vetter Georg Haizmann war sanktpeterscher Vogt ein aufi-echter, redlicher, wahrhaftiger Mann. 7 i’
11) P. Baumeister, annal. Mon. S. Petri, l, 730. Die
Regierung hatte es schon 1598 geahnt, daß die dortigen Untertanen
„sowohl verbotene
hochsträfliche Generalgemeinden, als auch absonderlich Zusammenkünfte
Ausschußtäge abgehalten, Verbündnis gegen dle Obrigkeit gemacht und
sich meuterisch und rebellisch gezeigt". Akten von 1586 bis 1598 und
1601 bis 1619. Nach einer Notiz des Herrn Pfarrer Werkmann zu
Heuweiler lebt der "Schützenklaus" als wilder Jäger und Berggeist heute
noch im Munde des Volkes St.Peter bis ins Kirchzartener und
Waldkircher Tal.
12) Sein Häuslein stand in der Nähe des Benediktwäldchens. War’s etwa das „Stüble“ am "Trinkwasen selber?
13) Anno 1613 Andreae Ketterer licentia datur
adificandi molan ad conficiendum pulverem Pyrium, de qua quotannis sovat
5 solidos. Baumeister l, 715.
14) Über die Verschwörung im Benediktwäldchen und das folgende
Schicksal des Haizmann liegen mir als Quelle vor 1) ein Auszug aus
dessen Prozeß mit seinen Geständnissen‚ aus dem Archive von St.Peter,
und 2) Baumeisters Jahrbücher, worin (l, 722) ein Schreiben an die
vorderösterreichische Regierung vom 31. Dezember 1613 und ein
ausfiihrlicher Bericht über diesen Empörungsversuch enthalten ist. In
gedruckten Werken findet sich kaum etwas davon.
15) Nach dem Auszüge aus Haizmanns Waldshuter Verhören.
16) Alles nach dem Auszuge aus H’s sanktpeterschen Verhören, welche
viele Abschweifungen über ein eingebildetes Verhältnis des lnquisiten
mit dem Teufel enthalten.
17) Laut des Auszuges aus den Freiburger Verhören. Vergeblich sucht man
in der ausführlichen Geschichte der Stadt Freiburg von Dr. H. Schreiber
(III, 338) über das Verhör und die Bestrafung der freiburgischen
Untertanen, welche an der Verschwörung teilgenommen, einige Auskunft.
18) Die 19. Decembris h. a. novi belli rusticorum incentor et auctor M.
Haizmann, subditus tribergensis, mature detectus ad S. Perrum Liltimo
supplicio afficitur. Cum vivus debuisset ardere, ex gratia dom. Abbatis
ad humiles preces suas gladio cadens in cineres redigitur. Baumeister
III, 722. Nachdem der gute Pater den Verlauf der Verschwörung auf 10
Seiten seiner Jahrbücher mitgeteilt, rufi er S. 733 dankbar aus: Deo
sint laudes, qui custodivit domum
suam et solo malae conscientiae metu machinas horum nebulonum annihilavit!
19) Zwischen dem Markgrafen Georg Friderich von Baden-Durlach als
Besitzer der Herrschaften Hachberg, Rötteln und Sausenberg und der
vorderösterreichischen Regierung waren Verhandlungen über
Sicherheitsmaßregeln im Gange. Akten, den Aufstand der Bauern auf dem
Schwarzwald, im Rhein und Fricktal betreffend von 1614.
20) „Gestrigen Tags sein wier zue dem Hauensteinischen Feldlager komen.
Haben die Pauren den Handel denen Aidgenossen übergeben, wie dann alle
13 Ort heut zue jnen in ihr Leger geritten und sie abgeschafft, daß sie
(die Bauern) wiederum naher Haus ziehen.“ Bericht einer Rheinfeldeners
an den Abt von St.Blasien vom 5. September 1614.
21) Der Rappenkrieg oder der böse Pfennig, S. 109.