Bernhard Coenenberg: Leben im Schloß Weiler in Stegen 1942 - 1945

     

Als elfjähriger Knabe erinnere ich mich an den Tag, an dem alles begann: 
Am Vorabend des Festes „Mariä-Namen", den 11. September 1942 war ich nachmittags zum Klavierunterricht bei Käthe Krautschneider am Schwanenmarkt gefahren. Da meine Schwester Maria am nächsten Tag Namenstag feierte, wollte ich auf dem Schwanenmarkt ein kleines Geschenk kaufen und fand, dem Angebot des vierten Kriegsjahres entsprechend ein kleines Geschenk, eine Flöte aus Blech, der sich aber eine kleine Tonskala entlocken ließ. Zu Hause angekommen, versteckte ich die Flöte in einer Nachttischschublade. In der darauf folgenden Nacht heulten die Sirenen und verkündeten Fliegeralarm. Da wir noch nicht an eine akute Gefahr glaubten, rannten wir aus den Obergeschossen ins Wohnzimmer und legten uns auf dort ausgelegte Matratzen in der Hoffnung, im geschützten Parterre eine relativ ruhige Nacht verbringen zu können. Als dann aber der akute Alarm gegeben wurde und der Rundfunk verkündete, daß die feindlichen Bomberverbände den Raum Aachen überflogen hätten und im Anflug auf Düsseldorf seien, stürzten wir „Hals über Kopf" in den Keller.
Zunächst schossen die Maschinengewehre auf den Rheinbrücken, dann die Flak aus dem Volmerswerther Feld. Sodann gingen in einem Höllenlärm die ersten Bomben nieder. Man belegte unser Stadtviertel mit einem Bombenteppich, der offenbar der Himmelgeister Straße galt, in der Kriegsgerät und Munition hergestellt wurde. Die Erde bebte und die Türen schepperten vom Luftdruck der niedergehenden Bomben und Luftminen. Mein Vater glaubte, man habe vergessen die Haustüre zu schließen und ging ins Parterre. In dem Moment ging vor dem Haus eine Luftmine nieder und riß mit dem starken Luftdruck alle Türen und Fenster aus der Verankerung und ließ die Vorderfront unseres Hauses einstürzen. Mein Vater wurde durch eine Glastüre geschleudert und trug erhebliche Verletzungen und Schnittwunden davon. Die Hausnachbarn trugen den verletzten Vater in den Keller. Uns blieb nur, das Ende dieses zweiten Großangriffs auf Düsseldorf, bei dem wir selbst so schlimm betroffen waren, im Keller zu erwarten. Nachdem die Sirenen Entwarnung geheult hatten, verließen wir den Keller und sahen nun die Bescherung. Die ganze Vorderfront unseres Hauses war von Luftminen zerstört und die Giebelwand des Nachbarhauses Griminghausener Straße 57 war durch den Sog der Luftmine ganz herausgebrochen, so daß der Anblick uns Kinder an das Puppenhaus erinnerte. Überall zerstörte und brennende Häuser. Am schlimmsten war die Volmerswerther Straße getroffen, auf der kein unbeschädigtes Haus mehr stand; einige waren dem Erdboden gleich. Verstört kamen die Leute aus ihren Kellerlöchern. Bei Gerdchen Holler hatte man noch einige Möbel aus dem brennenden Haus gerettet. Er saß auf einem Sessel und sagte Stolz: „Guck mal, wie unser Büdchen brennt!" Wir fragten besorgt: „Ist der Panzerspähwagen gerettet? - (mit dem wir noch heute gespielt hatten). Er schüttelte traurig den Kopf.
Der verletzte Vater wurde ins Martinuskrankenhaus gefahren und wir machten uns auf den Weg zu Verwandten nach Volmerswerth, um dort den Rest der Nacht auf einem Notlager verbringen zu können. Die Nacht war taghell erleuchtet von brennenden Häusern und Stabbrandbomben, die wie brennende Pechfackeln im kochenden Asphalt staken.
Die Jagenberg-Werke brannten lichterloh und alle paar Minuten detonierten Bomben und Geschosse, die dort lagerten. Mitten in diesem Feuerwerk stand unbeeindruckt    der    riesige Schornstein, so, als ginge ihn das Ganze nichts an. Bei Vogelsangs und Ingenhovens in Volmerswerth, das „Gott sei Dank" von dieser Feuertaufe verschont geblieben war, fanden wir notdürftige, aber herzliche Aufnahme.
Am nächsten Tag wurde unsere Familie aufgeteilt. Mein Bruder Hans und ich wurden für sechs Wochen mit Tante Thres'schen und ihren beiden Töchtern vom Schullehrer Rückriem in Allerheiligen bei Norf aufgenommen. Mutter mit den anderen sechs Geschwistern in Volmerswerth verteilt.
Dann gelang es der Mutter, für uns 8 Kinder und 3 Rittch  (Tante Threschen ihre beiden Töchter mit Ursula und Christel) eine Bleibe in einem Kloster im Schwarzwald zu erwirken. Der Wohltäter war Pater Middendorf, Rektor des Klosters Stegen bei Freiburg der „Herz-Jesu-Priester", ein Freund der Familie Könighausen, die in Freiburg studiert hatten.  


An einem Spätherbsttag fuhren wir also in Begleitung „Annerls", einem deftigen Kindermädchen aus Salzburg, mit der Eisenbahn nach Freiburg. Dort stiegen wir um in die kleine Höllentalbahn bis Kirchzarten im Dreisamtal. Der Bus brachte uns schließlich nach Stegen in das Kloster der Herz-Jesu-Priester. Da wir todmüde in vollkommener Dunkelheit dort ankamen, mußten wir unsere Neugierde über die Umgebung, die für uns für die nächsten dreieinhalb Jahre Heimat werden sollte, erst einmal mit Schlaf unterdrücken.
Der nächste Tag brachte für uns Kinder, die wir den Ernst der Lage überhaupt nicht erkannten und die dramatischen Umstände, die zu einer völligen Lebensänderung führten, einfach toll und interessant fanden, eine große Überraschung. Als Niederrheiner hatten wir noch nie in unserem Leben Berge gesehen und hatten uns den „Schwarzwald" als einen dunklen ebenerdigen Wald vorgestellt, in dessen Mitte ein Klostergebäude, wie etwa die Dominikaner auf der Herzogstraße, vorgestellt.
An diesem strahlendem Spätherbstmorgen fanden wir uns in einem ländlichen Gutshof mit drei unterschiedlichen Gebäuden und einer Kapelle, eingefaßt von einer Mauer mit Toren und Türmchen, einem herrlichen Park mit Weiher, in einem weitem Tal, umgeben von Bergen, Wälder und Felder. Wir waren sprachlos und Ria, Resi, Hans und ich liefen erst einmal, die Gegend zu erkunden.
Im Hauptgebäude der Klosteranlage, das ehemalige Schloß der Grafen von Kageneck, welches auf dem Dach mit einer goldenen Krone geschmückt war, lebten die Patres und Schwestern des Klosters. Daneben stand hinter einem gotischen Schalenbrunnen, die Schloßkapelle mit einem schön gegliederten, holzgeschnitzten Turm. Die Kapelle, die etwa 100 Gläubigen Platz bot, barg viele Kostbarkeiten. In der gewölbten Apsis prangte ein sehr schöner, gotischer Flügelaltar und an den Ostwänden des flachgedeckten Landhauses zwei ebensolche Seitenaltäre offenbar des gleichen Meisters. Die Fenster der Apsis zeigten knieende Ritter in blausilberner Rüstung mit der Aufschrift: Ritter Stephan Kageneck und Ritter Roland von Kageneck und das Hinterweisschild auf der ersten, mit rotem samtgepolsterten Kniebank „Reserviert für die gräfliche Familie" besagte uns, daß wir nicht in einem „gewöhnlichen" Kloster waren. Später erfuhren wir, daß der letzte Graf Herzjesupriester in Freiburg sei und diesen ganzen Besitz mit Feldern und
Wiesen dem Kloster vermacht habe. In einem Nebengebäude mit Garten lebte lediglich eine „Alte Baronin" ihr zurückgezogenes Dasein.
Westlich der Kapelle lag der erwähnte Weiher am Rande eines wunderschönen Parks mit riesigen alten Bäumen. Östlich von der Kapelle lag ein langgestrecktes Gebäude, das Stallungen für Kühe, Schweine und Hühner, eine riesige Scheune mit angeschrägter Auffahrt und im ersten Stock unseren Schlafsaal beherbergte. Vor dem, in schwarzwälder Manier holzüberdachten Treppenaufgang in unseren Schlafsaal standen 5 riesige Walnußbäume, die uns schon ihre Früchte zum Verzehr angeboten hatten. Wir teilten uns das Dargebotene mit den Eichhörnchen, die vielzählig im Raum saßen und den Vorteil hatten, die Nüsse aus erster Hand zu erhaschen.
Nördlich, im rechten Winkel zum Stallgebäude lag das langgestreckte Wirtschaftsgebäude mit einer separaten Wäscherei und Holzlager. Das Haus beinhaltete die Werkstätten, Schlosserei und Schreinerei sowie Garagen und im ersten Stock die Klosterzellen der Brüder und im linken Parterre unseren Tagesraum und Mutters Schlafzimmer. Hauptgebäude und Wirtschaftsgebäude waren durch eine große Kastanienallee miteinander verbunden. Nördlich der Kastanienallee breitete sich der ansehnliche Klostergarten aus, der im Norden von der Klostermauer mit Türmchen begrenzt war. So bildete die Anlage (Schloß, Kapelle, Stallgebäude, Wirtschaftsgebäude, Garten und Klostermauer) ein großes, geschlossenes Rechteck, an dem sich der Park anschloß. Durchs Eingangstor überquerten wir eine
Straße, die das Dorf Stegen mit Zarten und in 9 km Entfernung mit Freiburg verband, und kamen auf einen schönen Wanderweg, der zuerst auf einer kleinen Brücke den Eschbach überquerte und schließlich an eine Wassermühle führte. Der Müller, der offenbar nur noch wenig Mehl zu mahlen bekam, hatte an seine Wassermühle eine Kreissäge angeschlossen und war damit beschäftigt, große Baumstämme in Brennholzscheiten zu zerlegen. (Hier in der Gegend fast das einzige Brennmaterial und Garant für den guten Schwarzwälder Speck). Bei einem Unfall an der Kreissäge hatte er sich die große Nase in zwei Teile gesägt, aber aus dem vernarbten und verwitterten Gesicht leuchteten zwei gutmütige Augen auf uns Kinder.
Etwas weiter überquerten wir den Mühlbach, bevor er sein Wasser über das große Mühlrad goß, der der Vierhundert-Seelen- Gemeinde als Strandbad diente. Angesichts dieser lieblichen Idylle gerieten meine Schwestern in Entzückung und begannen damit, den umliegenden Bergen Namen zu geben (die tatsächlich bis heute blieben). Die meisten Schwarzwaldberge sind dunkelgrün- blau-schwarz, da sie hauptsächlich mit Tannen und Fichten bewachsen sind. Der vor uns liegende Berg war mit Mischwald bewachsen und leuchtete in den herrlichsten Herbstfarben, so daß Resi ihn sehr treffend „Märchenwald" taufte. Der Weg, den sie „Jägerpfad" nannte, stieg leicht an und bevor wir den Gipfel erreichten, lud ein nördlich abzweigender Weg zur Wanderung ein. Der Weg war beidseitig mit mittelgroßen Tannen umsäumt und bildete einen so lieblichen Kontrast zum farbigen Laubwald, das Resi ihn spontan „Weihnachtsweg" taufte. Nachdem wir eine Weile gegangen waren, traten zur rechten Hand die Bäume zurück und ein Berghang mit Himbeer- und Brombeersträuchern, die uns reichlich Früchte zu bieten hatten, tat sich vor uns auf und gab den Blick in ein liebliches Tal frei, in dem ein Bächlein dem von St. Peter kommenden Eschbach zustrebte.
Meine Schwester Ria war so entzückt, daß dieses Tal auf den Namen „Himmelsau" benannt wurde. Von diesem Hang hatten wir einen herrlichen Blick in das östliche Dreisamtal mit den angrenzenden Bergen. Der vor uns liegende, mit einer sehr markanten Tannenspitze, erhielt den sinnvollen Namen „Tannenkrone", und der danebenliegenden, weit ausgebreiteten, an dessen Füßen sich der Ort Oberbirken anschmiegte, wurde von Ria „Marienmantel" getauft.
Erst später erfuhren wir, wie treffend dieser Name war, da sich auf einer Kuppe des Berges der„Lindenberg"mit der ältesten Marienwallfahrtskapelle dieser Gegend befindet, der nach urchristlicher Manier an der Stelle der „Gerichtslinde", an der Thingstätte errichtet wurde.
Da sich der Abend neigte, stiegen wir den Märchenwald wieder hinab und strebten unserer neuen Heimat zu. Beim Abstieg hatten wir die Berge des südlichen Dreisamtales vor uns. Am Höllentaleingang der Hohe Blauen, dann der Belchen, als höchste Erhebung der Feldberg, dann den Schauinsland und sich nach Freiburg absenkend und das Dreisamtal beschließend der Roßkopf.
 

       
Nach diesem ersten, entdeckungsreichen Tag schliefen wir mit glücklichen Gedanken ein, mitten in den Kriegswirren in eine herrliche Landschaft gefallen zu sein.
Am nächsten Morgen, nachdem Annerl uns mit einer Kissenschlacht geweckt hatte, inspizierten wir den kleinen Ort Stegen. Am Ortseingang liegt linkerhand das einzige Lokal „Gasthaus zum Hirschen", dessen bäuerliche Gemütlichkeit wir bei einer Limo kennenlernten, die uns Anneliese servierte, die Resis Freundin werden sollte. Wir kamen vorbei an schönen Bauernhöfen mit den typischen Schwarzwälderhäusern und trafen am Ortsende, am Fuß der „Tannenkrone" auf die Ortsschule. Spitzweg oder Moritz von Schwindt hätte keine idyllischere und typischere Dorfschule malen können. Die Schule bestand nur aus einem Klassenzimmer im Parterre, das Obergeschoß war die Lehrerwohnung. Neben dem Schulgebäude des Lehrers Garten und Hühnerhof. Südlich war der Schulhof von einem murmelnden Bach begrenzt, in dem sich Enten und Gänse tummelten.
Wir verließen diesen idyllischen Ort und wanderten weiter den Eschbach entlang in Richtung St. Peter und gelangten zu dem Dörfchen Eschbach, wo wir eine hübsche Barockkirche entdeckten.
In den nächsten Tagen machte und Mutter mit den Brüdern, Schwestern und Patres des Klosters bekannt und wir wurden zu leichten Arbeiten eingeteilt. Bei Schwester Petra und Gertrudis in der Küche halfen wir beim Kartoffelschälen, wobei Ria pausenlos selbsterfundene Märchen erzählte, welche die ganze Runde in Erstaunen versetzte. Bruder Lazerus, der mit dem langen Bart eine würdige, biblische Erscheinung war, bewunderten wir bei der Arbeit in der Schreinerei und halfen ihm im Holzschuppen Brennholz zu hacken, wobei sogenannte „Wutäste" (die man nur mit einem scharfen Beil und Wut spalten konnte) unseren besonderen Ehrgeiz erregten. Bruder Innozenz halfen wir im Klostergarten Pflanzen zu setzen und Maulwürfe zu jagen, Bruder Bartholomäus im Stall Schweine, Hühner und Kühe zu füttern und schließlich Bruder Modestus und Bruder Märten bei der Kartoffel- und Rübenernte. Zur Vesper gab es dabei den wohlschmeckenden Most, Schwarzwälder Schinken und Bauernbrot.
Pater Rüß, der für Meßdiener zuständig war, teilte uns abwechselnd mit den Dorfjungen für diesen Dienst ein. Mit diesen schlossen wir bald Freundschaft, vor allem mit Karli Tritschler und Karl Rombach. Wir hatten das Meßdienen in Kloster Johannisburg bei Papenburg erlernt und unsere einschlägigen Erfahrungen in St. Bonifatius und Alt-St.-Martin zu Düsseldorf gemacht und kannten die Tricks, wie man beim „Wasser- und Weineinschenken" des Priesters mit Wasser großzügig und mit Wein zurückhaltend verfährt, um für den Eigenbedarf etwas abzweigen zu können, sowie ungeweihte Hostien organisiert, beim Confiteor oder Suscipiat pfuscht, Weihrauch so großzügig verwendet, daß die ganze Kapelle vernebelt und die Glocke wirkungsvoll läutet, die örtlichen Gegebenheiten ausnutzend. Die Glockenseile waren auf der Orgelempore angebracht. Die Abendsonne schien beim Abendläuten voll durch die Rosette, so daß sie unsere Schattenspiele wirkungsvoll auf den Hochaltar warf und wir dadurch den Gottesdienst auf unsere Weise liebevoll mitgestalteten.

Die abgezweigten Hostien und Wein benötigten wir zur Gestaltung der eigenen Messen in unsere Hauskapelle. Wir hatten in einer Zelle unseres Schlafsaales eine Hauskapelle eingerichtet. Hans und ich hatten gelaubsägt und ein Altarbild gemalt und aus einer alten Stalllaterne einen würdigen Tabernakel konstruiert. Ria hatte Altartücher genäht und bestickt und geistliches Gerät (Kelch, Monstranz, Kreuz und Kerzenleuchter aus Bei) stammten von einer Wallfahrt nach Kevelaer. Hans und ich spielten abwechselnd Priester und Ministrant, während Ria für die Predigten zuständig war. Sie hielt glühende Reden an die jüngeren Geschwister und Rettichkinder, die gesenkten Hauptes saßen und keinen Widerspruch wagten.
Nach einigen Tagen erfaßte uns wieder der Ernst des Lebens und wir wurden erneut eingeschult.
Resi und Hans mußten täglich ins Gymnasium nach Freiburg fahren. Ria und ich gingen zu Lehrer Fuchs in die bereits beschriebene Dorfschule. Der Unterricht begann mit „Heil Hitler" und dem Lied „Die güldne Sonne voll Freud und Wonne" das der dicke Lehrer auf seiner Geige begleitete). Es war ein lustiges Bild: Seine Wangen waren dick, daß die halbe Geige von den Fettwülsten bedeckt war. Außer dem reinen Unterrichtstext, bei dem er sich um Hochdeutsch bemühte, sprach er nur einen deftigen, badender Dialekt. Letzteres lernte ich dadurch sehr schnell und vieles blieb mir in Erinnerung.
Den damaligen Gesetzen entsprechend mußten Jungen ab 10 Jahren dem Jungvolk (Hitler-Jugend) und Mädchen dem BDM (Bund Deutscher Mädchen) angehören. Unser Fähnleinführer legte diesen Dienst so geschickt, daß er unmittelbar nach dem Schulschluß auf dem Schulhof begann - man also nicht ausrücken konnte. Es gelang nur gelegentlich, sich nach Schulschluß auf der Toilette einzuschließen, bis der Spuk vorbei war. Wenn kein ideologischer Unterricht, sondern Geländespiele angesagt waren, nahmen wir diese Pflicht noch ganz gerne in Kauf.
Mein Bruder Hans und ich hatten beim Durchstreifen des Märchenwaldes eine Felsenhöhle entdeckt, die bis dahin nur von Feldmäusen bewohnt war und haben diese mit Reisig und Ästen getarnt. Spätestens hier gelang es uns, bei Geländespielen die Truppe zu verlassen.
Auf Erlaß des Kriegsministers war es aus „Sicherheitsgründen" der Kirche nicht erlaubt, Fronleichnamsprozessionen durchzuführen. Da aber das Kloster über einen Park verfügte, in den Tiefflieger keine Einsicht hatten, war für das Kloster eine Fronleichnamsprozession vorbereitet worden. Gehässigerweise hatte man zu dem gleichen Zeitpunkt Dienst der Hitler- Jugend angesetzt, so daß wir Ministranten unseres Kirchendienst nicht wahrnehmen konnten. Es gelang uns aber, über die Felsenhöhle zu entschwinden und rannten davon. Einer hatte uns jedoch verpfiffen, sie verfolgten uns und kurz vor dem Kloster hätten sie uns beinahe eingeholt. Sie warfen mit Steinen und prügelten mit Ruten. Wir warfen die Klosterpforten zu - und waren gerettet. Sie brüllten herüber: „Wenn Ihr rauskommt, prügeln wir euch wie das Vieh!" Hans und ich waren in Sicherheit, aber Karli Tritschler und Karl Rombach mußten noch am Abend nach Oberbirken - durch feindliches Gebiet.
Wir feierten Fronleichnam in der Kirche und mit der Prozession durch den Park, die wir mit 4 Altären und Blumenbildern auf den Gehwegen herrlich geschmückt hatten und warteten den Einbruch der Dunkelheit ab. Sodann pirschten wir uns an den Südausgang des Parkes heran, an den sich ein Rübenfeld anschloß. Wir robbten mit unseren Freunden durch die Furchen zwischen den Rüben, die Gott sei Dank schon recht hoch gewachsen waren, bis an den Ortsrand von Unterbirken und hatten dadurch das Dorf Stegen bereits linker Hand liegen gelassen. Durch einen Wald kamen die Ministranten unbehelligt nach Oberbirken und in Sicherheit und wir gelangten auf dem gleichen Weg zurück. Diese kleine, gelungene Exkursion beflügelte uns mit Stolz und gab unserem kleinen Widerstand Auftrieb.
Die unangenehmste Figur der Stegener Nationalsozialisten war der Lehrer von Wittental, den man nur in der braunen SA-Uniform sah, der mit seinem Fahrrad seinen ganzen Bereich kontrollierte, denn er war Ortsgruppenleiter. Wir Kinder grüßten ihn immer höhnisch und freundlich mit dem süddeutschen „Grüß Gott", worauf er mit puterrotem Kopf brüllte: „Der Deutsche Gruß ist, Heil Hitler'!". Oft saßen wie auch im Baum oder in einem Gebüsch, wenn er mit seinem Rad vorbeikam und beschossen ihn mit Holunderbeeren aus einem Blasrohr. Da wir aber flinker waren als er, erwischte er uns nie.
Lehrer Fuchs hatte berechtigte Angst vor ihm und mußte uns, gegen seine Überzeugung, den größten Blödsinn lehren. Unter dem Lehrstoff „Rassenkunde" erzählte er uns die biblische Geschichte vom Zweikampf zwischen David und dem Riesen Goliath. Nach dieser Version war David ein feiger, hinterlistiger Jude, der dem blonden und blauäugigen Arier indogermanischer Abstammung Goliath auf feige Art mit einer Steinschleuder getötet hat, weil er zum ehrlichen und offenen Zweikampf nicht in der Lage war. Wir Kinder fragten uns, wie wohl in der damaligen Zeit ein Germane nach Palästina gekommen sein mag, und lachten heimlich.
 

Eines morgens wurden wir wach und unser ganzes kleines Paradies lag unter einer Schneedecke. Wir wurden zum ersten Mal mit dem harten, aber herrlichem schwarzwälder Winter konfrontiert. Die Ernte war eingefahren, so durften wir ungeniert die Scheunenauffahrt in eine Rodelahn verwandeln. Der Weiher war zugefroren und die Springfontaine hatte ein herrliches glitzerndes Eisgebilde hinterlassen, so daß wir über eine zauberhafte Schlittschuhbahn verfügen durften, die sich nierenförmig geschwungen durch verschneite Tannen schlängelte. Es kam das Martinsfest mit selbstgebastelten Laternen und das Nikolausfest, bei dem Hans (völlig unberechtigterweise) Knecht Ruprechts Rute zu spüren bekam. Dann kleideten wir Ministranten uns wie der Priester in „Violett", - es war Advent. Die Madonna im Mittelschrein des Hochaltars wurde gegen ein Relief mit einer schönen, gotischen Krippendarstellung ausgetauscht - wir feierten Weihnachten in Kloster Stegen. Im Saal des Schlosses fand ein Krippenspiel, in dem wir die Hirten und Resi die Mutter Maria darzustellen hatten, statt, an dem alle Bewohner: Patres, Brüder, Schwestern, Evakuierte und Asylanten, die der Krieg in diesem Haus zusammengetrieben hatte, teilnahmen. Pater Middendorf hielt eine schlichte, ergreifende Ansprache. Am seinem Tisch saßen: der bärtige, alte Missionar, Pater Männersdorfer, der es uns Ministranten nicht leicht machte und für Jungenstreiche wenig Verständnis hatte, der elegante, vornehme Pater Rüß, der uns Jungen auf feine Weise „Anstandsunterricht" erteilte sowie der Holländer Pater Notermanns, der meinen Schwestern und den Dorfmädchen als neugegründeten Kirchenchor seine selbstkomponierten und getexteten Lieder beibrachte. (Eines wurde sogar ins Freiburger Gesangbuch aufgenommen: Nun läuten Osterglocken, Dir, ewger Gott zur Ehr, und jubeln und frohlocken, von Meer hinaus zu Meer."
Sie alle feierten das Fest des Friedens in einer unfriedlichen Welt, in der täglich millionenfach gemordet wurde. Erst das Fest der unschuldigen Kinder ließ klar werden, daß es schon immer so war. Wir Kinder blieben von dieser Grausamkeit weitgehend unberührt in einer friedlichen (Kinder!) Welt.
Zu diesem Weihnachtsfest wurden wir mit Karl May und seinen wundervollen Geschichten bekannt. Ich bekam „Der Schatz im Silbersee", Hans „Winnetou I" und Ria „Old Surehand I". Wir lasen uns die Bücher teilweise gegenseitig vor und gaben uns neue Namen: Hans hieß Winnetou, ich Old Shatterhand und Ria Winnetous Schwester Ntschotschi.
Adolf brachte es noch zum „Weißen Büffel", aber die Kinder darunter, Liesel, Ursula und Margret waren noch zu klein und „unwürdig". Das gleiche Schicksal traf Ursula und Christel Rettig, die lediglich zu „Spinne" und „Grille" wurden.
Durch diese neuen Geschichten änderten sich natürlich die Spiele im Park und Wald, und die (vormilitärischen) Geländespiele der Hitlerjugend wurden uns noch unsympathischer.
Zur Ferienzeit bekamen wir Besuch von Cousinen und Vettern aus dem Rheinland. Resi und Ria Coenenberg aus Neuss, Stephan Ingenhoven und Hans Vogelsang aus Volmerswerth. Auch Opa sowie Onkel und Tanten fanden sich in Kloster Stegen ein. Kloster Stegen war vor dem Krieg Gymnasium, Missionsschule und Priesterseminar. Da alle jungen Männer in diesem unseligen Krieg einrücken mußten, war das Haus leer und für Gäste reichlich Platz.
Die theatralisch begabte Resi (Neuss) und unsere Ria griffen die neue Situation (viele Darsteller und Zuschauer) spontan auf und studierten Märchenspiele mit uns ein. Erster großer Erfolg wurde „Schneewitchen", das in unserer großen Stube in Szene ging. Da auch Dorfkinder mit dem schönen badischen Dialekt mit wichtigen Rollen betraut wurden, z. B. Anneliese Metzger vom Gasthaus zum Hirschen als Trina und ich als Hexe debütierte, wurde es ein farbiges und lustiges Spiel. Weitere Inszenierungen folgten. Wir unternahmen mit den Gästen Ausflüge auf den Lindenberg, den Schauinsland und Feldberg, sowie Wallfahrten zu den herrlichen Barockkirchen St. Peter, St. Märgen und St. Blasien.
Die Zeiten wurden auch in unserem friedlichen Winkel bedrohlicher. Die Anglo- Amerikaner waren in Frankreich gelandet, die Front rückte näher. Täglich brausten Tiefflieger über unser Tal und erschossen wehrlose Bauern bei der Ernte auf dem Feld, riesige Bomberverbände überflogen unbehelligt das Dreisamtal, um in Stuttgart oder München ihre tödliche Last abzuwerfen. Freiburg wurde noch verschont, denn es gab keine Industrie. Wird man es weiter schonen, war unsere bange Frage?
Vater berichtete von schlimmen Bombenangriffen auf Düsseldorf, bei denen sein Elternhaus, der ganze Volmarhof mit Saal und Rheinterasse niederbrannte und Volmerswerth in Schutt und Asche gelegt wurde. Er hatte unsere Backstube, die weitgehend unversehrt geblieben war, wieder in Betrieb genommen und im erhaltenen Wohnzimmer einen notdürftigen Laden eingerichtet - um den ganzen Krieg hindurch die Bilker Bevölkerung mit Brot und Backwaren zu versorgen. Sein Schwager Hans Vogelsang tat dergleichen in Volmerswerth.
Im Advent des Jahres 1943 fand in der Freiburger Konviktskirche eine Priesterweihe statt, bei der auch ein Novize vom Kloster Stegen die Priesterweihe empfangen sollte und wir Ministranten teilnehmen durfte. Nachts um 5 Uhr, bei völliger Dunkelheit und spärlicher Kerzenbeleuchtung fanden wir uns mit dem Bischof und 5 Diakonen in der Krypta ein, in der die Priesterweihe gespendet wurde.
Wir fühlten uns wie die Urchristen in einer Katakombe, umgeben von Feinden (Nazis und feindlichen Flugzeugen) und erlebten eine ergreifende Feier. Die jungen Priester mußten nach der Primiz wieder an die Front und keiner wußte, was die Zukunft ihnen bringen würde.
 
Unsere Primiz wurde feierlich am Stephanustag in der Kapelle von Kloster Stegen gefeiert. Herr Zacharias hatte mit uns Ministranten die „Speyer-Dom-Festmesse" von Josef Haas einstudiert. Er quintulierte fürchterlich auf dem Harmonium auf und ab, als habe er eine dreimanualige Orgel vor sich. Die Dorfbewohner hatten sich mit „Glottertaler-Trachten" prächtig herausgeputzt und Mädchen sich in Engelchen und meine Schwester Ria in ein sogenanntes „Primizbräutchen" verwandelt, die auf einem weißen Kissen die geistlichen Geräte zum Altar bringen mußte. Nach dem Gottesdienst mit Primizsegen fand eine kleine Prozession durch den Park statt, an die sich eine kleine Feier im Schloß anschloß.
Wie es später dem Prämizianten in Rußland ergangen ist, entzieht sich meiner Kenntnis; ich habe nie wieder von ihm gehört. Bei einer Bombennacht in Hagen/Westfalen wurde ein Waisenhaus der Vinzentinerinnen völlig zerstört und alle Kinder, die überlebten, obdachlos. Der Wohltäter, Pater Middendorf, ließ sich nicht zweimal bitten und nahm alle Kinder mit den Schwestern in sein Kloster auf. Ein Geschwisterpaar unter ihnen (Eva und Dieter Bachenheim) war, wie wir später erfuhren, Juden. Immer, wenn die Gestapo nach ihnen fahndeten sagte Pater Middendorf, sie sind in Hagen, und wenn sie in Hagen gesucht wurden, sagte man dort, die sind im Schwarzwald. So wurden sie gerettet.
Unter diesen Kindern fanden wir schnell Freunde und einige wurden in den Ministrantenkreis aufgenommen. Zur Unterscheidung von den Dorfkindern hießen sie einfach „Schloßkinder". Im zweiten Obergeschoß des Schlosses wurde für sie eine eigene Schule eingerichtet. Gehässigerweise hat das Schulamt ihnen einen hundsgemeinen Nazilehrer aufs Auge gedrückt, der die ganze Atmosphäre im Schloß vergiftete.
Unglücklicher- und unverständlicherweise hat meine Mutter Ria und mich aus der Dorfschule herausgenommen und zu Lehrer Abel in die Schloßschule getan. Wir verließen schweren Herzens Lehrer Fuchs und die Dorfschule und erlebten nun einen furchtbaren Zwang. Lehrer Abel war ein total verblendeter Nazi und glaubte noch an den Endsieg, als die Franzosen schon in Freiburg waren und ließ uns täglich „Bomben auf Engelland" singen. Er setzte die Waisenkinder, die sich nicht wehren konnten, einem furchtbaren Terror aus. Einige wurden täglich verprügelt. Ihre ohnehin angeschlagene Persönlichkeit wurde nunmehr gänzlich vernichtet.
Am 27. November 1944 abends - wir hatten gerade einen Abendgottesdienst mit Friedensgebet in der Kapelle gefeiert und das Lied gesungen: „Gib uns Frieden, o Herr, in unseren Tagen, denn es ist kein anderer, der für uns streitet, als Du, unser Gott". Da leuchtete es taghell durch die gotischen Fenster, es brummte und donnerte, und als wir ins Freie liefen sahen wir, daß man über Freiburg Leuchtraketen abgeschossen hatte und nun in einem Inferno Spreng- und Brandbomben niedergingen. Es dauerte nicht lange und die ganze schöne, alte Stadt stand in Flammen, der Himmel färbte sich pupurrot und schwarze Wolken zogen durch das Dreisamtal. Noch in der Nacht ergoß sich ein Flüchtlingsstrom Obdachloser durch unser Dorf, um irgendwo eine Notunterkunft zu finden. Wir trugen Matratzen und Strohsäcke zusammen und es gab bald keinen Quadratzentimeter Fußboden mehr, auf dem nicht irgendeiner schlief.
Nach einigen Tagen entspannte sich die Lage, denn die meisten waren weiter in den Südostschwarzwald gezogen, aber unser Kloster blieb voll. Pater Rektor nahm jeden in Not geratenen Mitmenschen auf. Am gemeinsamen Mittagstisch saßen: Katholiken, Protestanten, Juden, Nazigegner und Nazifeinde, französische Kollaborateure und italienische Antifaschisten. Die einen fürchteten die Gegenwart, die anderen die Zukunft und alle fürchteten sich voreinander. Nach einigen Tagen brachte Pater Middendorf auch Frau Lotte Paepcke mit ihrem Söhnchen Peter mit in unser Haus. Frau Paepcke, die sehr krank war, bekam ein Zimmer in unserem Wirtschaftsgebäude und ihr Sohn Peter kam zu den Waisenkindern ins Schloß. Wie wir erst später erfuhren, war Frau Paepcke Jüdin und Schriftstellerin des wundervollen, erschütternden Buches: „Unter einem fremden Stern", in dem sie auch u.a. diese Zeit in Kloster Stegen und eine großartige Charakterstudie über Pater Middendorf (Superior) und die anderen Insassen des Klosters berichtet. (Die Lektüre dieses Buches empfehle ich aufs Herzlichste. - gez. Coenenberg)
Mit Frau Paepcke arbeiteten wir gemeinsam bei Bruder Innozens im Klostergarten und Ria spielte gerne mit dem kleinen Peter. Wir freundeten uns mit dem temperamentvollen, etwas jähzornigen Italiener „Caeser" und dem kinderfreundlichen Franzosen „Julius" an, mit denen wir im kalten Mühlbach baden gingen und belustigten uns heimlich über ihre „ideologischen" Auseinandersetzungen.
Zwei merkwürdige alte Damen mit großem Hüten (eine mit einem Dreispitz), die in der Kapelle immer einen besonderen Platz beanspruchten, wurden von Resi „Der alte Fritz" und der „Große Kurfürst" getauft. Dem Porzellanhändler „Ramme" der überzeugter Faschist war, halfen Hans und ich, unbeschädigtes Porzellan aus Freiburg in unsere Scheune und in Sicherheit zu schaffen. Mutter, die in Düsseldorf alles verloren hatte, bekam zur Belohnung Schüsseln und Tassen von ihm. Als die Franzosen kamen, änderte er seine politische Meinung und seinen Namen in „Ramme".
Als letzter Akt des Krieges kam schließlich die im Elsaß eingesetzte Deutsche Armee auf dem Rückzug in unser Dorf und wiederum wurde jeder Quadratzentimeter Wohnfläche für Quartiere benötigt und vom Militär beschlagnahmt; der Park war mit Militärfahrzeugen besetzt. Mit den Landsern hatten wir Kinder keine Probleme, alles war für uns neu und interessant.
Aus einem alten Kinderwagen hatten Hans und ich eine „Flitzkarre" gebaut, womit wir durch die Umgebung streiften. Um, wie wir glaubten, uns vor Tieffliegern zu schützen, malten wir auf der Oberseite das blau-weißrote/englische Hoheitszeichen. Mit den ergatterten Ölfarben hatten wir etwas Probleme, denn sie waren etwas dickflüssig. Benzin oder Terpentin hatten wir aber nicht. Bis Hans in einem alten Holzschuppen zwei alte Militär-Motorräder entdeckte... Bald erschienen die ersten französischen Panzer.
 
Die französischen Kampftruppen waren nett zu uns Kindern. Sie tauschten Schokolade gegen Partei- und HJ-Zeichen und fingen mit Sprengkapseln im Eschbach Fische, die wir mit ihnen gemeinsam essen durften. Weniger zugänglich waren die nachfolgenden Besatzungstruppen, die ihre Überlegenheit erstmal dadurch ausdrücken mußten, daß sie mit Maschinenpistolen unsere Umkleidekabinen am Mühlbachweiher und sämtliche Straßenschilder zerschossen und auch den Bauern ihr ganzes Federvieh wegschössen.
Immerhin: wir brauchten nicht mehr zu Lehrer Abel in die Schule und auch nicht mehr zur Hitlerjugend. Der Lehrer von Wittental hatte seine ganze Familie und dann sich selbst erschossen; er war verantwortlich für die Sprengung sämtlicher Brücken und Tunnels im Höllental.
Pater Middendorf und das ganze Kloster atmete auf und feierten das Kriegsende mit einem „Te Deum" und einer Prozession durch den Park, wobei wir Jungen feststellten, wie vorzüglich sich Glas von zertrümmerten Militärfahrzeugen für mosaikartige „Blumenbilder" verwenden läßt. Dann kam die Rückreise nach Düsseldorf. Wir freuten uns auf unsere Heimat, die wir dreieinhalb Jahre nicht sehen konnten und auf Vater. Aber wir spürten auch, daß wir von einer Kindheit Abschied nehmen mußten, die niemals wiederkehrte. Meine Schwester Resi erzählte mir später, daß ich mit einem Gesicht voller Tränen nach Stegen geschaut habe, als unser Pferdefuhrwerk gen Freiburg fuhr.

gez. Bernhard Coenenberg, am 7. Januar 1992  

Dieser Text ist Teil einer Veröffentlichung in der "Bilker Sternwarte" vom Juni 1992 mit deren freundlicher Genehmigung diese Seite entstanden ist.